Die Geschichte fing so an. Ich wollte was aus dem Keller holen. Zuvor hatte ich den Wetterbericht gehört. Regen war angekündigt. Also aufgepasst, mein Lieber! Nachher beim Einkaufen bloß nicht
den Regenschirm vergessen! Und dann stand ich im Keller vor dem Regal. Moment mal... was wollte ich holen? Den Regenschirm? Aber wieso denn? Achja, der Wetterbericht. Aber bitteschön, hier im
Keller?
Meine Frau sagte, ich solle umgehend einen Arzt aufsuchen. Wissen Sie, hinsichtlich meiner Person neigt sie zu schnellen Entscheidungen. Sie machte ein Gesicht, als sei ich in Lebensgefahr, und
dann sagte sie: „Das ist schon zum zweitenmal, du hast beginnende Alzheimer. Aber verrat das dem Arzt nicht, auf keinen Fall. Die Ärzte wollen nämlich alles besser wissen, da sind sie
eigen. Dabei genügt gesunder Menschenverstand... Also halt den Mund, sonst ist der Doktor sauer und er behandelt dich schlecht.“
Eine kluge Frau, wie gesagt, und mit gesundem Menschenverstand, das ist nicht zu bestreiten. Also, ich hab Alzheimer, laut ihrer Diagnose, und das darf ich dem Arzt nicht sagen. Bloß, wie
soll ich das im Kopf behalten auf dem langen Weg zum Arzt? Denn etwas vergesslich bin ich ja, das weiß ich. Da fiel mir ein, was ich als Kind tat, wenn meine Mutter mich zum Einkaufen
schickte. Ich sagte unterwegs pausenlos die Einkaufsliste runter.. Und genau das tat ich jetzt: Ich murmelte dauernd vor mich hin: „Kein Alzheimer sagen! Kein Alzheimer sagen!“
Übrigens vergaß ich den Regenschirm und wurde pitschnass.
Im Wartezimmer staunte ich. Da saßen viele Patienten. Ich fragte mich, wieviele davon bezahlt sind, damit es immer nach einem vollen Laden aussieht. Man kennt ja solche Tricks. Halt, stopp. Kuck
die Leute nicht so an. Erinner dich: „Kein Alzheimer, kein Alzheimer, kein.."
Da ruft mich die weibliche Lautsprecherstimme ins Behandlungszimmer. Ich geh also rein. Nanu. Was macht denn der Arzt am Schreibtisch? Er schreibt. So was. Der kuckt mich nicht mal an.
Merkwürdig. Bei dem muss man sich bemerkbar machen und darum sage ich: „Guten Tag, Herr Doktor, ich hab Alzheimer.“
Na bitte, nun ist es passiert, aber was soll's, man ist eben Mensch.
Der Arzt kritzelt weiter. Er hat eine schwarzer Hornbrille und ist schon etwas kahl über der Stirn, eigentlich sehr vertrauenswürdig. Auf einmal zeigt er auf den Stuhl, ohne mit dem Geschreibse
aufzuhören.
Ich setz mich.
„Heutzutage weiß ein Patient Bescheid“, sagt er und sieht nicht mich an, sonden den Schreibtsich. „Dank umfassender Information weiß er alles und sogar besser. Großartig.“
Mein Gott, der Mann spricht mit seinem Schreibtisch! Eine Weile sagt er nichts, vielleicht wartet er, dass der Schreibtisch was sagt, aber der sagt nichts. Da seufzt der Arzt, schaut mich an und
sagt: „Sie sehen also Internet?“
Internet? Wovon redetd er Mann?
„Ich seh Fernsehen.“ sag ich freundlich.
Jetzt bekommt der Mann einen Blick, von so einem Blick würde ich ihm lieber abraten, so einer kann den Heilungsprozess negativ beeinflussen.
Und da - jetzt passen Sie mal auf! - geht mir ein Licht auf. Der Mann testet mich. Nastürlich! Das ist schon Teil der Untersuchung! Na klar. Alzheimer ist ja was Geistiges. Der
Doktor hat Erfahrung! Dem kann man vertrauen.. Ein Spezialist. Auf die nächste Frage freute ich mich schon.
Und da kam sie. Er hielt seinen Kugelschreiber hoch, der war nicht zu übersehen, und fragte: „Was ist das?“
Na, jetzt wird er sich wundern, dachte ich. Ich tat so, als müsste ich eine Weile überlegen, und platzte dann mit einem Lacher heraus: „Das sehn Sie doch selbst, Herr Doktor: es ist ein
Kugelschreiber!“
„Und was ist das?“
Ich muss zugeben, jetzt war ich irritiert. Er zeigte nämlich mit dem Kuli auf die Tür. Eine Fangfrage? So eine raffinierte Untersuchung. Jetzt bloß nichts Falsches sagen. Vorsichtig sagte ich:
„Sie meinen die Tür, Herr Doktor?“
„Genau, und durch diese gehen Sie jetzt und kommen erst wieder, wenn Sie meine Adresse vergessen haben.“
Was hat er da gesagt? Adresse vergessen und kommen? Als hätte mich ein Blitz getroffen, wurde mir plötzlich alles klar, auch diese bezahlten Patienten im Wartezimmer. Der Doktor hatte das nötig.
Der war selber krank. Alzheimer!
Er kritzelte schon wieder, als wäre ich nicht da. Na logisch, er hatte mich länst vergessen. Ich ging, ohne was zu sagen..
Zuerst wollte ich die im Wartezimmer warnen. Aber dann schwieg ich lieber. Darunter waren ja Angestellte, als Patienten verkleidet. Die verprügeln mich womöglich..
So, das hab ich jetzt aufgeschrieben, in allen Einzelheiten, zum Beweis, dass ich zu hundert Prozent keine Alzheimer habe..
Aber wenn Sie mal eine echte sehen wollen, ich wüsste wo!