Ja, es sind schlimme Zeiten.
Gerade jetzt brauchen wir Reden, die uns aufmuntern, die uns den Weg in die Zukunft zeigen. Mitreißende Reden, leidenschaftliche, begeisternde Reden, bei denen die Herzen höher schlagen und die
Augen zu leuchten beginnen – und nicht weiter ins Tal der Tränen führen.
Einmal gab es in Deutschland solche Reden. Hier ein Auszug aus einer Rede im Jahre 1972.
„Für J.F. Kennedy und seinen Bruder Robert gab es ein Schlüsselwort, in dem sich ihre politische Leidenschaft sammelte (...). Dieses Wort heißt ‚Compassion‘: Die Übersetzung ist nicht
einfach ‚Mitleid‘, sondern die richtige Übersetzung ist die Bereitschaft mitzuleiden, die Fähigkeit, barmherzig zu sein, ein Herz für den anderen zu haben. Liebe Freunde, ich sage es Ihnen und
ich sage es den Bürgerinnen und Bürgern unseres Volkes, habt doch den Mut zu dieser Art Mitleid! Habt den Mut zur Barmherzigkeit! Habt den Mut zum Nächsten! Besinnt euch auf diese so oft
verschütteten Werte! Findet zu euch selbst!“
Jetzt raten Sie mal, wer das gesagt hat. Ja, das war Willy Brand auf dem SPD-Parteitag 1972.
Jahre später sagte der SPD-Bundeskanzler Schröder in seiner Agenda 2010 etwas ganz anderes und die Grünen stimmten zu. Auch der heutige Bundeskanzler, ebenfalls ein
SPD-Mann, scheint die Brandt-Rede völlig vergessen zu haben.
Die SPD sollte sich beim nächsten Parteitag die Rede unbedingt noch einmal anhören. Vielleicht besinnt sie sich und macht kurz vor dem Abgrund eine Wende.
Und die anderen Politiker, die der CDU/CSU und FDP, worüber reden die? Achja, die Flüchtlingskrise. Ein Klagen, Schimpfen und Zetern und eine Hetze gegen die Schwächsten, gegen die
vor Not und Krieg Geflohenen. Wobei die FDP die sozial Schwachen in unserem Land gleich dazu packt.
Und so reiben sich die Politiker einer ganz anderen Partei die Hände. Und warten auf noch schlimmere Zeiten und schlimmere Reden.. Denn dann, so glauben sie, beginnt ihre große Zeit.
Hatten wir nicht schon mal die große Zeit?
Hierzu noch ein Zitat von Willy Brandt:
"Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben."
Ach, Willy! Steh auf!
Vor gut 20 Jahren schrieb ich ein Gedicht, es war ein Rückblick auf mein bisheriges Leben. In ihm kamen diese Verse vor:
„Nicht dass mein Fuß
Auschwitz je berührte,
doch berührte
mich Auschwitz ganz.“
Ich stellte es in ein Lyrikforum und bekam viele zustimmende Klicks. Gut zwei Jahre später las ich es noch mal und erschrak. In der Zeile „doch berührte mich Auschwitz ganz“ stand nicht Auschwitz
sondern Ausschwitz.
Keiner hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Entweder hatten alle es überlesen oder sie hielten es bloß für ein Versehen.
Ein Versehen? Zweimal s zu tippen, das kann kein Versehen sein.
Laut Wikipedia gibt es sprachliche Äußerungen, die gemeinhin als „Versprecher“, „Verhören“, oder „Versehen“ bezeichnet werden, die aber, so Freud, auf einer unbewussten Ebene durchaus Sinn
ergeben.
Und so fragte ich mich: Litt ich wirklich an Auschwitz oder wollte ich es in Wahrheit „ausschwitzen", also vergessen?
Ich fühlte mich ertappt und löschte das Gedicht, als hätte es das nie gegeben.
In einem Archiv stieß ich auf die Geschichte einer Brandmauer, die verblüffend der CDU-Brandmauer gleicht. Gern bringe ich die Geschichte in Erinnerung.
Einst war in Schilda ein ganzer Stadtteil abgebrannt, obwohl das Feuer nur in einem Haus begonnen hatte. Das Entsetzen war groß. Das durfte nicht noch einmal passieren.
Während einer Bürgerversammlung erhob sich einer, er war der Klügste von allen, er sagte: „Leute, wir müssen eine Brandmauer bauen.“
Ja, schrien alle, du hast es mal wieder. Was für ein Genie, der Mann!
Doch plötzlich gab es Unruhe. Es war eine Gruppe von reichen Hausbesitzern: „Um Himmel willen!“ schrien sie. „Wisst ihr eigentlich, was so eine Brandmauer kostet?“
Sie hatten Recht. Auch den kleinen Hausbesitzern fiel ein, dass so eine Brandmauer Kosten verursacht.
Da erhob sich der Klügste erneut und sagte: „Wir stellen zwischen die Häuser ein Schild auf und schreiben darauf: Brandmauer.“
Wieder brach Begeisterung aus, denn die Einrichtung dieser Brandmauer war sehr kostengünstig.
Somit bewiesen die Schildbürger wie schon oft, dass sie nicht nur mit jedem Problem fertig werden, sondern auch vernünftig sind und auf die Kosten achten.
Danach hatten sie keinen Grund mehr, sich vor dem Feuer zu fürchten. Im Gegenteil: sie begannen mit dem Feuer zu spielen. Ein Spiel fand besonderen Beifall: Das Zündeln an der Brandmauer.
Nicht zu glauben! "EAT THE RICH" steht da auf der Wand in Großbuchstaben mit brauner Farbe gesprüht. Offenbar ist da jemand nicht damit einverstanden, dass die Zahl der Millionäre und Milliardäre
wächst, gleichzeitig hungern immer mehr Menschen. Und deswegen sollen sie eben die Reichen essen.
Geht in Ordnung, denke ich.
Ein paar Schritte weiter finde ich, das ist keine gute Idee. Die Reichen verspeisen? Das dürfte keinem bekommen, im besten Falle verdirbt er sich den Margen, im schlimmsten Falle vergiftet er
sich.
Hat jemand schon mal geprüft, wie viel Chemikalien die Reichen brauchen, um so gesund auszusehen?
Künstliche Sonnenbräune, gestraffte Haut vom Gesicht bis zum Po, mit Botox aufgeblasene Lippen, gefärbte Haare, Pillen für ausdauerndem Sex, durch chemische Wirkstoffe vergrößerte Muskeln, im
Blut Mittel gegen das Altern und Pulver in der Nase für mehr Lebenslust. Von den heimlichen Prothesen zur Optimierung ihrer Körper wollen wir gar nicht reden.
Bei so viel chemisch-technischer Behandlung stellt sich womöglich die Frage, ob man ihre Körper im Todesfall nicht gesondert entsorgen muss.
Nein, wirklich, einen Reichen zu essen, das ist keine gute Empfehlung, Reiche gehören eher auf die Liste ungesunder Lebensmittel. Anders herum wird ein Schuh daraus. In Wirklichkeit geht
es um das Essen der Reichen. Nein, nicht um das in einem 5-Sterne-Restaurant. Kaviar, Austern und so weiter seien ihnen gegönnt.
Aber sie verfuttern unseren Planeten!
Sie vederben die Luft durch die Verdauungsgase ihrer Jets und Jachten, mit Villen, Golfplätzen und Landebahnen zernagen sie die Natur bis auf die Knochen und mit ihrem unbändigen Appetit auf
Luxus verschlingen sie die Schätze der Erde. Und dies während immer mehr Hungernde um das tägliche Brot flehen. Doch dafür sind die Reichen zu sehr mit ihrem großen Fressen beschäftigt.
Also sprühen wir etwas an die Wand,, was keinen Menschen gefährdet, aber für das Überleben des Planeten nötig ist:
Stop the food of the rich!
Stoppt das Essen der Reichen!
Und, zum Teufel, gebt den Hungernden endlich ihr tägliches Brot!
Ich hatte gerade meine Phase der Rebellion gegen die Autoritäten, alten Nazis und die USA im Vietnamkrieg. Mit einer älteren Dame hatte ich guten Kontakt, ich hatte sie auf einer Demo kennengelernt.
Während eines Besuches wollte sie wissen, wie mir eine Filmkomödie gefallen hätte. Ohne viel nachzudenken, und noch immer von dem Film belustigt, platzte ich heraus: „Es wurde gelacht bis zur Vergasung“.
Sie gab keine Reaktion von sich, sah mich lange an und sagte: „Weißt du, was du jetzt gesagt hast?“
Ich begriff es sofort, war selbst schockiert und entschuldigte mich. Die Unterhaltung ging bald darauf zu Ende.
Auf dem Heimweg fragte ich mich: Wie konnte das passieren? Ich bin kein Antisemit, Himmel, nein!! Aber wie kam ich zu diesem furchtbaren Satz? Und dann fiel es mir ein: Der Satz stammte aus meiner Kindheit, Das war gegen Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre. Damals gaben wir Kinder diesen Satz von uns, wenn uns etwas besonders lustig vorkam. Wir mussten ihn bei den Erwachsenen öfter gehört haben. Wo sollten wir diesen Satz sonst aufgeschnappt haben?
Kein Lehrer, kein Verwandter, nicht die Eltern haben uns korrigiert und uns über den wahren Sinn aufgeklärt.
Als ich die Frau anrief, um wieder einmal meinen Besuch anzukündigen, gab sie vor, leider einen Arzttermin zu haben. Noch dreieimal rief ich an, aber immer hatte sie etwas anderes vor.. Dann wusste ich Bescheid.
In ihren Augen war ich ein verkappter Antisemit, auch wenn ich noch so sehr dagegen demonstrierte. Und mit solchen Leuten wollte sie nichts zu tun haben.
Ich wünschte, ich hätte ihr noch sagen können, dass nicht ich den Satz sagte, sondern das Kind aus der Nachkriegszeit. Aber die Frau ist längst verstorben.
Warum erzähle ich das?
Manchmal frage ich mich, welcher Spruch einem Kind von heute in 20 Jahren entschlüpfen wird, zu seinem Entsetzen und dem der anderen.
In der Wendezeit hatten wir unsere Westberliner Wohnung aufgegeben und ein Häuschen im Brandenburgischen gekauft. Schon am zweiten Tag bekamen wir Besuch. Der Mann trug einen zu großen Anzug,
seine blassen Augen blickten vorwurfsvoll, und die abgenutzte Aktentasche war prall gefüllt.
Ich wollte mich als guter Wessi erweisen, bat ihn Platz zu nehmen und ließ ihn reden. Er empfahl mir, meine Ersparnisse bei einem Schweizer Fonds anzulegen, dessen Vertreter er sei. Ich bekäme
einen Zins von 12 %. Die Banken dagegen böten nur 5 %.
„Leider haben wir nichts Erspartes“, sagte ich.
„Das macht nichts“, meinte er. „Nehmen Sie einfach eine Hypothek auf das Haus.“
„Haben wir schon“, sagte ich.
„Na, dann eben noch eine zweite“, sagte er.
Es kam zu keinem Abschluss. Beim Einpacken der Broschüren murmelte er, aber so, dass ich es gut hören konnte: "Man hat Honecker in die amerikanische Botschaft gehen sehen und dann kam er mit
einem Aluminiumkoffer heraus. Er hat die DDR an die Amerikaner verkauft.“
Und dann verließ er mich mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der die Last eines weltpolitischen Geheimnisses auf den Schultern trägt.
Heute Vormittag bekam ich vom Fahrer des Eiswagens die bestellte Ware. Als ich deren Verteuerung kritisierte, meinte er: „Ja, alles wird teurer, das liegt an den Kriegstreibern, den
Amerikanern.“
„Aber einmarschiert sind doch die Russen.“ sagte ich.
Er schüttelte den Kopf: „Das sind keine Russen, sondern als Russen verkleidete Amerikaner.“
„Soso.." spottete ich. „Dann kämpfen also die Ukrainer gegen die Amerikaner?“
Sein Gesicht kam mir nahe, ich spürte seinen Atem.
„Mann! Ukrainer gibt es doch gar nicht!. Das sind Russen!“
Sprachlos bei so viel Dummheit stieg er in den Wagen und fuhr davon.
Als ich das meiner Frau erzählte, war sie zu meiner Verblüffung keineswegs überrascht.
„Du glaubst ja nie was“, sagte sie, „aber ich weiß schon lange, was wirklich passiert. Die Erde steigt in eine höhere Dimension, darum das ganze Durcheinander, aber keine Angst, bald sind wir in
einer besseren Welt!“
Bei Gott, jetzt glaube ich wirklich was, und das tut richtig weh: Mit mir stimmt was nicht! Wieso wissen alle die Wahrheit, bloß ich nicht? Bin ich etwa blind? Nein, ich denke, ich muss
einfach genauer hinsehen.
Zum Beispiel die Nacht da draußen. Die seh ich mir jetzt mal richtig an. Zuvor aber einen Schnaps. So.. Noch einen kleinen.. Na bitte! Ich hab’s! Hat nicht mal fünf Minuten gedauert. Sofort ins
Internet damit:
Leute! Die Nacht ist gar keine Nacht. Sie ist ein Tag, als Nacht verkleidet!
Es war einmal ein König, der hatte zwei Minister, einen Finanzminister, den er am liebsten hatte, und einen Klimaminister, den er weniger mochte. Außerdem sprach er ganz leise, und das war gut
so, weil er sein Volk nicht aufregen wollte. Als der König einmal das Volk mahnte, nicht mehr so viel Unfug zu treiben, wie beispielsweise Leute zu schlagen, die eine andere Hautfarbe
haben, hörte ihn keiner, und so hatte er keinen Ärger mit dem Volk.
Ein andermal, als ihm der Finanzminister sagte, man dürfe keine Schulden mehr machen, sagte der König, das Volk solle den Gürtel enger schnallen, es kämen harte Zeiten. Aber das war so leise
gesprochen, dass es keiner hörte, und das war gut so, sonst hätte der König Dresche bekommen.
Und es war zu dieser Zeit, da gelang es dem Klimaminister, sich dem König zu nähern und ihm zu sagen, Ausdünstungen und Abgase würden die Luft so heiß machten, dass überall das Eis zu
schmelzen beginne.
Der König war gnädig und sagte dem Volk, es solle brav sein und seine Kühe und Pferde nicht mehr so viel pupsen lasse. Aber das hörte keiner, und das war dem Finanzminister ganz recht, weil er
mit seinem geliebten Rennpferd gern er über Felder und Auen jagte, wobei das Pferd ganz schön pupsen musste.
Aber dann passierte etwas, dass sich sogar der König wunderte. Das Volk war nicht mehr zu sehen. Wo war es hingelaufen? Er schickte einen Späher aus und der fand das Volk hinter dem Schloss. Da
hörte es einem Mann zu, der mit lauter Stimme verkündete, er würde das Volk groß machen, größer als je zuvor, und jeder im Volke würde reich und glücklich werden.
Als der König das erfuhr, räusperte er sich, aber es war schon zu spät. Denn das Volk strömte zu seinem Schloss und er musste abdanken.
Vom Volk und dem abgesetzten König war nichts mehr zu hören. Der neue König zwang alle zum Schweigen und das nicht nur mit der lauten Stimme.
Ich bat einen mir gut bekannten Gymnasiallehrer, über die neusten Entwicklungen der deutschen Sprache eine Unterrichtsstunde abzuhalten. Er war so freundlich, meine Bitte zu
erfüllen und wies mir einen Platz in der letzten Reihe seiner Klasse an. Und so begann er mit seinem Vortrag:
„Herrschaften, wir haben heute ein interessantes Thema. In letzter Zeit hört man oft, wie einer sagt: 'Ich gehe davon aus'. Alle Naslang hört man das. Sogar in allerhöchsten Kreisen.. Was ist
will man damit sagen?
Eine Kerze, nicht wahr, geht vom Pusten aus. Und manches Ding geht von einem Knopfdruck aus. So komfortabel ist das.
Aber, bitte schön, wie ist das beim Menschen. Wovon geht der aus? Wer weiß das? Keiner?
Na, da stellen wir uns mal ganz dumm.
Herrschaften, der Mensch muss doch eine Riesenangst haben, sobald er den Mund aufmacht. Was, wenn daraus nur Blödsinn kommt? Passiert schon mal. Passiert sogar ziemlich oft. Und was dann?
