Nachdem ich 1967 in West-Berlin wohnhaft geworden war, fiel mir als
gelernter Verlagsbuchhändler der Schritt zur Gründung eines Verlages
nicht schwer. Das geschah 1970. Ich nannte den Verlag PIT (Procon-
Verlag im total-Büchershop). Mit dem Ende der APO endete auch PIT,
darauf gründete ich einen Baufachverlag, den Stadthaus-Verlag.
Damals herrschte in West-Berlin die Kahlschlag-Baupolitik.
Verantwortlich war der mehr als autofreundliche Bausenator Ralf
Schwedler, der ganze Wohnviertel abreißen ließ für den Straßenbau zu
einer "autogerechten Stadt". Alles freilich unter dem Motto der
Stadtsanierung und des Neubaus von Wohnungen.
Der Abriss der Häuser fand beim Bauverband, der Fachgemeinschaft
Bau begeisterte Zustimmung.
Ich erinnere mich noch an ein Gespräch mit dem Geschäftsführer des
Bauverbandes Dr. Jungmann.
„Sehn Sie“, sagte er, „man wirft doch auch den alten Kühlschrank weg
und kauft sich einen neuen. Dann ist man immer auf dem neusten Stand.
So sollte man es auch mit den alten Häusern machen.“
Ich war für den Erhalt und brachte 1980 eine Zeitschrift für Sanierung
und mieterfreundliche Modernsierung von Wohnhäusernr heraus, ganz im
Sinne des neuen Bausenators Harry Ristock, der die Politik der
Kahlschlagsanierung seines Vorgängers beendete..
Die Fachgemeinschaft allerdings unter dem neuen Geschäftsführer
Teuffert versuchte die Zeitschrift zu verhindern. Als es ihr nicht gelang,
drohte Teuffert, dafür zu sorgen, dass ich für meine Zeitschrift in West-
Berlin keinen Autor finden würde. Und er schaffte es: Nach einiger Zeit
meldeten sich die freien MItarbeiter von mir ab, sie hätten leider
keine Zeit mehr für meine Zeitschrift, ebenso die Autoren aus den
Wohnungsgesellschaften und dem Bausenat,. Darauf holte ich mir Autoren
aus Westdeutschland und durch die Mitarbeit meines Bruders Thomas
konnte ich Beiträge vom IHB Berlin (Ingenieurhochbau Berlin), Abt.
Modernisierung erhalten.
Wenig später kündigte die BHI (Bank für Handel und Industrie) mein
Girokonte ohne Angabe von Gründen:. Und dann strich mich der Bausenat
mit dem Hinweis auf Sparzwänge aus seinem Presseverteiler,
Ich erweiterte das Thema meiner Zeitschrift mit Energieeinsparung
und Umweltschutz. Entsprechende Fachbücher (z. B. Schnökes
Dachböden / Dachraumausbau) schlossen sich an. 2003 gab ich den
Verlag auf und zog für längere Zeit nach Schweden.
Als Marianne Müller-Brettel die Idee eines Antikrieg-Buches hatte, sah ich
die Chance, wieder verlegerisch tätig zu sein, in kleinem Rahmen,
versteht sich. Und so ließ ich den Stadthaus-Verlag aufleben in der
Nachfolge von PIT mit einer größeren Bandbreite als bei einem Fach-
verlag.
Andrerseits ist es wieder ein Mini-Verlag. Und was ist ein Mini-Verlag?
Das habe ich schon 1980 zum 10jährigen Bestehen von PIT zur Freude
meiner Autoren erklärt.
Ich finde, der Text ist immer noch
aktuell.
Dieter
Lenz
Aus der Jubiläumsbroschüre
„Ein Sattel für den Mond“
mit Gedichten
von Arno Reinfrank
zum 10 jährigen Bestehen
des PIT-Verlages
Ein Mini-Verlag. Was ist das?
Der Begriff entstand zur Zeit der APO und der Mini-Röcke. Damals bekamen es die Autoren satt, der Post mit dem Versenden ihrer Manuskripte aus dem Defizit zu helfen. Außerdem kannten sie den Text der vorgedruckten Karten der Verlage, die den zurückgeschickten Manuskripten beilagen, längst auswendig. Nebenbei bemerkt: Das Bürgerliche Gesetzbuch hat mehr Witz als diese Verlagstexte.
