Schwank
6 m, 4 w
Die Personen sind
Alex KUNERT, Bürgermeister, ehemaliger Traktorist
FRAU KUNERT, Johanna, seine Frau
ANNI Berger, seine Sekretärin
Jochen RARISCH, sein Freund und Kämmerer beim Bürgermeisteramt
Der PROFESSOR
SAUERMANN, Bauunternehmer, ehemaliger Parteisekretär
LOHSE, Gärtner
VERTRETERIN für Büroeinrichtungen
POLIZIST
Das Bühnenbild
Das Amtszimmer des Bürgermeisters. In der Mitte zwei Fenster mit Innenjalousien. Die Wand zwischen den Fenstern ist kahl mit einem weißen, viereckigen Fleck: dort hing einmal ein Bild. Davor der Stuhl des Bürgermeisters, sein Schreibtisch voller Papiere, Telefon und Bürolampe. Vor dem Schreibtisch der Besucherstuhl.
Links die Wand mit einem kleinen Tresor Davor - etwas seitlich - ein Sofa mit Tisch und drei Sesseln. Rechts die Wand mit der Tür zum Vorzimmer, links davon eine Kommode, darauf eine Vase mit Blumen.
Das Mobiliar ist alt und erneuerungsbedürftig.
Wenn das Fenster rechts hinter dem Schreibtischstuhl des Bürgermeisters (vom Publikum aus gesehen) geöffnet ist, sieht man den Dorfplatz und den Teil eines rotlackierten Traktors. Die Fenster gehen nach außen auf.
Das Zimmer ist offenbar nicht nur ein Amtszimmer, es wird auch bewohnt.
1. Akt
KUNERT sitzt an seinem Schreibtisch und bearbeitet die Unterschriftenmappe: Nach sorgfältiger Lektüre unterschreibt er schwungvoll. Das Fenster links hinter ihm ist geöffnet, man sieht Teil eines rot lackierten Traktors. ANNI, die Sekretärin, steht wie auf Kohlen neben KUNERT.
KUNERT: Was ist?
ANNI: Sie lesen aber lang.
KUNERT: Ist es nicht toll, wie ein ehemaliger Traktorist so klasse diktieren kann?
ANNI: Traktorist war gestern. Heut sind Sie Bürgermeister.
KUNERT: Ja, und noch was war gestern. (unterschreibt)
ANNI: Klar. Die Wende.
KUNERT: Ich bitt dich. Eine Revolution war das!
(PROFESSOR kommt ans Fenster, blickt herein.)
PROFESSOR: Einen wunderschönen guten Morgen!..
ANNI: Bitte, Sie wünschen?
PROFESSOR: Nun, viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Die Voraussetzungen sind ja bestens. Verfallene Häuser, kaputte Straßen. Das ist Ihre Chance! Meinen Glückwunsch! Fangen Sie an!
KUNER: Was? Wen meinen Sie?
PROFESSOR: Sie sind doch der neue Bürgermeister? Oder?
KUNERT: Ja. Steht an der Tür. Dort sollten Sie das nächste Mal reinkommen.
PROFESSOR: Aber natürlich. Alles Gute! Bis später! (ab durch die Tür)
KUNERT: Wer war das?
ANNI: Weiß nicht. Irgend so ein Verrückter.
KUNERT: Sag mal, wie sprichst du von Leuten, die die Wahrheit sagen? Er hat doch recht. Alles kaputt! Und ich bin der neue Bürgermeister, genau, aber sein Glückwunsch kommt reichlich spät, ich hab ja längst angefangen. (reicht ihr die Mappe) Den nächsten Verrückten bittest du gefälligst herein zu einer Tasse Kaffee.
ANNI: Da sind noch zwei Briefe. (gibt ihm die Mappe zurück)
KUNERT: Wieso? (nimmt die Mappe, prüft) Ganz hinten, kann ja keiner sehn. (liest. ANNIS Gegenwart macht ihn zunehmend nervöser.) Übrigens..
ANNI: Was denn?
KUNERT (ohne aufzublicken): Da ist Taubendreck auf dem Denkmal.
ANNI (ohne sich vom Platz zu rühren): Ich weiß, Herr Bürgermeister.
KUNERT (aufblickend): Ist das eine Antwort? Den Lappen und hinaus!.. Poliern, bis es blitzt! (Das Telefon klingelt. KUNERT nimmt den Hörer ab.) Bürgermeisteramt. Ja, höchst persönlich.. Was? Wer? Ein Wissenschaftler? Professor? Hier wird jeder gut behandelt. Von welchem Ministerium.. Aha.. Naja.. Wird auch Zeit, dass ihr mal was tut für uns. Gut. Ich kümmer mich drum. Wiederhörn..(unterschreibt, zu ANNI) Du stehst ja immer noch da.
ANNI: Ja.
KUNERT: Ich muss dich mal auf was aufmerksam machen. In der Stadt lassen sie den Taubendreck auf ihren Denkmälern. Wir nicht!
ANNI: Ein Trecker muss das abkönnen.
KUNERT: Das war er, jetzt ist er ein Denkmal! Ein Denkmal für die Revolution! Was warst du eigentlich vor der Revolution?
ANNI: Schreibkraft. Genau wie heute. Für mich gab's keine Wen..
KUNERT (unterbricht sie): Stopp! Falsch. Ganz falsch. Jetzt bist du Sekretärin, das ist was ganz anderes. Und eine Wende gab's nicht.. Wir waren doch nicht in einem Auto auf der Straße. Wir waren zu Fuß auf der Straße und marschierten geradeaus in eine Revolution.. Jetzt bist du ein freier Mensch. Keine Stasi und nichts. Kannst jetzt immer und überall deine Meinung sagen. Und du hast eine ganz schöne Klappe, das kann ich dir flüstern.
ANNI: Das können Sie laut sagen, Herr Bürgermeister.
KUNERT: Naja, meine ist auch nicht ohne.
ANNI: Das darf ich nur flüstern. (LOHSE kommt, zögert)
LOHSE: Zu früh, was? Na, komm ich nachher noch mal. (will wieder gehen)
KUNERT: Achwo. Hock dich. Anni, Vorzimmer!
(ANNI greift sich die Unterschriftenmappe, ab)
LOHSE (setzt sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch): Andrerseits lieber zu früh als wie zu spät. Denn lieber lass ich mich von Ihnen bestrafen als wie vom Leben. Weil, wie bekannt, dieses so ungerecht ist.
KUNERT: Nicht das Leben, nee, Lohse, der Mensch, der Mensch! Wissen wir doch. Aber am Ende siegt immer die Gerechtigkeit. Wenn's sein muss wie bei uns, mit einer Revolution!
LOHSE: Genau. (Pause) Welche Revolution, bittschön?
KUNERT: Na unsere.
LOHSE: Ah! Die! Feine Sache. Andererseits.. Sozialismus gegen Alkoholismus, da weiß man doch, wer gewinnt.
KUNERT: Quatsch nicht. Pass mal auf. Du hast zu mir gehalten, wo andere einen Bogen um mich machten, das vergess ich dir nicht. Bei Wind und Wetter hast du mir den Kaffee gebracht. Ich mach dich zum Leiter der Gärtnerei. Was sagst du dazu?
LOHSE: Ja, was denn. Vielleicht macht der Herr Bürgermeister einen Witz. Da lacht man eben.
KUNERT: Ja, lach man, aber nicht wegen dem Witz, sondern wegen der Gerechtigkeit. Bist doch gelernter Gärtner? Na also. (schiebt ihm das Papier zu) Setz deinen Wilhelm drunter. (KUNERT gibt ihm einen Kugelschreiber)
LOHSE (liest): Jetzt wo alles rechts ist, könnt auch das Komma ein bisschen weiter rechts sein, beim Verdienst, mein ich. (unterschreibt) Na, besser als gar nichts.
KUNERT(nimmt ein Blatt, schiebt das andere zurück): Eben. Und dass du mir keinen Schnaps anrührst während der Arbeitszeit!
LOHSE: Ja. Machtrausch ist gesünder.
KUNERT: Witzbold. An die Arbeit! Die Radieschen warten.
LOHSE (steht auf): Radieschen! Dafür ist die freie Marktwirtschaft zu schad. Wir gehn gleich ins Große, versteht sich. (Beim Abgehen stößt er auf RARISCH)
RARISCH: Was wollte die Schnapsdrossel hier?
KUNERT: Sprich anständig von deinem Kollegen. Er ist jetzt der Leiter der Gärtnerei.
RARISCH: Und warum?
KUNERT: Sei still. Ich hab auch dich eingestellt.
RARISCH: Aber doch wohl nicht nur, weil wir Freunde sind.
KUNERT: Natürlich nicht. Und jetzt hör mal auf zu meckern. (RARISCH sieht sich um) Der ist frei. (deutet auf den Stuhl vor dem Schreibtisch)
RARISCH: Wenn du wenigstens die Decke zusammenlegen würdest. Muss denn jeder gleich mitkriegen, dass du hier auch pennst? (setzt sich)
KUNERT: Ich arbeite eben Tag und Nacht, das soll ruhig jeder sehen.
RARISCH: Mit deiner Sekretärin?
KUNERT: Was soll das schon wieder?
RARISCH: Es heißt, du hast was mit ihr.
KUNERT: Ein alter Hahn und ein Küken! Nun mach mal Schluss mit deiner Buchhalterei. Kaffee?
RARISCH: Nein, danke, ich hab's eilig, ich will dir nur..
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Einen Schwarzen, für mich. (ANNI ab) Hör mal, ich muss dir was sagen. Ich hab Sorgen.
RARISCH: Na klar.
KUNERT: Private..
RARISCH: Sind bekannt.
KUNERT: Teufel noch mal, kann man denn heut überhaupt nichts mehr geheim halten? Also gut. Meine Frau. Vor der Revolution, wie die Genossen mich schikanierten, das weißt du ja, da war sie auf meiner Seite. Ein Herz und eine Seele waren wir, wie man so sagt. Dabei war ich bloß Traktorist. Und jetzt? Ich bin Bürgermeister, aber sie ist total unzufrieden mit mir. Ich sag dir was. Sie versteht mich nicht. Ich hab eine Aufgabe hier! Die zuerst und dann mein Privatleben! (zeigt auf die überhäufte Tischplatte) Hier! Ein Haufen Probleme. Das neue Klärwerk, die Sanierung der Grundschule.. Die Feuerwache … Wie viel ist in der Kasse?
RARISCH: Weißt du doch.
KUNERT: Man hätte mit den Genossen auch das Geld abschaffen müssen. Das Geld ist die reine Konterrevolution.
RARISCH:: Es ist doch gar keines da.
KUNERT: Eben. Dann kann man es doch gleich abschaffen. (seufzt) Blühende Landschaft hat der Kanzler gesagt. Ich hätt gern gleich mit Früchten. Wozu sonst die ganze Revolution? (ANNI kommt mit der Kaffeetasse) Stell sie hierhin. (schiebt Papiere beiseite) Nicht kleckern! (Sie geht zum Sofa, faltet die Decke zusammen und legt sie ordentlich über die Lehne) Dankeschön, Frau Berger, das war nicht nötig. (Sie blickt ihn verblüfft an) Sie können gehen, Frau Berger. (Mit einem Achselzucken geht sie ab)
RARISCH: So förmlich auf einmal?
KUNERT: Von irgendwoher muss das Gequatsche doch kommen. (trinkt einen Schluck aus der Tasse)
RARISCH: Gibt's sonst noch was?
KUNERT: Also, was ich sagen wollte ... Vielleicht redest du mal mit ihr? Auf mich hört sie nicht mehr. (Nebenan wird eine Männerstimme laut und ANNIs Stimme)
RARISCH: Die Stimme kenn ich. Da geh ich lieber. (steht auf)
KUNERT: Der soll bloß die Klappe halten, der hat hier nichts mehr zu sagen. (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Der Sauer.. (SAUERMANN drängt sie zur Seite)... mann
SAUERMANN: Da hocken sie wieder zusammen, die beiden, wie in alten Zeiten. Und die Interessen des Volkes bleiben liegen!
ANNI: Ich hab ihm gesagt, Sie sind auf einer Sitzung, Herr Bürgermeister.
SAUERMANN: Ja, und denn noch auf meinem Stuhl, gratuliere! Und Kaffee gibt's und .. Wo ist denn der Kuchen? Anni, was ist das für eine Bewirtung! Bei mir gab’s auch was für die Zähne!
RARISCH (leise): Ich hau ihm gleich eins in die Zähne. (laut) Also bis dann. (ab)
SAUERMANN (mit einem Blick hinterher): Schlecht gelaunt, was?
KUNERT: Schon gut, Anni, für Leute mit Aussicht auf einen Herzinfarkt bin ich gern zu sprechen. (ANNI ab)
SAUERMANN: Den Herzinfarkt sollst du kriegen!
KUNERT: Ich bitte Sie, mich nicht zu duzen.
SAUERMANN: Jawoll, ich siez dich gleich, pass mal auf du… Was ist das? (wirft ein Blatt Papier auf den Tisch)
KUNERT(sanft): Bei mir darf man sitzen.
SAUERMANN (setzt sich): Bitte. Wenn‘s der Sache hilft.
KUNERT: Bei dir musste man stehen. Hat der Sache auch nicht geholfen.
SAUERMANN: Sehr witzig, ich lach aber nicht. Also! Was soll das? Die Scheune steht auf einmal unter Denkmalschutz?
KUNERT: Auf Antrag des Gemeinderats, genehmigt vom Landesdenkmalamt.
SAUERMANN: Und das, nachdem du mir die Scheune verkaufst hast.
KUNERT: Das war nicht ich, die Gemeinde war das. (trinkt aus der Tasse) Und verkauft haben wir dir das Grundstück, nicht die Scheune.
SAUERMANN: Wie soll ich jetzt da bauen? Um die Scheune herum?
KUNERT: Nein. Dann sieht man ja das Denkmal nicht mehr.
SAUERMANN: Ja, wie dumm von mir. Und was empfiehlt mir der Herr Bürgermeister?
KUNERT: Bau sie doch aus, die Scheune.
SAUERMANN: Die Bruchbude?
KUNERT: Ein Denkmal, wenn Sie gestatten.
SAUERMANN: Reicht dein Trecker nicht?
KUNERT: Diese Scheune, mein Herr, wurde an einem Wochenende vom Dorfkollektiv gebaut. Und ein Traktorist hat sämtliche Balken rangekarrt... mit diesem Trecker dort, der jetzt allerdings ein Denkmal ist
SAUERMANN: Ich kapier. Rache, was? Kleinkarierte, kindische Rache. Dann lass dir mal was gesagt sein: Du warst ein Staatsfeind. Ja, das warst du, du warst ja immer dagegen. Wie kann so einer erwarten, dass der Staat ihn fördert? Wofür hältst du den Staat? Für einen Idioten?!
KUNERT: Ich könnt heut Ingenieur sein! Du hast mir damals die Schulung verbaut. Und warum? Staatsfeind? Da lach ich aber. Du warst scharf auf meine Frau!
SAUERMANN: Sie war noch gar nicht deine Frau.
KUNERT: Ja, die hättste gern gehabt, aber nichts da! Die hat nämlich Grundsätze, die scheißt auf Heuchler und Schmarotzer, und wenn sie zehnmal Parteisekretär sind. Die wollte einfach nen ehrlichen Kerl, und wär’s auch bloß ein Traktorist.
SAUERMANN: Danke, Genosse, pardon, Herr Bürgermeister, für die Rede im proletarischen Stil. Brüllen musst du aber nicht, du hockst nicht mehr auf dem Trecker.
KUNERT: Richtig. Ich sitz auf deinem Stuhl. Und jetzt muss ich arbeiten. Wiedersehn, Herr Parteisekretär a.D..
SAUERMANN: Ich stelle beim Gemeinderat den Antrag auf Abwahl des Bürgermeisters.
KUNERT: Geht nicht. Ich bin vom Volk gewählt.
SAUERMANN: Das Volk! Diese Dummköpfe!
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Notieren Sie das!
ANNI: Was denn?