Also denkt der gute Mensch: Klappe halten, sofort! Aber, Donnerwetter, der Apparat läuft weiter, er geht nicht aus.... Herrschaften! Das ist doch grauenhaft! Der Mensch kann die Schnauze nicht
halten! Wo ist denn um Himmels Willen der Ausschalter? Weiß das einer? Nein?
Na, da greifen wir einfach zur Gebrauchsanleitung.
Bloß, da ist keine. Hat der Hersteller wohl vergessen. Brauchen wir auch nicht. Der Mensch hat nämlich einen eingebauten Wackelkontakt. Da genügt ein Klaps und …Herrschaften, da hinten will uns
einer was sagen. Bitte sehr... Wie meinen? Ausgehen, das heißt mit den Füßen? Von einem Standpunkt? Also mit einem Fuß stehen, mit dem anderen gehen? Großer Gott, wie das wohl aussieht..
Junger Mann, geben Sie sich schleunigst einen Klaps, damit Sie davon ausgehen. Sie reden sich ja um Kopf und Kragen. Nein, so was, die Stunde ist rum.. Das nächste Mal, Herrschaften, behandeln
wir das allseits beliebte 'Das ist nachvollziehbar'. Stellt euch schon mal ganz dumm.“
Es war ein Herbstnachmittag, ich war bei Gunnar zu Besuch, meinem schwedischen Freund. Wir sprachen über den gegenwärtigen Balkankrieg. Er hatte in jungen Jahren Kroatien durchwandert und zu
jeder Stunde hörte er die neusten Nachrichten, als befände sich sein Häuschen an der Front.
Auf seinen Knien lag die Katze und seine schwere, schwielige Hand strich über ihr weißfleckiges Fell. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Zärtlichkeit einer Engelhand.
Plötzlich erzählte er, wie er letzten Sonntag in der Kirche während der Predigt des Pastors aufstand und ihn bei einem Bibelzitat korrigierte. Wahrscheinlich erwartete er ein bewunderndes
Lob von mir. Aber es war eine bekannte Unart von ihm, mit seiner Besserwisserei ohne Rücksicht auf die Situation herauszuplatzen. Das sagte ich ihm und wie ein Kind, das eine Bestrafung
erwartete, sah er mich an.
Sein Blick traf mich. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten. Denn an mir haftet ein ähnlicher Fehler, allerdings das Gegenteil von seinem: Ich schweige oft, wo ich reden sollte..
Und dann sagte er: „Weißt du, woher ich mich in der Bibel so gut auskenne?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er aus der Zeit des 2. Weltkriegs zu erzählen. Zwar war Schweden neutral, hielt
aber eine starke Armee von Wehrpflichtigen und eines Tages wurde er einberufen. Er war Pazifist, weigerte sich, den Drill mitzumachen, so dass er die meiste Zeit im Arrest saß und da gab es
nichts anderes zur Unterhaltung als eine Bibel.
Er hatte aufgehört, die Katze zu streicheln, da mauzte sie, und während er sie wieder zu streicheln begann, murmelte er: „Rechts rum! Links rum! Aufstehen! Hinlegen! …So fägt Krieg
an.“
Wenig später saß ich auf meinem Fahrrad. Der Mond färbte die Sandstraße knochenweiß. In seinem Gesicht stand stummes Entsetzen. Ich radelte, so schnell ich konnte, aber ich bekam ihn nicht los
und als ich die nachtdunkle Hütte betrat, war ich bereit, für die kalte Umarmung des Winters.
Mein schwedischer Freund war ein Wanderer zwischen den Welten und so war er auch in den Sprachen bewandert, besonders in der deutschen. Ihm fiel sofort auf, dass unsere Sprache zu unserem Unwohlsein beiträgt und er nannte mir auch gleich, was an ihr zu ändern sei, damit es uns bald so gut gehe wie den Menschen in Schweden.
„Erstens“, sagte er, „müsst ihr das Siezen abschaffen. Wenn ihr euch alle duzt, gibt es kein Oben und kein Untern und man kommt sich näher. Ihr werdet sehen, wie leicht dann das Zusammenleben wird.
Zweitens, da du gerade Schwedisch lernst, such nicht im Lexikon nicht nach dem schwedischen Wort für „fressen“ suchen, das gibt es nicht. Denn Menschen und Tiere essen auf gleiche Art, jedenfalls in Schweden. Bei uns gibt es nur ein Wort für „essen“, nämlich „äta“, und das gilt für Mensch und Tier.“
Jetzt aber protestierte ich: „Hast du schon mal Tiere mit Gabel und Messer essen sehen? Also bitte!“
„Jaso“, sagte er, „ich dachte, wir alle essen mit Mund und Zähnen, wie es die Natur verlangt. Das solltest du auch so sehen, vielleicht bekommst du dann ein besseres Verhältnis zu den Tieren.“
Und dann fragte er mit einem schrägen Seitenblick: „Sag mal, bei euch heißt es doch „das“ Mädchen. Kommen in Deutschland die Mädchen geschlechtslos zur Welt? Bei uns sind sie vom ersten Atemzug an weiblich, darum nennen wir ein Mädchen auch „flickan“, und nicht „flicket“. Handelt es sich bei euch möglicherweise um einen nationalen Defekt? Und wie heilt ihr ihn? Denn es gibt doch schließlich Frauen bei euch!“
„Natürlich“, knurrte ich, „sie brauchen zur zu heiraten, dann sind sie Frauen.“
„Jaso“, sagte er. „In Deutschland ist also Heiraten die magische Verwandlung eines Mädchens in eine Frau. Wie in einem Märchen. Aber was passiert dann euren Jungs, wenn sie heiraten? Männlich sind sie ja schon? In was verwandeln die sich?“
Ich schwieg. Und schimpfte im Stillen auf meinen Deutschlehrer, der uns dieses Rätsel nicht erklärt hatte.
„Mir scheint“, sagte mein Freund und beendete das Gespräch, indem er sich einen Bonbon in den Mund steckte, „ihr Deutschen habt noch einiges zu lernen. Fangt mit der Sprache an. Sagt nicht mehr „das“ Mädchen, sondern „die“ Mädchen, Mehrzahl „Mädchens“. Wirst sehen, das macht auch die Frauen glücklicher.“
Ich versprach es ihm.
Das war vor 50 Jahren. Nichts hat sich geändert.
Es waren drei Personen an der Bushaltestelle, ich und ein junges Pärchen. Da kam eine Frau vorbei, spuckte dem Mädchen ins Gesicht, zischte „Hure“ und ging weiter.
Das Mädchen wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und sagte ihrem erschrockenen Freund: „Eine reinrassige Deutsche“.
Ich vergaß zu sagen, dass der junge Mann ganz dunkle Haut hatte.
Ich wollte mich für die Frau entschuldigen, aber da kam der Bus, das Pärchen stieg ein, ich musste auf meinen warten.
Den ganzen Tag schämte ich mich, für das, was passiert war. Und nachts grübelte ich über die Frage, ob ich reinrassig sei. Da erschien eine weiße Gestalt mit einem schleierverhüllten Gesicht und
eine weibliche Stimme sagte: „Ich will dir etwas zeigen. Komm!“
Und plötzlich waren wir im Norden, in Skandinavien, bei einen Mann mit Helm und Motorsäge, der war beim Fällen einer Fichte, den fragte sie, wer ich wohl sei. Mit einem flüchtigen Blick zu
mir sagte er, er kenne solche Typen, ich sei ein Südländer, mache Lärm, könne den Mund nicht halten, sei ungeduldig und schaffe nur Unruhe. Kurzum, ich würde allen auf die Nerven gehen.
Im nächsten Augenblick waren wir in Italien. Der Mann saß am Wegrand neben einem Korb voller Weintrauben und antwortete auf ihre Frage, ich sei ein typischer Nordländer, hätte kaltes Blut,
sei für Späße nicht zu haben, aber diszipliniert und fleißig.
Kaum hatte er ausgesprochen, waren wir in Moskau und stießen vor einem Warenhauses auf eine Frau im Pelzmantel, sie hätte nicht viel Zeit, sagte sie, aber sie sehe sofort an meiner blassen Haut,
ich sei ein verweichlichter Westler, der statt Männer beim Boxen den Frauen beim Ballett zusehe und lieber Wein als Wodka trinke, und überhaupt, wieso ein Franzose dazu käme, sie mit solchen
dummen Fragen aufzuhalten?
Und schon waren wir in Paris. Eine hübsche Blumenverkäuferin stellte Blumen vor den Laden, sie sagte seufzend, ich sei bekannt dafür, die Menschen durch mein bärenhaftes Auftreten zu erschrecken.
Außerdem rede ich zu laut und zu lange, dabei rege ich mich schnell auf und sei ich doch mal friedlich, dann nur weil ich eine depressive Phase hätte.
Auf einmal lag ich wieder im Bett und die Gestalt sagte: „Ich bin Germania, deine Mutter.“ Sie hob den Schleier. Sie hatte ein pausbäckiges Gesicht, aber der Blick erinnerte mich an meine Mutter.
Und dann sagte sie: „Jetzt weißt du, was du bist. Du bist ein Kind vieler Väter.“
„Das ist unmöglich!“ rief ich verstört.
„Na, dann schau dir mal die Landkarte an!“ antwortete sie. „Wer von Ost nach West musste oder von West nach Ost oder von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord, der musste auf mich stoßen.
Ein ganz schöner Verkehr, mein Lieber. Aber die Hauptsache ist, du hast nur eine Mutter und das bin ich. Und außerdem kannst du dich glücklich schätzen“, fuhr sie fort, „du hast die
Eigenschaften von verschiedenen Vätern, das ist ein Reichtum, nutze ihn und jammere nicht!“ Und sie verschwand.
Als ich am Morgen erwachte, kam mir die Welt schön und leicht vor, ich aß zum Frühstück ein Baguette mit Blaubeermarmelade. Am Nachmittag setzte ich mich mit einem Glas Rotwein in den Garten und
las einen Roman von Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita.
Ich war glücklich.
In meiner Ferienhütte war nur ein kleines Fernsehgerät, aber es reichte. Es stand nahe bei einem Fenster, so dass ich mal auf den Schirm und mal nach draußen sehen konnte. Einmal sah ich
eine Natursendung, und plötzlich - ich blickte hin und her – sah ich deutlich, dass die Linde vor meinem Fenster und der Wald dahinter unterbelichtet waren. Auf dem Bildschirm waren die Bäume und
Büsche nicht einfach grün, sie strahlten grün, während draußen die Farben geradezu stumpf aussahen.
Schäm dich, Natur, dachte ich, im Fernsehen ist die Natur viel besser.
Sie kann nichts dafür. Diese Natur war ein Fake. Und erinnerte mich an meine Zeit in einer Werbeagentur.
Ich durfte dabei sein, als der Werbefotograf das Produkt für die Aufnahme bearbeitete. Nicht nur, dass er es richtig ausleuchtete, es wurde geputzt, lackiert, befeuchtet. Dem Betrachter lief
später beim Anblick des Fotos auf der Anzeige das Wasser im Mund zusammen. Heikel bloß, dachte ich, wenn der Käufer die Wurst auspackt. Sie wird blass aussehen. Aber, wie es schien, keiner merkte
den Unterschied. Die Wurst wurde in Massen gekauft.
Heute geht das viel einfacher. Man hat ein Fotobearbeitungs-Programm im PC oder auf dem Smartphone und verschönert das Bild. Und schon entsteht eine Welt, in der der Dreck an den Schuhen so schön
aussieht wie die gepflegte Haut eines Models.
Mittlerweile hat der Verschönerungsrausch die Menschen ergriffen. Fernsehen und Smartphone zeigen geschönte Menschen und die Fans und Followers strengen sich an, durch Selbstoptimierung wie sie
auszusehen.
Das ist mühevoll, aber der Mensch ist kreativ, vor allem, wenn sich daraus ein Geschäft machen lässt, und so werden Elon Musk, Google und Meta uns die Mühe abnehmen, sie werden uns Brillen mit
einem Verschönerungsprogramm verkaufen. Wer sie trägt, wird – wo immer er geht und steht – nur bildschöne Menschen sehen. Und eine verschönte Welt gleich dazu. Schon heute gibt es ja eine
virtuelle Welt, die man sich schön machen und in die man fliehen kann
Ich bin sicher, in ein paar Generationen werden die Menschen virtuell geboren. Sie werden die ersten sein, die fröhlich in der schönsten aller Welten leben – während um sie herum alles in
Schutt und Asche liegt.
Wieso fällt mir jetzt das Lied von Pippi Langstrumpf ein?
Unser Kindheitstraum. Endlich.
Gestern streute ich unter den kahlen Apfelbaum Vogelfutter aus. Kaum war ich oben in meinem Zimmer am Fenster, sah ich unter dem Apfelbaum den ersten Vogel sich pickend über das Futter hermachen. Der Größe und dem schwarzen Gefieder nach ein Amselmännchen. Dann kam eine kleine Meise, noch eine, dann Spatzen und immer, aber sie kamen nicht ans Futter. Denn immer wenn einer der Winzlinge näher kam, schoss die Amsel auf ihn los und verjagte ihn. Dann landete neben ihr die zweite Amsel und die Meisen und Spatzen bekamen es auch noch mit ihr zu tun.
Und dann geschah etwas. Die Meisen und Spatzen stellten sich in Front zu den Amseln.
Das war merkwürdig. Ich ging hinunter und als ich fünf Meter vor dem Apfelbaum stand, hörte ich die kleinen Vögel piepen. Durch den zagen Ton, der mir bekannt vorkam, verstand ich sofort, was sie sagten: „Gerechtigkeit!“
Die beiden großen Vögel stellten sich in Position und das in einer elitären Haltung, die mir bekannt vorkam, so dass ich ohne Schwierigkeit heraushörte, was sie da pfiffen: „Sozialneid, was?“
Mich ärgert dieser Begriff seit jeher, und so sagte ich laut (und hoffte, die Amseln würden es am Klang meiner Stimme verstehen): „Verflucht noch mal, könnt ihr nicht abgeben?“
Worauf vor Schreck sämtliche Vögel davon flogen.
Ich überlegte. Gerechtigkeit ist doch einfach zu machen: Gib jedem seinen Essplatz und sein eigenes Essen. Amseln zum Beispiel sind Bodenpicker. Sollen sie unter dem Apfelbaum ruhig weiterpicken. Für die anderen Vögel hängte ich ein Vogelhäuschen in den Apfelbaum und füllte es mit Sonnenblumenkernen. Auf der Haustreppe sah ich mich um und konnte mit Freuden feststellen, dass die ersten Meisen ins Häuschen aus- und einflogen.
Ich ging in mein Zimmer, setzte mich an den Schreibtisch. Nach einer Weile trat ich ans Fenster und sah hinaus. Sich ans Vogelhäuschen anklammernd, schielte eine Amsel in die Futterluke.
Es heißt, die Aggressivität steckt in uns. Ein Erbe aus unserer Vorzeit. Wenn das so ist, dann bleibt uns nichts anderes zu tun, als sie zügeln. Aber was machen wir? Wir fördern sie. Ja wie denn?
Ganz einfach. Wir machen daraus ein Event. In Filmen, Videospielen, auf der Bühne und im Boxring. Bei manchen Gewaltszenen in einem Film sind Filmkritiker geradezu begeistert. Weil die Szenen so
ästhetisch gelungen sind.
Hier ist die Gewalt nicht ordinär, sie hat Niveau. Nach der Devise: Zeigt Stil bei der Gestaltung der Blutlachen! Zelebriert den Tatvorgang in allen Einzelheiten! Lasst ihn am besten wie eine
antike Opferung aussehen. Denn wir haben einen sehrt verfeinerten Geschmack.
Sicher wird man in den Feuilletons bald von einer Gewaltkultur reden.
Ach Gott. Die Wahrheit ist viel simpler. Wir sind der Gewalt verfallen. Wir sind süchtig nach ihr. Wir verlangen nach Mord und Totschlag.
Was der Mensch beim Zusehen einer Gewalttat empfindet, ist letzten Endes die lustvolle innere Beteiligung an ihr.
Und das nutzt die Wirtschaft aus. Sie hat schon immer verstanden, sich die Lüste des Menschen nutzbar zu machen. Wer dem Alkohol oder dem Nikotin erlegen ist, der kommt da nur schwer wieder raus.
Und so ist auch die Gewalt längst ein profitables Geschäft.
Wiehert da nicht wer im Hintergrund, womöglich einer aus der Waffenindustrie?
