Zeitliches
Keine Zeit
Als ich zum ersten Mal in Schweden war, schrieb ich an einem Sommerabend in mein Tagebuch::
Als Gunnar heute Nachmittag auf der Wiese liegt, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, den Blick zum wolkenlosen Himmel gerichtet, ruft Lisa, seine immer
geschäftige deutsche Frau: „Du sollst zum Händler gehen! Einkaufen!“
Und ohne sich zu rühren, kaum hebt er die Stimme, sagt er: „Hab keine Zeit.“
Da lacht sie auf, trocken und zornig, ihr Zopf fliegt von einer Schulter auf die andere. Wenig später zieht sie mit dem einjährigen Sohn im Handwagen Richtung Dorfhändler. Sie kommt zurück, der
Wagen ist beladen mit Lebensmittel für die nächste Woche, Der Junge sitzt auf einem Karton Waschpulver, die Beine baumeln über dem Wagenrand .
Inzwischen hat die Erde zig Millionen km zurückgelegt, der Schatten des Fliederbusches ist dem liegenden Mann um 30 cm Zentimeter näher gerückt, und die erst kürzlich geborene Tochter, unter der
Birke im Kinderwagen schlummertnd, hat zehn Gramm zugenommen.
Jetzt bin ich Rentner und lebe in Schweden
iin einer Hütte. Am liebsten sitze ich auf einem Findling im Wald und lasse mich von den
Bäumen, den Büschen und Kräutern betrachten. Mit Wohlwollen sehe ich zurück und da wird mir klar, was Gunnar meinte, als er zu seiner Frau „Keine Zeit“ sagte: Komm, leg dich zu mir, nichts
Besseres kann dir passieren, als keine Zeit zu haben.
Ja, ich wünschte, ich hätte in den vergangenen Jahren keine Zeit gehabt. Die Zeit des Geldverdienens und der Wohlstandssteigerung. Es war eine Kette von
Anstrengungen, jede zog eine neue nach sich. Streich sie aus, was bleibt?
Natürlich arbeitete Gunnar auch, am meisten im Wald und im Garten, und es war keine leichte Arbeit. Dafür belohnte er sich abends mit etwas. das ihm eine besondere
Freude bereitete: Er stellte sich vor die weit geöffnete Haustür auf die oberste Stufe der
Die Zeit und ich
In meiner Einsamkeit
besuchte mich die Zeit.
Von weit kam sie gelaufen
ich hörte schon ihr Schnaufen.
Wir gaben uns die Hand,
in Freundschaft zugewandt.
Wir lasen ein Buch, wir tranken Wein
und schliefen dann beim Fernsehn ein.
Würd sie doch immer bei mir bleiben!
Könnt mir mit ihr die Zeit vertreiben.
Da kam ein Mensch ins Haus
und sie ging aus.
Steintreppe. sah dem Versinken der Sonne hinter
dem Berg zu und rief mit heiserer Stimme: „Das Leben ist herrlich!“
Und schenkte so dem Dorf und dem ganzen Erdkreis einen Moment Zeitlosigkeit.
Auguste Rodins "Der Denker"
.. sitzt da nackt und grübelt tief.
Irgendwas, scheint's, ging da schief.
Was zum Teufel ist passiert,
dass ihn fast die Haut gefriert?
Wollte nur im Schuh nachsehn.
Schmerzte ihn ein Stein beim Gehn?
Wie von selber kamen dann
alle Anziehsachen dran,
bis er nackt und frierend saß
und sich fragte: War da was?
War am Anfang nicht die Frage:
Wie geht man durch alle Tage?
Kam gedankenvoll zur These:
Leichter ging's mit ner Prothese.
Doch vielleicht liegt's auch am Wesen:
Ist man Schaufel oder Besen?
Oder einfach, dass er denkt:
Ob mir wer Klamotten schenkt?