KUNERT: Was der gesagt hat.
ANNI: Was denn? (Pause)
SAUERMANN: Ein hübsches Pärchen seid ihr.
KUNERT (brüllt): Raus! (ANNI will abgehen) Du nicht! Der da! Zeig ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!
ANNI (zu SAUERMANN): Bitte folgen Sie mir!
SAUERMANN: Ihr spinnt ja beide. Die Sache ist noch nicht entschieden, Herr Bürgermeister! Und was Ihren Stuhl betrifft... Als es meiner war, hatte ich was hinter mir, nämlich die Arbeiterklasse. Und was hast du? Die nackte Wand! Mit nem weißen Fleck drauf! Und wenn ich mich hier umseh.. Miefig, schäbig. Dagegen haben meine Arbeiter Luxusbuden! (ab)
ANNI: Mann, ist der sauer.
KUNERT: Der Kaffee ist kalt. (Sie nimmt die Tasse, er sieht sich um) Naja, immerhin... Sollten wir nicht ein bisschen..
ANNI: Was?
KUNERT: Das hier ist doch das Bürgermeisteramt. Aber wie sieht's aus? Die Leute könnten ja denken, hier wird gepennt. Und dann.. Die Wand... hinter mir! Wieso ist die leer?
ANNI: Na, weil da nichts hängt.
KUNERT: Und der weiße Fleck?
ANNI: Auf den bin ich stolz.
KUNERT: Was?
ANNI: Das ist nämlich ein Denkmal.
KUNERT: Was?
ANNI: Der weiße Fleck erinnert uns daran, was wir mal waren: rot.
KUNERT: Ich nicht. Ich war nicht rot. Höchstens äußerlich.
ANNI: Richtig. Nämlich vor Wut.
KUNERT: Widersprich nicht. Gleich hängst du da was hin! Und was Bedeutendes, bitt ich mir aus.
ANNI: Na schön. Den Rahmen haben wir ja noch. Und für was drin find ich auch noch was.
KUNERT: So gefällst du mir, Anni.
ANNI: Sie meinen Frau Berger.
KUNERT: Raus! (ANNI ab)
RARISCH (kommt): Der Sauermann hätte mich fast umgerannt. Gab’s Krach?
KUNERT: Er muss zum Doktor, ihm steckt ne Scheune im Hals.
RARISCH: Soll er dran ersticken.
KUNERT: Warum bist du schon wieder da?
RARISCH: Da. (reicht ihm einen Zettel) Der Kontoauszug von heute.
KUNERT: Was? Ist es so schlimm? (nimmt den Zettel, sieht ihn an, pfeift durch die Zähne) Mannomann! Jetzt sind wir aber wirklich pleite! Fünf Millionen minus!
RARISCH: Kein Minus. Plus! Das ist ein Plus!
KUNERT (sieht noch einmal hin): Unmöglich.
RARISCH: Es stimmt. Ich hab bei der Bank angerufen.
KUNERT: Fünf..
RARISCH: Millionen. Aus der Landeskasse, es gibt einen neuen Fördertopf für Investitionen.
KUNERT: Jetzt geht mir ein Licht auf. Da rief vorhin einer an, vom Wirtschaftsministerium. So was! Wir sind Millionäre!
RARISCH: Ich find's ein bisschen viel, warten wir's ab. Wenn's ein Fehler ist, dann buchen die das wieder zurück.
KUNERT: Dann runter damit! Sofort! Runter vom Konto, aber fix!
RARISCH: Na hör mal....
KUNERT: Gleich gehst du hin. Das Geld gehört uns, das rück ich nicht mehr raus. Jochen, lass diesen Buchhalterblick. Strahlende Augen will ich sehn. Jetzt geht’s aufwärts! Jetzt kommt er, der Aufschwung!
(PROFESSOR kommt ans Fenster mit einem Aktenkoffer)
PROFESSOR: Gestatten Sie, wenn ich noch einmal durchs Fenster komme. (steigt ein) Die kurzen Wege sind immer noch die besten.
KUNERT (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Wer ist das?
ANNI (zu PROFESSOR): Eine Tasse Kaffee, der Herr?
PROFESSOR: Liebes Kind, nicht jetzt! Ich bin im Dienst. Ich teste die Nerven der Leute. Nicht zu glauben, was man heute alles erlebt. (zu KUNERRT) Ihre Hand zittert ja. (nimmt dem verdutzten Kunert den Zettel aus der Hand, blickt darauf) Ah, ich verstehe. Würde mir auch so gehen. Gestatten, Professor Steinmeyer vom Institut Standortanalysen. Wurde hier niemand unterrichtet?
ANNI: Nee. Ich weiß von nichts.
KUNERT: Moment ... Sie sind das! Ja, doch, ich weiß Bescheid. Natürlich, natürlich... Aber sagen Sie mal, Sie haben eine merkwürdige Art, sich vorzustellen. (zu Anni) Schon o.k., Anni.(ANNI ab)
KUNERT: Soll ich die Polizei rufen?
PROFESSOR: Damit würden Sie mir beweisen, wie schwach Ihre Nerven sind. Und das, meine Herren, wäre ein ausgesprochener Standortnachteil. Also bitte, zeigen Sie sich der Situation gewachsen. Ihre Gemeinde steht im Fokus eines internationalen Konzerns. Ich sehe Sie überrascht, das freut mich. (zu KUNERT) Sie haben einen Kontoauszug in den Händen? Mit einer Überweisung von 5 Millionen?
KUNERT: Woher wissen ..
PROFESSOR (zu RARISCH) Bitte, alles Weitere möchte ich mit dem Herrn Bürgermeister unter vier Augen besprechen.
RARISCH: Ich ...
KUNERT: Schon gut, Jochen, lass uns allein.
PROFESSOR (zu RARISCH): Ihr Misstrauen gefällt mir, aber vertrauen Sie Ihrem Bürgermeister, er ist informiert.
KUNERT: Nun geh endlich.
RARISCH: Wir sehen uns noch. (ab)
KUNERT: Ich weiß gar nichts. Das heißt, nur andeutungsweise.
PROFESSOR (geht zur Tür, reißt sie auf, sieht hinaus, schließt sie): Sie können sich denken, das ist alles noch streng geheim. Ich komm im Auftrag eines großen ausländischen Konzerns.
KUNERT: Ein japanischer?
PROFESSOR: Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse. Wie man Ihnen schon telefonisch sagte, ich prüfe Standorte für Großinvestitionen. Von meinen Untersuchungen hängt es ab, ob hier ein Autowerk gebaut wird.
KUNERT: Hier!.
PROFESSOR: Ja. Allerdings ist es noch nicht entschieden.
KUNERT: Hören Sie, Herr Professor, ich kann nur eines sagen: verfügen Sie über mich! Und bitte entschuldigen Sie die Unordnung hier. Viel zu wenig Personal. Naja, Sie wissen ja: leere Kassen.
PROFESSOR: Das ist vorbei, jetzt sind ja fünf Millionen drin. Übrigens, heben Sie die Summe umgehend ab. Das Geld wird gebraucht. Sie lachen?
KUNERT: Schon veranlasst. Mein Kämmerer fährt gerade zur Bank und holt es.
PROFESSOR: Fabelhaft. Ich werde jetzt meine Untersuchungen fortsetzen. Wahrscheinlich wird schon über mich geredet. Lassen Sie offiziell verlautbaren: ich bin Wissenschaftler und arbeite zum Wohle der Menschen. (ab)
KUNERT: Ganz wie Sie wünschen. (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Chef!
KUNERT: Dieser Mann wird in Zukunft mit Fingerspitzengefühl angepackt.
ANNI: Jawohl, Chef.
KUNERT: Und nichts von den fünf Millionen! Alles streng geheim. Auch das, was ich jetzt gesagt habe, ist streng geheim und es gilt sowieso nur das geschriebene Wort.
ANNI: Sie sind aber gut gelaunt.
KUNERT: Ja, denk mal an. Aber einmal muss er ja kommen, der Erfolg, so hart wie ich arbeite. Jetzt hab ich ne Ruhepause verdient. (legt sich aufs Sofa)
ANNI (deckt ihn zu): Sie hätten die Schuhe ausziehen sollen.
KUNERT: Die können ruhig arbeiten.
ANNI: Soll ich die Jalousien runter lassen?
FRAU KUNERT (kommt, in Kostüm): Später, Anni, später.
ANNI: Herrje, Frau Kunert! Ich geh schon. (ab)
KUNERT(sich aufrichtend): Das ist aber eine Überraschung! Dass du mich mal besuchst.
FRAU KUNERT: So arbeitest du also.
KUNERT: Also weißt du, das macht jetzt bestimmt einen irreführenden Eindruck.
FRAU KUNERT: Nein, nein, lass mal.. So irreführend ist er gar nicht.
KUNERT (stutzt): Nanu, warst du beim Friseur?
FRAU KUNERT: Das siehst du?
KUNERT: Und wieso bist du so feierlich angezogen? Haben wir einen Termin? Warum, zum Teufel, hat mir das keiner nicht gesagt? (steht auf) Ich bin gleich fertig. Die Schuhe hab ich schon an.
FRAU KUNERT: Bleib sitzen. Ich geh.
KUNERT: Allein?
FRAU KUNERT: Ja.
KUNERT: Wohin?
FRAU KUNERT: Weg.
KUNERT: Weg?
FRAU KUNERT: Ich verlasse dich.
KUNERT: Mich?
FRAU KUNERT: Dein Trecker da draußen... Der funkelt ja richtig. Ich wette, du tust ne Menge für ihn.
KUNERT: Du haust ab? Warum?
FRAU KUNERT: Ja, dein Trecker bin ich leider nicht. Den Kühlschrank hab ich noch aufgefüllt... Ich hätte dir auch das Essen vorgekocht, wenn ich sicher wäre, du kämst vor morgen nach Haus. Aber du hast ja so viel zu tun.
KUNERT: Siehst du, da haben wir's... Du kommst einfach nicht mit meiner Arbeit klar. Mit meinem Amt. Ja! Ich hab zu tun, und wie! Kuck dir den Schreibtisch an! Ein Durcheinander, was.. Aber das muss so sein. Nach der russischen Revolution zum Beispiel hatten die auch keine Zeit für Ehe, Familie undsoweiter...
FRAU KUNERT: Revolution. Wenn ich das schon höre. Was, bitte, hat sie uns gebracht? Nicht mal ein Auto haben wir.
KUNERT: Du, ich sag dir was. Das ändert sich. Bald hab ich ein Dienstfahrzeug. Reden darf ich darüber noch nicht. Streng geheim.
FRAU KUNERT: Natürlich. Träum ruhig weiter.
KUNERT: Leg doch die Jacke ab.
FRAU KUNERT: Die Koffer sind schon am Bahnhof. Also leb wohl...
KUNERT: Menschenskind! Du haust ab? Ich glaub, ich träum. Ich leg mich noch mal hin und wach erst mal auf.
FRAU KUNERT: Lass das. Immer, wenn du albern wirst, drückst du dich. Du hast dich überhaupt nicht geändert. Ein Phantast genau wie damals.. Aber da war’s noch amüsant, heute ist das einfach nur noch dumm.
KUNERT: Aber heute bin ich Bürgermeister!
FRAU KUNERT: Na toll! Und was haben wir? Noch immer unsre alte Küche.. Oder das Schlafzimmer. Noch von deiner Mutter! Und dann sieh mal, was die andern haben.
KUNERT: Geht das schon wieder los!
FRAU KUNERT: Ich hab einen Schulfreund getroffen, er ist jetzt Bankdirektor, bei dem arbeite ich jetzt, und die Wohnung hab ich auch schon. Also mach's gut. Hier die Schlüssel. (legt sie auf den Tisch) Tschüs. (ruft im Abgehen) Anni, Jalousien runterlassen. (ab)
ANNI (kommt): Jetzt könnt man nen Kaffee vertragen. Oder nen Cognac?
KUNERT: Sie ist weg.
ANNI: Ach, die kommt wieder.
KUNER: Bloß nicht! So ein blödes Stück!.. Jetzt, wo ich ganz oben bin, da haut sie ab. Die hat wohl Höhenangst.
ANNI: Ich tät bei Ihnen stehn und jodeln aus voller Brust.
KUNER: Vorsicht. Könnt‘n Höhenrausch sein. Cognac, Anni.
ANNI: Schon unterwegs! (ab)
KUNERT: Die wird sich noch wundern! Die kommt noch mit ihrem Bankdirektor angekrochen und will nen Kredit von mir. Nämlich, wenn die Bank pleite ist. Und die geht pleite, garantiert. Ich kenn den Kerl, der konnte schon Hausnummern nicht auseinanderhalten.
ANNI (kommt mit einem Glas): Die doppelte Ladung, das richtet wieder auf.
KUNERT: Annichen, sehr logisch ist es nicht. Gewöhnlich ist’s umgekehrt. Aber wie meine Frau immer sagt: Bei mir ist eben alles anders. (trinkt)
ANNI: Sie sind in Ordnung, Chef, und wenn ich mal was Nichtamtliches sagen darf: Sie sind für mich der Mann, für den müsst eine Frau durchs Feuer gehn.
KUNERT: Hast du ein Glück, dass grad kein Feuer da ist. (trinkt) So ja.. Das war gut. Und wenn ich mal was sagen darf: Gegen meine Frau bist du ein helles Köpfchen. Termin heute?
ANNI: 14 Uhr, im Altenheim..
KUNERT: Fahrrad startklar?
ANNI: Geölt und aufgepumpt.
KUNERT: Sehr schön, Anni. Sobald ich nen Dienstwagen hab, kriegst du das Rad. (ab. VORHANG)
(ANNI und VETRETERIN. ANNI steht auf dem Stuhl und versucht ,ein großes gerahmtes Foto vom Bundeskanzler Kohl an die Wand zu hängen)
ANNI: Er muss jeden Moment kommen. Wollen Sie so lang warten?
VERTRETERIN: Gern. Kann ich Ihnen helfen?
ANNI: Ja, halten Sie den Stuhl, der wackelt wie Pudding. Ich wart jeden Tag darauf, dass er unterm Bürgermeister zusammenbricht. Wär schad, wenn’s jetzt mir passierte.
VETRETRIN: Ja, Sie bräuchten dringend neue Büromöbel.
ANNI: Das sag ich ja. Aber auf dem Ohr ist er taub.
VERTRETERIN: Wenn wir beide ihn bearbeiten, schaffen wir’s vielleicht.
ANNI: Was haben Sie denn anzubieten?
VERTRETERIN: Büromaschinen, Büromöbel, Büromaterial... Einfach alles rund ums Büro.
ANNI (das Bild hängt): Das hätten wir. Gibt das was her?
VERTRETERIN: Das Bild? Oja. Nur kuckt der arme Kerl auf abgenutzte Möbel. So wie er kuckt ist es nicht sein Stil.
ANNI: Genau.. Na, Geld haben wir ja jetzt. Mehr als genug. Fünf Millionen. Herrje, das hätt ich nicht sagen sollen. Na, früher oder später kommt’s doch raus. Setzen Sie sich doch so lange. (wischt den Stuhl) Besser Sie setzen sich mit ihrem hübschen Kleid aufs Sofa.
VERTRETERIN: Danke. (setzt sich aufs Sofa)
LOHSE (kommt mit einem Kürbis unter dem Arm): Ich grüße die holde Weiblichkeit.
ANNI: Herrje.. was schleppen Sie da an?
LOHSE: Pardon. Meine Damen ... Dieser Kürbis ist nämlich eine eklatante Frühgeburt. Mindestens drei Monate zu früh. Das muss ich melden. Wo ist der Chef?
ANNI: Kommt jeden Moment.
LOHSE: Na, dann werd ich den Damen Gesellschaft leisten. (zu VERTRETERIN) Gestatten, Lohse, Siegfried. Leiter der hiesigen Gärtnerei. Und Sie sind Mona Lisa, widersprechen Sie nicht, Ihr Gesicht hängt im Museum. Mit Ihrem Lächeln machen Sie Männer wahnsinnig, es sei denn, es ist einer von Welt, der lächelt einfach zurück. (lächelt sie an, legt den Kürbis auf den Tisch und setzt sich in einen Sessel)
VERTRETERIN: Charmant.
