Der alte Apfelbaum
Er steht so allein
und tut mir leid.
Viel wird nicht mehr sein
von seiner Zeit.
Vernarbte Wunden
sind da am Stamm.
Die Äste geschunden,
am Fuß hat er Schwamm.
Und seine Gestalt
so abgemüht...
Gott ja, er ist alt.
Doch seht, wie er blüht.
Frühling und Alter
Und wieder duftet der Flieder
mit seinem Blütenschaum.
Ich schließ meine Lider.
Na, komm schon, mein Traum!
Noch mal wie damals leben,
jung sein und frei wie nie.
Und so beschwingt! Daneben
ist man auch ein Genie.
Fast hat's mich überfahren,
wie bös das Auto bellt!
Ein Mann mit grauen Haaren,
was dem im Traum einfällt...
Mich hat das Alter wieder.
Doch achte ich es kaum.
Noch immer hüllt der Flieder
mich ein in seinen Schaum.
Appell an die UNO
Lasst uns eine Schonzeit
des Menschen beschließen!
Sehr wird er gejagt.
Der glücklich Überlebende
schwitzt Blut unter den Füßen.
Ihr drückt euch in die Kissen?
Wohl aus dem Schlaf gerissen?
Von Hunger, Krieg, Gefängnissen
wollt ihr nichts wissen?
Wie wär's: Im Mai,
wenn Mütter die Kleinen
das Gehen im Freien lehren,
ist die Jagd auf den Menschen
verboten.
Aus Krieg, Gefängnis, Hungersnot,
zum freien Land der Satten,
ging ihre Flucht. Es war im Boot,
als sie noch Hoffnung hatten.
Bedenkt: Was wärn wir
ohne uns! Ausgerottet,
langweilten wir uns
vielleicht zu Tode.
Ihr könnt das nicht ertragen?
Das geht euch auf den Magen?
Nur schnell die Tür zuschlagen!
Und bloß kein Unbehagen!
Auf dass in in Zukunft
noch Menschen
unsrer Jagdgeschichte gedenken:
UNO!
Beschließ eine Schonzeit
des Menschen!
Still wie im Schlafe liegt am Strand
ein Kind mit nassen Haaren,
und seinen Abdruck hält der Sand
auch noch in tausend Jahren.
Das kleine Entelein
Hoffnung, kleines Entelein,
werde doch ein Schwan!
(Und mein Herz wird rein
und gesund mein Zahn).
Stacheldraht hängt im Museum,
Minen kennt man nur mit e.
In Kasernen laufen rum
Kühe, euterhoch im Klee.
Ich leb mit entblößten Zähnen.
Keiner haut sie dafür ein.
Und statt eisengrauer Tränen
werd ich bunte Reime spein.
Doch ich fürchte, eh’s geschieht,
wird es Herbst noch manches Mal
und manch Ochs von Jäger sieht
Enten nur als Mittagsmahl.
Zeit
Als ich zum ersten Mal in Schweden war, tippte ich auf einer Reiseschreibmaschine "Erika" ein Tagebuch, das hier ist eine der ersten Eintragungen:
Als Gunnar heute Nachmittag auf der Wiese liegt, die Hände unter dem Kopf, den Blick zum Himmel gerichtet, ruft Lisa, seine
immer geschäftige deutsche Frau: „Du sollst zum Händler gehen! Einkaufen!“
Und ohne sich zu rühren,
kaum hebt er die Stimme, sagt er: „Hab keine Zeit.“
Da lacht sie auf, trocken und zornig, ihr Zopf
fliegt von einer Schulter auf die andere. Wenig später zieht sie mit dem einjährigen Lasse im Handwagen Richtung Dorfhändler. Sie kommt zurück, der Wagen ist beladen mit Lebensmittel für die
nächste Woche, Lasse sitzt auf einem Karton Waschpulver, die Beine über dem Wagenrand baumelnd.
Inzwischen hat die Erde zig Millionen km zurückgelegt, der Schatten des Fliederbuschs ist dem im Gras liegenden Mann um 30 cm Zentimeter näher gerückt, und Astrid, die neu
geborene, die unter der Birke im Kinderwagen schlummert, hat zehn Gramm zugenommen.
Wieder bin ich in Schweden, 40 Jahre später, und lebe in einer Hütte am Waldrand.