Auch die Kriege gehören dazu. Deren Verursacher, die mächtigem Kriegslüsternen, verfügen über die Mittel, ihre Gewaltsucht durch das Gemetzel von Menschenmassen zu befriedigen. Und wie alle
Süchtigen wissen sie ihre Sucht zu tarnen. Sie umhüllen sie mit dem Mantel der Religion oder dem Tuch einer Nationalflagge.
Und so geht es weiter: Es wird Filme mit immer längeren Gewaltszenen geben, so dass wir vor Erregung mit den Füßen stampfen, man wird Video-Spiele entwickeln, die uns Blut ins Gesicht
sprühen, und in den Arenen werden brutale Sportarten bei den Zuschauern Rasereien auslösen. Das alte Rom ist wieder da.
Was soll uns noch hindern, Gewalt selbst auszuüben?
Am Ende bringen wir uns um. Das wäre das Höchste. Die Gewalt am eigenen Leibe erleben.
Siehe auch die satirische Krimikomödie: Heute wird gemördert.
Wenn heute einer schimpft, ist er ein Wutbürger, so steht’s in den Zeitungen, so hört man's im Radio.. Zwar gibt es davor noch den Zorn. Aber Journalisten haben keine Zeit für Unterschiede. Und
zweitens: Das Wort muss knallen. Dann wird man gelesen und gehört. Eigentlich sind es dann Wut-Journalisten. Aber das würden sie sich verbitten. Sie würden sagen, wir übertreiben ein bisschen,
und das muss sein wegen der Zeitungsauflage oder der Zuschauerquote beim Fernsehen. Wütend sind sie eigentlich nicht.
Jedenfalls, das Wort ist einmal da und mittlerweile möchte jeder ein Wutbürger sein.
Ohne Wut geht man nicht mehr aus dem Haus. Man will schließlich respektiert werden. Das Wort Wutbürger als Titel ist fast schon besser als ein akademischer Titel. Sollte man auf seine
Visitenkarte drucken lassen.
Selbst die Dinge könnten bald mit dem Wort "Wut" versehen werden, um sich neue Käuferschichten zu erschließen, wobei ich hier keine Anbiederung an eine besondere Schicht unterstellen will. Z.B.
Wut-Ei (zum Werfen auf Redner), Wut-Handschuhe (Boxhandschuhe für Handgreiflichkeiten), Wut-Bier (um sich für eine Demonstration fit zu machen) und so weiter.
Heute Morgen startete ein Auto vorm Haus mit einem Höllenlärm, ich hörte, wie das Auto schrie: „Ich bin ein Wut-Auto!“
Also nein... So was von Einbildung.
„Bist du nicht, du Knallkopp“, schrie ich zurück. „Du hast bloß einen idiotischen Fahrer, das ist alles!“
Na, wenn das kein guter Wutbürger war! Wenn ich will, kann ich’s auch.
Aber ich will’s gar nicht. Warum? Ich verrat Ihnen was: Ich war mal wütend. Na, ich hab mich furchtbar verletzt, als ich den Hammer gegen die Wand schmiss. Er prallte ab und mir auf den
Fuß.
Ich überlass die Wut den anderen. Es ist ja meistens nur Zorn. Ein echt wütender Bürger ist mehr besoffen als wütend. Naja, auch gefährlich. Mein Tipp: Lasst ihn mit einem Hammer einen Nagel
einschlagen. Und keine Schuhe tragen.
Auch im Podcast zu hören: Trommeln-im-Elfenbeinturm
Es klingelt. Schon wieder ein Paket aus einer Online-Bestellung. Es ist für einen Nachbarn, der nicht da ist. Ich bin Rentner, ich bin immer zuhause, ich kann das Paket annehmen.
Es ist das dritte Paket und es ist noch nicht Mittag. Ich glaube, in diesem Jahr habe ich schon an die fünfzig angenommen.
Jetzt was anderes, ich muss ein Versprechen halten. Es handelt sich um ein Märchen von den Gebrüdern Grimm, das König Ernst August verboten hatte und daher nie bekannt wurde. Heute Nacht erschienen mir die Gebrüder und überreichten mir das Märchen mit der Bitte, es aller Welt kundzutun, es sei höchste Zeit. Dann hörte man einen Krückstock klopfen, ich glaube das war der König, und sie verschwanden.
Versprochen ist versprochen, hier also das Märchen. Es heißt „Der Mensch und die Gier“
Es war einmal ein Wesen, halb Tier und halb was anderes, Mensch genannt, und als das Wesen zum ersten Mal die Augen aufschlug, saß neben ihm der Hunger und der sagte: Ab heut gehörst du mir. Schaff mir jeden Tag was zu essen, dann wirst du gut leben. Und der Mensch zog los, um für den Hunger Nahrung zu finden und lebte einigermaßen gut dabei Das ging viele tausende Jahre so, bis der Mensch in die Zivilisation eintrat, das war ein richtiges Wunderland, wo jeder sich Mühe gab, nett zu sein. Man mochte das Böse nicht und weil der Hunger böse war, begann man ihn abzuschaffen. Man gab ihm so viel Nahrung, dass er vor Sattheit einschlief. Nur bei schlechtem Wetter wachte er manchmal noch auf.
Aber der Hunger hatte den Menschen durchschaut. Heimlich steckte er ihm einen seiner Reißzähne in die Tasche, und das war sein Kind: die Gier.
Das Kind hatte einen anderen Appetit als der Hunger, es wollte kein Brot mit Käse oder Kartoffeln mit Fleisch, es verlangte nach Reichtum, Besitz und Macht. Es machte ein großes Geschrei und einige Menschen, die für das Geschrei empfindlich waren, begannen sogleich Gold heranzuschaffen, bauten Schlösser und Paläste zum Wohnen für sich und die Gier und übten Macht aus über alle, die kein Gold hatten. Diese Menschen nannte man Könige.
Hier endet der Text. Wahrscheinlich schlug da der König den Grimm-Brüdern auf die Finger. Aber die Gebrüder steckten mir die Fortsetzung zu. Offensichtlich gibt es auch im Jenseits Papier, Feder und Tinte.
Also weiter im Text. Hören Sie gut zu. Jetzt wird es spannend.
Die Gier wuchs heran, ging in die Schule, auf die Uni, wurde gebildet, kultiviert, und hatte eine Art, die man sexy nannte, was immer das bedeutet, aber das war’s wohl, warum die Könige sie zur Frau nahmen. Diese Könige hießen jetzt Superreiche. Sie flogen über den Wolken mit silbernen Flugapparaten, in denen es wie in einem Schloss aussah, sie kreuzten auf Meeren in weißen Schiffen, auch die sahen drinnen wie Schlösser aus, und sie bauten sich Häuser ganz wie richtige Schlösser, draußen wie drinnen. Das alles verdankten sie der Gier, mit der sie verheiratet waren, und wenn sie ihr auch noch so hübsche Kleider anzogen, sie war doch ein Reißzahn des Hungers. Man musste ihr Futter geben, so gab man ihr, was sie verlangte. Sie trank das Blut der Erde, riss an ihrem Eingeweide und mit ihrer rauen Zunge leckte sie am saftigen Grün der Erde. Das war den Superreichen egal, Hauptsache es ging ihnen gut, selbst dem Volk ging es ganz gut, denn seine Gier bekam auch was ab von der Erde, drei Happen davon stehen bei mir im Flur.
Nur der Erde ging es nicht gut. Erst fielen ihr die Haare aus, das waren die Wiesen und Blumen, danach vertrocknete ihre Haut zur Wüste und am Ende brachte der heiße Atem des Raubtiers die Erde zum Brennen. Und wenn die Menschen nicht gestorben sind..
Entschuldigung, es klingelt. Ach... Ein Paket für einen Nachbarn.
Aus Personalmangel werden im öffentlichen Dienst seit einiger Zeit Roboter eingesetzt. Es heißt, diese Roboter gähnen und seufzen wie ihre menschlichen Kollegen, sind also von ihnen nicht zu
unterscheiden.
Eine gute Lösung des Personalproblems, so scheint es, im Ergebnis freilich zerstört es eine Jahrhundert Jahre alte Tradition. Gab es Schwierigkeiten bei einer Genehmigung, da half
eine freundliche Geste den Sachbearbeiter über die Stolperschwellen hinweg: ein kleiner Beitrag für die Kaffeekasse, bei größeren Schwierigkeiten die Kostenübernahme für einen Flug nach den
Bahamas und bei ganz großen Problem das Sponsern der Renovierungskosten des Haues des Sachbearbeiters. Das hatte sich bisher ganz gut bewährt.
Und heute? Stellen Sie sich vor, Sie haben da einen Antrag der schwierigen Art. Das Gespräch verläuft wie gewohnt. Beim Abschied lassen Sie mit dem Antrag ein kleines Couvert mit Inhalt auf dem
Schreibtisch liegen. Ich sage Ihnen, noch ehe Sie die Tür erreicht haben, packt man Sie am Schlafittchen. Kein Wunder! Der Sachbearbeiter war kein Mensch, sondern ein Roboter.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen! Der Mensch ist eben doch intelligenter als ein Roboter. Sie müssen einfach vor Abgabe des Antrages feststellen, ob der Sachbearbeiter ein Roboter oder
Mensch ist.
Und das geht so:
Rein zufällig begegnen Sie ihm auf der Straße, ziehen Ihr Taschentuch aus der Jacke, um sich die Stirn zu wischen, dabei entfällt Ihnen ein 50-, besser noch 100-Euroschein. Wenn Sie nach zehn
Schritten nichts hören, biegen Sie in eine Seitenstraße, äugen um die Ecke. Ist die betreffende Person verschwunden, eilen Sie an den Ort des Verlustes. Nichts mehr da? Großartig! Der
Sachbearbeiter ist ein Mensch im Sinne guter, alter Tradition!
Stellen Sie am nächsten Tag Ihren Antrag. Glauben Sie mir, nach guter alter Tradition werden Sie ihn genehmigt bekommen.
„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“
Ich musste an das Brecht-Zitat denken, als ich mit Gunnar auf der Veranda saß. Aber hier in Schweden konnte man ohne schlechtes Gewissen über Bäume reden, es war die Zeit von Olaf Palme.
Es war ein sonniger Junitag, die skandinavische Sonne legte ihre Wärme wie eine wohltuende Hand auf unser Gesicht, und in der Ferne glich der glitzernde See einem Augenschlitz unter dem dunklen
Lid des Waldes.
Von der Linde kam bisweilen ein Dufthauch der Blüten, der Baum schien zu brummen, das waren die geschäftigen Bienen bei ihrer Arbeit. Gunnar hatte mir die Linde vor gut 20 Jahren geschenkt.
Gemeinsam pflanzten wir sie an die Grundstücksgrenze zum Feldweg, den der Bauer für seine Felder benutzte.
Und jetzt saßen wir da wie zwei Väter, die wohlwollend ihr erwachsenes Kind begutachteten
„Erinnerst du dich", sagte ich, „es war im zweiten Jahr, da hatte sie jemand mit der Axt gespalten. Ich hab dich gerufen und du hast sie oben zusammengebunden. Sieh sie dir jetzt an: Du hast sie
gerettet, Gunnar.“
Er lächelte und dann sagte er etwas, was mich keineswegs überraschte: „Redest du mit ihr?“
Es war allen bekannt, dass er mit den Tomatenpflanzen in seinem Treibhaus sprach, und jedes Mal brachte er eine Menge der prächtige Früchte dem Dorfhändler zum Verkauf.
„Nein", antwortete ich, „aber ich kann sie hören. Ihr Gerede klingt manchmal wie Straßenverkehr, aber meistens rauscht es wie ein Wasserfall."
„Ist sie nicht herrlich?" murmelte er. „Denk dir, wenn jeder Mensch ein Blatt am Baum wär, dann wär der Stamm das Leben. Und im Wind bewegen sich alle gleich, es ist eine große Einheit zwischen
den Blättern."
„Ja, aber nicht bei uns Menschen!" sagte ich. „Da will jeder mehr haben als der andere, besser leben als der andere, mehr sein als der andere. Dabei ist es überall dasselbe Leben, ob in schwarzer
oder weißer Haut, ob im Fleisch des Reichen oder in den Knochen des Armen. Das sollten wir doch endlich kapieren.“
Eine Weile sah Gunnar mich schweigend an, dann kniff er ein Auge zu, stieß seinen harzigen Finger zweimal gegen meine Schulter und sagte: „Weißt du was? Du bist ein Kommunist.“
Dann kamen wir wieder auf die Linde zu sprechen. Wer sie hatte töten wollen, konnten wir nicht erfahren. Auch über den Grund seiner Tat rätselten wir.
„Hör mal", sagte ich. „ich glaube, ich weiß jetzt, wer das war", und erzählte, was ich vor ein paar Tagen erlebt hatte.
Durchs Fenster sah ich einen kleinen alten Mann wie ein Rumpelstilzchen zwischen den Bäumen herumhuschen, wobei er gelbe Stangen in den Boden steckte. Sofort ging ich hinaus und fragte, was er da
täte. Ich musste neben ihm herlaufen, weil er seine Arbeit nicht unterbrach. Er lasse Fichten in seinem Wald fällen und grenze mein Grundstück ab,
stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Woher er meine Grenze so genau kenne? fragte ich.
„Dein Grundstück gehörte mal zu meinem Wald.“
Ich hatte kein gutes Gefühl und als er verschwunden war, radelte ich zur Nachbarin und fragte, wer dieser Mann gewesen sei. Sie kenne ihn, sagte sie. Er sei der reichste Bauer der Gemeinde,
besitze fast alles in der Umgebung und wegen seines Geizes sei er bei allen unbeliebt.
Misstrauisch geworden, ging ich die Grenzen meines Grundstückes ab, von Grundstein zu Grundstein. Tatsächlich, die meisten Stäbe standen über einen Meter tief auf meinem Grundstück. Ich setzte
sie zurück und blieb so im Besitz von einem Dutzend großer Fichten.
„Bestimmt war es dieser Bauer, der wollte eigentlich mich weghaben aus seinem Wald.“
„Und das“, sagte Gunnar und nickte bedeutungsschwer, „das ist ein Kapitalist!“
Die Jahre vergingen. Olaf Palme wurde ermordet, mein Freund starb, auch der geizige Bauer ist schon lange tot, ich musste meine Hütte verkaufen und heute ist die Zeit wieder wie zu Brechts Zeiten. Warum rede ich dann noch über einen Baum? Weil das Gespräch in einer Zeit und in einem Land stattfand, wo das Reden über Bäume noch nie ein Verbrechen war, lang ist es her.
Sie waren Rentner auf dem Land und da sie kein Auto hatten, bestellten sie alles Nötige per Internet. Weil sie erblindet war, sagte er ihr, was er im Internet sah, und dann genügte ein Nicken von ihr und er drückte den Kaufbutton. Später befühlte sie mit den Händen die gelieferte Ware: gehäkelte Zierdeckchen, Vasen in vielerlei Formen, Mokkatassen, Kaffeekocher, Schuhe, Blusen, Handtücher, diverse Gürtel und Broschen, Nippsachen und vieles mehr.
Eines Tages sagte sie, sie sei es müde, die Dinge zu berühren. Schließlich fragte er sie, ob er überhaupt noch etwas bestellen solle, sie hätten doch schon alles. Sie widersprach, und so las er weiter aus dem Internet vor, doch wenn sie jetzt nickte, schien es ihm, als würde sie nach Gutdünken nicken, ohne viel nachzudenken. Das war ihm rätselhaft, aber weil sie darauf bestand, tat er ihr die Freude.
Ja, wäre ein anderer als er zum Auto gegangen, um die Pakete entgegen zu nehmen, dann hätte er sehen können, warum dies alles geschehen musste.
Denn wenn sie durch das offene Fenster hörte, wie bedächtig ihr Mann dem Boten das Paket abnahm, den Empfang bestätigte und dem Boten ein Trinkgeld gab, worauf sich dieser mit einem Dank bis zum nächsten Mal verabschiedete, dann lächelte sie.
Es waren Klänge aus der großen, fernen Welt, und sie konnte vor ihren Augen das Gewimmel der Menschen sehen.
Da laufen sie herum mit dem Smartphone vor
der Nase auf der Suche nach dem
nächsten Post oder dem nächsten Video.
(Wann gibt es den Nasenhalter fürs
Smartphone?)
Und sie starren auf etwas, von dem sie
nichts haben. Rein gar nichts haben sie! Sie
können es weder anfassen, noch riechen und
der Blick ist äußerst begrenzt, sie sehen
nur das, was man ihnen zeigen will, nicht
das Drumherum.
