Zur Jahreszeit
Die Birke
Frühlingsbirke wippt ganz leis,
hebt das Kleid zum Tänzchen,
doch der Wind, er wird nicht heiß,
schwingt nur leicht sein Schwänzchen.
Gold gekleidet ist sie bald
und man hört sie flüstern:
„Lieber Wind...“ Doch der bleibt kalt
und schnaubt mit den Nüstern.
Wenig später steht sie nackt,
weg sind, die sie küssten.
Und der Wind, den Sehnsucht packt,
heult nach dem Vermissten.
Wie eine Birke einen Mann verführt.
Zu hören auf YouTube: Die Birke
Herbst
Im Sommer war's, ich ging vorbei,
als ich die Stimme hörte.
Mir schien das Lied fast wie ein Schrei,
was mich zutiefst verstörte.
Als riefe mir da jemand zu
und wartete auf Antwort.
Ich hatte Angst um meine Ruh
und ging mit schnellen Schritten fort.
Und geh ich heut den Weg entlang
das Laub fällt von den Zweigen,
ist es nicht mehr der Stimme Klang,
mich schmerzt das kalte Schweigen.
Zeitgeschehen
Der Liebling der Natur
Wer weiß, wie's um den Menschen steht?
Tanzt er, als wär er high,
herum in einem Blumenbeet?
Und findet nichts dabei?
Vielleicht hat er auch längst entdeckt,
dass er den Weg verlor?
Und weil er gern Verbotnes schmeckt,
genießt er den Furor?
Er war der Liebling der Natur.
Kein Jammern hilft, kein Schrein.
Von ihm bleibt keine Spur.
Zu spät, es zu bereun.
Ein Spuk war's, der verging,
Natur ist neu erblüht:
Der kleine Schmetterling
ist jetzt ihr Favorit.
...angesichts dieser märchenhaften
Szenerie – des Meeres, der Berge, der Wolken,
des weiten Himmels – dachte Gurow daran, dass
im Grunde, wenn man es recht überlege, alles in dieser Welt schön sei, alles, mit Ausnahme dessen, was wir selbst denken und tun, wenn wir
die höheren Ziele des Daseins, wenn wir unsere menschliche Würde vergessen.
A.P.Tschechow in der Erzählung „Die Dame mit dem Hündchen"
Zukunft
Krämer und Astronaut
„Nichts besitzt du, arme Seele!"
Krämer sprach's zum Astronaut.
„Aus Gemüse, Brot, Makrele
hab ein Haus ich mir erbaut!“
Tausend Jahre warn vergangen,
Astronaut und Krämer tot,
Früchte aus den Steinen sprangen,
Strom war Nahrung wie einst Brot.
Welt war neu und wundersam,
und die Toten kamen wieder.
Das ging einfach: jeder nahm
Naheliegendes als Glieder.
Astronaut ist jetzt ein Stern,
weist den Weg Raketen,
und der Krämer (man kann's hörn)
sticht sich an den Gräten.
Nimm Abschied
Wozu die Rechner alle?
Kein Fakt hat Dauer:
Atomeschaum.
Im besten Falle
gehst du ein wenig schlauer
aus deinem Traum
Was in der Luft vibriert,
ist nicht das Neue.
Es explodiert
das Ungeheure.
Nimm Abschied vom Tisch,
vom Laptop, der Uhr,
lösch aus das Licht, wisch
aus deine Spur!
Reiß dich vom Schatten weg,
steig zu den Sternen auf
und mach, o Schreck,
Umsturz statt Lebenslauf.
Für immer
jung
Sie hatte sich aus der Hocke erhoben und suchte im Unkraut die Erdbeeren, ich hätte es längst aufgegeben, aber ihr Farb-Auge erspähte auch das winzigste Rot im
Blattgewirr. Fast gleitend bewegte sie sich auf eine Stelle zu, ihr Körper – umhüllt von einem blau-weiß beringten Baumwollkleid – folgte einem unhörbaren Rhythmus, den ich schon einmal weit weg
von hier gefunden habe: im Universum. Wie die Gestirne sich drehen und ein Gleiten und Fliegen und Wirbeln das Bild vollster Ruhe und Stille ergeben, so war es bei ihr, wenn sie sich bewegte. Da
erschrak ich, es war so heftig, dass ich mich umdrehte. Ihre Bewegungen waren in ihrer Vollendung die eines Roboters.
Seit ich ihr gesagt habe, dass ich entgegen meinem Aussehen viel, viel älter sei als sie und jetzt bereit sei, es auch zu werden, indem ich mein Alterungsgen
aktiviere, seitdem hat sie keinen Blick mehr für mich.