Verliebt in eine Birke
In letzter Zeit hatte H. Gruner, Dramaturg an einem Berliner Theater, das Gefühl, als entferne sich das Leben von ihm. Besonders empfand er es bei
den Bühnenproben. Kamen die Schauspieler von der Bühne, war ihm, als ginge das Schauspiel weiter.
Nachdem er eines Vormittags beim Betreten des Theaters einen Panikanfall bekommen hatte, suchte er seinen Arzt auf, und dieser riet ihm, eine Auszeit zu nehmen.
"Und entdecken Sie wieder Ihre Hände und Füße und Ihre Sinne! Weg von der geistigen Arbeit, arbeiten Sie körperlich.“
Die Zeit war günstig. Gerade begannen die Theaterferien.
Schon am Tag nach der Ankunft in seiner schwedischen Hütte griff er sich Säge und Axt. Um die Sicht zum nahe gelegenen See zu verbessern, hieb er alles Buschwerk weg bis auf eine junge
Birke.
Birken haben etwas Besonderes, sie sind Selbstdarstellerinnen mit einem Gespür für Dramatik.
Auftritt im Frühling. Sie legen sich traumhaft langsam ein grünes Kleid an. Das hat etwas Unschuldiges, bis sich
herausstellt, das Kleid lässt den weißen Körper durchschimmern, und das ist ziemlich aufreizend.
Anschließend wechseln sie das Outfit.Mit einem dunkelgrünen Kostüm geben sie sich
matronenhaft-spießig, sehr raffiniert, denn das Nächste wirft einen um. Es ist der Höhepunkt der Show. Plötzlich stehen sie da als Diven in goldenem Flitter. Ganz sachte geht die Szene in die
Schlussphase über. Ergeben, doch nicht ohne Trauer, lässt sie sich vom Wind lentkleiden. Ende der Show.
Die Birke
Kleine Birke, wippe leis
und versuch ein Tänzchen!
Und der Wind, der Naseweis,
schwingt im Takt sein Schwänzchen.
Weht dein Wimpernstaub zum See,
kräuselt sich sein Rücken,
und dein Leib, er lässt uns Schnee
auch im Sommer blicken.
Gold gekleidet bist du bald
und man hört dich flüstern:
„Lieber Wind...“ Doch der ist kalt.
Es beginnt zu düstern.
Wenig später stehst du nackt,
weg sind, die dich küssten.
Und der Wind, Sehnsucht gepackt,
heult nach dem Vermissten.
Und darum ließ er die Birke
stehen.
Drei Tage später, nach getaner Arbeit, setzte er sich auf die Veranda
und genoss den Ausblick. Wolkenlos war der Himmel, der See funkelte und der Wald schien wie eine borstige Raupe ans Wasser kriechen zu wollen. Es war Mittsommer
und... weiter
Mein schrecklich junger Urgroßvater
Nicht zu glauben. Ich traf meinen Urgroßvater.
„Hallo Großopa!“ sagte ich. „Erkennst du mich?“
Er starrte mich an. Die Hand mit der Reichsflagge zitterte etwas. Wie jung er war, gerade 20 .Gleich wird er seinen Urenkel begrüßen, dachte ich..
Er trat näher. Noch näher. Wollte er mich küssen? Da öffnete er den Mund und schrie: „Deutschland, erwache!“
Ich wischte mir den Speichel aus dem Gesicht. Schade, er hatte mich nicht erkannt. Auch hieß ich nicht Deutschland. Das Land konnte er nämlich nicht meinen. So weit
reichte selbst seine wagnersche Stimme nicht. Von der Nordsee bis zu den Alpen? Dass ich nicht lache. Wahrscheinlich meinte er einen anderen. Ich sah mich um. Wo war einer, der schlief? Überall
hellwache Menschen, sie sausten von einem Geschäft zum anderen, alle suchten Sonderangebote, weil die Preise schon wieder gestiegen waren. Nein, gepennt hat keiner.