Zu Tausenden postet man sich appetitlich
gefüllte Teller zu. Und klickt begeistert ein
Herzchen drunter, ein Smiley, ein
Like.
Es ist wie im Märchen mit dem Kaiser ohne
Kleider. Alle beglückwünschen den
Kaiser zu seinen Kleidern. Aber wehe, da
kommt ein kleines Kind und ruft: „Ätsch! Er
ist ja nackt!“
Genau das könnte man dem zurufen, der so
einen gefüllten Teller sieht:
„Menschenskind! Das kannst du doch gar
nicht essen!“
Was geht da eigentlich vor? Das muss doch
einen Sinn haben? Einen Zweck? Denn
schließlich kostet das Starren auf den
großen oder kleinen Bildschirm und das
Anklicken unsere Zeit und unsere Kraft.
Was bekommen wir dafür?
Nichts. Im Gegenteil. Uns wird etwas
genommen. Post für Post wird unser Leben
reduziert. Bald leben wir mehr in der
Fiktion als in der Wirklichkeit.
Wieso tun wir uns das an? Wir besitzen
doch Sensoren, die jeder Technik überlegen
sind: unsere Sinne. Wir können riechen,
wir können fühlen, wir können schmecken,
können hören und können sehen, was immer
auf der Welt zu sehen ist!
„Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, vom
goldnen Überfluss der Welt!“ schrieb
Gottfried Keller in seinem
Abendlied.
Ein Abendlied. Und tatsächlich: Fühlt es
sich nicht an wie eine Menschendämmerung?
Wir reden vom Klimawandel. Aber es gibt
auch einen Menschenwandel. Und wie
beim Klimawandel, beginnt auch dieser
Wandel schleichend und wird erst kurz vor der
Katastrophe sichtbar sein.
Wir sind in Gefahr, zu Bits und Bytes zu
werden.
Für unseren Körper brauchte es eine
Entwicklung von Milliarden von Jahren.
So ein Produkt gibt man doch nicht einfach
so auf.
Mensch, renaturiere dich!
Am Anfang war das Wort, heißt es in der Bibel. Ich weiß nicht, was Bibelfachleute dazu sagen. Für mich ist es der Stoff, aus dem wir Brücken zueinander bauen.
Jedenfalls ist die Sprache dazu da, um uns untereinander verständlich zu machen. Und da ändert sich gerade etwas.
Als ich zum ersten Mal das Wort „Agenda 2010“ las, kapierte ich rein gar nichts. Das Wort wurde aber so oft benutzt, dass ich nachschlagen musste. „Agenda“ ist die Bezeichnung für eine Liste der
Aufgaben, die man abarbeiten muss. Also eine Arbeitsliste. So könnte man es sagen. Eine„Arbeitsliste 2010“ hätte ich sofort verstanden.
Es soll auch Worte geben, die, so heißt es, versteht man besser im Kontext. Aha. Schon wieder ein Fremdwort. Was sagt das Lexikon? „Zusammenhang“. Hätte man sagen können.
Oft wird auch von „Usern“ gesprochen. Auf deutsch „Nutzer“. Nun ja, vielleicht gibt es in solchen Fällen keine deutschen Nutzer, dann muss man es wohl so sagen.
In letzter Zeit höre ich immer öfter das Wort „Eliten“. Schon wieder was, bei dem ich nachschlagen musste. Das Lexikon gibt eine lange Erklärung ab. Ich verkürze: Eliten sind die führenden Leute
in Bildung, Wirtschaft, Politik. Sie schmücken sich mit em Wort, und wer es als Schimpfwort benutzt, wäre gern selber einer..
Mittlerweile schwirrt auch das Wort „Narrativ“ herum. Und kürzlich tauchte ein neues auf: triggern.... Gott, es nimmt kein Ende.
Und dann wundern sich die so sprechen, dass die Leute denken: „Was reden die da für ein Zeug? Wollen die uns verschaukeln?“ Und mit ihnen nichts mehr zu tun haben wollen.
Noch etwas zu den Journalisten. Abgesehen davon, dass sie die rätselhaften Worte im Überfluss verwenden, haben sie begonnen, das Tätigkeitswort wegzulassen. Zuletzt im Tagesspiegel. Da stand:
„Der BER kann Flughafen“.
Na schön, so will ich die Journalisten in ihrem Stil fragen: Könnt ihr Sprache?
Ja, sie könnten, sie wollen aber nicht. Und warum? Weil, so spricht man eben in esoterischen Kreisen.
Es gibt da einen in der USA, der macht es ganz anders. Er macht es wie Luther: Man muss dem Volk aufs Maul schauen. Aber ich trau ihm nicht. Überhaupt nicht. Er macht das zu gut und zählt doch zu
den Eliten. Sehr merkwürdig.
Nein, einen deutschen Trump will ich auf keinen Fall. Aber ein Luther wäre nicht schlecht.
Und jetzt mein Appell, Pardon, Aufruf:
Liebe Eliten, artikuliert euch kommunikativ!
Richtig. Ich sollte besser sagen „Redet verständlich.“
Aber ich fürchte, das verstehen die Eliten nicht. Es muss eben alles in ihrem esoterischen Stil ausgedrückt werden.
Da fällt mir ein Satz ein: Die herrschende Sprache ist die Sprache der Herrschenden.
Nanu, wo kommt der her?
Damit Sie es gleich wissen: Ich bin für die Freiheit. Es gibt wohl kaum Größeres als die Freiheit. Und für die muss man kämpfen, wo sie bedroht ist. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe so viel
Freiheit zuhause, dass ich manchmal in den Garten gehen muss, um mich von dem Kampf zu erholen.
Und darum bin ich jetzt Mitglied einer Partei, die, wie ihr Name schon sagt, genau so frei sein will wie ich.
Ja, ich weiß, manche sagen, diese Partei ist gut zu den Reichen. Na und? Was ist schlimm daran? Was hat das mit der Freiheit zu tun? Ja, früher, da waren die Reichen Könige und Herzöge, sie
gönnten dem kleinen Mann nicht die kleinste Freiheit, weil sie die ganze Freiheit alleine haben wollten. Solche Egoisten waren das.
Das kann man von den Reichen heute wirklich nicht sagen. Hat Ihnen ein Reicher schon mal was verboten? Na sehn Sie. So viel Freiheit wie heute gab’s noch nie. Und, bitte sehr, wer sorgt dafür,
dass es so bleibt? Na, wer wohl. Die Geld haben, anders geht’s doch gar nicht. Und je mehr Geld einer hat, umso besser kann er kämpfen. Und jetzt passen Sie mal auf, ich zeig Ihnen, wie die
Reichen für unsere Freiheit kämpfen, und da sind sie nicht knickrig. Sehen Sie mal, wie die Reichen die Steuererhöhungen angehen, mit voller Power. Kein Mensch will mehr Steuern zahlen, das
ist doch natürlich. Aber man wäre dazu gezwungen, stimmt’s? Gott sei Dank haben wir die Reichen. Die würden ihr letztes Hemd hergeben, um das zu verhindern, so freiheitliebend sind sie. Oder
höhere KFZ-Steuern für große Autos! Wollen Sie zukünftig jedes Mal vor einem Kauf das Auto erst messen müssen? Na bitte. Und dann die Geschwindigkeitsbegrenzung für Autofahrer. Das ist
vielleicht eine Dummheit! Da muss man ja ständig auf das Tacho sehen! Was das für Unfälle gibt! Die passiern dann zwangsweise, aber wir wollen über Unfälle selbst bestimmen dürfen, das gehört zur
Freiheit des Menschen!
Gegen solche Freiheitsberaubungen müssten auch Sie ankämpfen, aber nicht allein, sondern mit uns, denn einen so großen Garten haben Sie gar nicht, um sich von dem Kampf zu erholen.
Außerdem geht es den Reichen gar nicht so gut, wie immer behauptet wird. Unser Parteiführer ist ein leuchtendes Beispiel dafür. Als Abgeordneter musste er sage und schreibe 424.500 Euro nebenbei
verdienen, sonst hätte er für seine Fahrten zu den vielen Terminen das Benzin für seinen Porsche nicht bezahlen können.
Sie sehen, wie das Große in das Kleine greift, das Öffentliche in Private. So habe auch ich einen privaten Grund, in die Partei der Freiheit einzutreten, das will ich gar nicht
verheimlichen. Es handelt sich um eine Ungerechtigkeit, die nicht nur mich, sondern viele Männer betrifft. Es geht darum, dass unter Androhung des Ausschlusses der Wohnung meist von einer
weiblichen Person verlangt wird, vor dem Betreten der Wohnung die Schuhe auszuziehen.
Das darf doch nicht wahr sein. Ich frage Sie: Wie kann man da noch von freier Mobilität reden? Ich werde daher bei der nächsten Parteiversammlung den Antrag stellen, die Freiheit der Schuhträger
ins Parteiprogramm aufzunehmen. Denn was für einen Porschefahrer auf der Autobahn gilt, muss selbstverständlich auch für einen Schuhträger in der Wohnung gelten!
Zu Kaisers Zeiten sagte man nicht „Unterhose“, man sagte „die Unaussprechliche“.
Leben wir wieder in ähnlich schamhaften Zeiten? Ganz sicher nicht.
Aber solche Wortmasken gibt es auch heute. Hier ein paar Beispiele:
Offiziell heißt es „Atommüllentsorgung“, gemeint ist das Ablagern von Atommüll. Dort liegt dann der Atommüll und strahlt einige tausend Jahre lang, aber, Leute, wie
gesagt: macht euch keine Sorgen, er ist ja entsorgt!
Und redet jemand von „Freisetzung von Arbeitskräften“, dann hat das nichts mit Freiheit zu tun, sondern es werden Arbeiter entlassen. Aber das wollen wir lieber nicht sagen, sonst gibt es Ärger. Manche Konzerne sind noch vorsichtiger oder noch klüger. Sie verkünden eine „Kostensenkung" zur Rettung von Arbeitsplätzen, aber in Wirklichkeit meinen sie den „Abbau von Arbeitsplätzen“, damit ihr Laden wieder Profit zu macht. Hoppla, jetzt red ich auch schon von "Abbau von Arbeitsplätzen", natürlich geht es schlicht um Entlassung von Arbeitern und Angestellten.
Das erinnert mich an den "Rückbau" von Gebäuden. So nennt man heute den Abriss von Häusern und Wohnungen.
Und die Jobcenter bezeichnen alle, die sie aufsuchen, "Kunden". Schön wär’s, denn wären sie nämlich Könige, dann könnten sie sich aussuchen, was sie wollen. Und
würden zuvorkommend bedient. Aber ihre Kunden sind in Wahrheit Arbeitssuchende und die müssen nehmen, was ihnen angeboten wird und wenn sie es dreimal ablehnen, dann fliegen sie
raus.
Schämen sich die Leute, die Dinge beim Namen zu nennen? Oder steckt was anderes dahinter?
Prüfen wir doch mal einen aktuellen Fall. Gegenwärtig redet die Regierung von einem Sondervermögen für die Bundeswehr. Gott, ist sie denn die Regierung so reich?
Ganz im Gegenteil. In Wirklichkeit ist sie fast pleite und so handelt es sich bei dem Sondervermögen um Sonderschulden. Sonderschulden klingt nicht gut, da könnte man ja ins Grübeln kommen. Also
sagen wir lieber "Sondervermögen". Und schon kann die Regierung für das Militär einen Kredit von 100 Milliarden aufnehmen..
Eine verblüffende Zweigleisigkeit der deutschen Sprache verbreitet sich. Man wird sie bald in den Deutschunterricht der Schulen und in den Duden aufnehmen müssen..
Mittlerweile findet diese Sprachregelung auch anderswo Freunde. Das jüngste Beispiel gibt uns eine ziemlich bekannte Person in Russland. Statt vom Krieg in der Ukraine spricht sie von einer "militärischen Spezial-Operation". Und befahl, wer das Wort "Krieg" ausspricht, der landet im Gefängnis.
Nein, so weit sind wir noch nicht.
Ab 1.7. ist es wieder so weit: Rentenerhöhung.
Gut. Aber gerecht?
Nehmen wir als Beispiel eine Rentenerhöhung von 3 %. Bei einer Rente von 2000 Euro sind das 60 Euro mehr in der Tasche, bei einer 600-Euro-Rente dagegen nur 18 Euro.
Ist das gerecht? Abgesehen davon, dass der Rentner mit einer hohen Rente in seinem Arbeitsleben wohl auch das größere Einkommen hatte als der Kleinrentner (und wie es dazu kam, ist eine weitere
Frage), so erhält er zudem jedes Mal eine größere Rentenerhöhung als der Kleinrentner. Bis zu seinem Lebensende wird der Kleinrentner knausern müssen, während sich der Rentner mit der hohen
Anfangsrente Jahr für Jahr mehr leisten kann.
So vergrößert sich bei einer prozentualen Rentenerhöhung der Abstand zwischen Groß- und Kleinrente und dieser beschleunigt sich mit jeder Erhöhung (Zinseszins). Die Schere zwischen Arm und Reich weitet sich also auch im Rentenbereich.
Eine gerechte Rentenerhöhung müsste anders aussehen: die Gesamtsumme der Erhöhung wird zu gleichen Teilen verteilt. Ob Klein- oder Großrentner, jeder bekommt dieselbe Summe. Die Unterschiede zu Rentenbeginn zwischen hohen und kleinen Renten blieben bestehen. Sie würden aber nicht mehr wie bisher wachsen.
Wie immer man dazu steht, so, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Es ist Zeit, die prozentuale Rentenerhöhung abzuschaffen und nach einer gerechten Lösung zu suchen. Die jetzige Form birgt sozialen Sprengstoff.
Als ich nach Schweden kam, um dort längere Zeit zu leben, glaubte ich, mit dem allgemeinen Duzen Schwierig-keiten zu bekommen. Aber schon bald merkte ich, wie leicht es ist, auf diese Weise Menschen anzusprechen, egal ob auf einer Behörde, in einem Geschäft, auf der Straße oder in der Nachbarschaft.
Ich lernte das Duzen schnell und verstand, dass dies ein Grund war, warum in Schweden das Leben so entspannt ist und die Menschen so freundlich miteinander umgehen.
Neugierig wollte ich wissen, wie das Duzen begann. Da erzählte man mir eine kleine Anekdote:
Als der König in Stockholm erfuhr, dass in der Landschaft Dalarna sich alle duzten, wollte er das nicht glauben. Er ließ die Kutsche anspannen und fuhr hin. Den ersten Bauern auf dem Feld rief er heran und fragte: „Sag mal, stimmt das, ihr duzt alle?“
„Ja“, antwortete der Bauer, „das stimmt. Wir duzen alle, außer dir und deinem Sohn natürlich.“
Das Du verbreitete sich über ganz Schweden, aber es gab Hartnäckige, die wollten wie bisher einander nur mit der Berufsbezeichnung ansprechen. Das klang dann so: „Könnte der Herr Schornsteinfeger Johansson kommen und den Kamin reinigen?“
Um auch die letzten Du-Verweigerer zum Duzen zu bewegen, gab es in den 50ern des letzten Jahrhunderts eine Bewegung, bei der man sich eine Plakette auf die Brust heftete, darauf stand „Sie können du zu mir sagen.“ Und so setzte sich das Duzen endgültig durch.
Ich lebe wieder in Deutschland und bin irritiert, wie streitlustig und verbiestert wir Deutsche geworden sind. Wie ruhig und leicht dagegen war das Leben in Schweden gewesen. Egal ob Minister, Arbeiter, Professor, Polizist, Straßenkehrer, Richter oder Angeklagter, man duzt sich. Einzige Ausnahme: der König und seine Familie. Die duzt man nicht.
Könnten wir Deutsche nicht ähnlich entspannt und freundlich miteinander umgehen? Dazu müssten wir uns alle auf gleicher Augenhöhe begegnen.
Also duzen wir uns.
Aber wie soll das gehen, wenn selbst das öffentliche Fernsehen in einem schwedischen Film zu feige dazu ist?
Ich mag die schwedischen Krimis und ich lass mir im Fernsehen keinen davon entgehen. Sie sind gut, oft sogar sehr gut. Plot, Figuren, Landschaft... Alles stimmt. Und dann fangen die Figuren an zu reden und ich erschrecke: Gott, was ist mit den Schweden los? Denn in dem Film wird gesiezt als hätten sich die Schweden in Deutsche verwandelt.
