Seit gut einem Jahr lebe ich mit meiner Frau im Süden, weit weg vom grauen, kühlen Norddeutschland.
Ja, ich kann sagen, ich hatte Glück in meinem Leben, aber, wie man so sagt, ich war auch meines eigenen Glückes Schmied.
Ich arbeitete als Texter in der Werbeabteilung eines Zeitungsverlags, den Namen der Zeitung will ich nicht nennen.
Ich erinnere mich genau, es war ein Nachmittag im Mai. Der Himmel war wie blankgeputzt, auf der Weser, nahe unserem Verlagshaus, zitterte das Glitzern von den Sonnenstrahlen.
Da ging die Tür auf, mein Chef – Halbglatze, aber an den Seiten mit vollem, welligem Haar und mit Augen, die immer feucht waren. Diesmal wohl passend, denn nach seinem
Gesichtsausdruck zu urteilen, gab es in seiner Familie einen Trauerfall. Und mit schwacher Stimme sagte er:: „Er lebt nicht mehr...“
Kürzlich war eine Kollegin zu Arbeitsbeginn heftig weinend ins Büro gekommen, ich nahm sie sofort tröstend in die Arme im Glauben, ihre Mutter sei gestorben. Dann sagte sie, ihr Hund sei
überfahren worden. Darum war ich diesmal vorsichtig. Ich schwieg und wartete ab.
Und tatsächlich, niemand aus seiner Familie war gestorben, sondern der Astrologe, der uns das Tageshoroskop für die Zeitung lieferte. Er war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
„Was machen wir jetzt?“ klagte mein Chef, seine Augenlider flatterten. „Morgen bricht die Hölle los, wenn kein Horoskop in der Zeitung steht.“
Ich dachte sofort an meine Frau. Für sie wäre der Tag gelaufen.
Konnte der Astrologe denn seinen Unfall nicht voraussehen und uns rechtzeitig Bescheid geben?
Außerdem: Da wir, das heißt die Werbeabteilung, für das Tageshoroskop zuständig waren, saßen wir so richtig in der Patsche.
Und da sagte ich spontan, ich könnte ja das Horoskop schreiben.
Entsetzt sah mich mein Chef an.
„Wie soll das gehen?“
„Ich bin Amateurastrologe“, sagte ich.
Der Gedanke behagte ihm gar nicht, aber die Redaktion hatte schon nach dem Horoskop-Manuskript gefragt, also gab er mir grünes Licht.
Und dann machte ich mich an die Arbeit. Ich bastelte aus den letzten Horoskopen eines für den nächsten Tag. Für meine Frau fiel mir etwas Besonderes ein. Ich schrieb unter ihrem Tierkreiszeichen
„Stier", eine freudige Überraschung sei zu erwarten und man solle dem Überbringer der Überraschung eine Freude machen.
Als ich am nächsten Tag nach der Arbeit meiner Frau einen Strauß roter Rosen mitbrachte, strahlte ihr Gesicht auf und sie
sagte: „Jetzt darfst du dir was wünschen.“
Nicht zu glauben! Es hatte funktioniert.
„Ich hätte gern einen frisch gebackenen Käsekuchen“, sagte ich. Den bekam ich auch. Ich ärgerte mich, nichts Größeres gewünscht zu haben.
Übrigens war keinem Leser aufgefallen, dass jetzt ein anderer als der Astrologe die Horoskope schrieb. Da so schnell kein neuer Astrologe zu finden war, sollte vorerst ich die Tageshoroskope
schreiben. Als nächstes las meine Frau in ihrem Horoskop, es könnte gut sein, dass sich ein heimlicher Verehrer zu erkennen gebe. Und dafür sorgte ich. zu. Der Postbote brachte ihr einen anonymen
Brief mit einem Liebesgedicht (ich fand es in einem Taschenbuch mit mittelalterlicher Lyrik) und es endete: „ Von einem heimlichen Verehrer“.
Selten habe ich meine Frau so gut gelaunt gesehen. Sie sang und tanzte durch die Küche, als hätte sie im Lotto gewonnen. Als ich darauf andeutete, es würde auch meine Laune heben, wenn ich mir
endlich einen größeren Fernseher kaufen dürfte, hatte sie nichts dagegen.
Und es wurmte mich, mir kein neues Auto gewünscht zu haben.
Am nächsten Tag überlegte ich mir gerade ein neues Horoskop für sie, da deutet der Chef an, die Zeitung hätte bald einen neuen Astrologen, es ginge nur noch um die Höhe des Honorars.
Ich erschrak. Sollte ich die Macht über meine Frau verlieren? Ich musste meinen Chef überzeugen, dass ich genauso ein Spezialist war wie ein professioneller Astrologe. Und das ging so: Zwar
behauptete mein Chef, nicht an solchen Humbug zu glauben, trotzdem las er täglich sein Horoskop (Löwe). Als er nach seiner Mitteilung sein Zimmer verließ, stibitzte ich sein Telefonbuch vom
Schreibtisch. Stunden später suchte er wie ein Irrer danach. Schließlich war er überzeugt, es verloren zu haben. Ich bedauerte ihn kräftig.
Am nächsten Tag stand in seinem Horoskop, er würde heute eine erfreuliche Entdeckung machen.
Und tatsächlich, als er sich nach der Mittagspause an seinen Schreibtisch setzte und die Schublade aufzog, fiel sein Telefonbuch auf den Teppichboden. Es hatte zwischen Tisch und Schublade
geklemmt.
Er kam zu mir, klopfte mir bewundernd auf die Schulter und murmelte: „Sie haben da ein Talent, mein Lieber... Wer hätte das gedacht! Wissen Sie was? Sie sind ab sofort für das Horoskop
zuständig.“
Im nächsten Horoskop meiner Frau schrieb ich, es sei ein größeres Geschenk zu erwarten. Am Abend darauf schenkte ich ihr einen Ring mit einem Saphir, weiß Gott, ich hatte mich das was kosten
lassen. Als ich ihr sagte, ein neues metallicblaues Auto würde gut dazu stehen, stand dem Kauf nichts mehr im Wege.
Und so ging es weiter, Tag für Tag. Ich erweiterte meinen Kundenkreis unter Verwandten und Bekannten. Ich musste nur wissen, ob sie täglich unsere Zeitung lasen und ob sie an Horoskope glaubten.
Nebenbei bemerkt, über die Erhöhung meines Gehalts bestimmte nicht mein Chef, sondern sein Horoskop.
Auf diese Weise kam ich zu einem gewissen Wohlstand, der mir gestattete, früher in Rente zu gehen. Als ich das meinen Chef mitteilte, schlug er mir vor, als freier Astrologe für die Zeitung tätig
zu bleiben. Das lehnte ich ab. Was hätte ich davon, hier in Mallorca? Wo die Zeitung erst nach drei Tagen ankommt? Da gilt ja das Horoskop nicht mehr.
Trotzdem lass ich mir die Zeitung nachschicken. Warum? Ganz einfach. Ich studiere das Horoskop, selbstverständlich aus rein kollegialem Interesse. Und wenn ich dann unter einem Sternbild lese,
man solle am Abend lieber zuhause bleiben, es könnte sonst etwas passieren, frage ich mich: „Will der der Astrologe seine Geliebte besuchen? Oder will er verhindern, dass seine Frau ihren
Geliebten besucht?“
Übrigens las ich heute in meinem Horoskop (Jungfrau), es sei besser, ein Geheimnis für sich zu behalten.
Naja, das steht in der Zeitung von vor drei Tagen.
Und außerdem, mich kann der Astrologe nicht gemeint haben, mich kennt er ja gar nicht.