Ich hatte gerade meine Phase der Rebellion gegen die Autoritäten, alten Nazis und die USA im Vietnamkrieg. Mit einer älteren Dame hatte ich guten Kontakt, ich hatte sie auf einer Demo kennengelernt.
Während eines Besuches wollte sie wissen, wie mir eine Filmkomödie gefallen hätte. Ohne viel nachzudenken, und noch immer von dem Film belustigt, platzte ich heraus: „Es wurde gelacht bis zur Vergasung“.
Sie gab keine Reaktion von sich, sah mich lange an und sagte: „Weißt du, was du jetzt gesagt hast?“
Ich begriff es sofort, war selbst schockiert und entschuldigte mich. Die Unterhaltung ging bald darauf zu Ende.
Auf dem Heimweg fragte ich mich: Wie konnte das passieren? Ich bin kein Antisemit, Himmel, nein!! Aber wie kam ich zu diesem furchtbaren Satz? Und dann fiel es mir ein: Der Satz stammte aus meiner Kindheit, Das war gegen Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre. Damals gaben wir Kinder diesen Satz von uns, wenn uns etwas besonders lustig vorkam. Wir mussten ihn bei den Erwachsenen öfter gehört haben. Wo sollten wir diesen Satz sonst aufgeschnappt haben?
Kein Lehrer, kein Verwandter, nicht die Eltern haben uns korrigiert und uns über den wahren Sinn aufgeklärt.
Als ich die Frau anrief, um wieder einmal meinen Besuch anzukündigen, gab sie vor, leider einen Arzttermin zu haben. Noch dreieimal rief ich an, aber immer hatte sie etwas anderes vor.. Dann wusste ich Bescheid.
In ihren Augen war ich ein verkappter Antisemit, auch wenn ich noch so sehr dagegen demonstrierte. Und mit solchen Leuten wollte sie nichts zu tun haben.
Ich wünschte, ich hätte ihr noch sagen können, dass nicht ich den Satz sagte, sondern das Kind aus der Nachkriegszeit. Aber die Frau ist längst verstorben.
Warum erzähle ich das?
Manchmal frage ich mich, welcher Spruch einem Kind von heute in 20 Jahren entschlüpfen wird, zu seinem Entsetzen und dem der anderen.