Als ich kürzlich in einer Gesprächsrunde vorschlug, bei uns in Deutschland das Duzen einzuführen, gab es heftigen Protest: „Geduzt werden? Einfach so? Und dann noch von einem Fremden? Ich lass mich doch nicht beleidigen!“
„Dann weiß ich ein Land“, war meine Antwort „wo das nicht passieren kann. Versuch mal einen Schweden zu beleidigen, indem du ihn duzt. Er wird dich aufmerksam ansehen und darauf warten, dass du noch was sagst.“
Ja, wie kann man durch das Du beleidigt sein, wenn Duzen zum guten Ton gehört.
Offenbar herrscht bei uns noch immer das wilhelminische Klassendenken. Wie herrlich war es doch, dem anderen klar machen, wohin er gehört: zum
Pöbel. Nein, das Instrument will man sich nicht aus der Hand, genauer: aus dem Mund nehmen lassen.
Übrigens wundert es mich nicht, dass die heftigsten Befürworter des Siezens aus dem akademischen Bürgertum kommen.
Aber wie leben nicht mehr in Kaiserzeiten. Wir leben in einer Demokratie. Machen wir es also den Schweden nach: Duzen wir uns!
Fangen wir es ganz langsam an. Wie wär’s, liebes Fernsehen, du gehst voran? Lass die Schweden in ihren Filmen sich so anreden, wie sie’s im Original tun. Nimm ihnen das Duzen nicht, es verfälscht nicht nur den Film, es verfälscht ihren Charakter. Schließlich wollen wir doch Schweden sehen und nicht "Aufgedeutschte"!
Und keine Angst. Duzen gefährdet unsere Sitten nicht. Im Gegenteil. Wir so oft Zerstrittenen werden ruhiger miteinander umgehen.
Ach, könnte ich doch dem Bundeskanzler schreiben: „Lieber Olaf, ich wünsch dir viel Kraft und einen gutenl Erfolg bei deinem Wirken für ein soziales Deutschland! Ich bin ganz auf deiner Seite."
Und er antwortete: „Lieber Dieter! Ich freue mich über deine guten Wünsche! Und Dank dafür, dass du mich unterstützt."
…
Es war im SPIEGEL, glaube ich, wo zum ersten Mal das Wort „Wutbürgern“ gebraucht wurde. Damit waren die Demonstranten gegen den neuen Bahnhof in Stuttgart gemeint. Als ich das Wort las, sträubten
sich mir die Haare. Wusste der Autor nicht, was Wut bedeutet? Ein Mensch in Wut zertrümmert alles, was er zu fassen bekommt.
Ich fand die Bezeichnung für mehr als übertrieben, aber bezeichnend für die heutigen Journalisten, Sie schreiben schreierische Schlagzeilen, verwenden ausgefallene Worte, setzen oft noch „super“
dazu, um möglichst viele Leser (oder Klicks) zu bekommen.
Ich sah im Fernsehen, dass in Stuttgart hauptsächlich friedliche Menschen demonstrierten. Ja, sie waren leidenschaftlich erregt durch den geplanten Bau des Riesenbahnhofes, aber in ihren
Gesichtern und ihren Worten war nicht Wut, sondern Zorn. Wütend und aggressiv war eine Minderheit, sie stand im Mittelpunkt der Berichterstattung.
Der Begriff „Wutbürger“ verbreitete sich rasend schnell in den Medien, wer jetzt gegen die Regierung demonstrierte, war durchweg ein Wutbürger.
Mit dieser Bezeichnung waren die friedlichen Demonstranten für eine sachliche Auseinandersetzung verloren, ab sofort sahen sich die Zornbürger zu den Wutbürgern gestellt. Sie akzeptierten beim
Demonstrieren die Wutbürger, denn schließlich hielt man sie ja auch für Wutbürger.
Daran hat sich bis heute nichts geändert, obwohl Politiker und Journalisten mittlerweile zugeben, dass unter den Demonstranten auch ganz normal Menschen sind. Ja, dass sie dort sogar in der
Mehrheit sind.
Warum reden sie also noch immer von Wutbürgern?
Es ist höchste Zeit, den Begriff nur auf die Demonstranten anzuwenden, denen es nicht um die Sache, sondern um die Zerstörung der Demokratie geht.
Um die anderen nennt jetzt Zornbürger! Ihr werdet sehen, sie sind ansprechbar, mit ihnen kann man diskutieren, sie sind nämlich nicht auf Krawall gebürstet. Ja, sie sidn zornig, aber Zorn lässt
ein friedliches und gleichzeitig leidenschaftliches Streiten zu. Das kann jeder in seinem familiären Umfeld beobachten.
Höchste Zeit, dem Zornbürger Respekt entgegen zu bringen und ihn nicht mehr mit dem Wutbürger in einen Topf zu werfen.
Die Wutbürger werden bald erkennen, dass sie die Mehrheit nicht mehr auf ihrer Seite haben. Sie werden isoliert und geschwächt dastehen.
Und was die wortgewaltigen Journalisten betrifft.. Sie sollten vorsichtiger mit Worten umgehen. Wer zu sprachlichen Knüppeln greift, ist womöglich ein Wutjournalist.
Ich erlebe, wie wir im Garten seit drei Jahren immer mehr gießen müssen, um das Grün zu erhalten.
Ich sehe in den Wäldern unserer Umgebung, wie trocken der Boden ist und die Bäume ihre Abwehrkraft gegen Schädlinge verlieren..
Ich sehe, wie bei uns immer mehr fremdartige Kleintiere und Insekten auftauchen, erst kürzlich wurden hier eine sonst in Portugal lebende Riesenzecke entdeckt ..
Ich sehe die schrumpfenden Gletscher in der Schweiz und auf Island – im Fernsehen dokumentiert mit Fotos von vor 10 Jahren und von heute...
Ich sehe das Sterben von Korallenbänken, weil sich die Meerestemperatur erhöht..
Ich sehe Eisbären in der Nähe von Siedlungen auftauchen, weil das Eis unter ihnen bricht und sie keine Robben mehr fangen können..
Ich sehe, wie sich der Permafrost in Sibirien auflöst und wie in der Taiga der ausgetrocknete Wald brennt...
Und ich lese, wie immer mehr CO2 ausgestoßen wird, das Treibhausgas, von dem schon vor 20 Jahren gesprochen wurde.. Und das muss mir kein Wissenschaftler beweisen! Denn ich hab es vor Augen: die
Zunahme der immer größeren Autos auf den Straßen, der Flugzeuge über uns am Himmel. Dazu die Berichte von Riesenschiffen auf den Meeren.. von der Regenwaldzerstörung in Brasilien für die
Rinderherden zur Fleischproduktion... von den Kohlekraftwerken.. . Alle pusten CO2 oder Methan in die Luft, wo in großer Höhe die Abgase das Entweichen der Wärme in den Weltraum
behindern..
Dadurch steigt die Durchschnittstemperatur auf der Erde mit einer in der Geschichte noch nie dagewesenen Schnelligkeit.
Wenn wir nichts dagegen tun. Ich tu, was ich kann. Ich fahre Rad, ich achte auf unsere Hausbegrünung, ich esse weniger Fleisch. Und ich freue mich, dass wir von unseren Kindern, unseren Enkeln
aufgerüttelt werden. Sie sind es, auf die in den nächsten Jahrzehnten eine überhitzte Erde zukommt, wenn jetzt nicht gehandelt wird, und sie haben alles Recht der Welt, uns Alten aus den Sesseln
und vom Sofa zu scheuchen!
Ein Streitgespräch über Kriege und die Schwierigkeit,
sie abzuschaffen (Shop)
Hoffnung
Hoffnung, kleines Entelein,
werde doch ein Schwan!
(Und mein Herz wird rein
und gesund mein Zahn).
Stacheldraht hängt im Museum,
Minen kennt man nur mit e.
In Kasernen laufen rum
Kühe, euterhoch im Klee.
Ich leb mit entblößten Zähnen.
Keiner haut sie dafür ein.
Und statt eisengrauer Tränen
werd ich bunte Reime spein.
Und doch, Hoffnung… Eh’s geschieht,
wird es Herbst noch manches Mal
und manch Ochs von Jäger sieht
Enten nur als Mittagsmahl.
Wer macht die Gesetze? Die Abgeordneten natürlich. Und für wen? Für uns alle natürlich.
Ja, genau, für uns alle. Auch für die sozial Schwachen, die Arbeitslosen, die Geringverdiener. Ja, für die haben sie sogar ein eigenes Gesetz gemacht. Das Hartz-IV-Gesetz.
Im Grunde ist es ein Gesetz für die Armen. Es sind doch Arme oder? Jedenfalls im Vergleich zu den Abgeordneten, die über zehntausend Euro monatlich vom Staat bekommen. Hartz-IV-Empfänger bekommen so viel nicht vom Staat (Sozialamt, Arbeitsamt, Himmel ja.. Dieser Behördenkram! Aber Staat sind sie doch alle..). Und denen haben die Abgeordneten per Gesetz vorgeschrieben, wie viel Geld sie im Monat bekommen.
Da stellt sich doch eine Frage. Warum bekommen Abgeordnete so viel Geld vom Staat und ein Hartz-IV-Empfänger so wenig? Naja, wahrscheinlich dachten die Abgeordneten, wenn sie schon für eine besondere Gruppe von Menschen Gesetze machen dürfen, dann doch auch für die Gruppe der Abgeordneten, das ist doch gerecht. Also bestimmen sie selbst, wie viel Geld sie monatlich vom Staat bekommen. Und wie viel Geld sie im Monat brauchen, das können sie dem Staat vorrechnen.
Eigentlich kann ein Hartz-IV-Empfänger auch vorrechnen, wie viel Geld er monatlich braucht. Aber das nützt ihm nichts. Denn das Gesetz dazu machen die Abgeordneten und die haben eine ganze andere Vorstellung von dem, was ein Hartz-IV-Empfänger im Monat braucht.
Da haben wir's. Die Abgeordneten haben offensichtlich eine falsche Vorstellung vom Leben der armen Leute. Oder glauben sie etwa, die sind ein besonderer Menschenschlag, der braucht nicht viel Geld?
Nein, das glauben sie sicher nicht. Laut Grundgesetz sind die Menschen alle gleich. Aber man müsste den Abgeordneten einmal zeigen, wie man mit wenig Geld einen Monat lang lebt.
Darum mein Vorschlag: jährlich einen „soziale Monat“ für Abgeordnete einführen. In dieser Zeit sind ihre Bankkonten gesperrt, der Staat gibt ihnen als Ersatz so viel wie einem Hartz-VI-Empfänger (Miete usw. wird übernommen). Aber faulenzen dürfen sie natürlich nicht. Sie müssen ihre Pflichten als Abgeordnete erfüllen. Tun sie das nicht, wird der Hartz-IV-Betrag gekürzt. Bei Wiederholung sogar gestrichen.
Wetten, dass die Abgeordneten künftig aufpassen, wenn sie Gesetze für die sozial Schwachen machen? Schon aus Eigennutz. Damit es ihnen bei ihrem nächsten sozialen Pflichtmonat besser. Aber, bitte: Wer garantiert uns, dass sie vorher nicht irgendwo Bargeld verstecken? Und nachher sagen: Man lebt doch ganz gut von 50 Euro?
Ach, wenn man ihnen noch trauen könnte!
Es begann alles so schön. „Jeder ist seines Glückes Schmied, denk an dich, nur du bist wichtig, sei immer der Erste, dann bist du was, dann kriegst du was....“ So lauteten die Sprüche, und die waren gut, denn sie trieben die Menschen zu immer größeren Leistungen an, sodass die Wirtschaft erblühte. Man durfte aber keine Pause einlegen, sonst fiel man zurück. Man fand nicht mal mehr Zeit, ganze Sätze zu sagen, man verkürzte sie und so hieß es auch bald: „Ich zuerst!“ Und siehe, der Wohlstand wuchs und wuchs.
Hoppla. Etwas hatte man wohl übersehen. Bei dem Wettkampf gab es ja nicht nur Erste, sondern auch Zweite, Dritte, Vierte usw. und die erhielten nur die Trostpreise, während die Sieger den großen Gewinn einstrichen. Übrigens nannte man die Verlierer „die Abgehängten“, was nicht korrekt war, eigentlich müsste es heißen „die Abgekämpften“, denn sie verloren schon früh ihre Kraft oder hatten gar von Anfang an keine Kraft gehabt.
Doch, siehe, die Abgekämpften bildeten eine Gruppe und sie merkten, wie stark sie dadurch wurden. Und so riefen sie: „Wir zuerst!“ Allerdings, durch eine sonderbare Fehlleitung richteten sie den Ruf nicht gegen die Sieger, sondern gegen eine Gruppe, die leicht zu besiegen war: Fremde, Flüchtlinge, die ins Land gekommen waren.
Der Sieg über die Flüchtlinge brachte ihnen keinen Gewinn, keinen Wohlstand. Rechtzeitig wurde ein neuer Gegner entdeckt: „Schaut mal die anderen Völker.. Die nutzen uns aus!“ Und schon hieß es: „Unser Volk zuerst!“
So begann ein Wettkampf unter den Völkern, er wurde immer heftiger und dann..
Als alles in Trümmern lag, kratzte sich die Menschheit am Kopf. Na, das war vielleicht eine blöde Geschichte. „Leute, wir müssen jetzt zusammenhalten, es geht um den Aufbau..“
Und das taten die Menschen. Sie bauten auf, die Wirtschaft blühte, bald gab es anfeuernde Sprüche: „Jeder ist seines Glückes Schmied! Hol dir, was du kriegen kannst.“ Und so weiter. Die Wirtschaft erblühte, der Wohlstand wuchs. Immer schneller drehten sich die Räder, keine langen Reden mehr, ein paar Worte mussten genügen: „Ich zuerst!“ Und das wirkte. Bis eines Tages...
Naja, kennen wir. Das Auf und Ab der Menschheitsgeschichte, geht ewig so weiter.
Stimmt nicht. Es endete, als der Planet die Menschen von sich warf wie lästige Insekten.
Die letzten Tage des Kommissars
von Dieter Lenz
140 S. 180 x 115 mm, Softcover, 11,50 Euro
Es geht in zwei Erzählungen um die Genetik, um das Leben in einer digitalen Welt, um Seele und Körper, kurz gesagt: es geht um den
Menschen. Weitere Erzählungen handeln von einem schrumpfenden Dorf bei Berlin / von einem Mann, der in einer Waldhütte gegen eine Fliege kämpft / und von einer Birke, die einen Theatermann in den
Wahnsinn treibt. Und Kurztexte in Anekdotenform.
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Ja, es sind schlimme Zeiten.
Gerade jetzt brauchen wir Reden, die uns aufmuntern, die uns den Weg in die Zukunft zeigen. Mitreißende Reden, leidenschaftliche, begeisternde Reden, bei denen die Herzen höher schlagen und die
Augen zu leuchten beginnen – und nicht weiter ins Tal der Tränen führen.
Einmal gab es in Deutschland solche Reden. Hier ein Auszug aus einer Rede im Jahre 1972.
„Für J.F. Kennedy und seinen Bruder Robert gab es ein Schlüsselwort, in dem sich ihre politische Leidenschaft sammelte (...). Dieses Wort heißt ‚Compassion‘: Die Übersetzung ist nicht
einfach ‚Mitleid‘, sondern die richtige Übersetzung ist die Bereitschaft mitzuleiden, die Fähigkeit, barmherzig zu sein, ein Herz für den anderen zu haben. Liebe Freunde, ich sage es Ihnen und
ich sage es den Bürgerinnen und Bürgern unseres Volkes, habt doch den Mut zu dieser Art Mitleid! Habt den Mut zur Barmherzigkeit! Habt den Mut zum Nächsten! Besinnt euch auf diese so oft
verschütteten Werte! Findet zu euch selbst!“
Jetzt raten Sie mal, wer das gesagt hat. Ja, das war Willy Brand auf dem SPD-Parteitag 1972.
Jahre später sagte der SPD-Bundeskanzler Schröder in seiner Agenda 2010 etwas ganz anderes und die Grünen stimmten zu. Auch der heutige Bundeskanzler, ebenfalls ein
SPD-Mann, scheint die Brandt-Rede völlig vergessen zu haben.
Die SPD sollte sich beim nächsten Parteitag die Rede unbedingt noch einmal anhören. Vielleicht besinnt sie sich und macht kurz vor dem Abgrund eine Wende.
Und die anderen Politiker, die der CDU/CSU und FDP, worüber reden die? Achja, die Flüchtlingskrise. Ein Klagen, Schimpfen und Zetern und eine Hetze gegen die Schwächsten, gegen die
vor Not und Krieg Geflohenen. Wobei die FDP die sozial Schwachen in unserem Land gleich dazu packt.