LOHSE: Ja, das bin ich. Also tun Sie sich keinen Zwang an.
ANNI (auf dem Schreibtisch aufräumend): Reden Sie keinen Quatsch, Lohse.
LOHSE (zu VERTRETERIN): Was verschafft uns die Ehre, Gnädigste? Ein Gesuch zur Baugenehmigung? Oder eine Stellungssuche? Ja, dann heißt es erst mal anstehen.
VERTRETERIN: Weder noch. Ich verkaufe Büroeinrichtungen, Computer, eben alles, was eine Verwaltung braucht. (ANNI geht in ihr Zimmer.)
LOHSE: Ah! Computer! (Pause) Wozu das?
VERTRETERIN: Nun ja.. Für vieles. Ein Computer erspart Arbeit. Der ganze Schreibtisch dort könnte leer sein. Alles wär im Computer.
LOHSE: Dafür gibt's ein deutsches Patent. Schublade. Funktioniert auch bei Stromausfall.
VERTRETERIN: Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?
LOHSE: Ich überleg’s schon die ganze Zeit. Ich versuch’s mal. (will sie umarmen)
VERTRETERIN: Lassen Sie das!
LOHSE: Bei gehöriger Mitarbeit Ihrerseits könnt ich’s schaffen. (drängt weiter auf sie ein)
VERTRETERIN: Sie! Hilfe!
ANNI (kommt): Lohse! Mensch! Aufhörn!
LOHSE: Alle Welt redet vom Sex im Büro, bloß wie das gehn soll, das muss mir einer mal vormachen.
ANNI: Schämen Sie sich!
LOHSE: Bei einer Dame? Das ist ganz und gar unmöglich. Ja, wenn sie keine Dame wär.. Wann kommt er nun endlich, der Chef? Ich kann nicht ewig warten!
ANNI: Ja, kommen Sie lieber morgen wieder. Schlafen Sie sich aus!
LOHSE: Da haben Sie Recht. Andererseits.. Büroschlaf ist der beste. Bloß, hier darf ja nur der Chef. (steht auf) Meine Damen! Sie bitten mich zu entschuldigen. (ab)
ANNI: Er hat wieder einen gezwitschert. Entschuldigen Sie.
VERTRETERIN: Naja, den ganzen Tag unter Grünzeug, dann will er halt mal was Fleischliches. Mann ist Mann.
ANNI: Mein Chef tät so was nie. Leider.
VERTRETERIN : Dann muss er schon was Besonderes sein.
ANNI: Das ist er. (Tür geht auf, KUNERT) Herrje, da ist er schon.
KUNERT: Was ist hier los? (sieht das Bild an der Wand)
ANNI : Gefällt’s Ihnen?
KUNERT: Der Mann ist geradezu das Bild von einem Mann.
ANNI: Und Sie sind endlich unter Ihresgleichen.
KUNERT: So? Wie meinst du das?
ANNI: Ich meine, jetzt sitzt ein Mannsbild unterm anderen.
KUNERT: Hoffentlich hängt es sicher. (zur VERTETERIN) Und wer sind Sie? Von welcher Behörde?
VERTRETERIN (steht auf) Gestatte. Meine Karte. (reicht ihm die Visitenkarte) Ich komme wegen der Büroeinrichtung.
ANNI: Ja, Bittschön. Können wir gebrauchen.
KUNERT (winkt, ANNI ab. Er blickt kurz auf die Karte): Ja, meine Sekretärin liegt mir schon dauernd in den Ohren wegen der Möbel. Ich sag Ihnen was. Heut ist Ihr Glückstag. Hab mich nämlich entschlossen, das Büro zu modernisieren. Und zwar gründlich.
VERTRETERIN: Großartig.
KUNERT: Hm... Ich muss vorher noch einiges erledigen. Sie bleiben am Ort?
VERTRETERIN: Ich habe noch einen Termin beim hiesigen Bauunternehmer.
KUNERT: Vorsicht bei dem! Der kauft nur, um Verluste zu machen, wegen der Steuer. Stil ist dem völlig egal. Bei mir nicht. Wer hier reinkommt, soll sehen, welcher Geist hier weht. Hier wird groß und weit gedacht!
VERTRETERIN: Modern und zukunftsorientiert.
KUNERT: Modern, unbedingt modern. Und optimal! Ich meine, preiswert, aber mit Glanz. Glanz muss sein. Das Grau muss weg, das sozialistische Einheitsgrau. Sehen Sie das Denkmal da? Das glänzt, was? So muss es sein!
VERTRETERIN: Ganz recht. Und es wird glänzen. Hier ist meine Mappe mit allem, was ein modernes Büro braucht. Bitte... (reicht sie ihm) Ich will Sie nicht aufhalten. Sie haben ordentlich zu tun, denk ich. Ich melde mich wieder.
KUNERT: Tun Sie das.
VERTRETERIN: Auf Wiedersehn, Herr Bürgermeister. (ab)
KUNERT (blättert in der Mappe, brüllt): Anni! (ruft noch einmal, aber leiser, würdevoller) Anni! (Es geschieht nichts. Er blickt auf.) Anni? (Nichts rührt sich. Er denkt nach, dann brüllt er) Anni! (Sie kommt. Sie hat sich geschminkt.) Muss ich denn immer brüllen, dass du kommst? Da will ich mal freundlich sein und du reagierst nicht.
ANNI: Ich bin doch da.
KUNERT: Ja, aber spät. Ich hätt die Zeit stoppen sollen. Zeit ist Money. Ich zieh dir das vom Gehalt ab. Kuck nicht so. Das war ein Witz.
ANNI: Jawohl, Herr Bürgermeister.
KUNERT: Gut. Setz dich.
ANNI: Ich steh lieber.
KUNERT: Wie du willst. (Er betrachtet sie. Nach einer Pause) Amtsgeheimnisse, Anni, sind Amtsgeheimnisse. Die plaudert man doch nicht aus, oder?
ANNI: Ich nicht.
KUNERT: So. Und woher weiß das ganze Dorf von den fünf Millionen?
ANNI: Weiß es das?
KUNERT: Sogar die Frösche im Dorfteich quaken es schon! Also! Woher?
ANNI: Weiß ich nicht. Fragen Sie die Frösche.
KUNERT: Red anständig!
ANNI: Ich hab’s nur meiner Mutter gesagt. Aber nur ihr.
KUNERT: Denk mal an, nur ihr.
ANNI: Und dann hab ich ihr auch noch gesagt, ich krieg jetzt mehr Gehalt.
KUNERT: Von wem?
ANNI: Von Ihnen. Geld ist ja jetzt genug da. Denk ich.
KUNERT: So. Falsch gedacht! Das Geld ist nämlich für alle da. Für die Gemeinde! Ich plane nämlich ein Zukunftsprojekt. Es ist der Beginn einer großen Veränderung. Und außerdem halten wir uns an den Wahlspruch: Ich bin der erste Diener des Staates.
ANNI: Wer hat das gesagt?
KUNERT: Der Alte Fritz.
ANNI: Da muss er aber schon sehr alt gewesen sein.
KUNERT: Widersprich nicht dauernd!
ANNI: Duzen Sie mich nicht dauernd!
KUNERT: Achja.
ANNI: Sie reden, wie wenn Sie auf nem Trecker sitzen. Sie hoch da oben und ich da unten, in den Kartoffeln. Stimmt doch. Was bin ich für Sie? Bloß ne Tippse!
KUNERT: Tippse? Du bist meine Chefsekretärin!
ANNI: Sie, bitteschön.
KUNERT: Na schön. Dann eben Frau Berger. Hören Sie mal her, Frau Berger, ich sag dir jetzt was. Und das meine ich ehrlich und das ist mir eine Herzensangelegenheit. Was ich gesagt habe, tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich ziehe das zurück. Es geht um Folgendes! Sehn Sie, wir tun hier eine Arbeit, eine für die Gemeinschaft, und wenn wir sie richtig tun wolln, dann mit Engagement und für ein Engagement wird man eben nicht bezahlt, sonst wär´s nämlich kein Engagement, es sei denn, man ist ein Schauspieler. Aber ich bin keiner, ich bin ein Bürgermeister, aber ein Mann bin ich übrigens auch. Und ich sehe sehr wohl...
ANNI: Echt?
KUNERT: Aber das spielt hier keine Rolle. Wo war ich?
ANNI: Engagement.
KUNERT: Richtig. Sehen Sie, ich glaub eben, wir Menschen haben mehr zu bieten als eine dicke Brieftasche. Ja, das wollt ich sagen. (sieht sie an) Stimmen Sie mir zu? (Schweigen) Sag was! (Schweigen) Frau Berger!
ANNI: Ja. Doch, Herr Bürgermeister, es stimmt. Nicht ganz, aber im Prinzip.
KUNERT: Na, das ist doch schon was. Ich danke Ihnen!
ANNI: Bitte. (Pause) Sie können mich wieder duzen. Aber nur, wenn Sie auch wirklich wollen. So von Herzen, sozusagen.
KUNERT: Ja, gern. Anni, ich mag dich ja. Immer so gut drauf und schnappst nicht ein bei meinem Gebrüll, du überhörst es so nett.
ANNI: Im Gegenteil. Ich wart ja immer darauf.
RARISCH (kommt): Stör ich? Schon Feierabend?
KUNERT (blickt auf die Armbanduhr): Nee, eigentlich noch nicht. Andrerseits, das war ein anstrengender Tag, sehr anstrengend. Ich denke, wir haben den Feierabend verdient. Anni, mach Schluss. Bis morgen!. Ich freu mich! Hm, ja..
ANNI: Ja, ich auch. Schönen Abend auch, allerseits. (ab)
KUNERT: Wo ist das Geld?
RARISCH: Wie stellst du dir das vor. Meinst du, die blättern dir bei der Bank einfach mal fünf Millionen hin. Das haben die doch gar nicht auf Lager..
KUNERT: Und das nennt sich Bank? Hör mal, wir brauchen das!
RARISCH: Wozu?
KUNERT: Für ein Geheimprojekt. Also frag nicht zu viel.
RARISCH: Ich krieg das Geld morgen.
KUNERT: Gut. Sonst hätte ich vor dem Professor blöd dagestanden. Jochen, beim nächsten Mal, ein wenig freundlicher, eleganter ja? Weltmännischer! Da kommt was auf uns zu. Es geht aufwärts, sag ich dir.
RARISCH: Ich hoffe, du weißt, was du tust.
KUNERT: Das weiß ich immer.
RARISCH: Auch, dass deine Frau abgehauen ist? Wissen schon alle.
KUNERT: Was sie mir antut, das ist Verrat. Mit der ist Schluss.
RARISCH: Und verzeihen ist nicht drin? Ich hab nämlich auch was..
KUNERT: Du? (Pause) Mensch, du hattest was mit ihr! (lacht) Sie hat dich auch verlassen! Keine Angst, mich kratzt das nicht mehr. Und zu deiner Beruhigung: Sie ist nur noch scharf aufs Geld. Ja, so ändern sich die Menschen. Bei mir saß sie mal auf dem Bock. Heut hüpft sie in nen Mercedes. Na schön. Vergiss es.
RARISCH: Danke. Bloß, das war’s nicht.
KUNERT: Und darauf heben wir einen! Komm, gehen wir.
RARISCH: Das wird wieder ein langer Abend.
KUNERT: Wer wartet auf uns? Na also. (Im Abgehen) Eins kapier ich nicht. Wieso verlassen die Frauen immer grad die Männer im besten Alter? (beide ab.)
2. Akt
(Amtszimmer im Halbdunkel. Die Jalousien sind heruntergelassen. KUNERT schlafend auf dem Sofa.)
ANNI (kommt): Herrje.. Er pennt noch... Herr Bürgermeister.! (sie zieht die Jalousien hoch) Aufwachen! (sie stößt das rechte Fenster auf. Der Traktor ist weg.) Herr Bürgermeister, sehn Sie mal! Der Trecker ist weg!
KUNERT (richtet sich auf): Was reißt du das Fenster auf ... Wo ist das Denkmal?
ANNI: Ja, denk mal. Weg! Futsch ist es!
KUNERT: Mein Trecker?
ANNI: Nee, das Denkmal!
KUNERT: Und da stehst du noch rum? Alarm! Polizei!
ANNI: Schon passiert. Gott, wie Sie heut wieder aussehn.
KUNERT: Wie ich ausseh, wie ich ausseh. Wen interessiert das! (zieht sich hastig an) Großfahndung, Straßensperren, Grenzen schließen. Vor allem nach Polen.. Na, was? Sag schon. Was macht die Polizei? Wer war das? Hat man ihn schon?
ANNI: Sagen Sie mal.. Haben Sie heut Nacht vielleicht eine kleine - na Sie wissen schon - Sauftour gemacht? Vielleicht mit dem Trecker? Dann pfeifen wir die Polizei lieber gleich zurück.
KUNERT: Hier wird nicht gepfiffen. Wann war das?
ANNI: Was?
KUNERT: Wann er geklaut wurde.
ANNI: Weiß ich nicht. Hoffentlich war’s kein Schrotthändler.
KUNERT: Anni, töte mich nicht. Du weißt doch! Auf hundert Meter hab ich's gerochen, wenn einer ihn anrührte. Und jetzt geklaut! Unter meinen Augen!
ANNI: Die waren doch zu.
KUNERT: Frau weg, Trecker weg. Eine Verschwörung ist das. Übrigens, Anni.. Kein Nervenflattern in Stresssituationen, verstanden? Ganz cool, darauf kommt es jetzt an. (Geräusch von nebenan) Da! Wer ist das? S chau nach!! (ANNI ab. Sie kommt zurück, hinter ihr der POLIZIST)
ANNI: Das Überfallkommando.
POLIZIST: Was? Überfall? Wieso Überfall? Hat mir keiner gesagt. (dreht sich um) Ich hol Verstärkung. (geht ab, kommt wieder) Mir fällt ein, das bin ich ja selber. Bei uns herrscht nämlich Sparzwang. Und mich haben sie aus der Verwaltung geholt. Wenn Sie vielleicht nachher noch einen Mord haben, dann sagen Sie’s gleich, dann spar ich mir auch was, nämlich den Weg.
ANNI (zeigt durchs Fenster.): Da!
POLIZIST: Schöne Aussicht.
ANNI: Da stand der Trecker. Jetzt ist er weg.
POLIZIST: Ist doch gut. Bei der Aussicht.
KUNERT: Na hören Sie mal, das war ein Denkmal!
POLIZIST: Ein Denkmal? Vielleicht noch mit ner Krone drauf, was? Und drunter ein Pferd, wie? Ein Kaiser-Wilhelm-Trecker, was? Sie.. Wenn Sie mich beleidigen, das kostet was extra.
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI: Ja, Chef?
KUNERT: Wer ist das?
ANNI: Der Kreispolizist.
KUNERT: Bloß einer?
ANNI: Na, Sie wissen doch. Der Sparzwang (POIZIST sieht sich um)
KUNERT (beobachtet ihn): Was suchen Sie hier? Den Trecker?
POLIZIST: Ruhe! Merken Sie denn nicht.. Hier hat der Dieb rumgewühlt.
ANNI: Nee, das ist doch bloß Unordnung.
KUNERT: Wieso sollte der hier rumwühlen?
POLIZIST: Der braucht doch den Fahrzeugschein.. Ohne den darf er das Fahrzeug nicht benutzen. Ich hoffe nur, er hat den Führerschein, sonst wird’s richtig kriminell.
KUNERT: Jetzt langt’s. Sie, Achtung! (POLIZIST steht stramm) Ich bin der Bürgermeister. Kehrtwendung! (POLIZIST dreht sich um) Und jetzt Abmarsch! Unter größter Vermeidung von Lärm. Wir sehn uns den Tatort an. (Sie marschieren hintereinander hinaus)
(PROFESSOR steigt mit Aktenkoffer durchs Fenster ein)
ANNI: Sie! Müssen Sie immer durchs Fenster rein! Wirklich! Man wird Sie noch mal für einen Einbrecher halten.