Ich habe Zeit, ich bin Rentner. Am liebsten
einen Findling und lass mich von den Bäumen, den Büschen und Kräutern betrachten. Mit Wohlwollen sehe ich zurück und mir wird plötzlich klar, was Gunnar meinte, als
er zu seiner Frau „Keine Zeit“ sagte. Es war wohl dies: Komm, leg dich zu mir, nichts Besseres kann dir passieren, als keine Zeit zu haben.
Ja, ich wünschte, ich hätte in den vergangenen Jahrzehnten keine Zeit gehabt. Die Zeit des Geldverdienens, der Wohlstandssteigerung. Es war eine Kette von
Anstrengungen, jede Anstrengung zog eine neue nach sich. Streich sie aus, was bleibt?
Aber was machte mein schwedischer Freund noch, außer dass er keine Zeit hatte? Klar arbeitete er auch, am meisten im Wald und im Garten. Am liebsten tat er
das: Auf der Steintreppe vor der weit offenen Haustür stehend, sah er zu, wie
Früher Morgen
Am Fensterglas tropft Feuchte nieder,
es ist der Todesschweiß der Nacht.
Noch einmal glüht sie auf im Fieber,
ihr Atem weht, es ist vollbracht.
Und dann geschieht am Himmel droben
auf goldnem Gong ein leiser Schlag,
und wie ein Junkie unter Drogen
steigt bleich herab der junge Tag.
Ich hab mich in den letzten Stunden
zu leben nicht getraut.
Mir ist, als wär ich jetzt entbunden
von einer abgenutzten Haut.
Es regt sich Leben im Gebeine.
Ich sag zum jungen Tag kokett:
„Die Tür ist auf... Wir sind alleine.
Was willst du noch? Komm mit ins Bett.“
die über dem Berg unterging, und wie ein Hahn, der sich an keine Zeit hält, rief er mit seiner heiseren Stimme: „Das Leben ist herrlich!“
Und schenkte dem Dorf und der ganzen Welt einen Moment Zeitlosigkeit.
Programm
Komödie
Satire
Drama
Komödie
Satire
Komödie
Schwank
Schwank
Schwank für Kinder
Szenenfotos aus: Nie wieder Köpenick!
Das Stück "Die Mauerspechte" bekam 1991 den 1. Preis beim Wettbewerb „Wer schreibt das beste Volksstück zum Mauerfall?“
Aufgeführt wurde das Stück im
November 1993 im Hebbel-Theater unter dem Titel:
An einen großen Theaterdichter
Berühmt ist dein Name,
dein Werk fasst Leben und Tod.
Dein Spott, der grausame,
macht blass und mal rot.
Dies ist, was trotz Begeisterung
mich nachdenklich stimmt:
Dass deiner Dramen Schwung
nicht Not der Armen aufnimmt.
Damit es Heiterkeit erwecke,
malst List du in verhärmte Mienen.
Dir leben die Armen zum Zwecke,
dem Reichtum als Folie zu dienen.
Dein schönes Schauspiel, das ewige,
macht uns vor Staunen stumm.
Jedoch: es dröhnt der Behäbige,
der Arme schweigt. Warum?
Wie herrlich die Wortspiel-Witze!
Da lacht sogar der Teufel.
Applaus, Applaus. Man springt vom Sitze.
Nur einer nicht: der Zweifel.
Ps: Sollten Sie Lust haben, ein Theater zu gründen, hier ein paar Tipps: Theatergründung mit Publikum
Die Nacht ist ein Tag, als Nacht
verkleidet.
In der Wendezeit hatten wir unsere Westberliner Wohnung aufgegeben und ein Häuschen im Brandenburgischen gekauft. Schon in der ersten Woche bekamen wir Besuch. Der Mann trug einen etwas zu großen Anzug, seine blassen Augen blickten vorwurfsvoll, und die lederne Aktentasche war prall gefüllt: mit Prospekten und Broschüren.
Ich wollte mich als freundlichen Wessi zeigen, bat ihn Platz zu nehmen und ließ ihn reden. Er empfahl mir, meine Ersparnisse bei einem Schweizer Fonds anzulegen, dessen Vertreter er sei. Ich bekäme einen Zins von 12 %. Die Banken dagegen böten nur 3 %.
„Leider haben wir nichts Erspartes“, sagte ich.
