Ursula Eisenberg
Folgen Sie bitte:
Es ist nicht weit
von der Satire
zur Wirklichkeit.
Siehe auch Corona-Gedichte
ORDNUNG
Ordnung heißt: Jedem Ding seinen Ort.
Der Bleistift neben die Vase,
der Klebstoff unter das Buch – und dort
liegt auch der Schoko-Hase.
Du weißt: Du kannst Dich darauf verlassen,
Du brauchst nur einmal hin zufassen
und hast das gesuchte Ding im Griff.
Es ist ein Ordnungs-System mit Pfiff…
…dies jedoch interessiert mich kaum,
für mich ist Ordnung ein freier Raum,
ich muss nicht lange überlegen
um Deine Ordnung wegzufegen.
Von alledem die Folge ist,
dass Ordnung Ordnung täglich frisst.
ZUM „JETZT“
Nicht wird so leicht verletzt,
wie jedes „Jetzt“.
Schon Sekunden haben
es überrollt, untergraben,
ausgewalzt und geplättet.
Niemals wird es gerettet,
höchstens digitalisiert,
als „Vergangen“ konserviert.
Da sind wir alle Opfer und Täter,
zwangsgeschaltete Zukunfts-Bezieher.
Das vergangene Jetzt wird zum „Früher“
und das jetzige „Jetzt“ war mal „Später“
VOM SITZEN
Was sollen die Gedichte, altes Kind?
Du rüttelst Stühle, die schon wacklig sind.
Wenn dann noch alte Ärsche darauf sitzen,
dann brechen sie – und das willst Du bezwecken?
Es soll ja längst ein neues Sitzen geben:
Das Setzen, Sitzen, wieder sich Erheben,
das elegante von den Sitzen Gleiten
um – wie es nun verlangt wird – fort zu schreiten –
dies alles ist schon digitalisiert,
wie Stehen, Gehen, Laufen programmiert…
…und so ein alter wackeliger Stuhl,
der ist für junge Menschen nicht mehr cool –
es sei denn, als ein Museums-Objekt,
und du wirst gleich mit dazu gesteckt.
Kurzum: Dein albernes Gedichte-Schreiben
ist nur für Leute, die noch sitzen bleiben.
KEIME
Leben
ist seit Millionen Jahren
immer umgeben
von großen Gefahren,
etwa: Dass Ritzen, Flächen und Ecken
voller Mikroben und Keime stecken,
die mittels Atmen oder Berühren
infizieren und kontaminieren.
So ein Keim, der will sich entfalten,
wachsen, gedeihen, die Stellung halten.
Bringt er dabei viele andre zu Fall,
ist es ihm allemal
ganz egal.
Nehmen wir etwa da drüben die Wiese:
Alle die Halme, Gräser und diese
Kräuter, Nesseln, Stängel und Blüten,
die mit – und gegeneinander wüten,
jeder kommt aus einem winzigen Keim…
Auch Dein Magen, die Lunge, der Schleim
ist bereits üppig von Keimen durchdrungen.
Du wirst womöglich von ihnen verschlungen,
wenn Du nicht heute, hier und jetzt
ihnen ein deutliches Ende setzt.
Wie? Gestatte, dass ich´s erwähne:
Durch die geballte Kraft der Hygiene.
VORurTEILE
Wir mahnen mittlerweile
zur Eile:
Sichern Sie sich Ihre Vor-ur-Teile!
Ohne die Vor-ur-Teile entgleiten
Ihnen ganz sicher die Sicherheiten
in Ihnen, -über, -unter und –rings.
Sie wissen nicht mehr, ob rechts oder links.
Das tut doch allen Menschen sehr not:
Vor-ur-Teil-Sonder-Angebot:
Nicht so viel fragen,
einfach was sagen
und zur Belohnung die Augen schließen,
Vor-ur-Teil-Sicherheiten genießen.
VON DER GIER
Zwischen Dornen das schwarze Leuchten,
winzige Kugeln, pralldunkelgut,
Hände, die zerstochenen feuchten
sind schon rot und klebrig wie Blut:
Brombeeren pflücken
am Wegesrand.
Tief, tiefer bücken,
dort hängt allerhand.