Und so reiben sich die Politiker einer ganz anderen Partei die Hände. Und warten auf noch schlimmere Zeiten und schlimmere Reden.. Denn dann, so glauben sie, beginnt ihre große Zeit.
Hatten wir nicht schon mal die große Zeit?
Hierzu noch ein Zitat von Willy Brandt:
"Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben."
Ach, Willy! Steh auf!
Vor gut 20 Jahren schrieb ich ein Gedicht, es war ein Rückblick auf mein bisheriges Leben. In ihm kamen diese Verse vor:
„Nicht dass mein Fuß
Auschwitz je berührte,
doch berührte
mich Auschwitz ganz.“
Ich stellte es in ein Lyrikforum und bekam viele zustimmende Klicks. Gut zwei Jahre später las ich es noch mal und erschrak. In der Zeile „doch berührte mich Auschwitz ganz“ stand nicht Auschwitz
sondern Ausschwitz.
Keiner hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Entweder hatten alle es überlesen oder sie hielten es bloß für ein Versehen.
Ein Versehen? Zweimal s zu tippen, das kann kein Versehen sein.
Laut Wikipedia gibt es sprachliche Äußerungen, die gemeinhin als „Versprecher“, „Verhören“, oder „Versehen“ bezeichnet werden, die aber, so Freud, auf einer unbewussten Ebene durchaus Sinn
ergeben.
Und so fragte ich mich: Litt ich wirklich an Auschwitz oder wollte ich es in Wahrheit „ausschwitzen", also vergessen?
Ich fühlte mich ertappt und löschte das Gedicht, als hätte es das nie gegeben.
In einem Archiv stieß ich auf die Geschichte einer Brandmauer, die verblüffend der CDU-Brandmauer gleicht. Gern bringe ich die Geschichte in Erinnerung.
Einst war in Schilda ein ganzer Stadtteil abgebrannt, obwohl das Feuer nur in einem Haus begonnen hatte. Das Entsetzen war groß. Das durfte nicht noch einmal passieren.
Während einer Bürgerversammlung erhob sich einer, er war der Klügste von allen, er sagte: „Leute, wir müssen eine Brandmauer bauen.“
Ja, schrien alle, du hast es mal wieder. Was für ein Genie, der Mann!
Doch plötzlich gab es Unruhe. Es war eine Gruppe von reichen Hausbesitzern: „Um Himmel willen!“ schrien sie. „Wisst ihr eigentlich, was so eine Brandmauer kostet?“
Sie hatten Recht. Auch den kleinen Hausbesitzern fiel ein, dass so eine Brandmauer Kosten verursacht.
Da erhob sich der Klügste erneut und sagte: „Wir stellen zwischen die Häuser ein Schild auf und schreiben darauf: Brandmauer.“
Wieder brach Begeisterung aus, denn die Einrichtung dieser Brandmauer war sehr kostengünstig.
Somit bewiesen die Schildbürger wie schon oft, dass sie nicht nur mit jedem Problem fertig werden, sondern auch vernünftig sind und auf die Kosten achten.
Danach hatten sie keinen Grund mehr, sich vor dem Feuer zu fürchten. Im Gegenteil: sie begannen mit dem Feuer zu spielen. Ein Spiel fand besonderen Beifall: Das Zündeln an der Brandmauer.
Nicht zu glauben! "EAT THE RICH" steht da auf der Wand in Großbuchstaben mit brauner Farbe gesprüht. Offenbar ist da jemand nicht damit einverstanden, dass die Zahl der Millionäre und Milliardäre
wächst, gleichzeitig hungern immer mehr Menschen. Und deswegen sollen sie eben die Reichen essen.
Geht in Ordnung, denke ich.
Ein paar Schritte weiter finde ich, das ist keine gute Idee. Die Reichen verspeisen? Das dürfte keinem bekommen, im besten Falle verdirbt er sich den Margen, im schlimmsten Falle vergiftet er
sich.
Hat jemand schon mal geprüft, wie viel Chemikalien die Reichen brauchen, um so gesund auszusehen?
Künstliche Sonnenbräune, gestraffte Haut vom Gesicht bis zum Po, mit Botox aufgeblasene Lippen, gefärbte Haare, Pillen für ausdauerndem Sex, durch chemische Wirkstoffe vergrößerte Muskeln, im
Blut Mittel gegen das Altern und Pulver in der Nase für mehr Lebenslust. Von den heimlichen Prothesen zur Optimierung ihrer Körper wollen wir gar nicht reden.
Bei so viel chemisch-technischer Behandlung stellt sich womöglich die Frage, ob man ihre Körper im Todesfall nicht gesondert entsorgen muss.
Nein, wirklich, einen Reichen zu essen, das ist keine gute Empfehlung, Reiche gehören eher auf die Liste ungesunder Lebensmittel. Anders herum wird ein Schuh daraus. In Wirklichkeit geht
es um das Essen der Reichen. Nein, nicht um das in einem 5-Sterne-Restaurant. Kaviar, Austern und so weiter seien ihnen gegönnt.
Aber sie verfuttern unseren Planeten!
Sie vederben die Luft durch die Verdauungsgase ihrer Jets und Jachten, mit Villen, Golfplätzen und Landebahnen zernagen sie die Natur bis auf die Knochen und mit ihrem unbändigen Appetit auf
Luxus verschlingen sie die Schätze der Erde. Und dies während immer mehr Hungernde um das tägliche Brot flehen. Doch dafür sind die Reichen zu sehr mit ihrem großen Fressen beschäftigt.
Also sprühen wir etwas an die Wand,, was keinen Menschen gefährdet, aber für das Überleben des Planeten nötig ist:
Stop the food of the rich!
Stoppt das Essen der Reichen!
Und, zum Teufel, gebt den Hungernden endlich ihr tägliches Brot!
Ich hatte gerade meine Phase der Rebellion gegen die Autoritäten, alten Nazis und die USA im Vietnamkrieg. Mit einer älteren Dame hatte ich guten Kontakt, ich hatte sie auf einer Demo kennengelernt.
Während eines Besuches wollte sie wissen, wie mir eine Filmkomödie gefallen hätte. Ohne viel nachzudenken, und noch immer von dem Film belustigt, platzte ich heraus: „Es wurde gelacht bis zur Vergasung“.
Sie gab keine Reaktion von sich, sah mich lange an und sagte: „Weißt du, was du jetzt gesagt hast?“
Ich begriff es sofort, war selbst schockiert und entschuldigte mich. Die Unterhaltung ging bald darauf zu Ende.
Auf dem Heimweg fragte ich mich: Wie konnte das passieren? Ich bin kein Antisemit, Himmel, nein!! Aber wie kam ich zu diesem furchtbaren Satz? Und dann fiel es mir ein: Der Satz stammte aus meiner Kindheit, Das war gegen Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre. Damals gaben wir Kinder diesen Satz von uns, wenn uns etwas besonders lustig vorkam. Wir mussten ihn bei den Erwachsenen öfter gehört haben. Wo sollten wir diesen Satz sonst aufgeschnappt haben?
Kein Lehrer, kein Verwandter, nicht die Eltern haben uns korrigiert und uns über den wahren Sinn aufgeklärt.
Als ich die Frau anrief, um wieder einmal meinen Besuch anzukündigen, gab sie vor, leider einen Arzttermin zu haben. Noch dreieimal rief ich an, aber immer hatte sie etwas anderes vor.. Dann wusste ich Bescheid.
In ihren Augen war ich ein verkappter Antisemit, auch wenn ich noch so sehr dagegen demonstrierte. Und mit solchen Leuten wollte sie nichts zu tun haben.
Ich wünschte, ich hätte ihr noch sagen können, dass nicht ich den Satz sagte, sondern das Kind aus der Nachkriegszeit. Aber die Frau ist längst verstorben.
Warum erzähle ich das?
Manchmal frage ich mich, welcher Spruch einem Kind von heute in 20 Jahren entschlüpfen wird, zu seinem Entsetzen und dem der anderen.
In der Wendezeit hatten wir unsere Westberliner Wohnung aufgegeben und ein Häuschen im Brandenburgischen gekauft. Schon am zweiten Tag bekamen wir Besuch. Der Mann trug einen zu großen Anzug,
seine blassen Augen blickten vorwurfsvoll, und die abgenutzte Aktentasche war prall gefüllt.
Ich wollte mich als guter Wessi erweisen, bat ihn Platz zu nehmen und ließ ihn reden. Er empfahl mir, meine Ersparnisse bei einem Schweizer Fonds anzulegen, dessen Vertreter er sei. Ich bekäme
einen Zins von 12 %. Die Banken dagegen böten nur 5 %.
„Leider haben wir nichts Erspartes“, sagte ich.
„Das macht nichts“, meinte er. „Nehmen Sie einfach eine Hypothek auf das Haus.“
„Haben wir schon“, sagte ich.
„Na, dann eben noch eine zweite“, sagte er.
Es kam zu keinem Abschluss. Beim Einpacken der Broschüren murmelte er, aber so, dass ich es gut hören konnte: "Man hat Honecker in die amerikanische Botschaft gehen sehen und dann kam er mit
einem Aluminiumkoffer heraus. Er hat die DDR an die Amerikaner verkauft.“
Und dann verließ er mich mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der die Last eines weltpolitischen Geheimnisses auf den Schultern trägt.
Heute Vormittag bekam ich vom Fahrer des Eiswagens die bestellte Ware. Als ich deren Verteuerung kritisierte, meinte er: „Ja, alles wird teurer, das liegt an den Kriegstreibern, den
Amerikanern.“
„Aber einmarschiert sind doch die Russen.“ sagte ich.
Er schüttelte den Kopf: „Das sind keine Russen, sondern als Russen verkleidete Amerikaner.“
„Soso.." spottete ich. „Dann kämpfen also die Ukrainer gegen die Amerikaner?“
Sein Gesicht kam mir nahe, ich spürte seinen Atem.
„Mann! Ukrainer gibt es doch gar nicht!. Das sind Russen!“
Sprachlos bei so viel Dummheit stieg er in den Wagen und fuhr davon.
Als ich das meiner Frau erzählte, war sie zu meiner Verblüffung keineswegs überrascht.
„Du glaubst ja nie was“, sagte sie, „aber ich weiß schon lange, was wirklich passiert. Die Erde steigt in eine höhere Dimension, darum das ganze Durcheinander, aber keine Angst, bald sind wir in
einer besseren Welt!“
Bei Gott, jetzt glaube ich wirklich was, und das tut richtig weh: Mit mir stimmt was nicht! Wieso wissen alle die Wahrheit, bloß ich nicht? Bin ich etwa blind? Nein, ich denke, ich muss
einfach genauer hinsehen.
Zum Beispiel die Nacht da draußen. Die seh ich mir jetzt mal richtig an. Zuvor aber einen Schnaps. So.. Noch einen kleinen.. Na bitte! Ich hab’s! Hat nicht mal fünf Minuten gedauert. Sofort ins
Internet damit:
Leute! Die Nacht ist gar keine Nacht. Sie ist ein Tag, als Nacht verkleidet!
Es war einmal ein König, der hatte zwei Minister, einen Finanzminister, den er am liebsten hatte, und einen Klimaminister, den er weniger mochte. Außerdem sprach er ganz leise, und das war gut
so, weil er sein Volk nicht aufregen wollte. Als der König einmal das Volk mahnte, nicht mehr so viel Unfug zu treiben, wie beispielsweise Leute zu schlagen, die eine andere Hautfarbe
haben, hörte ihn keiner, und so hatte er keinen Ärger mit dem Volk.
Ein andermal, als ihm der Finanzminister sagte, man dürfe keine Schulden mehr machen, sagte der König, das Volk solle den Gürtel enger schnallen, es kämen harte Zeiten. Aber das war so leise
gesprochen, dass es keiner hörte, und das war gut so, sonst hätte der König Dresche bekommen.
Und es war zu dieser Zeit, da gelang es dem Klimaminister, sich dem König zu nähern und ihm zu sagen, Ausdünstungen und Abgase würden die Luft so heiß machten, dass überall das Eis zu
schmelzen beginne.
Der König war gnädig und sagte dem Volk, es solle brav sein und seine Kühe und Pferde nicht mehr so viel pupsen lasse. Aber das hörte keiner, und das war dem Finanzminister ganz recht, weil er
mit seinem geliebten Rennpferd gern er über Felder und Auen jagte, wobei das Pferd ganz schön pupsen musste.
Aber dann passierte etwas, dass sich sogar der König wunderte. Das Volk war nicht mehr zu sehen. Wo war es hingelaufen? Er schickte einen Späher aus und der fand das Volk hinter dem Schloss. Da
hörte es einem Mann zu, der mit lauter Stimme verkündete, er würde das Volk groß machen, größer als je zuvor, und jeder im Volke würde reich und glücklich werden.
Als der König das erfuhr, räusperte er sich, aber es war schon zu spät. Denn das Volk strömte zu seinem Schloss und er musste abdanken.
Vom Volk und dem abgesetzten König war nichts mehr zu hören. Der neue König zwang alle zum Schweigen und das nicht nur mit der lauten Stimme.
Ich bat einen mir gut bekannten Gymnasiallehrer, über die neusten Entwicklungen der deutschen Sprache eine Unterrichtsstunde abzuhalten. Er war so freundlich, meine Bitte zu
erfüllen und wies mir einen Platz in der letzten Reihe seiner Klasse an. Und so begann er mit seinem Vortrag:
„Herrschaften, wir haben heute ein interessantes Thema. In letzter Zeit hört man oft, wie einer sagt: 'Ich gehe davon aus'. Alle Naslang hört man das. Sogar in allerhöchsten Kreisen.. Was ist
will man damit sagen?
Eine Kerze, nicht wahr, geht vom Pusten aus. Und manches Ding geht von einem Knopfdruck aus. So komfortabel ist das.
Aber, bitte schön, wie ist das beim Menschen. Wovon geht der aus? Wer weiß das? Keiner?
Na, da stellen wir uns mal ganz dumm.
Herrschaften, der Mensch muss doch eine Riesenangst haben, sobald er den Mund aufmacht. Was, wenn daraus nur Blödsinn kommt? Passiert schon mal. Passiert sogar ziemlich oft. Und was dann?
Also denkt der gute Mensch: Klappe halten, sofort! Aber, Donnerwetter, der Apparat läuft weiter, er geht nicht aus.... Herrschaften! Das ist doch grauenhaft! Der Mensch kann die Schnauze nicht
halten! Wo ist denn um Himmels Willen der Ausschalter? Weiß das einer? Nein?
Na, da greifen wir einfach zur Gebrauchsanleitung.
Bloß, da ist keine. Hat der Hersteller wohl vergessen. Brauchen wir auch nicht. Der Mensch hat nämlich einen eingebauten Wackelkontakt. Da genügt ein Klaps und …Herrschaften, da hinten will uns
einer was sagen. Bitte sehr... Wie meinen? Ausgehen, das heißt mit den Füßen? Von einem Standpunkt? Also mit einem Fuß stehen, mit dem anderen gehen? Großer Gott, wie das wohl aussieht..
Junger Mann, geben Sie sich schleunigst einen Klaps, damit Sie davon ausgehen. Sie reden sich ja um Kopf und Kragen. Nein, so was, die Stunde ist rum.. Das nächste Mal, Herrschaften, behandeln
wir das allseits beliebte 'Das ist nachvollziehbar'. Stellt euch schon mal ganz dumm.“
Es war ein Herbstnachmittag, ich war bei Gunnar zu Besuch, meinem schwedischen Freund. Wir sprachen über den gegenwärtigen Balkankrieg. Er hatte in jungen Jahren Kroatien durchwandert und zu
jeder Stunde hörte er die neusten Nachrichten, als befände sich sein Häuschen an der Front.
Auf seinen Knien lag die Katze und seine schwere, schwielige Hand strich über ihr weißfleckiges Fell. Mit geschlossenen Augen genoss sie die Zärtlichkeit einer Engelhand.
Plötzlich erzählte er, wie er letzten Sonntag in der Kirche während der Predigt des Pastors aufstand und ihn bei einem Bibelzitat korrigierte. Wahrscheinlich erwartete er ein bewunderndes
Lob von mir. Aber es war eine bekannte Unart von ihm, mit seiner Besserwisserei ohne Rücksicht auf die Situation herauszuplatzen. Das sagte ich ihm und wie ein Kind, das eine Bestrafung
erwartete, sah er mich an.