PROFESSOR: Das muss sein. Ich muss die Menschen überraschen, nur so kann ich sie richtig
ANNI: Sie wollen mich testen?
PROFESSOR: Lassen Sie mal sehn. Zittern Sie? Nein. Es gibt nichts Schöneres für einen Mann, als einer Frau zu begegnen, die ihn zitternd erwartet.
ANNI: Woher haben Sie diesen Quatsch?
PROFESSOR: Aus der Biologiestunde. Wie zauberhaft Ihre Bluse ist. Wie ein Weihnachtskalender. Mit jedem geöffnetem Knopf kommt man Weihnachten näher.
ANNI: Jetzt hörn Sie aber auf damit. Was wollen Sie eigentlich? Sind Sie ein Schnüffler?
PROFESSOR: Das heißt nicht schnüffeln, sondern suchen, genau genommen untersuchen. Und für meine Untersuchung bin ich gerade auf der Suche nach fünf Millionen.
ANNI: Die sind noch gar nicht hier, unser Kämmerer holt sie grad von der Bank.
PROFESSOR: Na schön, komm ich später wieder. Werde ich Sie antreffen?
ANNI: Nee. Ich hab einen Termin beim Friseur.
PROFESSOR: Sie wollen noch hübscher werden? Das halt ich nicht aus. (sieht durchs Fenster) Da geht Ihr Chef. Wohin will denn der?
ANNI (blickt hinaus): In die Dorfkneipe. (heftig) Stark wie ein Baum ist er. Jeder könnt sich an ihn anlehnen. Wozu braucht er in der Kneipe Stärkung?
PROFESSOR: Er weiß: ein Baum kann gefällt werden. (küsst sie auf die Wange, LOHSE kommt mit zwei Kürbissen unterm Arm) Wenn er fällt: Ich bin der Baum gleich nebenan (ab)
LOHSE: Aha.
ANNI: Was, aha.
LOHSE: Ich muss Sie warnen, das bin ich mir schuldig.
ANNI: Ach hören Sie doch auf. Es war ja gar nichts.
LOHSE: Meine Warnung ist allgemeinen Inhalts. Um es in einem Gemälde auszudrücken: Mann und Frau sind wie ein Paar Socken. Dann steckt sie ein unbegreifliches Schicksal in die Waschmaschine, und am nächsten Tag geht sie los, die blöde Fragerei. Wo ist die verdammte zweite Socke?
ANNI (sieht die Kürbisse): Schon wieder Kürbisse!
LOHSE: Für den Chef. Als Beweis.
ANNI: Der Chef ist nicht da.
LOHSE: Ja, das seh ich, und erlauben Sie mir eine Bemerkung. Ein Chef, der nicht da ist, ist wie ein Telefonbuch ohne Telefon.
ANNI: Ich geb Ihnen gleich ein Telefonbuch...
LOHSE: Ich werde von Ihnen durchaus nicht verstanden.
ANNI: Was zum Kuckuck wollen Sie eigentlich?
LOHSE: Bitte.. Die Kürbisse! Es herrscht eine Kürbisschwemme. Ein Beweis für den Erfolg unserer freien Marktwirtschaft.
ANNI: Lohse, Sie bringen mich noch um!
LOHSE: Da haben wir's! Sie haben Angst. Na, wer hat heute keine Angst. Überall Mord und Totschlag, Kriege, Überschwemmungen und so weiter. Ich kann Sie beruhigen. Der Mensch vermag über sich hinauszuwachsen in einem die Katastrophen erschreckenden Maße. Im Fall der Kürbisschwemme wüsst ich die Lösung, geradezu genial. Die will ich dem Chef vortragen unter vier Augen.
ANNI: Also das lassen Sie mal lieber. Für so was hat er heute keine Augen.
LOHSE: Jaja, der geklaute Trecker. Eine Tragödie von griechischem Ausmaß. Wir werden noch erleben, wie Pandora mit der Büchse schießt. Wenn’s nicht schon passiert ist.
ANNI: Haun Sie endlich ab, ich muss hier aufräumen.
LOHSE: Aber die Beweisstücke lass ich hier. (legt sie auf den Tisch) Ähneln sie nicht den Früchten des Himmels, Sonnen genannt? Aber Vorsicht! Runter plumpsende Sonnen, das wär Weltuntergang. (kichert) Pardon, erlaubte mir einen Witz. (ab)
RARISCH (kommt, mit Koffer): Würden Sie mich einen Moment allein lassen? Ich muss an den Tresor.
ANNI: Na klar. Ist es da drin?
RARISCH: Was denn?
ANNI: Na die fünf Millionen.
RARISCH: Himmel noch mal, woher wissen Sie das. Das darf keiner wissen! Also vergessen Sie's!
ANNI: Schon vergessen. Wohin wollen Sie damit?
RARISCH: Still! Das ist ein Geheimnis! Wo ist der Tresorschlüssel?
ANNI: In der Schublade.
RARISCH: In der Schublade. Ungeheuerlich. Der Mann macht mir Angst. Und jetzt, bitte, lassen Sie mich allein. (ANNI ab. Er öffnet den Tresor in der Wand, der Koffer passt nicht hinein) Da haben wir den Salat. (überlegt, schiebt dann den Koffer unter das Sofa, schließt den Tresor und legt den Schlüssel wieder in die Schublade, ruft) Anni! (Sie kommt nicht, er brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Herrje, brülln Sie nicht so. Bin doch nicht taub.
RARISCH: Ja, aber sehen Sie, das hat doch gewirkt.
ANNI (mit Blick auf den Tresor): Ist es da drin?
RARISCH: Selbstverständlich. Ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, dass kein Fremder den Raum betritt. Ist das klar?
ANNI: Wie reden Sie mit mir?
RARISCH: Das Geld, das verdammte Geld. Diese vielen Nullen. Bin davon wie aufgeblasen. Anni, Frau Berger, passen Sie auf. Sie tragen jetzt eine verdammt große Verantwortung!
ANNI: Ich!
RARISCH: Sie sind der Drache, der einen Schatz hütet.
ANNI: Verdammt!
RARISCH: Und wenn Sie rausgehen, immer gut abschließen! Dreimal prüfen! (ab)
ANNI: Nervenbündel. (Das Telefon klingelt. Sie nimmt den Hörer ab) Bürgermeisteramt. Ach Herr Sauermann, sieh mal an. Tach. Nein, er ist nicht da. Weiß nicht. Was ich wissen muss, das geht Sie nichts an. Was? Heut Nachmittag? Meinetwegen. Nee.. Was?.. Ja, sag ich. Aber garantieren.. Peng. Eingehängt. Schofel. Aber garantieren kann ich nichts.
KUNERT (kommt, leicht wankend): Was kannst du nicht garantieren?
ANNI: Ob Sie heut noch nüchtern werden.
KUNERT: Frechheit.
ANNI: Das war der Sauermann. Er will Sie am Nachmittag sprechen. Sie warten schon auf ihn, sagt er.
KUNERT: Ich? Wieso? (denkt nach) Die Scheune! Na, der kann mich mal.
ANNI: Glaub ich nicht.
KUNERT: Glaubst du nicht. Was glaubst du denn, du Schaf. Pardon.. Süße Maid... Was kuckst du mich so befremdlich an?
ANNI: Bin ich ein Schaf, sind Sie ein blinder Schäferhund.
KUNERT: Unerhört. (sie wendet ihn Richtung Sofa) Schubs mich nicht!
ANNI: Den Trecker meint der Sauermann. (führt ihn zum Sofa) Legen Sie sich hin.
KUNERT: Ich kenn die hiesigen Örtlichkeiten, Frau Berger. (legt sich hin, richtet sich wieder auf) Der Trecker! Ich hab's! Dieser Scheißkerl war‘s!
ANNI: Richtig.
KUNERT: Ich komm hinter alles... (legt sich hin) Mich legt keiner rein. (schläft ein)
ANNI: Na endlich. (lässt die Jalousien runter) Herrjeh! Der Friseur. (ab. Das Zimmer liegt im Halbdunkel. Die Jalousie des Fensters wird gehoben und der PROFESSOR steigt leise ein. Er durchsucht lautlos das Zimmer. KUNERT wälzt sich. Der PROFESSOR erstarrt. KUNERT schläft wieder ein. Der PROFESSOR sucht weiter, findet den Tresor, holt ein Werkzeug aus seinem Koffer.)
KUNERT (im Traum): Kupplung! Bremse! Der Hänger! Mann! Der Hänger! (er richtet sich auf) Jee, die schönen Äpfel! (Er greift um sich, als wollte er sie fassen, stößt dabei gegen die Kürbisse, die rollen dem flüchtenden PROFESSOR vor die Füße, der schlägt lang hin. Stille. KUNERT ist jetzt wach, brüllt) Anni!
PROFESSOR (am Boden): Sie ist nicht da.
KUNERT: Wo ist sie denn?
PROFESSOR: Beim Friseur. (Er steht auf und zieht die Jalousien hoch, das rechte Fenster ist offen).
KUNERT: Und wie kommen Sie hierher?
PROFESSOR: Ich ging gerade vorbei. Da schrie jemand. Ich gleich durchs Fenster. Waren Sie das
KUNERT: Ich war wegen Übermüdung eingeschlummert und dann.. ein Alptraum. Tausende, Millionen... Äpfel... und alle in den Graben. Mir ist der Hänger umgekippt. Beim Wenden.
PROFESSOR: Dabei waren es nur zwei Kürbisse. Einbrecherfalle, was?
KUNERT: Ein Chaos ist das hier. Entschuldigen Sie, Herr Professor... Das Denkmal wurde gestohlen.
PROFESSOR: Der Trecker?
KUNERT: Ja, und ich war auf Suche.
PROFESSOR: Was gefunden?
KUNERT: Nein.. Doch.. Aber ja..Der Sauermann war's. Er ist der Verbrecher. Entschuldigen Sie. Ist es morgens oder abends?
PROFESSOR: Früher Nachmittag.
KUNERT: Ja, kommt mir auch früh vor, sehr früh. (Geräusch nebenan) Da ist wer. (ANNI kommt, mit neuer Frisur, stellt sich in Position) Du hast ja eine neue Frisur!
PROFESSOR: Zehn Jahre jünger.
KUNERT: Nee, zwanzig.
ANNI: Dann wär ich jetzt ein Baby. (sieht die Kürbisse) Die Herren haben gekegelt?
PROFESSOR (steht auf): Die Pflicht ruft. Machen Sie’s gut! (ab).
KUNERT: Besser, Herr Professor, besser! (Lärm nebenan) Was ist denn jetzt schon wieder?
SAUERMANN (kommt): Ihr habt mich doch erwartet, denke ich.
KUNERT: Klopfen Sie das nächste Mal gefälligst an. (zu ANNI) Machst du mir einen Kaffee?
SAUERMANN: Mir auch?
ANNI: Pa! (ab)
SAUERMANN: Darf ich mich setzen?
KUNERT: Bitte. Der Kürbis ist frei.
SAUERMANN: Das neuste Möbeldesign, was? Immer ein Schritt der Zeit voraus, was? Das freut mich. Und wie es aussieht, sind wir endlich mal ohne Stress und entspannt. Oder sind wir gespannt?
KUNERT: Herr! Sie stehlen mir die Zeit!
SAUERMANN: Ja, das wär zu viel. Frau weg, Trecker weg und dann noch die Zeit weg. Nicht brüllen, bitte. Ich setz mich näher, damit Sie Ihre Stimme schonen können. (setzt sich auf den Stuhl) Herr Bürgermeister, ich komm mit einer guten Nachricht. Ich hab was von Ihnen gefunden. Nicht die Frau. Naja, ich hab sie auch mal verloren. Kann man verschmerzen.
ANNI (kommt): Der Kaffee. (stellt ihn auf den Tisch. Zu SAUERMANN) Für Sie hätt ich ein Glas Wasser.
SAUERMANN: Nein, danke. Aber wie wär’s mit Champagner? Achja, den gibt’s hier nicht. Schade. Besuchen Sie mich mal.
ANNI: Pa! (ab)
KUNERT: Schluss jetzt mit dem Gesülze. Scheune gegen Trecker, was? Darum bist du doch da. Aber daraus wird nichts. Gesetz ist Gesetz. Du kannst gehen.
SAUERMANN: Moment, Moment, Herr Bürgermeister. Es handelt sich nur indirekt um den Trecker. Also, ich wach heut Morgen auf und da seh ich, der Schlag soll mich treffen, da steht doch der Trecker auf meinem Hof. War ich wütend! Wozu brauch ich ein Denkmal? Also ich trommel meine Leute zusammen. Und was sagen die? Sie sagen, aus Angst haben sie das getan. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit. Sie wissen nämlich, ihr Chef hat keine Aufträge mehr. Aber was hat der Trecker damit zu tun? Und da sagen sie, sie wollten damit dem Herrn Bürgermeister einen Wink geben, dass er sie nicht vergisst in ihrer Not und möglichst schnell ein paar Aufträge vergibt.
KUNERT: Vergebung, ehrwürdiger Vater! Mir kommen die Tränen.
SAUERMANN: Das hoffe ich. Und ich glaube, in diesem Fall sind’s Freudentränen. Bei fünf Millionen ist es doch kein Problem. Also, zwei, drei Aufträge, Axel, und du hast den Trecker ruckzuck zurück. Das haben mir die Männer in die Hand versprochen.
KUNERT: Reinspucken hätten sie sollen. Du Dreckskerl!
SAUERMANN: Brüll nicht. Du hockst nicht auf dem Trecker.
KUNERT: Du kannst dir den Trecker sonst wohin stecken, von mir kriegst du keinen einzigen Auftrag. Die werden ausgeschrieben! Öffentlich! Hier, bei mir, geht es nach Recht und Gesetz. Und jetzt Schluss. Ich ruf die Polizei und lass den Trecker holen.
SAUERMANN: Recht und Gesetz! Ach was!. Du schleppst eine verdammt alte Geschichte mit dir herum, die stinkt dir meilenweit aus dem Hals. Weil ich dich vom Lehrgang strich. Das ist es doch! Gib’s zu!
KUNERT: Ingenieur könnt ich sein.
SAUERMANN: Jetzt bist du Bürgermeister! Kooperieren wir. Das nützt allen!
KUNERT: Dir am meisten.
SAUERMANN: Also jetzt platzt mir der Kragen. Ich wollt’s nie sagen, aber du zwingst mich dazu. Staatsfeindliche Gespräche hast du geführt... Es gibt einen, der hat's uns gesagt. Willst du seinen Namen wissen? Bitte! Jochen Rarisch! Ja, dein Jochen! Verpfiffen hat er dich. Ich hab damals nur vorschriftsmäßig gehandelt. Und jetzt leck mich! (ab, kommt zurück) Noch was. Du bist derselbe sture Bock wie früher. Nee, sag nicht Idealist! Du träumst! Mach die Augen auf. Keiner hat sich geändert. Das schafft keine Revolution, nicht mal ein Weltuntergang schafft das. Der Mensch bleibt, was er ist. Gierig, gierig, gierig.. Ja, ich bin gierig, ich war's früher, ich bin's jetzt, nur haben jetzt die Leute was davon. (ab)
ANNI (kommt, sieht den zusammengesunkenen KUNERT): Herr Kunert.. Herr Bürgermeister, das glauben Sie doch nicht, das mit dem Rarisch.
KUNERT: Wenn das stimmt..
ANNI: Das ist bestimmt gelogen.
KUNERT: Hol ihn. Sofort!
ANNI: Wolln Sie nicht lieber erst einen Cognac..
KUNERT: Tu, was ich dir sag!
RARISCH (kommt): Was soll sie tun?
KUNERT: Setz dich. (zu ANNI) Lass uns allein. (ANNI ab)
RARISCH: Ich wollt dir was sagen.
KUNERT: Schweig. (Pause)
RARISCH: Ich hab das Geld. Aber die Hauptsache ...
KUNERT: Scheiß auf das Geld. Geld, Geld. Gibt es nichts Wichtigeres?