Schwankende Neigung nach vorne,
und schon warnt es in mir:
„Gleich fällst du in die Dornen!“
„Ganz egal!“ sagt die Gier.
Ohne Gier wäre alles schlecht.
Jedes Wesen hat darauf ein Recht:
Fress-Gier, Sex-Gier, Gier, was zu sammeln,
Gier – nur so vor sich hinzugammeln,
Gier – was stundenlang zu begaffen,
und daraus dann Neues zu schaffen,
Gier, sich überlegen zu fühlen,
unbedingt zu gewinnen beim Spielen …
Ach! Da wäre noch viel zu nennen!
Jedem ist seine Gier zu gönnen.
Ohne Gier wäre ungelogen
alles Leben unausgewogen,
nur – die Grundbedingung wär´ halt:
Menschengier – ohne Geld und Gewalt.
FOTOS
Da sieht die Großmutter mich an –
schon vierzig Jahre tot.
Obwohl ich's nicht erkennen kann,
weiß ich: ihr Kleid ist rot.
Da liegt das neugeborne Kind
so rosig-nackt, wie viele sind
auf einer flauschig-blauen Decke,
ein Kuschel-Tiger in der Ecke.
Ich streichle einmal sacht nach unten –
und Baby, Tiger sind verschwunden,
während die Oma weiter guckt,
ihr blasses Bild nicht einmal zuckt.
Digi-Fotos sind wie Schnee,
rieseln, schmelzen wie die Flocken.
Vor der Oma, die ich seh,
bleib ich immer wieder hocken.
SCHWÄRMEN
Wer gibt die Richtung an
der Vogel-Schwärme?
Ist es die Therme?
Ober-Vogel-Mann?
Vor meinem Fenster: Möwen, Stare, Tauben
in dichten Schwebe-Wolken – nicht zu glauben –
die steigen, fallen, wirbeln, drehen, schwenken
wie ein Geschöpf – da muss doch jemand lenken?
…und sollte solche Wolke sich mal spalten,
dann wird die kleinere bald innehalten
und schließt sich nach Sekunden irgendwann
der groß gebliebenen Ursprungs-Wolke an,
…und niemals pflegen Wolken sich zu mischen.
Bei Möwen-Wolken fliegt kein Star dazwischen.
Wär doch mal nett – ein Mix aus Vogel-Arten,
doch darauf muss ich wohl noch lange warten.
Wie ist das nun bei Jude, Muslim, Christ?
Ich hoff, dass es bei Menschen anders ist.
JAMMERN
Jammern
ist schön!
Jedes Gestöhn
klammert,
verbindet,
ist wie ein Ruf.
Jammern
macht Luft,
verkündet:
„Hör einmal zu!
Ich oder du –
wem geht es schlechter?“
Jammern
macht das Schicksal gerechter,
macht Menschen weiser,
gibt Hoffnungsschimmer:
Schlimmer
geht immer.
Jammern
wir leiser.
BLÖDSINN
Menschen – in allen Erdenräumen –
pflegen gerne von Blödsinn zu träumen:
du: ein Flugzeug zu überfliegen,
er: fünf junge Hunde zu kriegen,
ihr: euch übereinander zu stürzen,
sie: die Wäsche mit Suppe zu würzen…
Jeder Mensch ist Blödsinn-bewandert,
jeder Blödsinn irgendwie anders.
Mein persönlicher Blödsinn ist:
Gedichte schreiben, die niemand liest,
und – wie könnte ich das vergessen –
vom Fußboden essen.
FÜR GEGEN
Es quillt aus meiner Feder,
wird als Erkenntnis schal,
denn schließlich weiß es jeder:
Schuld ist das Kapital!
Wenn alle Züge stoppen,
wo, wann und was wir shoppen,
was klein wird und was größer,
was gieriger und böser…
Bereits Karl Marx hat viel gedacht
an diese unsichtbare Macht,
von der wir alle nun besessen…
Wir sollten jedoch nicht vergessen:
Milliardenfach auf Weltenwegen
bewegt sich Winziges dagegen…
BILDER UND BEINE
Merk Dir
das Eine:
Je müder
die Beine,
desto mehr
Bilder –
und die:
immer wilder.
WIND
Allgemeine Landschafts-Erregung.