Ich weiß, für sie und alle anderen ist das eine kranke Einstellung. Aber ich will leben, richtig leben. Und dazu gehört das Altern. Wenn mich Deivys Anblick
erschreckte, dann weil mir plötzlich bewusst wurde, dass sie gar nicht lebt. Wer sich wie sie das Altern ablehnt, lehnt das Leben ab.
Mein Blick beginnt sich zu verändern. Ich sehe, der alte Baum ist schön. Und er ist deswegen schön, weil er trotz morscher Zweige und schuppiger Borke ohne Selbsthass ist, er liebt sich, wie er ist. Ich weiß, er wird eines Tages nicht mehr da sein. Und so entzückt mich seine Schönheit und schmerzt mich zugleich. Und das macht ihn mir unvergesslich.
Wer für immer jung bleibt, unterscheidet sich nicht von den Robotern. Und niemand wird behaupten, dass sie leben. Sie existieren, das ist alles. Ich aber will leben. Und hier – ich stehe vor meiner Waldhütte und sehe mich um – ist die Quelle des Lebens: die Natur. Ich werde altern und eines Tages nicht mehr da sein, aber in der Natur, deren Jugend sich im Altern erneuert, werde ich für alle Zeit zu Hause sein.
Der außerirdische Besuch
Ich wollte den Planeten,
der „Erde“ heißt, mal sehn.
Hab gestern ihn betreten,
er sei, sagt man, sehr schön.
Man sagt, dort lässt sich's leben
für Wesen aller Art,
Es herrscht ein hohes Streben
und alles ist so smart.
Und Blumen, Bäume, Meere,
voll Duft sind sie und rein.
Man kann dort, wie ich höre,
nur froh und glücklich sein.
Doch dann stieß ich auf Plätze,
da sprießt kein Grashalm mehr
und Menschen voller Hetze,
die schwingen ein Gewehr.
Ich glaube gar, dem Leben
gibt man hier keinen Wert.
Muss auf mich Obacht geben,
noch bin ich unversehrt.
Es geht ein irres Treiben
auf dem Planeten um.
Ich will nicht länger bleiben,
da wäre ich ja dumm.
Ich flieg in andre Welten,
die Erde preis ich nicht.
Ich werde lieber melden,
dass der Planet zerbricht.
Deutsches
Ich, Germane
Mal steht mir links, mal rechts der Sinn,
ich bin ein wenig schusslig.
Da ich nie richtig traurig bin,
bin ich auch nie ganz lustig.
Beim Bier geb ich nur Kluges preis,
ich brauch nicht lang zu grübeln.
Und dass ich alles besser weiß,
wer kann mir das verübeln?
Ich mag den Karneval am Rhein,
den Kuchen nur mit Sahne.
Und könnte ich der Kanzler sein,
verböt ich das Vegane.
Die Welt ist nur für mich gemacht,
doch steh ich lieber abseits.
Zum Aufenthalt, wo's blitzt und kracht ,
verspür ich keinen Ehrgeiz.
Und nächtlich steh ich gerne nackt
vorm Spiegel, um zu sehen:
Wer so mit Muskeln ist bepackt,
der kann als Riese gehen.
Und wie ich mich ermahne,
da fällt mir endlich ein:
Ich bin ja ein Germane,
werd immer närrisch sein.
Hörspiel Der gelbe Stern Auszug (Schluss):
THERAPEUT: Hören Sie zu. Da draußen ist die
Vergangenheit Ihres Vaters! Und Sie sind kein Wurm!
Stellen Sie sich auf die Seite der Bedrohten!
Bestimmt ist darunter jemand wie das Mädchen auf
dem Foto.
MANN: Ja! Ich verstehe, ich verstehe! Sie haben
Recht. Ich werde es tun. Und Sie?
THERAPEUT: Wieso? Ich hab doch keine Probleme..
Moment, nehmen Sie das Buch mit!
Lesen / Hören Radio Podcast
Das Erbe
Was sie uns hinterließen,
sind keine Heldentaten
und keine Blumenwiesen,
mit Schuld ist es beladen.
Muss ich das Erbe nennen,
dann sag ich es nur leise.
Doch laut will ich bekennen,
solang ich Deutscher heiße:
Wir leben mit den Toten!
Und hört, was sie uns mahnen:
Geht nicht mit den Verrohten!
Seid nicht so wie die Ahnen !
Eine ergänzende Kurzgeschichte:
Der Heilige ohne Fuß
Zu hören: YouTube Zu lesen: Kurzgeschichten
Deutsches Kriegskind
Als der Krieg begann zu enden,
wollte er nicht untergehn
und er drang in Schoß und Lenden
für ein spätres Auferstehn.
