Bei der Geburt ihres ersten Kindes, eines Jungen, versprach Gunnar, im kommenden Winter würde er ein Schaukelpferd zimmern. Im Jahr darauf bekam seine Frau eine Tochter und fragte ihn nach dem
Schaukelpferd.
Er nickte, bewegt die Hände, als wollte er damit zeigen, dass seine Hände schon auf dem Weg sind. „Im Winter, Lisa, im Winter, sollst du sehen, jetzt ist Frühling, da gibt es so viel zu tun. Und
sieh mal.. Dann ist auch Astrid groß genug für das Schaukelpferd, das passt doch gut, dann kann auch sie drauf schaukeln.“
Sein Blick suchte so etwas wie einen Ausgang, aber Lisas Augen ließen das nicht zu.. Er flüchtete in ein schüchternes Lächeln.
Da riss der Aprilhimmel auf, ein leuchtender Arm kam durchs Küchenfenster, strich über Teller und Tassen im Abtropfgestell und stemmte sich gegen den aufglühenden Linoleumfußboden.
Gunnar fasste Lisa um die Hüfte, zog sie zum Fenster.
„Schau! Der See ist eisfrei! Nächste Woche geh ich schwimmen. Ich versprech es dir.“
Er hielt sein Versprechen. Alle im Haus mussten mit ihm gehen. Er rannte fünf Meter ins flache Wasser, klatschte sich mit einem Schrei hinein, sprang sofort auf und kam zurückgelaufen, um sich
wieder anzuziehen.
Seine Frau schien nicht sehr beeindruckt und als er am nächsten Tag mit der Gießkanne durch die Zimmer strich, um die Tomatenpflanzen auf den Fensterbänken zu wässern, blieb er im Webzimmer
verblüfft stehen. Neben dem Kalender an der Wand gegenüber dem Webstuhl, hing ein Din-A-4 großer Zettel mit der Schrift seiner Frau. Er trat heran, und las erst leise, dann laut und langsam, als
müsse er es buchstabieren:
„Hühner ins Freie lassen
Keller ausmisten
Fenster im gelben Zimmer abdichten.
Persson besuchen wegen Grundstück
Brennholz besorgen.
Sven-Gösta will zum Geburtstag ein Altarkreuz“
Er schmunzelte. Eine ganz schöne Latte. Na, warum nicht. Fangen wir doch gleich damit an. Persson zum Beispiel, den könnte man wirklich mal wieder besuchen. Er zog die gelbe Windjacke an, drückte
sich das ausgebeulte Soldatenschiffchen auf den Kopf und verließ das Haus.
Kurz vor dem Abendbrot kam er heim, ging ins Webzimmer, leckte kurz an seinen dicken Zimmermannbleib und strich die Zeile mit Persson durch.
„Und?“ fragte Lisa, die ihn beobachtet hatte. „Was sagt Persson?“
„Die Kühe geben weniger Milch...“
„Und?“
„Er wird nächsten ein Schwein schlachten...“
„Alssso..“ Es klang wie das vermenschlichte Fauchen einer Katze.. Sofort setzte sie mit schönster Schulschrift eine neue Zeile auf die Liste: „Persson wegen Grundstück fragen!“
Und von diesem Tag an wuchs die Liste. Zwar wurde auch mal eine Zeile gestrichen, aber wie von Zauberhand erschien gleich darauf eine neue. Ein paar Wochen später hingen sogar zwei Zettel
nebeneinander an der Wand. Sie trugen die Spuren eines lautlosen, aber hartnäckigen Kampfes. Durchstrichene Zeilen erzählten von flüchtigen Siegen, im großen Ganzen herrschten selbstbewusste,
klare Schriftzeilen, die sich jeder Änderung verweigern würden.
Eines Tages fand ich Gunnar auf dem Webstuhl sitzen. Er starrte auf die Zettel an der Wand.
„Sag mal“, begann er leise, „verstehst du das? Wir schuften doch? Oder schuften wir nicht? Jeden Tag im Wald, jeden Tag im Garten, im Treibhaus.. Wieso wird die Liste immer länger?“ Vorwurfsvoll
sah er mich an. „Da stimmt doch was nicht!“ Und dann flüsterte er, besorgt zur Tür sehend. „Vielleicht steht da das Falsche? Ich hab heut zwei Fahrräder geflickt. Warum steht das dort nicht? Und
haben wir heute früh nicht das Netz im See eingeholt? Du warst doch dabei. Warum steht da nichts davon? Und Oskar hab ich ein Glas Preiselbeermarmelade gebracht. Steht auch nicht da!“
Plötzlich stand er auf, holte seinen Zimmermansblei aus der Jeanstasche, leckte kurz über die Spitze und kritzelte ans Ende der Liste: „Fahrräder flicken. Oskar Marmelade bringen. Fischnetz
einholen...“ Er bog den Kopf zurück, fixierte den Zettel, dann strich er seine Zeilen durch. „Sieht doch gleich besser aus. Was meinst du?“
Und so begann an diesem Tag der Wettkampf der durchstrichenen krakeligen Zeilen mit denen, die mit ihrer Schönheit aufdringlich glänzten.
Eines Abends nahm Lisa die Zettel ab, listete alle unerledigten Arbeiten sauber auf einen neuen Zettel und heftete ihn an die alte Stelle im Webzimmer.
Als Gunnar am nächsten Abend den Zettel entdeckte, blieb er überrascht stehen. Dann pfiff er leise vor sich hin, kramte den Zimmermansblei heraus und schrieb unter die Zeilen:
„Geländer bauen für Ulf an der Küchentreppe.
Zaun am Hühnerstall ausbessern
Tomaten pflücken, Göte zum Verkauf bringen
Kleine Axt schleifen.“
Er überlegte, ob er noch was dazu schreiben könnte, aber er wollte sich großmütig zeigen. Sorgfältig strich er jede seiner Zeilen durch und als er merkte, dass ich es gesehen hatte, zwinkerte er
mir zu.
Sein Sieg hielt eine halbe Stunde, dann hatte seine Frau zwei neue Aufträge dazu geschrieben.
Wie es zu Ende ging? Das weiß ich nicht. Im Herbst fuhr ich nach Deutschland zurück. Als ich zwei Jahre später bei der Familie Ferien machte, gab es keine Zettel mehr zu sehen und Lisa hatte ein
drittes Kind, einen Jungen, zur Welt gebracht.
Ein Schaukelpferd konnte ich nirgendwo finden.