Die Autoren beschlossen, ihre Texte selbst zu verlegen. Weil es in ihren Verlagen, Gott sei Dank, weder einen Lektor noch einen Buchhalter gab, konnten sie ungehemmt alle ihre revolutionären Texte veröffentlichen. Tatsächlich wurde hier und dort zumindest die Polizei aufmerksam (Peter Paul Zahl war einer der Ersten, der den Berliner Polizeipräsiden-ten unter seinen Lesern hatte), so dass wir Mini-Verleger unserer Literatur auch einen Namen geben konnten: Untergrund-Literatur. (Später hießen die Produkte der Mini-Verlage Alternativ-Literatur. Auch ein schöner Name. )
Natürlich hat ein Mini-Verlag auch gewisse Schwierig-keiten. Zum Beispiel: Etwa 30 Milchkühe braucht ein Bauernhof, um wirtschaftlich zu sein. Und etwa so viele Autoren braucht ein Verlag, um von den Buchhändlern anerkannt zu werden.
Nun ist ein Autor für einen Mini-Verlag sicher zu wenig, aber zwei sind ihm fast schon zu viel. Denn ein Mini-Verlag hat nicht wie ein Maxi-Verlag
hundert Angestellte, die mindes-tens 30 Autoren melken, pardon, pflegen und behüten können. Ein Mini-Verlag, das sind im Durchschnitt ein
Mit-
arbeiter: der Verleger persönlich. Wie im Falle PIT arbeitet er gewöhnlich hauptberuflich in einem Maxi-Verlag.
Sie werden jetzt fragen: Wie kann er denn für seinen Mini-Verlag arbeiten, wenn er ganztags für einen Maxi-Verlag arbeitet? Sehen Sie, das frag ich mich auch, übrigens auch meine Autoren.
Dann, so sehe ich das, sitzen meine Autoren allein vor einem Glas Bier und grübeln. Was zum Teufel - so grübeln sie, denk ich - macht mein mistiger Mini-Verleger mit meinen Büchern? Verkaufen? Dass ich nicht lache. Wo, in welcher Buchhandlung, Herr 0ber, haben Sie schon mal meine Bücher vom PIT-Verlag gesehen?
Interessant, sagt der 0ber, vom PIT-Verlag hab ich noch nie gehört. Und er lässt sich von meinem Autor die Adresse geben, um, wie er sagt, dessen Buch zu bestellen.
Später schreibt mir der Autor, ob die Bestellung eingegang-en ist. Er nennt den Kellner sogar mit Vor- und Nachnamen.
Ich wühle in meinen Papieren.
Aha, vom genannten Kellner habe ich ein Manuskript geschickt bekommen. Der Kellner ist ein Autor.
Und so schreibe ich meinem Autor, dass es keine Leser mehr gibt, jedenfalls keine, die vor dem Lesen das Buch auch kaufen.
Damit hätte ich die Honorarfrage gelöst. Bleibt das Pro-blem, wohin mit den Büchern, wenn es a) keine Buchhänd-ler gibt, die einen Mini-Verlag anerkennen können, und b) auch keine Buchkäufer mehr gibt, weil sie alle Autoren sind.
Das Problem lösen andere für mich. Zuerst die Biblio-theken. Ein Drittel der Auflage (oder etwas weniger) geht an Bibliotheken, die ihrer Bestellung den Auszug eines Geset-zes beifügen, nach dem ich verpflichtet bin, die öffentliche Not der Bibliotheken durch ein kostenloses Exemplar lindern zu helfen. Ich achte Gesetze, erst recht, wenn sie einem Brief beiliegen, der einwandfrei den Verlagsnamen sowie sämtliche erschienene und sogar einmal geplante, aber nie gedruckte Titel aufführt. Das zweite Drittel geht an Zeitschriften, Zeitungen, die teils Besprechungsexemplare anfordern, teils von mir aufgefordert werden, anliegendes Buch zu besprechen.
Wo bleibt das letzte Drittel?
Möglicherweise gibt es das gar nicht. Denn, tatsächlich, bei näherer Prüfung sind die Bücher restlos aufgebraucht. Allerdings gibt es noch 53 Archivstücke. Davon können Sie noch ein oder vielleicht auch zwei Exemplare bestellen.
Ich würde sie Ihnen liefern, gegen Rechnung, und auch nur, weil Sie mir von meinen Autoren empfohlen wurden.