Jetzt kamen um die Ecke noch andere junge Urgroßväter heran marschiert, sie schwenkten Fahnen und machten ein höllisches Geschrei. Nach einiger Zeit verstand ich:
„Ausländer raus!“
Da muss ihnen ein Fehler unterlaufen sein. Ich stellte mich ihnen in den Weg und bat sie, einmal nachzudenken. Ob sie nicht selbst Ausländer seien?
Einer fragte: „Wat meenste damit, du Arschloch?“
„Ich meine“, sagte ich, „ihr seid doch aus dem Grab gestiegen. Und das Grab ist doch Land. Also seid ihr Ausländer. Aus dem Meer kommt ihr jedenfalls nicht oder?“
Und im übrigen verbat ich mir das Arschloch.
Sie schienen mich nicht zu verstehen, einige machten Anstalten, an mir Gewalt anzuwenden.
Rechtzeitig fiel mir etwas aus ihrer Zeit ein:
„Erinnert ihr euch an den Witz: Ohne i hat's jeder, mit i will's jeder sein?“
Sie starrten mich an, totales Schweigen. Einige dachten angestrengt nach. Schweiß lief ihnen übers Gesicht.
Um die peinliche Situation zu beenden, sagte ich: „Einen Arsch hat jeder, arisch will jeder sein. Das kennt ihr
doch!“
Da schienen sie sich zu erinnern. Sie marschierten los und brüllten im Rhythmus der Schritte: „Arschlöcher raus! Arisch rein!“
Jetzt wurde es mir doch unheimlich.
Wenn diese jungen Männer unsere Urgroßväter sind – was werden sie in zehn Jahren sein? Größenwahnsinnige auf dem Weg in den Krieg? Oder - mir sträubten sich die Haare - Massenmörder?
Nein, dachte ich, das muss unbedingt verhindert werden. Ich muss sofort was tun.
Und ich wachte auf.
Ein deutscher Held
Es war ein Sommerabend,
da bin ich aufgeschreckt.
An einem Buch mich labend,
hab ich etwas entdeckt:
Der Mann in der Geschichte
ist strenger Moralist,
steht oft im Rampenlichte,
weil er ein Redner ist.
Er hält sich hoch in Ehren,
er scheut kein Wortgefecht.
Doch will ihn wer belehren,
dann geht's dem aber schlecht.
Er ist der Ordnung Stütze
und sitzt gern zu Gericht.
Er liebt den Spaß, doch Witze,
die ihn betreffen, nicht.
Und steht er vor Gemälden,
schaut er ganz träumrisch drein
und glaubt, wie diese Helden
zum Kampf geborn zu sein.
Dann tritt er mit dem linken
auf seinen rechten Fuß.
Statt gehen muss er hinken,
jetzt kriegt er einen Blues.
Doch bald schwenkt er die Fahne,
belebt von Bier und Wein.
Das ist, mein Gott,, ich ahne,
das muss ich selber sein.
An diesem späten Abend
war ich doch sehr bewegt
und hab, mein Schicksal tragend,
mich brav ins Bett gelegt.
Zukunft
Roboter oder Mensch?
Kürzlich passierte Folgendes: Ich beobachtete einen Roboter, der sich über einen Hund beugte. Es war eines von diesen künstlichen Tieren, die auf Zuruf und Gestreichel reagieren, putzige Spielroboter, nichts weiter.
Dieser Roboterhund, eine Dackelart, hatte das rechte Hinterbein verloren und statt zu laufen oder zu springen, rutschte er auf dem Hinterteil, erhob sich dann mühsam, wackelte, schwankte ein paar Schritte, plumpste wieder auf sein Gesäß und versuchte jetzt, durch Rutschen vorwärts zu kommen.
Der Roboter hatte das verlorene Bein aufgehoben, beugte sich über den Dackel, und da sah ich, eine Flüssigkeit lirf über sein weißes Gesicht lief. Der Roboter weinte.
Ich dachte sofort: Nun haben sie den Robotern auch schon ein Tränenprogramm installiert.
Dann hob er sanft das Tier auf und ging davon, vermutlich in die Reparatur-Abteilung, wobei er den Kopf über den Hund gesenkt hielt, als hauche er ihn mit seinem Atem an. Den er nicht hatte, versteht sich, er war ja ein Roboter.