RARISCH: Doch. Ich weiß was über deinen Professor. Ich hab mich erkundigt.... (Stille) Ist was?
KUNERT: Ich war immer ehrlich zu dir, stimmt’s? Ja oder nein?
RARISCH: Ja.
KUNERT: Und du? Kannst du das auch von dir behaupten? (Pause) Fällt der Groschen? Du hast mich verpfiffen. Damals. Ich hab's grade erfahren. (Pause) Stimmt das? Ja oder nein!
RARISCH: Herrgott ja, ich wollt's dir schon immer mal sagen. Aber, Mensch, jetzt mach kein Drama daraus, ich war halb besoffen.
KUNERT: Du hast mich bei der Partei verraten und ich soll kein Drama draus machen? Ingenieur könnt ich heute sein.
RARISCH: Aber jetzt bist du Bürgermeister.
KUNERT: Was ich jetzt bin, spielt keine Rolle. Verraten hast du mich!
RARISCH: Ich hab doch nur gesagt, was alle schon wussten. Dass du gegen sie bist! Das wusste doch jedes Kind!
KUNERT: Und deinen Freund verteidigen, auf den Gedanken kamst du nicht? Verdammt. Die haben mich aus der Liste gestrichen. Ingenieur wär ich geworden!
RARISCH: Hör auf mit dem verdammten Ingenieur! Du bist jetzt Bürgermeister.
KUNERT: Jawohl. Und als Bürgermeister sage ich ... verpiss dich! Sie sind entlassen, Herr Rarisch! Fristlos!
RARISCH: Wegen was?
KUNERT: Du warst ein Mitarbeiter der Stasi! Das hast du verschwiegen!
RARISCH: Du spinnst ja!
KUNERT: Wer hier spinnt, das bestimme ich!
RARISCH: Aha!
KUNERT: Was heißt hier: aha! Ab sofort haben Sie Hausverbot! (brüllt) Anni! (sie kommt) Führen Sie den Mann... (wütend) ..ab! Jawohl! Abführn!
RARISCH: Geh ja schon. Verdammter Ochse. (zu ANNI) War der Sauermann da?
ANNI: Ja.
RARISCH: Dieser Schweinehund.
KUNERT: Ich wünsche, dass Sie den Wortwechsel mit dem Manne einstellen. (ANNI und RARISCH ab. KUNERT schiebt Papiere hin und her. ANNI kommt zurück
ANNI: Und ich wünscht, ich wär blind und taub.
KUNERT: Sei still. Sonst kriegst du auch noch was ab.
ANNI: Natürlich bin ich still. Der Herr Bürgermeister weiß alles und alles besser, er wird schon wissen, was er tut.
KUNERT: Das weiß er, verdammt! Setz dich. Ich glaub, du verstehst was nicht.
ANNI: Ich steh lieber, wenn ich fliege.
KUNERT: Sei nicht so patzig. (steht auf) Sieh mich an. Kann ich lügen? Sieh mir in die Augen! Kann ich andere belügen, mich belügen? Nein! Niemals! (beginnt herumzugehen) Vor der Revolution hatten wir Feigheit, Heuchelei, Verlogenheit. Deswegen haben wir die Kerle zum Teufel geschickt. Stimmt's? Und solche Leute sollen bei uns weitermachen?
ANNI: Aber doch nicht der Rarisch. Der ist nicht so.
KUNERT: Lass mich ausreden.... Will man neu anfangen, dann weg mit dem alten Mist. Sonst bleibt der Gestank und vom Gestank bis zur Sauerei ist es nur ein Katzensprung. Der Mensch heute soll besser soll sein, muss besser sein, sonst war ja alles umsonst.
ANNI: Was der Mensch heut soll, wissen wir doch. Geld soll er machen, meistens mehr für andere als für sich selbst. Und dazu sollen die kleinen Leute auch noch ehrlich sein. Wenn die großen Leute erst mal ihre Millionen haben, dann fragt sie keiner, wie sie's geschafft haben. Darum sag ich: man muss auch bei den kleinen Leuten mal ein Auge zudrücken können.
KUNERT: Ich bin für Gerechtigkeit bei jedem, ich mach da keinen Unterschied. Und was die Gerechtigkeit tut, das siehst du beim Amtsgericht. Du kennst doch das Gebäude. Da ist ne Figur am Portal. Ein Mordsweib. Solche Brüste! Naja.. Tut nichts zur Sache. Ist die Göttin der Gerechtigkeit. Hier hält sie ne Waage und da 'n Schwert. Heut hat sie mit dem Schwert zugeschlagen. (setzt sich) Das musste sein. Das hat ihm weggetan und das ist richtig so. Mir hat's auch wehgetan, das kannst du mir glauben, und das find ich ungerecht.
ANNI: Ach, das ist doch bloß Sentimentalität. Ich weiß nicht, warum ihr Männer immer bloß bis zum Busen kuckt. Sie sollten sich mal das Mordsweib etwas höher ansehen! Die hat nämlich die Augen verbunden, die ist ja blind. Wie kann sie dann gerecht urteilen? Ich bin nicht blind. Und ich sehe: Es ist die alte Geschichte. Eva hat dem Adam den verbotenen Apfel gegeben, und darum mussten sie raus aus dem Paradies. Gerechtigkeit? Dass ich nicht lache. Die Schlange! Die Schlange hätte man zum Teufel jagen sollen, die ist schuld! (stampft auf) Zum Teufel mit der Schlange!
KUNERT: Der Teufel ist doch die Schlange.
ANNI: Sie haben mich schon verstanden.
KUNERT: Also weißt du. Du redest manchmal ein Zeug.
ANNI: Ja, das tu ich, Herr Bürgermeister.
KUNERT (langsam): Allerhand, was du da gesagt hast. Ganz schön frech.. Und ziemlich einfach gedacht. Aber ich glaub, je mehr ich darüber nachdenke.. Ja, jetzt bist du baff, ich sag dir was: Du hast recht.
ANNI: Das wusst ich schon vorher. Also, was tun wir jetzt?
KUNERT (steht auf): Erst einmal kriegst du dafür ne Prämie. (Er küsst sie auf die Stirn.) Sag Alex zu mir.
ANNI: Das war's?
KUNERT: Was denn noch!
ANNI: Na schön. Wir haben alle mal klein angefangen. (ab)
KUNERT(zu sich): Jaja, die Schlange... Na warte, du Satan von einer Schlange! (seufzt) Ingenieur hätt ich sein können. (VORHANG)
(Nacht. Das dunkle Amtszimmer. KUNERT kommt eilig, in der Hand eine Latte, knipst die Schreibtischlampe an, schleudert Latte unter das Sofa, geht ans Telefon, nimmt den Hörer, legt ein Taschentuch über die Sprechmuschel und wählt.)
KUNERT: Hören Sie.. Vorn, bei der Gartentür. Da liegt wer bei Ihnen. (legt auf, läuft wieder herum, geht ans rechte Fenster, öffnet es, atmet tief. Draußen bewegt sich etwas.) Wer ist da?
PROFESSOR (unsichtbar): Gut Freund! (kommt ans Fenster).
KUNERT: Sie sind's? Noch nicht in der Falle?
PROFESSOR: Ich muss morgen früh entscheiden. Es ist keine einfache Entscheidung. Alles spricht für Ihre Gemeinde. Aber sind die Menschen auch reif dazu? Was werden sie tun, wenn sie plötzlich so viel Geld haben?
KUNERT: Keine Angst, ich pass schon auf. (Schweigen) Sternklarer Himmel, was? Der Wagen, sehen Sie? Kein Mercedes.. Ein Bollerwagen. (lacht)
PROFESSOR: Ja. Ein uraltes Baujahr.. Und Sie? Herumgetrieben von Sorgen? Ja, dann schaut man zu den Sternen, lauscht der Stille. Man vergisst alles. Man entdeckt nämlich die ungeheure Leere da oben und hier unten... Alles Leere, Nichts.. Wozu also Sorgen?
KUNERT: Nein, nein. Es gibt etwas, man sieht's bloß nicht. Das Geistige. Wollen Sie nicht lieber reinkommen? Reden wir ein bisschen.
PROFESSOR: Na, hier ist es doch auch ganz hübsch. (setzt sich aufs Fensterbrett) Apropos Geist. Gibt’s hier geistige Getränke?
KUNERT: Klar. (holt die Flasche und zwei Gläser, füllt ein) Sehen Sie: Leere kann man füllen.
PROFESSOR: Ja, aber richtig. (hält sein Glas hin)
KUNERT: Tschuldigung. (gießt nach) Jeden Tag hau ich mir den Schädel dort am Türbalken, von wegen Leere, aber ich verstehe, was Sie meinen: In den Köpfen, nicht wahr, da gehört was rein. Wozu sonst der aufrechte Gang.. Denn der Mensch, nicht wahr, der ist doch.. Ich meine..
PROFESSOR: Ist Ihnen nicht gut?
KUNERT: Nein, Tschuldigung. Ich wollte sagen: Wir sind doch geboren..
PROFESSOR: Ja, das stimmt..
KUNERT: Ach was soll’s! Trinken wir. (trinkt, lacht leise)
PROFESSOR: Jetzt lachen Sie wieder.
KUNERT: Ja, ich hab grade gedacht, wie leicht ich Ihnen beweisen könnte, dass es sehr wohl was Handfestes gibt. Sogar sehr Handfestes!
PROFESSOR: Sie machen mich neugierig. Nanu, da kommt jemand. Ich muss jetzt Japan anrufen. Gute Nacht. (verschwindet. KUNERT knipst rasch das Licht aus. Er setzt sich an den Schreibtisch. Es klopft draußen, dann wird gegen die Tür geschlagen.)
SAUERMANN (von draußen): Aufmachen! Ich hab Licht gesehen! Du bist da! Aufmachen! Ein Notfall!
(KUNERT macht das Licht wieder an, dann geht er öffnen. Hereinkommen SAUERMANN und RARISCH, dieser hat einen Kopfverband und wird von SAUERMANN behutsam geführt, dahinter KUNERT)
SAUERMANN: Mensch, pennst du? Wir müssen ihn wo hinlegen. Aufs Sofa! (Sie legen ihn auf das Sofa) Vorsichtig! Wie du dich anstellst. Hast du auch was am Kopp? So. Langsam.. Gut so.
KUNERT: Ist was mit ihm passiert?
SAUERMANN: Ja, komische Sache. Das Telefon klingelte, meine Frau ging ran, irgendwer nuschelte, da liegt wer vor unserm Haus. Ich geh raus, und da find ich ihn. Vorm Gartentor. Mit blutendem Schädel. Er faselte dummes Zeug, aber das verstand ich, er wollte zu dir. (zu RARISCH) Na, Jochen, da bist du jetzt, kuck her, dein Busenfreund. (zu KUNERT) Du musst einen Doktor rufen.
KUNERT: Ja, ja.. Warst du denn zu Haus?
SAUERMANN: Ausnahmsweise hab ich heut mal früher Schluss gemacht. (blickt zu RARISCH) Der steht unter Schock. (sieht KUNERT an) Ja, da siehst du, wie es zugeht in der Welt. Man ist sich seines Lebens nicht mehr sicher. Du musst auch die Polizei benachrichtigen. Und jetzt sag Dankeschön. Ich will ins Bett.
KUNERT: Dankeschön.
SAUERMANN: Gute Nacht. (ab)
KUNERT (nach einer Pause): Mann, Jochen. Was hast du wieder angestellt. Was treibst du dich nachts beim Sauermann rum? Er sollte eins drüber kriegen! Jochen!.. Jochen!
RARISCH (richtet sich auf): Wer sind Sie?
KUNERT: Spinnst du? Ich bin's! dein alter Freund.
RARISCH: Wer?
KUNERT: Sag mal, welcher Tag ist heute?
RARISCH: Gehn Sie weg! Wer sind Sie eigentlich?
KUNERT: Mann, die Latte ist noch nicht mal zerbrochen, so schlimm war das doch gar nicht.
RARISCH: Wo bin ich?
KUNERT: Der weiß nichts. Der weiß rein gar nichts. Das ist gut. Nein, verflucht, das ist schlecht. Jochen, die Millionen! Wo sind die? (geht an den Schreibtisch, holt den Tresorschlüssel, schließt den Tresor auf) Scheiße! Jochen, das Geld! Wo ist das?
RARISCH: Wer sind Sie?
KUNERT: Wirst du endlich aufhören! Die fünf Millionen. Wo sind die?
RARISCH: Wo bin ich?
KUNERT: Ich hau dir.. Mistkerl! Du spielst! Du markierst doch!
PROFESSOR (erscheint am Fenster): Probleme?
KUNERT: Probleme? Fünf Millionen! Er hat sie heut geholt, und ich krieg nicht raus, wo er sie versteckt hat.
PROFESSOR (kommt durchs Fenster): Das japanische Geld! Das kann doch nicht wahr sein. Ist er verletzt? Hat man ihn beraubt?
KUNERT: Er ist bloß auf den Kopf gefallen. Und jetzt hat er sein Gedächtnis verloren. Ich ruf einen Arzt.
PROFESSOR: Nur mit der Ruhe. Ich hab auch Medizin studiert. (beugt sich über RARISCH) Sagen Sie mal A!
RARISCH (zu PROFESSOR): Wer sind Sie?
PROFESSOR: Der leitende Hausarzt. (hebt ein Augenlid von RARISCH) Du lieber Himmel. Der Menschheit ganzer Jammer sieht mich an. Ich hol schnell die Medizin. (ab durchs Fenster)
KUNERT: Hast du ein Glück, der Professor ist auch Mediziner. Ich glaub, ich brauch auch ne Medizin. (gießt sich ein Glas ein, trinkt) Menschenskind, du bist vielleicht ein Rindvieh. Hättst dich doch mal umdrehn können. Und was machst du auch da mitten in der Nacht!
RARISCH: Dasselbe wie du.
KUNERT: Mit den bloßen Händen? Biste blöd? Bei dem Kerl?
PROFESSOR (steigt durchs Fenster, in der Hand eine Zaunlatte): Glücklicherweise haben Sie die Apotheke gleich am Haus.
KUNERT: Moment, warten Sie mal, Herr Professor...
PROFESSOR: Stocktherapie. Durchschlagender Erfolg garantiert.
KUNERT: Ja, aber ...
PROFESSOR: Kein Aber. Sehen Sie, der Patient zeigt schon seine Erwartungshaltung. (geht zu RARISCH, will schlagen, zögert, wendet sich an KUNERT) Herr Bürgermeister, aus arbeitsrechtlichen Gründen ist es mir leider verboten, ich bin hier nicht angestellt, Sie müssen es tun.
KUNERT: Und ich darf‘s nicht, ich hab nicht studiert.
PROFESSOR: Das hier ist alternative Heilkunst, kein Studium nötig. (reicht ihm die Latte)
KUNERT: Sehn Sie! (zeigt seine zitternden Hände)
PROFESSOR: Seltsam. Wie konnten Sie eine Revolution durchführen?
KUNERT: Ohne Gewalt.
PROFESSOR: Na schön. Aber jetzt herrscht Normalität. (wendet sich zu RARISCH) Sie! Patient! Ich zähl bis drei und wenn Sie dann nicht gesund sind..
RARISCH: Wer sind Sie?
PROFESSOR: Frechheit! Hier stell ich die Fragen!(KUNERT legt rasch ein Kissen auf den Kopf von RARISCH, PROFESSOR haut zu)
RARISCH (zu KUNERT): Er hat mich gehaun, Papa!
PROFESSOR: Allerhand. Ich hab ein Verjüngungsmittel entdeckt.
KUNERT: Es hat nicht gewirkt.