„Das macht nichts“, meinte er. „Nehmen Sie doch eine Hypothek auf das Haus.“
„Das haben wir schon“, sagte ich.
„Na, dann eben noch eine zweite“, sagte er.
Es kam zu keinem Abschluss und als er beim Einpacken der Broschüren war, sagte er leise, aber so, dass ich es gut hören konnte: „Wissen Sie, wie die Vereinigung wirklich war? Man hat Honecker gesehen, wie er in die amerikanische Botschaft ging und mit einem Aluminiumkoffer herauskam. Er hat die DDR an die Amerikaner verkauft.“
Und dann verließ er mich mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der die Last eines weltpolitischen Geheimnisses
auf den Schultern trägt.
Heute Vormittag bekam ich vom Fahrer des Eiswagens die bestellte Tiefkühlware. Als ich die Verteuerung der Ware kritisierte, sagte er: „Ja, alles wird teurer, das liegt an den Kriegstreibern, den Amerikanern.“
Ich sagte: „Fakt ist doch, einmarschiert sind die Russen.“
Worauf er sagte: „Das sind keine Russen, sondern als Russen verkleidete Amerikaner.“
Und ich, ziemlich von oben herab: „Soso. Dann kämpfen also die Ukrainer gegen die Amerikaner?“
Sein Gesicht kam meinem so nahe, dass ich seinen Atem spürte.
„Mann! Ukrainer gibt es doch gar nicht!“ sagte er. „Das sind Russen!“
Das musste ich sofort meiner Frau erzählen. Die war gar nicht überrascht.
„Du glaubst ja nie was.“ , sagte sie. „Aber ich weiß schon lange, was wirklich passiert. Die Erde steigt in eine höhere Dimension, darum das ganze Durcheinander, aber keine Angst, bald sind wir in einer besseren Welt!“
Bei Gott, jetzt glaube ich wirklich was, und das tut richtig weh: mit mir stimmt was nicht. Wieso wissen alle, was
wirklich passiert, bloß ich nicht? Ich bin doch nicht
Ein Deutscher
Da ich nie richtig traurig bin,
bin ich auch nie ganz lustig.
Mal steht mir links, mal rechts der Sinn,
ich bin ein wenig
schusslig.
Auch bin ich gern im Mittelpunkt,
doch lieber noch im Abseits,
und wenn es einmal bei
mir funkt,
dann ist es bloß ein Juckreiz.
Und in der Nacht, ganz splitternackt,
kann ich's im Spiegel sehen:
Mit Muskeln bin ich vollgepackt
und hab's doch schwer beim Gehen.
Und wie ich mich ermahne,
da fällt mir endlich ein:
Ich bin ja ein Germane,
werd immer närrisch sein.
blind? Nein, ich muss einfach viel genauer hinsehen, denk ich.
Zum Beispiel die Nacht da draußen. Die seh ich mir jetzt mal richtig an. Zur Stärkung zwischendurch einen Schnaps. So.. Noch ein Gläschen.. Ha! Ich hab’s! Hat nicht mal zehn Minuten gedauert. Geht gleich ins Internet: Leute! Die Nacht ist gar keine Nacht.
Sie ist ein Tag, als Nacht verkleidet!
Winterdienst im Sommer
Sie fährt mit dem Besen über den Gartenweg und ist erst fertig, wenn die Erde wie poliert aussieht. Jedes Mal frage ich mich: Wie schafft sie das ohne Staubtuch?
Ich konnte mir nicht verkneifen, zu sagen: „Der Garten ist doch kein Wohnzimmer.“ „Bei mir ist es überall ordentlich“, sagte sie.
Die zusammengekehrten Kiefernnadeln sackt sie ein und lässt die Säcke abholen.
Das konnte ich nicht durchgehen lassen. Ob sie nicht wüsste, dass unter den Kiefernnadeln Insekten leben, die Nahrung der Vögel?
„Es ist nur der Weg“, sagte sie. „Für die Insekten gibt es noch genug Platz im Garten.“
„Außerdem", setzte ich nach, „gehören die Kiefernnadeln der Natur. Es hat doch sicher einen Grund, warum im Wald die Nadeln liegen bleiben."
„Ja, im Wald, aber nicht in meinem Garten.“
Na klar, ich war etwas frustriert. Auch die
Kiefern sahen nicht glücklich aus.