Sein Blick traf mich. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten. Denn an mir haftet ein ähnlicher Fehler, allerdings das Gegenteil von seinem: Ich schweige oft, wo ich reden sollte..
Und dann sagte er: „Weißt du, woher ich mich in der Bibel so gut auskenne?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, begann er aus der Zeit des 2. Weltkriegs zu erzählen. Zwar war Schweden neutral, hielt
aber eine starke Armee von Wehrpflichtigen und eines Tages wurde er einberufen. Er war Pazifist, weigerte sich, den Drill mitzumachen, so dass er die meiste Zeit im Arrest saß und da gab es
nichts anderes zur Unterhaltung als eine Bibel.
Er hatte aufgehört, die Katze zu streicheln, da mauzte sie, und während er sie wieder zu streicheln begann, murmelte er: „Rechts rum! Links rum! Aufstehen! Hinlegen! …So fägt Krieg
an.“
Wenig später saß ich auf meinem Fahrrad. Der Mond färbte die Sandstraße knochenweiß. In seinem Gesicht stand stummes Entsetzen. Ich radelte, so schnell ich konnte, aber ich bekam ihn nicht los
und als ich die nachtdunkle Hütte betrat, war ich bereit, für die kalte Umarmung des Winters.
Mein schwedischer Freund war ein Wanderer zwischen den Welten und so war er auch in den Sprachen bewandert, besonders in der deutschen. Ihm fiel sofort auf, dass unsere Sprache zu unserem Unwohlsein beiträgt und er nannte mir auch gleich, was an ihr zu ändern sei, damit es uns bald so gut gehe wie den Menschen in Schweden.
„Erstens“, sagte er, „müsst ihr das Siezen abschaffen. Wenn ihr euch alle duzt, gibt es kein Oben und kein Untern und man kommt sich näher. Ihr werdet sehen, wie leicht dann das Zusammenleben wird.
Zweitens, da du gerade Schwedisch lernst, such nicht im Lexikon nicht nach dem schwedischen Wort für „fressen“ suchen, das gibt es nicht. Denn Menschen und Tiere essen auf gleiche Art, jedenfalls in Schweden. Bei uns gibt es nur ein Wort für „essen“, nämlich „äta“, und das gilt für Mensch und Tier.“
Jetzt aber protestierte ich: „Hast du schon mal Tiere mit Gabel und Messer essen sehen? Also bitte!“
„Jaso“, sagte er, „ich dachte, wir alle essen mit Mund und Zähnen, wie es die Natur verlangt. Das solltest du auch so sehen, vielleicht bekommst du dann ein besseres Verhältnis zu den Tieren.“
Und dann fragte er mit einem schrägen Seitenblick: „Sag mal, bei euch heißt es doch „das“ Mädchen. Kommen in Deutschland die Mädchen geschlechtslos zur Welt? Bei uns sind sie vom ersten Atemzug an weiblich, darum nennen wir ein Mädchen auch „flickan“, und nicht „flicket“. Handelt es sich bei euch möglicherweise um einen nationalen Defekt? Und wie heilt ihr ihn? Denn es gibt doch schließlich Frauen bei euch!“
„Natürlich“, knurrte ich, „sie brauchen zur zu heiraten, dann sind sie Frauen.“
„Jaso“, sagte er. „In Deutschland ist also Heiraten die magische Verwandlung eines Mädchens in eine Frau. Wie in einem Märchen. Aber was passiert dann euren Jungs, wenn sie heiraten? Männlich sind sie ja schon? In was verwandeln die sich?“
Ich schwieg. Und schimpfte im Stillen auf meinen Deutschlehrer, der uns dieses Rätsel nicht erklärt hatte.
„Mir scheint“, sagte mein Freund und beendete das Gespräch, indem er sich einen Bonbon in den Mund steckte, „ihr Deutschen habt noch einiges zu lernen. Fangt mit der Sprache an. Sagt nicht mehr „das“ Mädchen, sondern „die“ Mädchen, Mehrzahl „Mädchens“. Wirst sehen, das macht auch die Frauen glücklicher.“
Ich versprach es ihm.
Das war vor 50 Jahren. Nichts hat sich geändert.
Es waren drei Personen an der Bushaltestelle, ich und ein junges Pärchen. Da kam eine Frau vorbei, spuckte dem Mädchen ins Gesicht, zischte „Hure“ und ging weiter.
Das Mädchen wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und sagte ihrem erschrockenen Freund: „Eine reinrassige Deutsche“.
Ich vergaß zu sagen, dass der junge Mann ganz dunkle Haut hatte.
Ich wollte mich für die Frau entschuldigen, aber da kam der Bus, das Pärchen stieg ein, ich musste auf meinen warten.
Den ganzen Tag schämte ich mich, für das, was passiert war. Und nachts grübelte ich über die Frage, ob ich reinrassig sei. Da erschien eine weiße Gestalt mit einem schleierverhüllten Gesicht und
eine weibliche Stimme sagte: „Ich will dir etwas zeigen. Komm!“
Und plötzlich waren wir im Norden, in Skandinavien, bei einen Mann mit Helm und Motorsäge, der war beim Fällen einer Fichte, den fragte sie, wer ich wohl sei. Mit einem flüchtigen Blick zu
mir sagte er, er kenne solche Typen, ich sei ein Südländer, mache Lärm, könne den Mund nicht halten, sei ungeduldig und schaffe nur Unruhe. Kurzum, ich würde allen auf die Nerven gehen.
Im nächsten Augenblick waren wir in Italien. Der Mann saß am Wegrand neben einem Korb voller Weintrauben und antwortete auf ihre Frage, ich sei ein typischer Nordländer, hätte kaltes Blut,
sei für Späße nicht zu haben, aber diszipliniert und fleißig.
Kaum hatte er ausgesprochen, waren wir in Moskau und stießen vor einem Warenhauses auf eine Frau im Pelzmantel, sie hätte nicht viel Zeit, sagte sie, aber sie sehe sofort an meiner blassen Haut,
ich sei ein verweichlichter Westler, der statt Männer beim Boxen den Frauen beim Ballett zusehe und lieber Wein als Wodka trinke, und überhaupt, wieso ein Franzose dazu käme, sie mit solchen
dummen Fragen aufzuhalten?
Und schon waren wir in Paris. Eine hübsche Blumenverkäuferin stellte Blumen vor den Laden, sie sagte seufzend, ich sei bekannt dafür, die Menschen durch mein bärenhaftes Auftreten zu erschrecken.
Außerdem rede ich zu laut und zu lange, dabei rege ich mich schnell auf und sei ich doch mal friedlich, dann nur weil ich eine depressive Phase hätte.
Auf einmal lag ich wieder im Bett und die Gestalt sagte: „Ich bin Germania, deine Mutter.“ Sie hob den Schleier. Sie hatte ein pausbäckiges Gesicht, aber der Blick erinnerte mich an meine Mutter.
Und dann sagte sie: „Jetzt weißt du, was du bist. Du bist ein Kind vieler Väter.“
„Das ist unmöglich!“ rief ich verstört.
„Na, dann schau dir mal die Landkarte an!“ antwortete sie. „Wer von Ost nach West musste oder von West nach Ost oder von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord, der musste auf mich stoßen.
Ein ganz schöner Verkehr, mein Lieber. Aber die Hauptsache ist, du hast nur eine Mutter und das bin ich. Und außerdem kannst du dich glücklich schätzen“, fuhr sie fort, „du hast die
Eigenschaften von verschiedenen Vätern, das ist ein Reichtum, nutze ihn und jammere nicht!“ Und sie verschwand.
Als ich am Morgen erwachte, kam mir die Welt schön und leicht vor, ich aß zum Frühstück ein Baguette mit Blaubeermarmelade. Am Nachmittag setzte ich mich mit einem Glas Rotwein in den Garten und
las einen Roman von Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita.
Ich war glücklich.
In meiner Ferienhütte war nur ein kleines Fernsehgerät, aber es reichte. Es stand nahe bei einem Fenster, so dass ich mal auf den Schirm und mal nach draußen sehen konnte. Einmal sah ich
eine Natursendung, und plötzlich - ich blickte hin und her – sah ich deutlich, dass die Linde vor meinem Fenster und der Wald dahinter unterbelichtet waren. Auf dem Bildschirm waren die Bäume und
Büsche nicht einfach grün, sie strahlten grün, während draußen die Farben geradezu stumpf aussahen.
Schäm dich, Natur, dachte ich, im Fernsehen ist die Natur viel besser.
Sie kann nichts dafür. Diese Natur war ein Fake. Und erinnerte mich an meine Zeit in einer Werbeagentur.
Ich durfte dabei sein, als der Werbefotograf das Produkt für die Aufnahme bearbeitete. Nicht nur, dass er es richtig ausleuchtete, es wurde geputzt, lackiert, befeuchtet. Dem Betrachter lief
später beim Anblick des Fotos auf der Anzeige das Wasser im Mund zusammen. Heikel bloß, dachte ich, wenn der Käufer die Wurst auspackt. Sie wird blass aussehen. Aber, wie es schien, keiner merkte
den Unterschied. Die Wurst wurde in Massen gekauft.
Heute geht das viel einfacher. Man hat ein Fotobearbeitungs-Programm im PC oder auf dem Smartphone und verschönert das Bild. Und schon entsteht eine Welt, in der der Dreck an den Schuhen so schön
aussieht wie die gepflegte Haut eines Models.
Mittlerweile hat der Verschönerungsrausch die Menschen ergriffen. Fernsehen und Smartphone zeigen geschönte Menschen und die Fans und Followers strengen sich an, durch Selbstoptimierung wie sie
auszusehen.
Das ist mühevoll, aber der Mensch ist kreativ, vor allem, wenn sich daraus ein Geschäft machen lässt, und so werden Elon Musk, Google und Meta uns die Mühe abnehmen, sie werden uns Brillen mit
einem Verschönerungsprogramm verkaufen. Wer sie trägt, wird – wo immer er geht und steht – nur bildschöne Menschen sehen. Und eine verschönte Welt gleich dazu. Schon heute gibt es ja eine
virtuelle Welt, die man sich schön machen und in die man fliehen kann
Ich bin sicher, in ein paar Generationen werden die Menschen virtuell geboren. Sie werden die ersten sein, die fröhlich in der schönsten aller Welten leben – während um sie herum alles in
Schutt und Asche liegt.
Wieso fällt mir jetzt das Lied von Pippi Langstrumpf ein?
Unser Kindheitstraum. Endlich.
Gestern streute ich unter den kahlen Apfelbaum Vogelfutter aus. Kaum war ich oben in meinem Zimmer am Fenster, sah ich unter dem Apfelbaum den ersten Vogel sich pickend über das Futter hermachen. Der Größe und dem schwarzen Gefieder nach ein Amselmännchen. Dann kam eine kleine Meise, noch eine, dann Spatzen und immer, aber sie kamen nicht ans Futter. Denn immer wenn einer der Winzlinge näher kam, schoss die Amsel auf ihn los und verjagte ihn. Dann landete neben ihr die zweite Amsel und die Meisen und Spatzen bekamen es auch noch mit ihr zu tun.
Und dann geschah etwas. Die Meisen und Spatzen stellten sich in Front zu den Amseln.
Das war merkwürdig. Ich ging hinunter und als ich fünf Meter vor dem Apfelbaum stand, hörte ich die kleinen Vögel piepen. Durch den zagen Ton, der mir bekannt vorkam, verstand ich sofort, was sie sagten: „Gerechtigkeit!“
Die beiden großen Vögel stellten sich in Position und das in einer elitären Haltung, die mir bekannt vorkam, so dass ich ohne Schwierigkeit heraushörte, was sie da pfiffen: „Sozialneid, was?“
Mich ärgert dieser Begriff seit jeher, und so sagte ich laut (und hoffte, die Amseln würden es am Klang meiner Stimme verstehen): „Verflucht noch mal, könnt ihr nicht abgeben?“
Worauf vor Schreck sämtliche Vögel davon flogen.
Ich überlegte. Gerechtigkeit ist doch einfach zu machen: Gib jedem seinen Essplatz und sein eigenes Essen. Amseln zum Beispiel sind Bodenpicker. Sollen sie unter dem Apfelbaum ruhig weiterpicken. Für die anderen Vögel hängte ich ein Vogelhäuschen in den Apfelbaum und füllte es mit Sonnenblumenkernen. Auf der Haustreppe sah ich mich um und konnte mit Freuden feststellen, dass die ersten Meisen ins Häuschen aus- und einflogen.
Ich ging in mein Zimmer, setzte mich an den Schreibtisch. Nach einer Weile trat ich ans Fenster und sah hinaus. Sich ans Vogelhäuschen anklammernd, schielte eine Amsel in die Futterluke.
Es heißt, die Aggressivität steckt in uns. Ein Erbe aus unserer Vorzeit. Wenn das so ist, dann bleibt uns nichts anderes zu tun, als sie zügeln. Aber was machen wir? Wir fördern sie. Ja wie denn?
Ganz einfach. Wir machen daraus ein Event. In Filmen, Videospielen, auf der Bühne und im Boxring. Bei manchen Gewaltszenen in einem Film sind Filmkritiker geradezu begeistert. Weil die Szenen so
ästhetisch gelungen sind.
Hier ist die Gewalt nicht ordinär, sie hat Niveau. Nach der Devise: Zeigt Stil bei der Gestaltung der Blutlachen! Zelebriert den Tatvorgang in allen Einzelheiten! Lasst ihn am besten wie eine
antike Opferung aussehen. Denn wir haben einen sehrt verfeinerten Geschmack.
Sicher wird man in den Feuilletons bald von einer Gewaltkultur reden.
Ach Gott. Die Wahrheit ist viel simpler. Wir sind der Gewalt verfallen. Wir sind süchtig nach ihr. Wir verlangen nach Mord und Totschlag.
Was der Mensch beim Zusehen einer Gewalttat empfindet, ist letzten Endes die lustvolle innere Beteiligung an ihr.
Und das nutzt die Wirtschaft aus. Sie hat schon immer verstanden, sich die Lüste des Menschen nutzbar zu machen. Wer dem Alkohol oder dem Nikotin erlegen ist, der kommt da nur schwer wieder raus.
Und so ist auch die Gewalt längst ein profitables Geschäft.
Wiehert da nicht wer im Hintergrund, womöglich einer aus der Waffenindustrie?
Auch die Kriege gehören dazu. Deren Verursacher, die mächtigem Kriegslüsternen, verfügen über die Mittel, ihre Gewaltsucht durch das Gemetzel von Menschenmassen zu befriedigen. Und wie alle
Süchtigen wissen sie ihre Sucht zu tarnen. Sie umhüllen sie mit dem Mantel der Religion oder dem Tuch einer Nationalflagge.
Und so geht es weiter: Es wird Filme mit immer längeren Gewaltszenen geben, so dass wir vor Erregung mit den Füßen stampfen, man wird Video-Spiele entwickeln, die uns Blut ins Gesicht
sprühen, und in den Arenen werden brutale Sportarten bei den Zuschauern Rasereien auslösen. Das alte Rom ist wieder da.
Was soll uns noch hindern, Gewalt selbst auszuüben?
Am Ende bringen wir uns um. Das wäre das Höchste. Die Gewalt am eigenen Leibe erleben.
Siehe auch die satirische Krimikomödie: Heute wird gemördert.
Wenn heute einer schimpft, ist er ein Wutbürger, so steht’s in den Zeitungen, so hört man's im Radio.. Zwar gibt es davor noch den Zorn. Aber Journalisten haben keine Zeit für Unterschiede. Und
zweitens: Das Wort muss knallen. Dann wird man gelesen und gehört. Eigentlich sind es dann Wut-Journalisten. Aber das würden sie sich verbitten. Sie würden sagen, wir übertreiben ein bisschen,
und das muss sein wegen der Zeitungsauflage oder der Zuschauerquote beim Fernsehen. Wütend sind sie eigentlich nicht.
Jedenfalls, das Wort ist einmal da und mittlerweile möchte jeder ein Wutbürger sein.
Ohne Wut geht man nicht mehr aus dem Haus. Man will schließlich respektiert werden. Das Wort Wutbürger als Titel ist fast schon besser als ein akademischer Titel. Sollte man auf seine
Visitenkarte drucken lassen.
Selbst die Dinge könnten bald mit dem Wort "Wut" versehen werden, um sich neue Käuferschichten zu erschließen, wobei ich hier keine Anbiederung an eine besondere Schicht unterstellen will. Z.B.