PROFESSOR: Und wie! Noch mal ne Dosis, und er ist wieder in Mutters Bauch. Diese Fluchtmöglichkeit kriegt er aber nicht. (zu RARISCH) Liebes Kind, hör auf meinen Rat! Werd bloß schnell alt und finde dein Gedächtnis wieder. Sonst kommt der Onkel Doktor mit der ganzen Apotheke. Gute Nacht! (ab durchs Fenster)
KUNERT: Ich glaub, der will damit sagen, du simulierst. Aha. Grins nur. Na warte. Runter vom Sofa! Hier penn ich. (RARISCH lässt sich sofort zurückfallen und tut schlafend) Na schön, bleib da liegen, ausnahmsweise. Jochen, jetzt mach aber mal Schluss. Wir müssen an die Zukunft denken... Der Aufschwung! Er steht vor unsrer Tür und du machst solchen Unsinn. (Schweigen) Hat’s denn wehgetan? (Schweigen, wütend) Verfluchter Hund! Du schaffst es noch, dass ich brüll. (beherrscht sich) Weißt du was? Ich lass dich auf dem Sofa pennen, das ist doch nett. Dafür sagst du mir morgen früh gleich als erstes, wo das Geld ist. Denn morgen sind wir wieder vernünftig, klar? (Er deckt RARISCH zu, knipst das Licht aus und macht es sich, so gut es geht, im Sessel bequem. VORHANG)
3. Akt
(Das abgedunkelte Zimmer, hinter den Jalousien ist Tageslicht. ANNI kommt, zieht die Jalousien hoch, wendet sich zum Sofa, um KUNERT zu wecken.)
ANNI (schreit auf)
KUNERT (aufwachend): Was..? Was ist los? Wer hat geschrien?
ANNI: Ich. Was ist passiert?
KUNERT: Wieso? Ist was passiert?
ANNI: Dem da bestimmt. Was hat der auf dem Kopf?
KUNERT: Wer?
ANNI: Der da auf dem Sofa. Sieht aus wie unser Buchhalter.
KUNERT: Er ist es. Das ist ein Verband. Und red nicht so respektlos. Ein Betriebsunfall mit Kopfverletzung und Gedächtnisverlust. Hoffentlich hat er den beim Aufwachen vergessen. Anni! Heut heißt es kühlen Kopf bewahren.
ANNI: Brauchen Sie auch‘n Verband? Mit Eiswürfeln?
KUNERT: Red nicht so durcheinander, ich muss meine Sinne sammeln.
ANNI: Wie viele sind’s? Ich helf suchen.
KUNERT: Schluss jetzt! Das ist nicht lustig!
ANNI: Na, was erwarten Sie denn. Ich mag keinen Chef, der jeden Morgen mit einem Kater aufwacht!
KUNERT: Ich hab keinen Kater. Red keinen Unsinn. Du kannst dir nicht vorstellen, was über mich hereingebrochen ist. Und alles im nüchternen Zustand.. Hör mal, Anni, wenn ein Anruf aus Japan kommt, ich bin nicht da, ist das klar? Hongkong muss warten!
ANNI: Hongkong liegt nicht in Japan.
KUNERT: Ist doch egal. Japaner sind überall, das wirst du noch merken. Hör zu. Wir müssen Zeit herausschinden. Der Professor kommt nachher mit der Medizin. Das heißt.. Wart mal.. Ist unser Zaun noch ganz? Sieh mal nach.
ANNI (schaut durchs Fenster): Da fehlt ja was. Eine... Nee, zwei.
KUNERT: Was? Zwei was? Sprich ordentliche Sätze!
ANNI: An unserem Zaun sind zwei Latten abwesend und das aus unentschuldigtem Grund. (sieht die Latte auf dem Tisch) Da ist ja eine. Und die andere, wo haben Sie die?
KUNERT: Ich? Was hab ich damit zu tun? Außerdem, was geht uns der Zaun an. Wir sind hier nicht beim Gartenbauamt. Frag den Lohse. Nein, lass das. Vielleicht ist alles bloß ein Traum. Ein Alptraum? Andrerseits.. Die Wirklichkeit ist auch nicht von Pappe. Nanu, ich bin ja schon angezogen.
ANNI: Vielleicht waren Sie gar nicht ausgezogen.
KUNERT: Stimmt. Jetzt erinner ich mich. Der da hat sich einfach auf mein Sofa gelegt. Anni, wir duzen uns doch!
ANNI: Darf ich fragen seit wann?
KUNERT: Seit gestern. Konzentrier dich. Du musst den Überblick behalten. Übrigens, ich muss gleich den Jochen .. den Herrn Kämmerer verhören. Dabei will ich nicht gestört werden.
ANNI: Nun sag endlich, was passiert ist.
KUNERT: Das siehst du doch! Er hat eins auf den Kopf bekommen und jetzt ist sein Gedächtnis weg. Ich glaub aber, das ist nur, um mich zu ärgern. Er ist nämlich eine Schlange, die ich sozusagen an meinem Busen... Kuck nicht so.
ANNI: Das Beste wird sein, ich mach uns nen starken Kaffee. (ab)
KUNERT: Jochen! Du hast es versprochen! Wenn du wach bist, sagst du, wo das Geld ist. Bist du wach? (RARISCH schläft) Markier nicht den Siebenschläfer! Wo ist das Geld? Du hast es mir versprochen!
RARISCH (schlafend): Überhaupt nicht. Das hast du dir selbst versprochen.
KUNERT: Du redest im Schlaf, aber red weiter.
RARISCH (wie vorher): Du hast mir eins drüber gebraten.
KUNERT: Das galt doch nicht dir, sondern dem Sauermann. Aber bitte. Sieh es mal so. Manchmal führt das Schicksal die Hand. Also, wo ist es?
RARISCH: Ich red nicht mehr mit dir. Nicht mal im Traum.
KUNERT: Mensch, hör auf damit. Da läuft was Tolles, für uns alle.... Ich hab einen Investor, dem gehört das Geld. Und der braucht es jetzt! Weil er hier bauen will! (Schweigen) Willst mich ärgern, was? Glaubst wohl, ich schaff's nicht ohne dich? Keine Bange.. Ich kann mir schon denken, wo du es versteckt hast. Wart mal.. Du hast ja den Zweitschlüssel von meiner Wohnung! Na klar! Du bist ja ein ganz Raffinierter! Hast es bei mir versteckt! Damit ich nachher dastehe wie ein Verbrecher! Du rachlüsterner Satan! Penn so lang du willst, du Penner, ich hol es mir. (ANNI kommt mit dem Kaffee) Halt ihn mir warm, ich muss mal in meine Wohnung. (ab)
ANNI: Warm halten? Wie denn? (mit Blick auf RARISCH) Ob ich mir seine Haube ausleihe? (stellt die Kanne auf den Tisch)
VERTRETERIN (kommt): Morgen, Anni. Ich bin grad hier in der Gegend und denk, schau mal rein.
ANNI: Sie sind zu früh.
VETRETERIN: Ich könnte warten. Und ein bisschen mit Ihnen plaudern.
ANNI: Ja, gern, setzen Sie sich. Der Kaffee ist grade frisch. (gießt ihr ein) Hier geht es vielleicht drunter und drüber. Achja, schreiben Sie auch noch ne Thermoskanne auf die Bestellung.
VERTRETERIN (trinkt, sieht RARISCH): Nanu? Ein Verletzter?
ANNI: Weiß ich nicht.. Dem Buchhalter ist vielleicht ein Buch auf den Kopf gefallen. Ich glaub eher, mein Chef und er haben gestern Abend einen zu viel gebechert. Sie, ich muss Ihnen was erzählen, es wird ja wohl kein Amtsgeheimnis sein. Wir duzen uns!
VERTRETERIN: Wer?
ANNI: Na wer.. Mein Chef und ich. Ja. Er hat mich geküsst.
VERTRETERIN: Nein!
ANNI: Hierhin. (zeigt auf die Stirn) Wie vom Papst. Ich war ganz ergriffen. (VERTRETERIN lacht) Jetzt bin ich vermutlich heiliggesprochen. Und genau das will ich nicht sein.
VETRETERIN: Der Weg zur Sünderin ist gar nicht so schwer.
ANNI: Ich weiß nicht. Da dürfte er mir nicht im Wege stehn. Aber an dieser Reingestalt geht ja kein Weg vorbei. (seufzt tief) O Gott! Ich will ihn haben.
VETRETERIN: Und Sie kriegen ihn, nur Geduld.
ANNI: Ihr Wort in Gottes Ohr. Nein. Besser in das vom Gegenteiligen.
(LOHSE kommt, zwei Kürbisse unter den Armen)
ANNI: Sie haben mir noch gefehlt. Sie und Ihre Kürbisse! Her damit..(nimmt ihm die Kürbisse ab) Die setz ich gleich an die frische Luft! (ab)
LOHSE: Ah! Meine Mona Lisa! (VERTRETERIN rückt ein wenig zur Seite. LOHSE mit einem Blick zu RARISCH) Er auch?
VERTRETERIN: Was?
LOHSE: Hat er’s auch versucht? Auf den Arm nehmen?
VERTRETERIN: Ja. Und den Erfolg sehen Sie.
LOHSE: Ein Märtyrer der Liebe. Jedoch, wir geben weder Suche noch Versuche auf.
VERTRETERIN: Wenn ich Sie recht verstehe, suchen Sie eine Frau.
LOHSE: Ich kann nicht anders, von Geburt an. Das ist das Menschsein beim Mann. Erst sucht er die Mutter, dann die Jungfrau und am Schluss die Mutter seiner Kinder.
VETRETERIN: Annoncieren Sie. Oder gehen Sie zu einem Ehevermittler.
LOHSE: Ich sehe bereits das prächtigste Weib vor meinen äußeren Augen und vor den inneren seh ich die Mutter meiner Kinder. Wie wär’s mit drei?
VERTRETERIN: Was? Sie meinen doch nicht mich!
LOHSE: Wär es zu viel verlangt, nach Ihrer Schuhgröße zu fragen? Denn beim gemeinsamen Gang durchs Leben brauchen wir gutes Schuhwerk. Ich würd mit Ihnen sofort das beste Schuhgeschäft aufsuchen.
VERTRETERIN: Ist das ein Heiratsantrag?
LOHSE: Man kann es so ausdrücken. Aber auch wie bei Rodeo und Julia: Ich liebe dich, meine Lerche. (denkt nach) Oder war’s die Nachtigall? (Zu VERTRETERIN) Sie heißen nicht zufälligerweise Julia?
VETRETERIN: Nein. Und dann hieß der Mann Romeo, nicht Rodeo.
LOHSE: Ja, vielleicht früher. Heut sagt man‘s auf Amerikanisch. Also lieben wir uns? Wie wär’s mit heut Nachmittag?
VERTRETERIN: Das schlagen Sie sich mal aus dem Kopf.
LOHSE: Das tut weh.
VERTRETERIN: Sie kommen drüber weg.
LOHSE: Sie verlangen da was! Ich soll über Leichen gehen! Zudem über die eigene! Sie haben jetzt nämlich mein Lebenslicht ausgeblasen.
ANNI (kommt): Sie sind ja immer noch da.
LOHSE: Ja, aber tot. Ermordet. Die Nichtliebe einer Frau ist Mord am Mann, und Sie sind schon die zweite heut, ich werd noch zum Serienermordeten. Nein, Frauen seh ich nicht mehr. Meine Augen sind geschlossen auf ewig.
ANNI: Soll ich Sie hinausführen?
LOHSE: Nein, danke. (im Abgehen) Den geh ich doch im Schlaf.
VERTRETERIN: Und mit Korb.
ANNI: Ja, den kann er gebrauchen, er ist Gärtner.
VERTRETERIN: Mir laufen die falschen Männer nach. Ich würd lieber dem richtigen nachlaufen. Er müsste sein wie Sie.
ANNI: Ich lauf keinem nach.
VERTRETERIN: Nein, brauchen Sie auch nicht. Ich könnt noch was lernen von Ihnen. Also heut muss es mit dem Auftrag klappen, mir wird’s richtig unheimlich bei euch. Am Ende bleib ich hier noch hängen. (ab)
ANNI: Herr Rarisch.. Nun wachen Sie doch auf! Sie müssen hier weg. Das geht doch nicht. Was sollen die Leute denken! Aufwachen! (Sie schüttelt ihn. KUNERT kommt. Man sieht ihm an, dass er nichts gefunden hat) Er wacht nicht auf! Es wird doch nichts Schlimmeres sein?
KUNERT: Wär er doch tot, dann wärn wir aus dem Schneider, wir hätten dann wenigstens eine Entschuldigung. Leider ist er hellwach.
ANNI: Ist das hellwach?
KUNERT: Wenn du unter seine Lider sehen könntest, da strahlen die Augen vor Vergnügen...hm.... Wo ist der Kaffee?
ANNI: Ich mach einen neuen. (stößt im Abgehen auf LOHSE. Dieser trägt die Kürbisse von vorhin) Der schon wieder! Und seine Kürbisse!
LOHSE: Und meine Kürbisse, jawohl! Im Müllcontainer! Ich beantrage ein Disziplinarverfahren! Gegen Frau Berger! Das ist Sabotage meiner Arbeit!
KUNERT: Beruhig dich. Kaffee! (ANNI ab) War das alles? Oder was willste noch?
LOHSE: Laufend werd ich von Frauen hingerichtet. Ich weiß nicht, warum ich solchen Frauenhass auf mich zieh.
KUNERT: Lohse!
LOHSE: Aber ich könnt mir schon denken, warum. Am Ende fürchten sie meine Persönlichkeit, sie ist ja nach der Revolution gewachsen. Und dann wittern sie was Löwenhaftes in meiner Männlichkeit, daher ihr Hass, der eigentlich nur aus Angst besteht.
KUNERT (brüllt): Hör auf damit!
LOHSE: Brüllen Sie nicht, da schläft einer.
KUNERT: Den weckt kein Gebrüll auf.
LOHSE: Noch ein Toter.
KUNERT (geht zu LOHSE): Hauch mich mal an.
LOHSE (zurück weichend): Lieber nicht. Der Atem eines Toten ist fürchterlich.
KUNERT: Hauchen! (LOHSE haucht vorsichtig) Sofort nach Haus und penn dich aus. Los!
LOHSE: Lohse heiß ich.
ANNI (kommt mit dem Kaffee, zu LOHSE): Platz da. Zur Seite!
LOHSE: Ja, wohin denn noch..
KUNERT: Nach Haus. (zu ANNI) Danke. Genau das brauch ich jetzt. (zu LOHSE) Bist ja noch immer da!
LOHSE: Da haben Sie vollkommen recht, aber wie! Zerrissen steh ich da, ein Denkmal des geteilt gewesenen Deutschlands. Steh für deine Sache, sagt der linke Teil, der rechte hingegen meint, marsch ins Bett, da ist´s am sichersten. Ja, wenn es da bloß nicht so einsam wär.
KUNERT(geht auf LOHSE zu): Raus!
LOHSE: Halt! Stehen bleiben! Jetzt werd ich aber langsam reizend.. reizig.. sauer, mein ich. (KUNERT lacht) Ja, jetzt lacht er auch noch. Sie! Langt Ihnen eine Revolution nicht, ich mach Ihnen gern noch ne zweite. Ich bin jetzt so was von sauer, dagegen ist ein Terrorist ein Witz! Sie! Lachen Sie nicht! Ich hab hier nämlich was...(hebt die Kürbisse) Die reinsten Bomben! (POLIZIST kommt)
POLIZIST (macht erschrocken kehrt): Bomben! Alarm! Alarm! (stößt auf FRAU KUNERT und SAUERMANN)
SAUERMANN: Quatsch. Kürbisse. Blinder Alarm!
POLIZIST (wischt sich die Stirn): Auch ein blinder ist mordsgefährlich. Da sind schon ne Menge Herzinfarkte passiert. Um was geht's?
SAUERMANN (deutet auf KUNERT): Verhaften Sie den! Das ist der Kriminelle.
KUNERT: Was? Bist du übergeschnappt?
FRAU KUNERT: Alex, überleg, was du sagst. Du stehst unter Verdacht.
ANNI: Schon wieder so eine Gemeinheit vom Sauermann.
SAUERMANN: Schnabel halten!
POLIZST: Ruhe! Hier befehle ich!
FRAU KUNERT: Lass dir helfen von mir. Ich sag dir, was du tun musst.
ANNI: Pa! Er braucht Ihre Hilfe nicht.
FRAU KUNERT: Ach, Kindchen, du hast ja keine Ahnung.
