Das Gedicht ist ein Ereignis wie ein schießender Stern
oder der Schrei aus dem eigenen Mund,
an dem wir in der Nacht erwachen.
Germanist Peter von Matt,
Zitat aus Tagesspiegel v. 24.4.2025
Prämiert mit dem Brandenburgischen Literaturpreis 2010
Um Mitternacht
Die Nacht ist eine Kachelwand,
mit Flitter dekoriert.
Ich reiß ihn weg mit kalter Hand
und pfeife aufs Papier.
Mit einem scharfen Splitter Glas
kratz Verse ich hinein:
Und das, bei Gott, das ist kein Spaß,
die Wand, die wird gleich schrein.
Wer weiß, wie’s um den Menschen steht?
Ist er berauscht von seiner Kraft,
dass er blindlings durchs Blumenbeet
der Schöpfung stapft?
Glaubt er, er hätte die Gestalt
dem Götterbilde gleich,
und hielte in der Hand geballt
des Lebens ganzes Reich?
Beim Highsein darf ihn keiner störn,
er lebt mit vollem Speed.
So kann er sich nicht stöhnen hörn,
nicht sehn, was ihm geschieht.
Und während aus den Space-Sensorn
des Weltalls Abbild quillt,
geht auf der Erde was verlorn:
das traute Menschenbild.
Punkt Zwölf. Es seufzt die Stadt.
Ein Tag fängt an, eine neuer.
Was man im Traum gewonnen hat,
das kommt am Tag uns teuer.
Der junge Reimer
Es ist um Mitternacht,
wenn er sich Reime schleift,
als ging's zur Schlacht,
wo man zur Waffe greift.
Er reißt sich los
vom Planetaren
und fühlt sich groß
beim Kampfgebaren
und stört
den Schlaf der Guten.
Er schreit empört,
bis seine Zähne bluten.
Der alte Reimer
Das Fenster fängt an zu gefrieren
und wird zur Kachelwand im Klo.
Darauf will er Graffiti schmieren.
Zum Teufel auch, es geht ihm so:
Zu dieser Stund löst man den Gürtel
und schlägt auf seinen Schatten ein.
Und aus den Zähnen rieselt Mörtel
bei dem Versuch zu schrein.
Und seht: Der letzte Mensch, bevor
der Zukunft erster aufersteht,
gestürzt liegt er mit einem Ohr
im Müll, das andre hochgedreht
Und Sterne funken fremden Sinn,
sein Kopf wird Webmaschine
und pocht und sticht: ein Gobelin.
Die Umwelt lacht: Gardine.
Punkt Zwölf. Vom Rundfunk Phrasen.
Vielleicht ein Wiederkäuer.
Es riecht nach Rauch und Gasen.
Der Tag beginnt mit Feuer.