Gestern regnete es. Danach ging sie in
den Garten, plötzlich hörte ich sie schreien.. Sie lag auf dem Gartenweg. Sie war auf einer nassglatten Stelle ausgerutscht. Gott sei Dank nichts gebrochen. Ich half ihr ins Haus und aufs Sofa.
Ehrlich gesagt, ich freute mich. Nein, keine Schadenfreude, sie ist ja schließlich meine Frau, aber ich dachte, sie ist klug, jetzt hat sie was gelernt.
Nachdem ich nichts von ihr hörte, sagte ich: „Da hast du aber noch mal Glück gehabt. Bei so einem Ausrutscher kann man sich leicht was brechen."
„Das wird nicht mehr passieren“, sagte sie. .„Na siehst du“, sagte ich erfreut. „Es ist
doch besser, der Nadelteppich bleibt liegen.“
„Unsinn“, sagte sie. „Wir machen es wie im Winter. Du streust nach dem Regen Sand und ich kehr ihn später auf.“
Und so habe ich jetzt im Sommer einen Winterdienst.
Der Erde neue Prinzipal
Gestrichen soll sein Name sein!
Von ihm bleibt keine Spur.
Er war in Wirklichkeit bloß ein
Versehen der Natur.
Vom Baum gesprungen, mond-
beschienen aufgewacht,
hat er, worin er wohnt,
im Größenwahn kaputtgemacht.
Jetzt ist er fort. Wohin er ging -
der Erde ist's egal
und wählt den kleinen Schmetterling
zum neuen Prinzipal.
Zu hören im Radio Podcast:
Bücher
Meine Begegnung mit Gunter Grass
Ich wohnte gerade mal zwei Wochen in Berlin-Friedenau, da traf ich G. Grass auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus in Friedenau. Der Wochenmarkt war nicht sehr groß, aber interessant. Unmittelbar gegenüber lag die Buchhandlung „Montanus“.
Auch die Niedstraße fängt hier an. Ziemlich am Anfang wohnte Erich Kästner, wenn er in Berlin war, und in der Nr. 17 Günter Grass. Ich wohnte in der Handjerystr. 38, mir gegenüber Günther Herburger. Das war für mich die richtige angenehme literarische Umgebung für meine Zeitschrift „total“. Vorher wohnte ich bei meinem Redaktionsleiter Klaus M. Rarisch in Schöneberg, aber nur 14 Tage lang. Grass wohnte also bei mir um die Ecke. Die Bremer Nachrichten brachte damals einen Artikel über mich mit der Überschrift „total-hirsch teilt mit Grass die Mülltonne“, was natürlich nicht ganz stimmte.
Meine Zeitschrift hatte ich in Bremen gegründet und schon da war ich mit Künstlern und Schriftstellern bekannt. In einer Nummer hatte ich Popos abgedruckt, darauf weigerte sich die Post, das Heft als Drucksache zu verschicken. DIE ZEIT schrieb:"Die anstößige Kehrseite".
Das war ein richtiger Medienrummel: Fernsehen, Radiosendungen, Zeitungen machten „total“ und mich bekannt. Und so beschloss
ich, in Berlin den total-hirsch verlag zu gründen. Die Gründung erfolgte im Europa-Center bei Jule Hammer. Man glaubt es kaum, aber es war so: Gunter Gabriel sang bei der Gründung kritische
Lieder. Aber nun wieder zurück .. weiter
Der alte 68er philosophiert
Längst vergangen sind die Jahre,
neues Leben zu probiern.
(Warn's auch bloß die langen Haare,
um die Bürger zu schockiern.)
Was geschah mit uns, Marcuse?
Und ich lache und ich schluchz:
Nach dir kam Beate Uhse,
Aufruhr endete in Jux.
Und es sind besiegte Zeiten,
die schon wieder auferstehn....
War das Seit-an-Seite-Schreiten
etwa nur ein Rückwärtsgehn?
Uralt sind des Menschen Triebe,
die zur Macht und zum Besitz.
Und es trifft wie Peitschenhiebe
(und ich lach, als wär's ein Witz):
Rebellion der Jugendtage
ist ein Joint und schnell geraucht.
Das, ich weiß, ist eine Klage,
die man gern im Alter braucht.
Nein, ich bin nicht der Bekehrte!
Wieder wütet eine Gier
und ich hör den Schrei der Erde:
"Bist auch du ein Teil von ihr?"