Tief im Dunkeln wuchs der Samen,
und im Wohlstand fing es an,
dass die ersten Kämpfe kamen
und im Mann der Krieg begann.
Wollte sich mit allen raufen,
sah nicht den Zusammenhang,
und verirrte sich im Saufen,
als sein Blick zum Spiegel drang.
Es verstummten die Fanfaren,
und er hörte, wie was weint,
und er stand in grauen Haaren
vor dem eingebornen Feind.
Kurzgeschichte
Mein Kampf mit dem Kater
Unser Kater ist schwarz, genauer: schwarz wie der Teufel. Meine Frau sagt, er sei uns zugelaufen. Aber das stimmt nicht. Er hatte mich ausgespäht. Er war mir von
Anfang an nicht geheuer und die Geschichte sollte mir recht geben.
Gleich am ersten Tag machte er sich auf meinem Stammplatz breit. Ich sagte ihm, der Platz auf dem Sofa gehöre mir. Er gähnte. Ich schubste ihn runter, obwohl er
fauchte.
Am nächsten Tag lag er wieder dort. Also runter mit ihm. Und so ging es weiter. Er kapierte einfach nicht, dass ich der Stärkere war.
Und dann eines Abends, gerade hatte ich ihn wieder verscheucht, blickte die Frau durch die Tür: „Abendbrot ist fertig“.
„Gleich!“ sagte ich „Erst noch die Nachrichten!"
Nanu? Wer hatte da miaut? Der Kater war doch gar nicht da.
Die Frau starrte mich an. Ich wiederholte meine Bemerkung. Und wieder ein „Miau“. Es kam eindeutig aus meinem Mund. Meine Frau knallte die Tür zu.
Ich eilte ihr nach, wollte ihr erklären, dass der verfluchte Kater mich verhext haben müsse. Das war ein Fehler. Ich miaute und je mehr ich miaute, um so böser wurde sie.
Und dann miaute es hinter mir. Ich drehte mich um. Das Töchterchen! Es miaute noch mal und sah mich begeistert an. Entsetzlich.
Man denke! Zwei Jahre alt, konnte schon ein paar Sätze sagen, und jetzt das! Hatte ich es etwa angesteckt?
Meine Frau riss das Kind an sich und lief die Treppe hinauf, da hörte ich es schrein: „Will zu Papakatze!“
Gott sei Dank. Die Kleine hatte mich bloß nachgemacht.
Danach erklärte meine Frau, sie müsse über das Sorgerecht des Kindes nachdenken. Was sollte ich antworten? Auf Katzisch? Ich schwieg.
Nachts, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer verbannt, sozusagen in Quarantäne, lag ich auf dem Sofa. Ich begann mit der Übung. Ich musste meine Sprache wieder finden.
Um halb zwölf schallte es aus dem Schlafzimmer: „Halt endlich die Klappe!"
Am nächsten Tag blieb ich zu Hause. Nicht
auszudenken, was mein Chef zu meiner Aussprache sagen würde. Meine Frau brachte die Kleine in die Kita und fuhr zur Arbeit. Ich war mit dem Kater allein und teilte ihm in seiner Sprache mit: Bekomme ich nicht sofort meine Sprache zurück, murks ich dich ab.
Der Kater zeigte mir seine feuerrote Zunge und machte sich durch die Katzenklappe davon.
Danach saß ich mit einem Küchenmesser neben der Klappe. Der Kater kehrte zurück gemeinsam mit Frau und Töchterchen.
Beim Abendbrot stand nichts für mich da, nicht mal ein leerer Teller. Da stellte mir das Töchterchen den Fressnapf des Katers hin, mit seinem Lieblingsfutter:
Pastete „Ente mit Gans“.
So was, dachte ich. Die Mutter verleitet das Kind zu einer Schandtat gegen den eigenen Vater!
Plötzlich Katzengekreisch. Nicht von mir, der Kater war's. Er sprang auf den Tisch und machte sich über das Futter her. Da platzte mir der Kragen. Ich schrie:
„Runter, du Mistkerl! Das ist mein Fressen!“
Stille, dann großes Staunen. Ja, was sagt man dazu. Ich hatte meine Sprache wieder. Und das verdankte ich meinem klugen Töchterchen. Hatte den Kater
ausgetrickst!
Danach versöhnten wir uns und – auf Bitte meiner Frau – ich auch mit dem Kater.
Am nächsten Tag kaufte ich mir ein eigenes Sofa.