Wut-Ei (zum Werfen auf Redner), Wut-Handschuhe (Boxhandschuhe für Handgreiflichkeiten), Wut-Bier (um sich für eine Demonstration fit zu machen) und so weiter.
Heute Morgen startete ein Auto vorm Haus mit einem Höllenlärm, ich hörte, wie das Auto schrie: „Ich bin ein Wut-Auto!“
Also nein... So was von Einbildung.
„Bist du nicht, du Knallkopp“, schrie ich zurück. „Du hast bloß einen idiotischen Fahrer, das ist alles!“
Na, wenn das kein guter Wutbürger war! Wenn ich will, kann ich’s auch.
Aber ich will’s gar nicht. Warum? Ich verrat Ihnen was: Ich war mal wütend. Na, ich hab mich furchtbar verletzt, als ich den Hammer gegen die Wand schmiss. Er prallte ab und mir auf den
Fuß.
Ich überlass die Wut den anderen. Es ist ja meistens nur Zorn. Ein echt wütender Bürger ist mehr besoffen als wütend. Naja, auch gefährlich. Mein Tipp: Lasst ihn mit einem Hammer einen Nagel
einschlagen. Und keine Schuhe tragen.
Auch im Podcast zu hören: Trommeln-im-Elfenbeinturm
Es klingelt. Schon wieder ein Paket aus einer Online-Bestellung. Es ist für einen Nachbarn, der nicht da ist. Ich bin Rentner, ich bin immer zuhause, ich kann das Paket annehmen.
Es ist das dritte Paket und es ist noch nicht Mittag. Ich glaube, in diesem Jahr habe ich schon an die fünfzig angenommen.
Jetzt was anderes, ich muss ein Versprechen halten. Es handelt sich um ein Märchen von den Gebrüdern Grimm, das König Ernst August verboten hatte und daher nie bekannt wurde. Heute Nacht erschienen mir die Gebrüder und überreichten mir das Märchen mit der Bitte, es aller Welt kundzutun, es sei höchste Zeit. Dann hörte man einen Krückstock klopfen, ich glaube das war der König, und sie verschwanden.
Versprochen ist versprochen, hier also das Märchen. Es heißt „Der Mensch und die Gier“
Es war einmal ein Wesen, halb Tier und halb was anderes, Mensch genannt, und als das Wesen zum ersten Mal die Augen aufschlug, saß neben ihm der Hunger und der sagte: Ab heut gehörst du mir. Schaff mir jeden Tag was zu essen, dann wirst du gut leben. Und der Mensch zog los, um für den Hunger Nahrung zu finden und lebte einigermaßen gut dabei Das ging viele tausende Jahre so, bis der Mensch in die Zivilisation eintrat, das war ein richtiges Wunderland, wo jeder sich Mühe gab, nett zu sein. Man mochte das Böse nicht und weil der Hunger böse war, begann man ihn abzuschaffen. Man gab ihm so viel Nahrung, dass er vor Sattheit einschlief. Nur bei schlechtem Wetter wachte er manchmal noch auf.
Aber der Hunger hatte den Menschen durchschaut. Heimlich steckte er ihm einen seiner Reißzähne in die Tasche, und das war sein Kind: die Gier.
Das Kind hatte einen anderen Appetit als der Hunger, es wollte kein Brot mit Käse oder Kartoffeln mit Fleisch, es verlangte nach Reichtum, Besitz und Macht. Es machte ein großes Geschrei und einige Menschen, die für das Geschrei empfindlich waren, begannen sogleich Gold heranzuschaffen, bauten Schlösser und Paläste zum Wohnen für sich und die Gier und übten Macht aus über alle, die kein Gold hatten. Diese Menschen nannte man Könige.
Hier endet der Text. Wahrscheinlich schlug da der König den Grimm-Brüdern auf die Finger. Aber die Gebrüder steckten mir die Fortsetzung zu. Offensichtlich gibt es auch im Jenseits Papier, Feder und Tinte.
Also weiter im Text. Hören Sie gut zu. Jetzt wird es spannend.
Die Gier wuchs heran, ging in die Schule, auf die Uni, wurde gebildet, kultiviert, und hatte eine Art, die man sexy nannte, was immer das bedeutet, aber das war’s wohl, warum die Könige sie zur Frau nahmen. Diese Könige hießen jetzt Superreiche. Sie flogen über den Wolken mit silbernen Flugapparaten, in denen es wie in einem Schloss aussah, sie kreuzten auf Meeren in weißen Schiffen, auch die sahen drinnen wie Schlösser aus, und sie bauten sich Häuser ganz wie richtige Schlösser, draußen wie drinnen. Das alles verdankten sie der Gier, mit der sie verheiratet waren, und wenn sie ihr auch noch so hübsche Kleider anzogen, sie war doch ein Reißzahn des Hungers. Man musste ihr Futter geben, so gab man ihr, was sie verlangte. Sie trank das Blut der Erde, riss an ihrem Eingeweide und mit ihrer rauen Zunge leckte sie am saftigen Grün der Erde. Das war den Superreichen egal, Hauptsache es ging ihnen gut, selbst dem Volk ging es ganz gut, denn seine Gier bekam auch was ab von der Erde, drei Happen davon stehen bei mir im Flur.
Nur der Erde ging es nicht gut. Erst fielen ihr die Haare aus, das waren die Wiesen und Blumen, danach vertrocknete ihre Haut zur Wüste und am Ende brachte der heiße Atem des Raubtiers die Erde zum Brennen. Und wenn die Menschen nicht gestorben sind..
Entschuldigung, es klingelt. Ach... Ein Paket für einen Nachbarn.
Aus Personalmangel werden im öffentlichen Dienst seit einiger Zeit Roboter eingesetzt. Es heißt, diese Roboter gähnen und seufzen wie ihre menschlichen Kollegen, sind also von ihnen nicht zu
unterscheiden.
Eine gute Lösung des Personalproblems, so scheint es, im Ergebnis freilich zerstört es eine Jahrhundert Jahre alte Tradition. Gab es Schwierigkeiten bei einer Genehmigung, da half
eine freundliche Geste den Sachbearbeiter über die Stolperschwellen hinweg: ein kleiner Beitrag für die Kaffeekasse, bei größeren Schwierigkeiten die Kostenübernahme für einen Flug nach den
Bahamas und bei ganz großen Problem das Sponsern der Renovierungskosten des Haues des Sachbearbeiters. Das hatte sich bisher ganz gut bewährt.
Und heute? Stellen Sie sich vor, Sie haben da einen Antrag der schwierigen Art. Das Gespräch verläuft wie gewohnt. Beim Abschied lassen Sie mit dem Antrag ein kleines Couvert mit Inhalt auf dem
Schreibtisch liegen. Ich sage Ihnen, noch ehe Sie die Tür erreicht haben, packt man Sie am Schlafittchen. Kein Wunder! Der Sachbearbeiter war kein Mensch, sondern ein Roboter.
Aber lassen Sie sich nicht entmutigen! Der Mensch ist eben doch intelligenter als ein Roboter. Sie müssen einfach vor Abgabe des Antrages feststellen, ob der Sachbearbeiter ein Roboter oder
Mensch ist.
Und das geht so:
Rein zufällig begegnen Sie ihm auf der Straße, ziehen Ihr Taschentuch aus der Jacke, um sich die Stirn zu wischen, dabei entfällt Ihnen ein 50-, besser noch 100-Euroschein. Wenn Sie nach zehn
Schritten nichts hören, biegen Sie in eine Seitenstraße, äugen um die Ecke. Ist die betreffende Person verschwunden, eilen Sie an den Ort des Verlustes. Nichts mehr da? Großartig! Der
Sachbearbeiter ist ein Mensch im Sinne guter, alter Tradition!
Stellen Sie am nächsten Tag Ihren Antrag. Glauben Sie mir, nach guter alter Tradition werden Sie ihn genehmigt bekommen.
„Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“
Ich musste an das Brecht-Zitat denken, als ich mit Gunnar auf der Veranda saß. Aber hier in Schweden konnte man ohne schlechtes Gewissen über Bäume reden, es war die Zeit von Olaf Palme.
Es war ein sonniger Junitag, die skandinavische Sonne legte ihre Wärme wie eine wohltuende Hand auf unser Gesicht, und in der Ferne glich der glitzernde See einem Augenschlitz unter dem dunklen
Lid des Waldes.
Von der Linde kam bisweilen ein Dufthauch der Blüten, der Baum schien zu brummen, das waren die geschäftigen Bienen bei ihrer Arbeit. Gunnar hatte mir die Linde vor gut 20 Jahren geschenkt.
Gemeinsam pflanzten wir sie an die Grundstücksgrenze zum Feldweg, den der Bauer für seine Felder benutzte.
Und jetzt saßen wir da wie zwei Väter, die wohlwollend ihr erwachsenes Kind begutachteten
„Erinnerst du dich", sagte ich, „es war im zweiten Jahr, da hatte sie jemand mit der Axt gespalten. Ich hab dich gerufen und du hast sie oben zusammengebunden. Sieh sie dir jetzt an: Du hast sie
gerettet, Gunnar.“
Er lächelte und dann sagte er etwas, was mich keineswegs überraschte: „Redest du mit ihr?“
Es war allen bekannt, dass er mit den Tomatenpflanzen in seinem Treibhaus sprach, und jedes Mal brachte er eine Menge der prächtige Früchte dem Dorfhändler zum Verkauf.
„Nein", antwortete ich, „aber ich kann sie hören. Ihr Gerede klingt manchmal wie Straßenverkehr, aber meistens rauscht es wie ein Wasserfall."
„Ist sie nicht herrlich?" murmelte er. „Denk dir, wenn jeder Mensch ein Blatt am Baum wär, dann wär der Stamm das Leben. Und im Wind bewegen sich alle gleich, es ist eine große Einheit zwischen
den Blättern."
„Ja, aber nicht bei uns Menschen!" sagte ich. „Da will jeder mehr haben als der andere, besser leben als der andere, mehr sein als der andere. Dabei ist es überall dasselbe Leben, ob in schwarzer
oder weißer Haut, ob im Fleisch des Reichen oder in den Knochen des Armen. Das sollten wir doch endlich kapieren.“
Eine Weile sah Gunnar mich schweigend an, dann kniff er ein Auge zu, stieß seinen harzigen Finger zweimal gegen meine Schulter und sagte: „Weißt du was? Du bist ein Kommunist.“
Dann kamen wir wieder auf die Linde zu sprechen. Wer sie hatte töten wollen, konnten wir nicht erfahren. Auch über den Grund seiner Tat rätselten wir.
„Hör mal", sagte ich. „ich glaube, ich weiß jetzt, wer das war", und erzählte, was ich vor ein paar Tagen erlebt hatte.
Durchs Fenster sah ich einen kleinen alten Mann wie ein Rumpelstilzchen zwischen den Bäumen herumhuschen, wobei er gelbe Stangen in den Boden steckte. Sofort ging ich hinaus und fragte, was er da
täte. Ich musste neben ihm herlaufen, weil er seine Arbeit nicht unterbrach. Er lasse Fichten in seinem Wald fällen und grenze mein Grundstück ab,
stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Woher er meine Grenze so genau kenne? fragte ich.
„Dein Grundstück gehörte mal zu meinem Wald.“
Ich hatte kein gutes Gefühl und als er verschwunden war, radelte ich zur Nachbarin und fragte, wer dieser Mann gewesen sei. Sie kenne ihn, sagte sie. Er sei der reichste Bauer der Gemeinde,
besitze fast alles in der Umgebung und wegen seines Geizes sei er bei allen unbeliebt.
Misstrauisch geworden, ging ich die Grenzen meines Grundstückes ab, von Grundstein zu Grundstein. Tatsächlich, die meisten Stäbe standen über einen Meter tief auf meinem Grundstück. Ich setzte
sie zurück und blieb so im Besitz von einem Dutzend großer Fichten.
„Bestimmt war es dieser Bauer, der wollte eigentlich mich weghaben aus seinem Wald.“
„Und das“, sagte Gunnar und nickte bedeutungsschwer, „das ist ein Kapitalist!“
Die Jahre vergingen. Olaf Palme wurde ermordet, mein Freund starb, auch der geizige Bauer ist schon lange tot, ich musste meine Hütte verkaufen und heute ist die Zeit wieder wie zu Brechts Zeiten. Warum rede ich dann noch über einen Baum? Weil das Gespräch in einer Zeit und in einem Land stattfand, wo das Reden über Bäume noch nie ein Verbrechen war, lang ist es her.
Sie waren Rentner auf dem Land und da sie kein Auto hatten, bestellten sie alles Nötige per Internet. Weil sie erblindet war, sagte er ihr, was er im Internet sah, und dann genügte ein Nicken von ihr und er drückte den Kaufbutton. Später befühlte sie mit den Händen die gelieferte Ware: gehäkelte Zierdeckchen, Vasen in vielerlei Formen, Mokkatassen, Kaffeekocher, Schuhe, Blusen, Handtücher, diverse Gürtel und Broschen, Nippsachen und vieles mehr.
Eines Tages sagte sie, sie sei es müde, die Dinge zu berühren. Schließlich fragte er sie, ob er überhaupt noch etwas bestellen solle, sie hätten doch schon alles. Sie widersprach, und so las er weiter aus dem Internet vor, doch wenn sie jetzt nickte, schien es ihm, als würde sie nach Gutdünken nicken, ohne viel nachzudenken. Das war ihm rätselhaft, aber weil sie darauf bestand, tat er ihr die Freude.
Ja, wäre ein anderer als er zum Auto gegangen, um die Pakete entgegen zu nehmen, dann hätte er sehen können, warum dies alles geschehen musste.
Denn wenn sie durch das offene Fenster hörte, wie bedächtig ihr Mann dem Boten das Paket abnahm, den Empfang bestätigte und dem Boten ein Trinkgeld gab, worauf sich dieser mit einem Dank bis zum nächsten Mal verabschiedete, dann lächelte sie.
Es waren Klänge aus der großen, fernen Welt, und sie konnte vor ihren Augen das Gewimmel der Menschen sehen.
Da laufen sie herum mit dem Smartphone vor
der Nase auf der Suche nach dem
nächsten Post oder dem nächsten Video.
(Wann gibt es den Nasenhalter fürs
Smartphone?)
Und sie starren auf etwas, von dem sie
nichts haben. Rein gar nichts haben sie! Sie
können es weder anfassen, noch riechen und
der Blick ist äußerst begrenzt, sie sehen
nur das, was man ihnen zeigen will, nicht
das Drumherum.
Zu Tausenden postet man sich appetitlich
gefüllte Teller zu. Und klickt begeistert ein
Herzchen drunter, ein Smiley, ein
Like.
Es ist wie im Märchen mit dem Kaiser ohne
Kleider. Alle beglückwünschen den
Kaiser zu seinen Kleidern. Aber wehe, da
kommt ein kleines Kind und ruft: „Ätsch! Er
ist ja nackt!“
Genau das könnte man dem zurufen, der so
einen gefüllten Teller sieht:
„Menschenskind! Das kannst du doch gar
nicht essen!“
Was geht da eigentlich vor? Das muss doch
einen Sinn haben? Einen Zweck? Denn
schließlich kostet das Starren auf den
großen oder kleinen Bildschirm und das
Anklicken unsere Zeit und unsere Kraft.
Was bekommen wir dafür?
Nichts. Im Gegenteil. Uns wird etwas
genommen. Post für Post wird unser Leben
reduziert. Bald leben wir mehr in der
Fiktion als in der Wirklichkeit.
Wieso tun wir uns das an? Wir besitzen
doch Sensoren, die jeder Technik überlegen
sind: unsere Sinne. Wir können riechen,
wir können fühlen, wir können schmecken,
können hören und können sehen, was immer
auf der Welt zu sehen ist!
„Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, vom
goldnen Überfluss der Welt!“ schrieb
Gottfried Keller in seinem
Abendlied.
Ein Abendlied. Und tatsächlich: Fühlt es
sich nicht an wie eine Menschendämmerung?
Wir reden vom Klimawandel. Aber es gibt
auch einen Menschenwandel. Und wie
beim Klimawandel, beginnt auch dieser
Wandel schleichend und wird erst kurz vor der
Katastrophe sichtbar sein.
Wir sind in Gefahr, zu Bits und Bytes zu
werden.
Für unseren Körper brauchte es eine
Entwicklung von Milliarden von Jahren.
So ein Produkt gibt man doch nicht einfach
so auf.
Mensch, renaturiere dich!