ANNI: Duzen Sie mich nicht! Und mit Kindchen schon gar nicht!
POLIZIST: Ruhe! (zu KUNERT) Wir kennen uns doch? Na, das haben wir gleich. Ihren Ausweis bitte!
LOHSE (zum POLIZISTEN): Sie! Ich war zuerst dran. Ich bitte gefälligst eine Schlange zu bilden!
KUNERT: Was wollt ihr eigentlich?
POLIZIST: Sie sind verdächtigt.. Am besten sagen sie einfach, was Sie getan haben.
SAUERMANN: Fünf Millionen hat er veruntreut. Das sagte ich doch schon. Sie sind vom Bankkonto der Gemeinde abgehoben worden.. von seinem Kämmerer... Das war gestern. Und heut Nacht wurde der überfallen. Schon merkwürdig, was? Ja, Alex, das hast du gut gemacht, aber nicht gut genug! Jetzt kommt die Gerechtigkeit zu dir!
ANNI: Blödsinn. Das Geld ist doch hier. (holt den Tresorschlüssel, schließt den Tresor auf. Sie sieht KUNERT an.) Leer!
LOHSE: Ja, so viel Geld haben wir alle.
FRAU KUNERT: Ach Alex.. Hast du dich von dem Geld verführen lassen? Ich versteh dich ja. Aber renn nicht ins Verderben, gib mir's, ich bring's zu meiner Bank....
KUNERT: Ich hab’s nicht. Basta. Fragt den da! (deutet auf RARISCH)
ANNI: Ja, ich hab's selbst gesehen. Er war hier mit dem Koffer!
SAUERMANN: Und später ist er überfallen worden, ganz einfach. Oder hat sich überfallen lassen.
POLIZIST (ist zu RARISCH gegangen): Der da hat's? Der ist ja wie tot! So was. Vielleicht wird noch ein Mord draus. Herrschaften! Die Kriminalität ist jetzt schon doppelt so hoch und wir haben noch nicht Mittag.
LOHSE: Da haben Sie vollkommen Recht! Man müsst mit den Energiesparmaßnahmen auch mal bei der Kriminalität anfangen.
FRAU KUNERT: Alex... Du kriegst einen guten Zins bei uns.
ANNI: Na klar. Und Sie eine hohe Provision, was?
FRAU KUNERT: Und Sie von ihm einen Pelzmantel, was?
SAUERMANN: Hört auf damit! Dieser Heilige hat Dreck am Stecken. Er schimpft uns Betrüger und ist der größte!
ANNI: Was Sie sind, das wissen wir doch, Sie Parteikapitalist!
POLIZIST: Ruhe! Was ist das schon wieder für eine Komplikation. Parteikapitalist. Das ist ja das Neuste!
ANNI: Das war ein Witz.
POLIZIST: Hier wird nicht gewitzelt! Wofür halten Sie mich? Meinen Sie, der Polizeidienst ist ein Spaß? Da kratzt wer am Autolack, und wer muss hin? Ich. Fünf Minuten später: Schnapsflaschenklau im Laden! Wer muss hin? Natürlich ich, ist ja sonst kein Schwein da. Und grad bin ich da, geht der Alarm schon wieder los: „Mord in der Bredtschneider!“ Keine Ahnung, wo die ist, aber hin muss ich! Aber am schlimmsten sind die Schlägerein: die merken gar nicht, dass ich schon da bin. Also, Herrschaften, nehmen Sie Rücksicht. (VERTRETERIN kommt) Noch einer. Was wollen Sie?
VERTRETERIN: Ich bin bestellt.
KUNERT: Zu mir will sie.
POLIZIST: Aha. Die Täterin zieht‘s zum Täter zurück.
FRAU KUNERT: Wie Sie das getroffen haben, Herr Wachtmeister!
ANNI: Nu reden Sie doch keinen Stuss!
POLIZIST: Ruhe. Bilden Sie eine Schlange! Sie wissen doch, wie das geht: Der Kleinste nach hinten, der Größte nach vorn. (zu LOHSE) Was wolln Sie mit den Kürbissen?
LOHSE: Noch sind es solche, aber nachher..
KUNERT (zur VERTRETERIN): Ja, kommen Sie, kommen Sie. Ich hab den Auftrag schon... (sucht auf dem Tisch. ANNI zeigt ihm das Papier).. schon unterschrieben. (unterschreibt) Hier. (reicht ihr den Vertrag) Und Dank für die Lieferung! Sehr schön, Ihre Möbel!
VERTRETERIN: Sie scherzen! Die kommen noch.
POLIZIST: Sagen Sie mal, gibt’s hier vielleicht auch noch nen Betrug zu melden?
KUNERT: Da stehn sie doch, die Möbel. Ein Möbelstück neben dem andern. Das hier.. (tritt zu SAUERMANN) ..ist der neue Panzerschrank! Vielleicht ist da schon Geld drin? (versucht an SAUERMANNs Brusttasche zu kommen)
ANNI: Herrje.. Jetzt dreht er durch.
SAUERMANN (schlägt auf KUNERTs Hand): Finger weg! Was da ist, ist Privateigentum!
KUNERT: Sogar sprechen kann er. Nur müsste er sagen: Gemeindeeigentum. (wendet sich seiner Frau zu) Und da unser neuer Garderobenständer! Sehr schick.. Passt zum Panzerschrank. (schiebt seine Frau neben SAUERMANN)
FRAU KUNERT: Lass das! Du ramponierst mir das Kostüm!
KUNERT: Das nächste Mal aber mit Rollen, Anni.
SAUERMANN: Der macht auf unzurechnungsfähig. Aber damit kommst du nicht durch!
LOHSE: Herr Bürgermeister, wenn Sie mich mal betrachten wollen.
KUNERT: Achja, da ist noch was. (schnuppert an LOHSE) Die Bar! Denkst auch an alles, Anni. Wenn hohe Tiere kommen. Gluck, gluck... Und so schöne Kugellampen hat sie auch!
LOHSE: Ist das die Möglichkeit! Sie haben vollkommen Recht! Es sind nämlich wirklich Lampen, allerdings Lampen in spe.. Ja, Chef, hören Sie! Ich hab nämlich eine Geschäftsidee: Eine Fabrik für Kürbislampen, so was gibt’s noch nicht. Das Geld für die Fabrik haben Sie ja!
POLIZIST: Richtig.. Das Geld. (zu KUNERT) Also, mein Herzchen, wo ist denn das liebe Geld? Du hast es versteckt, was? Und wir sollen suchen? Na, wo fangen wir an. Im Keller? (zu den Umstehenden) Sagen Sie mal, hat er letztens im Gemüsegarten gebuddelt?
ANNI: Wir haben gar keinen Gemüsegarten.
POLIZIST: Ein ganz Raffinierter. Jetzt bräuchten wir nen Polizeihund, aber der Sparzwang schafft halt immer zuerst die unteren Dienstränge ab.
VERTRETERIN: Entschuldigung! Wann komm ich dran? Ich muss weiter.
POLIZIST: Ruhe! Einer nach dem andern.
LOHSE: Man versteht sich ja selbst nicht mehr.
FRAU KUNERT: Alex, sag doch was!
KUNERT: Ich bin müde. Ich glaub, ich leg mich mal kurz hin. (will sich auf den RARISCH legen) Wieso ist das Ding so hart. Muss ich wohl erst weich klopfen. (will zuschlagen, da springt RARISCH auf)
RARISCH (zu KUNERT): Nicht schon wieder! Und jetzt pass mal auf, du! (zieht unterm Sofa erst das Brett hervor, dann den Koffer.)
POLIZIST: Was ist das?
RARISCH: Na, der Geldkoffer, der verdammte.(tritt zu KUNERT) So ein Affentheater! Zufrieden? (KUNERT macht eine Handbewegung.)
FRAU KUNERT: Ist der voll?
SAUERMANN: Will ich sehen! (drängt sich vor)
LOHSE: Ich auch! (ebenfalls)
VERTRETERIN: Nicht zu glauben! (ebenfalls)
ANNI: Unterm Sofa! (ebenfalls)
POLIZIST: Achtung! Der Koffer wird amtlicherseits geöffnet. Herrschaften, behalten Sie doch die Ruhe, Menschenskind!
(Öffnen des Koffers. KUNERT und RARISCH sprechen leise miteinander)
KUNERT (zu RARISCH): Alter Affe.
RARISCH: Saukerl, verdammter.
KUNERT: Was treibst du dich da rum, in der Nacht?
RARISCH: Ich wollt ihn vermöbeln, genau wie du. Siehst du jetzt ein, was das für eine Gerechtigkeit ist? Jeder denkt an sich... Du auch!
KUNERT: Jaja.. Aber was machen wir jetzt?
RARISCH: Ich weiß, wo dein Trecker ist. In der Scheune vom Sauermann!
KUNERT: Kannst du ihn holen? Aber Tempo! Und quer durch seinen Garten!
RARISCH: Mit Vergnügen! (ab)
POLIZIST: Herrschaften, halten Sie Abstand! So.. (öffnet und schon drängen sie alle an den Koffer, bis auf KUNERT. Alle fassen mal hinein.) Nicht anrühren! Sie zerstörn ja sämtliche Fingerabdrücke! Nee, so was.. Lauter Tausender.. Ich hab noch nie so’n Ding in der Hand gehabt. (langt auch hinein)
KUNERT: Schluss jetzt... (drängt sich zum Koffer, klappt ihn zu) Ist das vielleicht euer Geld? Soll ich’s verteilen?
ANNI: Auja, bitte.
KUNERT: Ja, das hättet ihr gern... Bloß der Lohse nicht, der schweigt. Freut mich. Was meinst du, Lohse, für was ist das Geld?
LOHSE: Für meine Fabrik natürlich sowie einen Dienstwagen, viertürig mit Airbag und Klimaanlage, dazu ein Handy, ne Schreibgarnitur und eine Frau. Letzteres ist nicht Bedingung.
KUNERT: Letzteres sollst du kriegen, zur Strafe. Ich sag euch, wozu die Millionen gut sind. Hier.. (klopft auf den Koffer) Das ist ein Traum. Nein, das war ein Traum. Der Traum eures Bürgermeisters. Damit wollte er aus dem Dorf was Blühendes machen mit Menschen, die auch erblühen, nämlich zu neuen Menschen. Ihr Arschgeigen. Ihr habt die Chance verpasst. Ich geb's auf. Und damit ihr's wisst: das Geld gehört einem Großinvestor, für den hab ich's aufgehoben.
PROFESSOR (kommt): Sehr freundlich von Ihnen, Herr Bürgermeister. Vielen Dank! (holt eine Pistole aus dem Aktenkoffer) Dieses Instrument überzeugt Gehirne, die nicht verstehen wollen. (richtet die Pistole auf die Gruppe) Hände hoch und her mit dem Koffer!
KUNERT: Sie, heut bin ich nicht in Stimmung für Witze.
PROFESSOR: Kein Witz, Herr Bürgermeister. Die Japaner bin ich. Und ich muss Ihnen leider sagen, Ihre Gemeinde ist für meine Fabrik nicht geeignet. Kein Idealismus bei den Leuten! Das ist schlecht für die Arbeit.
POLIZIST: Ein Räuber! Und ich hab keine Pistole! Verfluchter Sparzwang. Ich bin ein zwangsgesparter Pazifist.
PROFESSO: Ein Polizist? Na, großartig. Sie können mir helfen. Hier! Meine Pistole! (wirft dem Polizist die Pistole zu) Passen Sie auf, dass mich keiner beklaut. (nimmt den Koffer ab)
POLIZIST: Sehr freundlich.
SAUERMANN: Der Kerl ist weg!
FRAU KUNERT: Das Geld!
VERTRETERIN: Ist auch weg. (lacht auf)
LOHSE: Ja, das ist das Verfluchte am Geld: seine Mobilität.
FRAU KUNERT (zu POLIZIST): So tun Sie doch was!
SAUERMANN: Ja, knallen Sie ihn ab.
POLIZIST: Mit dem Spielzeug? (spritzt mit der Wasserpistole) Überall Sparzwang. Auch bei der Räuberschaft..
SAUERMANN: Los, hinterher, schnappen wir ihn uns, das ist unser Geld!
FRAU KUNERT: Den kriegen wir! Bei unsern Straßen ... (beide ab)
LOHSE (zu VERTRETERIN): Beeilung, Gnädigste! Sonst geht uns meine Fabrik und Ihr Auftrag durch die Lappen und wir sind Lappländer! (beide ab)
KUNERT (zum POLIZISTEN, der sich langsam in Bewegung setzt): Geht’s nicht ein bisschen schneller?
POLIZIST: Ja, wenn ich Blaulicht hätte. Aber der Sparzwang... (geht langsam ab)
KUNERT (zu ANNI): Und du? Du rennst nicht mit?
ANNI: Nee. Ich wart auf ein Taxi.
KUNERT: Hör mal! (Geräusch des sich nähernden Treckers) Das Taxi.
ANNI: Ein bisschen laut, das Taxi. (Treckergeräusch endet)
RARISCH (kommt): Dein Lieblingsstück ist da. Und was jetzt?
KUNERT: Anni, jetzt machen wir einen Ausflug.
ANNI: Auf dem Trecker? Da ist doch kein Platz für mich.
KUNERT: Klar, auf meinen Knien.
ANNI: Auja. Und ich zeig dir, wo’s lang geht.
RARISCH: Hatten wir das nicht schon mal?
KUNERT: Kann mich nicht erinnern.
RARISCH: Ich wüsst ein Gegenmittel.
ENDE
Schwank
6 m, 4 w
Die Personen sind
Alex KUNERT, Bürgermeister, ehemaliger Traktorist
FRAU KUNERT, Johanna, seine Frau
ANNI Berger, seine Sekretärin
Jochen RARISCH, sein Freund und Kämmerer beim Bürgermeisteramt
Der PROFESSOR
SAUERMANN, Bauunternehmer, ehemaliger Parteisekretär
LOHSE, Gärtner
VERTRETERIN für Büroeinrichtungen
POLIZIST
Das Bühnenbild
Das Amtszimmer des Bürgermeisters. In der Mitte zwei Fenster mit Innenjalousien. Die Wand zwischen den Fenstern ist kahl mit einem weißen, viereckigen Fleck: dort hing einmal ein Bild. Davor der Stuhl des Bürgermeisters, sein Schreibtisch voller Papiere, Telefon und Bürolampe. Vor dem Schreibtisch der Besucherstuhl.
Links die Wand mit einem kleinen Tresor Davor - etwas seitlich - ein Sofa mit Tisch und drei Sesseln. Rechts die Wand mit der Tür zum Vorzimmer, links davon eine Kommode, darauf eine Vase mit Blumen.
Das Mobiliar ist alt und erneuerungsbedürftig.
Wenn das Fenster rechts hinter dem Schreibtischstuhl des Bürgermeisters (vom Publikum aus gesehen) geöffnet ist, sieht man den Dorfplatz und den Teil eines rotlackierten Traktors. Die Fenster gehen nach außen auf.
Das Zimmer ist offenbar nicht nur ein Amtszimmer, es wird auch bewohnt.
1. Akt
KUNERT sitzt an seinem Schreibtisch und bearbeitet die Unterschriftenmappe: Nach sorgfältiger Lektüre unterschreibt er schwungvoll. Das Fenster links hinter ihm ist geöffnet, man sieht Teil eines rot lackierten Traktors. ANNI, die Sekretärin, steht wie auf Kohlen neben KUNERT.
KUNERT: Was ist?
ANNI: Sie lesen aber lang.
KUNERT: Ist es nicht toll, wie ein ehemaliger Traktorist so klasse diktieren kann?
ANNI: Traktorist war gestern. Heut sind Sie Bürgermeister.
KUNERT: Ja, und noch was war gestern. (unterschreibt)
ANNI: Klar. Die Wende.
KUNERT: Ich bitt dich. Eine Revolution war das!
(PROFESSOR kommt ans Fenster, blickt herein.)
PROFESSOR: Einen wunderschönen guten Morgen!..
ANNI: Bitte, Sie wünschen?