Jürgen Mahrdt in "Berlin - gesehen und erlebt"
Der Potsdamer Platz
Der Potsdamer Platz ist gar kein Platz, sondern nur eine Straßenkreuzung. Aber die hatte es schon früher in sich. Hier trafen sich fünf Straßen und machten den
Platz zu einem der größten Verkehrsknoten Europas.
Als der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ab 1732 seine Residenz Berlin erweiterte, legte er drei Plätze fest, das Quarree (Viereck), das Rondell (Kreis) und das
Oktogon (Achteck). Wir kennen sie heute als Pariser Platz, Mehringplatz und Leipziger Platz. Von einem Potsdamer Platz war da keine Rede, er war eine Sandwüste vor den Toren Berlins. Das sollte
sich in den kommenden Jahrhunderten ändern.
Mit der Motorisierung Berlins wuchs sich hier der Verkehr zum Problem aus. Um ihn einigermaßen zu beherrschen, wurden an den einmündenden Straßen auf Holzpodesten
Polizisten stationiert, um mit Handzeichen ein geregeltes Autofahren zu ermöglichen. Der Magistrat erfuhr von neumodischen Verkehrsampeln in New York und schickte eine Delegation zum Studium
derselben in die USA. Er hätte auch ein paar Leute nach Hamburg reisen lassen können, dort gab es auch schon eine Verkehrsampel, aber das war Provinz und von der ließ sich Berlin noch nie etwas
sagen. Als Ergebnis der Reise wurde 1924 am Potsdamer Platz einer der ersten Verkehrstürme in Europa errichtet. Die Farben Rot, Gelb und Grün wurden zwar waagerecht angeordnet, aber ansonsten
funktionierte das ganze wie heute unsere Verkehrsampeln. Auf dem Turm stand ein Polizist, drückte die Knöpfe. Es war ein zugiger und nicht sehr beliebter Arbeitsplatz, später wurde er verglast
und so etwas angenehmer.
Allerdings nahmen die Berliner die Sache nicht so ernst, der Verkehr blieb chaotisch und die Polizisten an den Einmündungen mussten weiter ihren Dienst versehen.
1937 wurde der Turm entfernt. Heute erinnert eine Nachbildung am Rand an diese Zeit.
Auch rings um den Platz tobte das Leben der Stadt. Viele Hotels, Kaufhäuser und Vergnügungstempel wie das legendäre Haus Vaterland entstanden. Aber auch die Politik
hinterließ hier ihre Spuren. Am 1. Mai 1916 riefen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zu einer Demonstration gegen den Krieg auf. Nach dem Ruf „Nieder mit dem Krieg" wurde Liebknecht
verhaftet und
eingesperrt. Zum 80. Geburtstag von Karl Liebknecht am 13. August 1951 wurde der Sockel für ein Denkmal an der Stelle des Platzes eingeweiht, an der er
verhaftet wurde. Das Denkmal wurde nie vollendet. 10 Jahre nach dem Grundstein lag es im Schatten der Mauer und war nur für Grenzsoldaten der DDR zugänglich. Heute steht der Sockel wieder
am Platz.1945 mit dem Status der Viermächtestadt bekam der Platz eine besondere Rolle. Hier war die einzige Stelle Berlins, an der drei Sektoren der Alliierten zusammentrafen. Der
amerikanische, britische und sowjetische (der sich „demokratischer“ nannte) Sektor machte den Platz für die pfiffigen Berliner bedeutsam, hier war bis zur Währungsreform 1948 der größte
Schwarzmarkt der Stadt. Denn wenn die Amerikaner eine Razzia machten, war jeder mit einem Schritt im britischen Sektor in Sicherheit. Die Alliierten entschlossen sich nie zu einer gemeinsamen
Aktion – sie waren viel zu sehr an den Geschäften beteiligt.
Selbst in der Malerei hat der Platz seine Spuren hinterlassen. Lesser Ury und Ernst Ludwig Kirchner haben uns Bilder vom Potsdamer Platz hinterlassen.
Ury malte 1889 und Kirchner 1914 Szenen des Platzes mit schwarzgekleideten Damen. Die waren als die Witwen vom Potsdamer
Platz bekannt. Grund für dieses große Aufkommen: trauernden Damen im kaiserlichen Berlin war Straßenprostitution strengstens
Frieda D.