Viel – sonst reglos – kommt in Bewegung:
Äste, Zweige, Blätter und Halme,
Blüten, Blumen, die Yucca-Palme,
und das gestern geerntete Holz
ist zum Poltern sich nicht zu stolz.
Einzig unser Auto steht still,
weil es eben nicht anspringen will.
Mit dem Wind will die Erde uns zeigen:
„Alles soll sich vor mir verneigen!“
Wenige gehorchen ihr nicht,
bis hier dazu gehören: drei Steine und ich.
MORGEN im PARK
(Umgebungs-Gedicht 2, Großstadt
Juli 2019)
Der Rasen: Kleine Einzel-Inseln
mit stachlig-braun-grün-gelben Pinseln.
Dazwischen, leuchtend, blumenbunt:
Der Restmüll, flattrig, hart und rund
und, was die Hunde-Hasser hassen,
von Hunde-Ärschen hinterlassen.
Auch Tauben – vielfach unbeliebt.
Ich freue mich, dass es sie gibt...
Dazu: Im frühen Birkenschatten
zwei zugedeckte Camping-Matten.
Aus einer steigt ein Arm herauf,
hier steht in Kürze jemand auf,
derweil ein Fahrrad liegen bleibt,
weil niemand ist, der es betreibt.
Absperr-Bänder, die schwankend, weiß-roten
signalisieren: „BETRETEN VERBOTEN!“
…und was ich so sehe heute,
verfeindet, verbindet die Leute.
DIE UND WIR
Das ist Natur:
Jeder Baum – eine andre Frisur
und seine ganz spezielle Figur,
nur
durch Gene, Umwelt und Wind –
wie eben Bäume so sind.
Sie können gleichzeitig
leben und sterben,
zuverlässig die Gene vererben.
Stehend, liegend – sie bleiben gelassen.
Menschen können das gar nicht fassen,
möchten mit Hilfe gewaltiger Eichen
Bretter für Edel-Möbel erreichen…
Da fühlt die Eiche, knorrig und still:
„…ist seine Sache, was der da will.
Ich werde brechen und halte mich krumm.
Wenn er das merkt, dann dreht er sich um…“
So bleibt die uralte Eiche stur.
Das ist Natur…
CHICAGO 1
MARATON
Über vierzigtausend rennen
über vierzig Kilometer,
und den Einen, den ich kenne,
seh ich niemals oder später.
Dafür seh ich Füßefüße ,
Fans, die an der Straße grüßen,
sehe vierzigtausend Leben,
die dem Lauf ihr Letztes geben,
sehe fliegende Bananen,
Hinkebeine, Winkefahnen,
kann mich ganz in Ruhe weiden
an der Sportler frischen Leiden:
Kopfweh, Beinweh, Muskelreißen,
plötzlich sich zu Boden schmeißen.
Ja, da bin ich wirklich froh!
Gottseidank! Ich bin nicht so.
Find auch meinen Helden wieder.
Friedlich schlafend liegt er nieder
bei den Tatzen – nicht zu glöwen –
eines Riesen-Eisenlöwen.
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CHICAGO 2
HALLOWEN
Alles käuflich zu erwerben:
Gummi-Leichen, die nicht sterben,
Kürbisse, die immer halten,
Hexenmasken voller Falten,
eine Knochenhand mit Waage,
eine Blink-Alarm-Anlage,
ein Skelett auf hohem Ross,
Gartentür mit Zahlenschloss,
aufblasbarer mighty frog,
eine Drohung: „Caution! Dog!“
Schilder: Comicblase: „Booo!“
Oder: „Neighbours watching you”
“Warning! We will call police!”
…um den Geist der Finsternis
möglichst freundlich zu empfangen,
seine Gnade zu erlangen.
Plastikspinneweben wehn.
Habe ich was übersehn?
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CHICAGO 3
DIE FETTEN UND DIE FITTEN
Die Armen tragen Tüten in den Händen
und Riesenhosen um den dicken Bauch.
Sie essen, trinken, essen ohne Ende
und schwellen an, als wären sie ein Schlauch.
Dass es auch andre Menschen gibt auf Erden,
das sehn die Armen täglich im TV,
und was man tun muss, um wie sie zu werden,
das zeigt die Glotze ihnen ganz genau.