Jedenfalls war es ein rührendes Bild wie die Madonnenbilder mit dem Knaben an der Brust aus dem 18. Jahrhundert.
Dieser Vorgang bewog mich, in vergilbten Büchern zu blättern, und dabei geriet ich in einen sonderbaren Sog. Ich vertiefte mich in die Geschichten von Eltern, Kindern, Großeltern, Onkeln und Tanten.
Und ich spürte ein Verlangen. Ich hätte
gerne eine Familie, einen Stammbaum. Aber ich bin nicht aus dem Ei einer Frau und dem Samen eines Mannes entstanden, ich bin erschaffen aus einer Zelle mit konstruierten Genen, ein Geschöpf aus Planung und Retorte.
Ich frage mich: Was ist eigentlich in den letzten Jahren geschehen? Wurden aus Roboter Menschen? Und wenn ja: Was bin ich? Vielleicht ein Roboter?
Theaterstück Sonja und ihr Roboter
Das Streichholz
Ein Streichholz, das die Zukunft reibt,
sind wir, nur eine Flamme,
doch was sie in das Dunkel schreibt,
das liest der Kosmos lange.
Und im Verlöschen legen
wir einen Spruch dazu zu:
Vielleicht wird's immer Menschen geben,
doch nie mehr solche wie ich und du.
Herrliche Zeiten
Wie ist das Leben herrlich!
Wie prächtig alles glänzt!
Na Leute, nun mal ehrlich:
Für uns ist nichts begrenzt.
Was sind das doch für Zeiten,
wo alles möglich wird,
und Fortschritt ist wie Gleiten,
das über Glatteis führt.
Zum Mars kann man bald fliegen,
man küsst sich per Smartphone,
hat pausenlos Vergnügen
mit High-Tech-Sensation.
Da bück ich mich, will heben,
was auf dem Boden liegt,
was muss ich jetzt erleben?
Aus ist es mit „Vergnügt“.
Mich
biegt ein böses Kneifen
vom Rücken bis zum Fuß!
Ich muss zur Krücke greifen.
Herrjeh, ein Hexenschuss.
Tempowahn und Pixelfraß
Keine Lust auf Wartezeiten!!
Wir sind nach dem Neuen wild,
wollen uns ein Fest bereiten,
das von Luxus überquillt.
Und wir schlittern auf der Milchstraß
fröhlich hin im Tempowahn
und ruhn erst als Pixelfraß
in den Zähnen vom WLAN.
Programm
Komödie
Satire
Drama
Komödie
Satire
Komödie
Schwank
Schwank
Schwank für Kinder
Szenenfotos aus: Nie wieder Köpenick!
Das Stück "Die Mauerspechte" bekam 1991 den 1. Preis beim Wettbewerb „Wer schreibt das beste Volksstück zum Mauerfall?“
Aufgeführt wurde das Stück im
November 1993 im Hebbel-Theater unter dem Titel:
An einen großen Theaterdichter
Berühmt ist dein Name,
dein Werk fasst Leben und Tod.
Dein Spott, der grausame,
macht blass und mal rot.
Dies ist, was trotz Begeisterung
mich nachdenklich stimmt:
Dass deiner Dramen Schwung
nicht Not der Armen aufnimmt.
Damit es Heiterkeit erwecke,
malst List du in verhärmte Mienen.
Dir leben die Armen zum Zwecke,
dem Reichtum als Folie zu dienen.
Dein schönes Schauspiel, das ewige,
macht uns vor Staunen stumm.
Jedoch: es dröhnt der Behäbige,
der Arme schweigt. Warum?
Wie herrlich die Wortspiel-Witze!
Da lacht sogar der Teufel.
Applaus, Applaus. Man springt vom Sitze.
Nur einer nicht: der Zweifel.
Ps: Sollten Sie Lust haben, ein Theater zu gründen, hier ein paar Tipps: Theatergründung mit Publikum