Lange hatte der deutsche Tourist im Wörterbuch nach den Wörtern gesucht, schließlich wollte er sein Anliegen höflich ausdrücken, und jetzt stand er vor dem Bauern mit dem Zettel in der Hand
und las die schwedischen Wörter ab: „Hästsko. Köpa.“ (Hufeisen. Kaufen.)
Der Bauer saß am Waldrand auf einem grauen Felsbrocken, neben sich Kettensäge und Schutzhelm. Sein Haar war so blond, dass man weder Brauen noch Wimpern sehen konnte. Er kaute an einem
Brot, das er einer Blechdose entnommen hatte.
Es war ein Bauer in Småland, im südlichen Teil Schwedens, wo die Erde saftig und voller Steine ist. Er sah den Mann vor sich aufmerksam an, erkannte in ihm einen Deutschen, und dachte: "Es
gibt schon verdammt viele Deutsche hier". Und er war versucht, noch länger zu schweigen als üblich. Aber dann entsann er sich des Spruches auf der uralten Holztruhe in der Diele seines Hofes, auf
der, umrahmt von einem bunten Blumenkranz, ein Satz stand von einfacher Klarheit: "Vor dem Herrn sind wir alle Småländer" und so fragte er auf Englisch: Wozu? Ob er ein Pferd zuhause hätte?
„No, Sir“, sagte der Tourist ein wenig irritiert vom plötzlichen Englisch. Und sagte - gleichfalls auf Englisch: in Deutschland sei das Hufeisen ein Glücksbringer und er würde gern zwei oder drei
seinen Freunden in Deutschland mitbringen. Es wäre - er stotterte ein wenig - doch ein echtes schwedisches Souvenir. Weil der Bauer immer noch schwieg, fügte er hinzu: Außerdem sei er ein Fan von
Astrid Lindgrens Büchern, genau wie seine Freunde, und so ein Hufeisen wäre doch sozusagen ein handfester Beweis ihrer Geschichten.
Der Bauer legte die angebissene Stulle in die Blechdose und sagte: „Komm morgen auf meinen Hof dort drüben.“ Stülpte sich den Helm über und ging mit der Kettensäge in den Wald.
Als der Deutsche am nächsten Tag bei dem Bauern aufkreuzte, lagen drei rostige Hufeisen auf dem Küchentisch. Er bekam sie für 300 Kronen.
Darauf sammelte der Bauer auf den Nachbarhöfen zwei Kisten voller Hufeisen ein und stellte in Sichtweise seines Hofes ein Schild auf. Darauf stand in deutscher Sprache: „Echte Glücksbringer!
Hufeisen zu verkaufen!“
Das wäre nicht nötig gewesen, denn der Verkauf hatte sich unter den Touristen schnell herumgesprochen. Innerhalb einer Woche verkaufte er sämtliche Hufeisen. Seltsamerweise wurden die blanken,
ungenutzten von den Touristen am besten bezahlt.
Im Winter, als es keine Feldarbeit gab, fabrizierte er mit eigener Hand nagelneue gusseiserne Hufeisen. Unter dem Slogan „Qualitätshufeisen aus biologischem Landbau“ bot er sie im Online-Versand
an. Die Idee, die Hufeisen zusätzlich als vegan zu bezeichnen, musste er verwerfen: Schließlich stand auf dem Zertifikat, das jeder Lieferung beilag, dass sie von Pferden stammten, die noch
Astrid Lindgren begegnet waren.
Bald beschäftigte er acht Arbeiter. Über das Eingangsportal seiner kleinen Fabrik befestigte er das Firmenzeichen, ein großes eisernes Hufeisen. Ein Jahr später fiel es gerade in dem Augenblick
herunter, als er darunter her ging, und traf seinen Kopf.
Nach der Entlassung aus der Klinik saß er von morgens bis abends lächelnd auf der Bank vor seinem Hof. Zwar war sein Unternehmen pleite gegangen, denn ein Konkurrent fertigte die Hufeisen
industriell an, doch wer ihn so sitzen sah, musste sich ehrlicherweise gestehen: Er sah viel glücklicher aus als vorher.