Sie hatte mich zur Untermiete
in Kreuzberg, dritter Stock vorn.
Sie hieß – ob einer das erriete? –
Frieda Demuth, geborene Zorn.
Es herrschten Krieg und Frieden.
Sie nölte. Und ich junges Ding
hab keinen Krach vermieden.
Dann griff sie die Schlüssel und ging:
„Ick weeß nich,
warum ick streite.
Det wird ja nich belohnt.
Ick jeh uff de drübensche Seite,
wo de Freundschaft wohnt.“
Das konnte nicht so bleiben
und Frieda machte ins Heim.
Ihr Leben blieb Schnauze-Zeigen.
Da half kein Zucker, kein Leim.
Nie mit dem Senat zufrieden,
war sie verschrien als links.
Sie brachte die Alten zum Sieden
und klagte dann allerdings:
„Ick weeß nich, warum ick streite.
Det wird ja nich belohnt.
Ick jeh uff de drübensche Seite,
wo de Freundschaft wohnt.“
Sie tat es nicht. Im Westen
Berlins war ihr Zuhaus.
Doch ging sie, wie bei Festen
gekleidet, öfters aus.
Am Grab des Mannes saß sie, leise.
Den Toten geht es gut.
Kein Streit um Renten und Preise.
Da fand man Frieda Demuth.
„Ick weeß nich, warum ick streite.
Det wird ja nich belohnt.
Ick jeh uff de drübensche Seite,
wo de Freundschaft wohnt.“
Aus: Berlin - gesehen und erlebt
verboten. Damals gab es in der Nähe noch einen Friedhof. Und so waren Damen des ältesten Gewerbes der Welt in ihren Trauerkleidern nicht zu erkennen. Das hat sich heute natürlich grundlegend geändert, ich meine den Dresscode.
Aus einem neuen Märchenbuch:
Vom König, der ein Querdenker war
Es waren einmal ein König und eine Königin, bei denen sich keine Nachkommenschaft einstellen wollte. Nach einer Untersuchung durch die Ärzte sagten diese, bei der
Königin sei alles in Ordnung, bei seiner Majestät allerdings…
Sofort schrie der König: „Ihr spinnt wohl! Kommt mir nicht mit so was, ihr Idioten!“
Danach ging er auf Reisen. Neun Monate später kehrte er zurück, und siehe: seine Frau brachte ein Kind zur Welt.
Er lachte die Ärzte aus.
„Ihr mit eurer Wissenschaft! Geht mir weg damit!“ rief er „Neun Monate muss man auf Reisen sein, dann kommt das Kind! Schreibt euch das hinter die Ohren!“
Die Ärzte tuschelten, die Königin verbat sich das und ließ sie aus dem Schloss werfen.
Weil es nur ein Mädchen war, der König aber einen Thronfolger haben wollte, kam die Königin eines Tages auf die Idee, er solle noch einmal eine neunmonatige Reise machen. Und tatsächlich: als er nach neun Monaten heimkehrte, hielt sie ein Söhnchen auf dem Arm. Wie war der König begeistert! Stolz zeigte er den Ärzten das Kind.
„Da habt ihr’s! So muss man es machen, ihr Esel!“
Die Ärzte tuschelten und die Königin ließ sie aus dem Schloss werfen.
Aber dann bekam die Königin ein Kind, obwohl der König keine Lust auf eine neunmonatige Reise gehabt hatte.
„Wie war das möglich!“ schrie er.
Die Königin wusste es nicht, sie erklärte die Ärzten für Intriganten und ließ sie einsperren.
Der König aber befahl, im ganzen Land nachzuforschen, wer am Tage der Geburt des Kindes von einer neunmonatigen Reise heimgekehrt sei. Man fand einen Bäckerlehrling. Er wurde hingerichtet.
Und der König erließ ein Gesetz, wonach jedem Mann bei Todesstrafe verboten wurde, eine neunmonatige Reise zu unternehmen.
Den König gibt es schon lange nicht mehr, aber dafür gibt es jetzt viele im Volk, die ganz wie er es viel besser als die
Wissenschaft wissen. Das Gute an ihnen ist, sie können noch keine Gesetze machen.
Das Buch
Er trägt es unterm Arm
und ist ein Frauenschwarm.
Doch statt mit der Jeannette
geht er mit seinem Buch im Bett.