Sie wissen, das ist eine andre Welt.
In ihrer ist es teuer, sich zu pflegen,
und unbezahlbar ist, sich zu bewegen,
und gerade nichts zu essen, kostet Geld.
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CHICAGO 4
SONETT AUF DEN LEIDER HOFFNUNGSLOSEN VERFALL
DES KAPITALISMUS
Karl Marx hat Recht:
Das Kapital reißt Wolkenkratzer nieder
und baut zur gleichen Stunde andre wieder
aus Glas und Blech.
Und Marx hat Recht:
Chicagos großes Musikhaus ist pleite.
Statt Klängen, Instrumenten, leere Weite,
sonst alles weg.
Und doch: Er irrt.
Zwar werden ein paar Reiche immer reicher,
doch keine Massen kämpferisch – nur weicher,
wie Fliegen kleben sie in ihren Ketten,
betäubt von Schnaps, McDonald, Zigaretten.
Ich bin verwirrt.
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SCHWEDEN 1
AMPELN
…und wieder dieses Ampel-Rot im Wald…
Die kleine Walderdbeere donnert: „Halt!
Bleib stehn! Dass Du mich unverzüglich pflückst!
Ich will, dass Du Dich auf der Stelle bückst.
Du willst den alten Rücken Dir nicht quälen?
Mach Dich schon krumm, denn dies ist ein Befehl.
Die Pfütze zwischen uns ist tief und groß,
der Graben sumpfig, ohne Grund das Moos.
Streck Dich über den Stein!
Achtung! Gleich brichst Du ein.
Greif mich sacht! Ich zerfalle
sonst in der Hand und bin alle.
Nun ist grün,
und Du kannst wieder ziehn…
und wieder dieses Ampel-Rot im Wald…
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SCHWEDEN 2
ERSCHEINUNG
Auf einmal hat es wie Metall geklungen,
und auf der Lichtung steht ne schwarze Kuh.
Bedrohlich tiefer Bariton, ihr „Muh!“,
die Hörner kilometerweit geschwungen.
Und Kälber kommen fröhlich angesprungen,
und Fersen nun von vorn, von rechts und links,
mehr Rinder als Gewächse rechts und links,
mal groß, mal klein, mal pelzig, mal gedrungen
…und zitternd wird ein großer Stock geschwungen.
Sie schneiden uns im Sumpf die Wege ab
und setzen immer wieder sich in Trab.
Auf schmaler Gräser-Insel ich und Du.
Ich mache einfach meine Augen zu…
…und in der Ferne hat Metall geklungen.
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SCHWEDEN 3
VERGESSEN AM SEE
Wo hoher Schachtelhalm im Wasser steht,
sich elegant der Wasserläufer dreht,
wo zwischen Binsen sich Libellen tummeln,
Seerosen sich entfalten, gelbe Mummeln,
dort steht ein Boot.
Grad sticht ein alter Mann 'nen Hecht drin tot.
Er wirft ihn hinter sich, da liegen viere
sehr tote, spitz bezahnte Wassertiere.
Nicht weit vom Ufer steht ein rotes Haus,
und eben guckt die Schwiegertochter raus.
„Großvater!“ ruft sie, „hast Du das vergessen?
Wir wollten doch um zwölfuhrdreißig essen.
Ich hoff, es ist Dir recht:
Es gibt heut Hecht.
Nun hör mal auf und komm zurück an Land!“
Der Alte wiegt die Angel in der Hand,
er prüft die Lockerheit der Schnur, der langen
und murmelt bloß: „Ich hab noch nichts gefangen…“
MACHT
Was ist zu machen
gegen die Macht der Sachen?
Es soll ja eingestanden sein:
Sachen wachsen nicht von allein,
doch, wenn sie da sind, brauchen sie Raum.
Ob sie davon etwas abgeben? Kaum!
Willst Du erreichen,
dass sie etwas weichen,
musst Du sie drücken,
beiseite rücken,
aber – ist nicht zu lachen –
längst liegen dort ja schon andere Sachen!
Die Tasse, das Kissen, der Hammer, der Schuh –
größer und größer wird das Gedränge,
alle Wege: enger und länger…
Dazwischen: Du.
Siehe auch KREUZWEISHEIT - zwischen Großstadt und Dorf