Es dient ihm auch als Mütze
sowie als Rückenstütze.
Das hat so seine Tücken.
er kann es nicht erblicken.
Beim Kampf mit einer Fliege
führt ihn das Buch zum Siege.
Und muss er in den Keller,
beschützt ihn der Bestseller.
Er war so kühn gewesen,
einmal im Buch zu lesen.
Nach Wochen kam er raus.
Seitdem bleibt er zuhaus.
Und sollte er mal sterben,
lässt er es nicht den Erben.
Das Buch soll ihn begleiten
durch alle Ewigkeiten.
Zukunft
Roboter oder Mensch?
Kürzlich passierte Folgendes: Ich beobachtete einen Roboter, der sich über einen Hund beugte. Es war eines von diesen künstlichen Tieren, die auf Zuruf und Gestreichel reagieren, putzige Spielroboter, nichts weiter.
Dieser Roboterhund, eine Dackelart, hatte das rechte Hinterbein verloren und statt zu laufen oder zu springen, rutschte er auf dem Hinterteil, erhob sich dann mühsam, wackelte, schwankte ein paar Schritte, plumpste wieder auf sein Gesäß und versuchte jetzt, durch Rutschen vorwärts zu kommen.
Der Roboter hatte das verlorene Bein aufgehoben, beugte sich über den Dackel, und da sah ich, eine Flüssigkeit lirf über sein weißes Gesicht lief. Der Roboter weinte.
Ich dachte sofort: Nun haben sie den Robotern auch schon ein Tränenprogramm installiert.
Dann hob er sanft das Tier auf und ging davon, vermutlich in die Reparatur-Abteilung, wobei er den Kopf über den Hund gesenkt hielt, als hauche er ihn mit seinem Atem an. Den er nicht hatte, versteht sich, er war ja ein Roboter.
Jedenfalls war es ein rührendes Bild wie die Madonnenbilder mit dem Knaben an der Brust aus dem 18. Jahrhundert.
Dieser Vorgang bewog mich, in vergilbten Büchern zu blättern, und dabei geriet ich in einen sonderbaren Sog. Ich vertiefte mich in die Geschichten von Eltern, Kindern, Großeltern, Onkeln und Tanten.
Und ich spürte ein Verlangen. Ich hätte gerne eine Familie, einen Stammbaum.
Aber ich bin nicht aus dem Ei einer Frau und dem Samen eines Mannes entstanden, ich bin erschaffen aus einer Zelle mit konstruierten Genen, ein Geschöpf aus Planung und Retorte.
Ich frage mich: Was ist eigentlich in den letzten Jahren geschehen? Wurden aus Roboter Menschen? Und wenn ja: Was bin ich? Vielleicht ein Roboter?
Theaterstück Sonja und ihr Roboter
Der Bensch
Ich bin kein Mensch,
ich bin ein Bensch.
Was ist ein Bensch? Ich sag es Ihnen:
Es ist ein Mensch, der hat Maschinen
statt Leber, Niere, Herz,
und das Gehirn ist anderwärts.
Ich weiß, dass ich unsterblich bin.
Ich fliege zu den Sternen hin,
zu suchen, was mir fehlt:
etwas, das mich beseelt.
Ein Prost auf die Zukunft
„Die Zukunft, sie soll leben!“
Ich hob das Glas.
Sie aber sprach: „Von wegen!“
Und dann entfuhr ihr das:
„Ein Hoch den alten Zeiten!
Wie schön war da die Welt!
Es lässt sich nicht bestreiten,
dass uns Vergangnes fehlt!“
Nahm sie mich auf die Schippe?
Ich war erst einmal stumm,
doch dann mit kesser Lippe:
„Hör mal, das ist doch dumm!
Vielleicht noch ein paar Jahre,
dann gibt es einen Knall,
schon flitzt der atomare
Mensch durch das Weltenall.
Und dann das wirklich Tolle:
Man lebt in Ewigkeit.
Der Tod spielt keine Rolle.
Vorbei Vergänglichkeit!"
Sie schwieg, sie schien betroffen.
Dann sagte sie: „Ich
find,
nur eines gibt zu hoffen:
Du bleibst nicht ewig Kind."
Sie griff zu ihrem Smartphone
und schoss ein Bild von mir.
Und murmelte: „Ich seh schon...
Vergangenes sitzt hier.“