PROFESSOR: Nun, viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Die Voraussetzungen sind ja bestens. Verfallene Häuser, kaputte Straßen. Das ist Ihre Chance! Meinen Glückwunsch! Fangen Sie an!
KUNER: Was? Wen meinen Sie?
PROFESSOR: Sie sind doch der neue Bürgermeister? Oder?
KUNERT: Ja. Steht an der Tür. Dort sollten Sie das nächste Mal reinkommen.
PROFESSOR: Aber natürlich. Alles Gute! Bis später! (ab durch die Tür)
KUNERT: Wer war das?
ANNI: Weiß nicht. Irgend so ein Verrückter.
KUNERT: Sag mal, wie sprichst du von Leuten, die die Wahrheit sagen? Er hat doch recht. Alles kaputt! Und ich bin der neue Bürgermeister, genau, aber sein Glückwunsch kommt reichlich spät, ich hab ja längst angefangen. (reicht ihr die Mappe) Den nächsten Verrückten bittest du gefälligst herein zu einer Tasse Kaffee.
ANNI: Da sind noch zwei Briefe. (gibt ihm die Mappe zurück)
KUNERT: Wieso? (nimmt die Mappe, prüft) Ganz hinten, kann ja keiner sehn. (liest. ANNIS Gegenwart macht ihn zunehmend nervöser.) Übrigens..
ANNI: Was denn?
KUNERT (ohne aufzublicken): Da ist Taubendreck auf dem Denkmal.
ANNI (ohne sich vom Platz zu rühren): Ich weiß, Herr Bürgermeister.
KUNERT (aufblickend): Ist das eine Antwort? Den Lappen und hinaus!.. Poliern, bis es blitzt! (Das Telefon klingelt. KUNERT nimmt den Hörer ab.) Bürgermeisteramt. Ja, höchst persönlich.. Was? Wer? Ein Wissenschaftler? Professor? Hier wird jeder gut behandelt. Von welchem Ministerium.. Aha.. Naja.. Wird auch Zeit, dass ihr mal was tut für uns. Gut. Ich kümmer mich drum. Wiederhörn..(unterschreibt, zu ANNI) Du stehst ja immer noch da.
ANNI: Ja.
KUNERT: Ich muss dich mal auf was aufmerksam machen. In der Stadt lassen sie den Taubendreck auf ihren Denkmälern. Wir nicht!
ANNI: Ein Trecker muss das abkönnen.
KUNERT: Das war er, jetzt ist er ein Denkmal! Ein Denkmal für die Revolution! Was warst du eigentlich vor der Revolution?
ANNI: Schreibkraft. Genau wie heute. Für mich gab's keine Wen..
KUNERT (unterbricht sie): Stopp! Falsch. Ganz falsch. Jetzt bist du Sekretärin, das ist was ganz anderes. Und eine Wende gab's nicht.. Wir waren doch nicht in einem Auto auf der Straße. Wir waren zu Fuß auf der Straße und marschierten geradeaus in eine Revolution.. Jetzt bist du ein freier Mensch. Keine Stasi und nichts. Kannst jetzt immer und überall deine Meinung sagen. Und du hast eine ganz schöne Klappe, das kann ich dir flüstern.
ANNI: Das können Sie laut sagen, Herr Bürgermeister.
KUNERT: Naja, meine ist auch nicht ohne.
ANNI: Das darf ich nur flüstern. (LOHSE kommt, zögert)
LOHSE: Zu früh, was? Na, komm ich nachher noch mal. (will wieder gehen)
KUNERT: Achwo. Hock dich. Anni, Vorzimmer!
(ANNI greift sich die Unterschriftenmappe, ab)
LOHSE (setzt sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch): Andrerseits lieber zu früh als wie zu spät. Denn lieber lass ich mich von Ihnen bestrafen als wie vom Leben. Weil, wie bekannt, dieses so ungerecht ist.
KUNERT: Nicht das Leben, nee, Lohse, der Mensch, der Mensch! Wissen wir doch. Aber am Ende siegt immer die Gerechtigkeit. Wenn's sein muss wie bei uns, mit einer Revolution!
LOHSE: Genau. (Pause) Welche Revolution, bittschön?
KUNERT: Na unsere.
LOHSE: Ah! Die! Feine Sache. Andererseits.. Sozialismus gegen Alkoholismus, da weiß man doch, wer gewinnt.
KUNERT: Quatsch nicht. Pass mal auf. Du hast zu mir gehalten, wo andere einen Bogen um mich machten, das vergess ich dir nicht. Bei Wind und Wetter hast du mir den Kaffee gebracht. Ich mach dich zum Leiter der Gärtnerei. Was sagst du dazu?
LOHSE: Ja, was denn. Vielleicht macht der Herr Bürgermeister einen Witz. Da lacht man eben.
KUNERT: Ja, lach man, aber nicht wegen dem Witz, sondern wegen der Gerechtigkeit. Bist doch gelernter Gärtner? Na also. (schiebt ihm das Papier zu) Setz deinen Wilhelm drunter. (KUNERT gibt ihm einen Kugelschreiber)
LOHSE (liest): Jetzt wo alles rechts ist, könnt auch das Komma ein bisschen weiter rechts sein, beim Verdienst, mein ich. (unterschreibt) Na, besser als gar nichts.
KUNERT(nimmt ein Blatt, schiebt das andere zurück): Eben. Und dass du mir keinen Schnaps anrührst während der Arbeitszeit!
LOHSE: Ja. Machtrausch ist gesünder.
KUNERT: Witzbold. An die Arbeit! Die Radieschen warten.
LOHSE (steht auf): Radieschen! Dafür ist die freie Marktwirtschaft zu schad. Wir gehn gleich ins Große, versteht sich. (Beim Abgehen stößt er auf RARISCH)
RARISCH: Was wollte die Schnapsdrossel hier?
KUNERT: Sprich anständig von deinem Kollegen. Er ist jetzt der Leiter der Gärtnerei.
RARISCH: Und warum?
KUNERT: Sei still. Ich hab auch dich eingestellt.
RARISCH: Aber doch wohl nicht nur, weil wir Freunde sind.
KUNERT: Natürlich nicht. Und jetzt hör mal auf zu meckern. (RARISCH sieht sich um) Der ist frei. (deutet auf den Stuhl vor dem Schreibtisch)
RARISCH: Wenn du wenigstens die Decke zusammenlegen würdest. Muss denn jeder gleich mitkriegen, dass du hier auch pennst? (setzt sich)
KUNERT: Ich arbeite eben Tag und Nacht, das soll ruhig jeder sehen.
RARISCH: Mit deiner Sekretärin?
KUNERT: Was soll das schon wieder?
RARISCH: Es heißt, du hast was mit ihr.
KUNERT: Ein alter Hahn und ein Küken! Nun mach mal Schluss mit deiner Buchhalterei. Kaffee?
RARISCH: Nein, danke, ich hab's eilig, ich will dir nur..
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Einen Schwarzen, für mich. (ANNI ab) Hör mal, ich muss dir was sagen. Ich hab Sorgen.
RARISCH: Na klar.
KUNERT: Private..
RARISCH: Sind bekannt.
KUNERT: Teufel noch mal, kann man denn heut überhaupt nichts mehr geheim halten? Also gut. Meine Frau. Vor der Revolution, wie die Genossen mich schikanierten, das weißt du ja, da war sie auf meiner Seite. Ein Herz und eine Seele waren wir, wie man so sagt. Dabei war ich bloß Traktorist. Und jetzt? Ich bin Bürgermeister, aber sie ist total unzufrieden mit mir. Ich sag dir was. Sie versteht mich nicht. Ich hab eine Aufgabe hier! Die zuerst und dann mein Privatleben! (zeigt auf die überhäufte Tischplatte) Hier! Ein Haufen Probleme. Das neue Klärwerk, die Sanierung der Grundschule.. Die Feuerwache … Wie viel ist in der Kasse?
RARISCH: Weißt du doch.
KUNERT: Man hätte mit den Genossen auch das Geld abschaffen müssen. Das Geld ist die reine Konterrevolution.
RARISCH:: Es ist doch gar keines da.
KUNERT: Eben. Dann kann man es doch gleich abschaffen. (seufzt) Blühende Landschaft hat der Kanzler gesagt. Ich hätt gern gleich mit Früchten. Wozu sonst die ganze Revolution? (ANNI kommt mit der Kaffeetasse) Stell sie hierhin. (schiebt Papiere beiseite) Nicht kleckern! (Sie geht zum Sofa, faltet die Decke zusammen und legt sie ordentlich über die Lehne) Dankeschön, Frau Berger, das war nicht nötig. (Sie blickt ihn verblüfft an) Sie können gehen, Frau Berger. (Mit einem Achselzucken geht sie ab)
RARISCH: So förmlich auf einmal?
KUNERT: Von irgendwoher muss das Gequatsche doch kommen. (trinkt einen Schluck aus der Tasse)
RARISCH: Gibt's sonst noch was?
KUNERT: Also, was ich sagen wollte ... Vielleicht redest du mal mit ihr? Auf mich hört sie nicht mehr. (Nebenan wird eine Männerstimme laut und ANNIs Stimme)
RARISCH: Die Stimme kenn ich. Da geh ich lieber. (steht auf)
KUNERT: Der soll bloß die Klappe halten, der hat hier nichts mehr zu sagen. (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Der Sauer.. (SAUERMANN drängt sie zur Seite)... mann
SAUERMANN: Da hocken sie wieder zusammen, die beiden, wie in alten Zeiten. Und die Interessen des Volkes bleiben liegen!
ANNI: Ich hab ihm gesagt, Sie sind auf einer Sitzung, Herr Bürgermeister.
SAUERMANN: Ja, und denn noch auf meinem Stuhl, gratuliere! Und Kaffee gibt's und .. Wo ist denn der Kuchen? Anni, was ist das für eine Bewirtung! Bei mir gab’s auch was für die Zähne!
RARISCH (leise): Ich hau ihm gleich eins in die Zähne. (laut) Also bis dann. (ab)
SAUERMANN (mit einem Blick hinterher): Schlecht gelaunt, was?
KUNERT: Schon gut, Anni, für Leute mit Aussicht auf einen Herzinfarkt bin ich gern zu sprechen. (ANNI ab)
SAUERMANN: Den Herzinfarkt sollst du kriegen!
KUNERT: Ich bitte Sie, mich nicht zu duzen.
SAUERMANN: Jawoll, ich siez dich gleich, pass mal auf du… Was ist das? (wirft ein Blatt Papier auf den Tisch)
KUNERT(sanft): Bei mir darf man sitzen.
SAUERMANN (setzt sich): Bitte. Wenn‘s der Sache hilft.
KUNERT: Bei dir musste man stehen. Hat der Sache auch nicht geholfen.
SAUERMANN: Sehr witzig, ich lach aber nicht. Also! Was soll das? Die Scheune steht auf einmal unter Denkmalschutz?
KUNERT: Auf Antrag des Gemeinderats, genehmigt vom Landesdenkmalamt.
SAUERMANN: Und das, nachdem du mir die Scheune verkaufst hast.
KUNERT: Das war nicht ich, die Gemeinde war das. (trinkt aus der Tasse) Und verkauft haben wir dir das Grundstück, nicht die Scheune.
SAUERMANN: Wie soll ich jetzt da bauen? Um die Scheune herum?
KUNERT: Nein. Dann sieht man ja das Denkmal nicht mehr.
SAUERMANN: Ja, wie dumm von mir. Und was empfiehlt mir der Herr Bürgermeister?
KUNERT: Bau sie doch aus, die Scheune.
SAUERMANN: Die Bruchbude?
KUNERT: Ein Denkmal, wenn Sie gestatten.
SAUERMANN: Reicht dein Trecker nicht?
KUNERT: Diese Scheune, mein Herr, wurde an einem Wochenende vom Dorfkollektiv gebaut. Und ein Traktorist hat sämtliche Balken rangekarrt... mit diesem Trecker dort, der jetzt allerdings ein Denkmal ist
SAUERMANN: Ich kapier. Rache, was? Kleinkarierte, kindische Rache. Dann lass dir mal was gesagt sein: Du warst ein Staatsfeind. Ja, das warst du, du warst ja immer dagegen. Wie kann so einer erwarten, dass der Staat ihn fördert? Wofür hältst du den Staat? Für einen Idioten?!
KUNERT: Ich könnt heut Ingenieur sein! Du hast mir damals die Schulung verbaut. Und warum? Staatsfeind? Da lach ich aber. Du warst scharf auf meine Frau!
SAUERMANN: Sie war noch gar nicht deine Frau.
KUNERT: Ja, die hättste gern gehabt, aber nichts da! Die hat nämlich Grundsätze, die scheißt auf Heuchler und Schmarotzer, und wenn sie zehnmal Parteisekretär sind. Die wollte einfach nen ehrlichen Kerl, und wär’s auch bloß ein Traktorist.
SAUERMANN: Danke, Genosse, pardon, Herr Bürgermeister, für die Rede im proletarischen Stil. Brüllen musst du aber nicht, du hockst nicht mehr auf dem Trecker.
KUNERT: Richtig. Ich sitz auf deinem Stuhl. Und jetzt muss ich arbeiten. Wiedersehn, Herr Parteisekretär a.D..
SAUERMANN: Ich stelle beim Gemeinderat den Antrag auf Abwahl des Bürgermeisters.
KUNERT: Geht nicht. Ich bin vom Volk gewählt.
SAUERMANN: Das Volk! Diese Dummköpfe!
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Notieren Sie das!
ANNI: Was denn?
KUNERT: Was der gesagt hat.
ANNI: Was denn? (Pause)
SAUERMANN: Ein hübsches Pärchen seid ihr.
KUNERT (brüllt): Raus! (ANNI will abgehen) Du nicht! Der da! Zeig ihm, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat!
ANNI (zu SAUERMANN): Bitte folgen Sie mir!
SAUERMANN: Ihr spinnt ja beide. Die Sache ist noch nicht entschieden, Herr Bürgermeister! Und was Ihren Stuhl betrifft... Als es meiner war, hatte ich was hinter mir, nämlich die Arbeiterklasse. Und was hast du? Die nackte Wand! Mit nem weißen Fleck drauf! Und wenn ich mich hier umseh.. Miefig, schäbig. Dagegen haben meine Arbeiter Luxusbuden! (ab)
ANNI: Mann, ist der sauer.
KUNERT: Der Kaffee ist kalt. (Sie nimmt die Tasse, er sieht sich um) Naja, immerhin... Sollten wir nicht ein bisschen..
ANNI: Was?
KUNERT: Das hier ist doch das Bürgermeisteramt. Aber wie sieht's aus? Die Leute könnten ja denken, hier wird gepennt. Und dann.. Die Wand... hinter mir! Wieso ist die leer?
ANNI: Na, weil da nichts hängt.
KUNERT: Und der weiße Fleck?
ANNI: Auf den bin ich stolz.
KUNERT: Was?
ANNI: Das ist nämlich ein Denkmal.
KUNERT: Was?
ANNI: Der weiße Fleck erinnert uns daran, was wir mal waren: rot.
KUNERT: Ich nicht. Ich war nicht rot. Höchstens äußerlich.
ANNI: Richtig. Nämlich vor Wut.
KUNERT: Widersprich nicht. Gleich hängst du da was hin! Und was Bedeutendes, bitt ich mir aus.
ANNI: Na schön. Den Rahmen haben wir ja noch. Und für was drin find ich auch noch was.
KUNERT: So gefällst du mir, Anni.
ANNI: Sie meinen Frau Berger.
KUNERT: Raus! (ANNI ab)
RARISCH (kommt): Der Sauermann hätte mich fast umgerannt. Gab’s Krach?
KUNERT: Er muss zum Doktor, ihm steckt ne Scheune im Hals.
RARISCH: Soll er dran ersticken.
KUNERT: Warum bist du schon wieder da?
RARISCH: Da. (reicht ihm einen Zettel) Der Kontoauszug von heute.
KUNERT: Was? Ist es so schlimm? (nimmt den Zettel, sieht ihn an, pfeift durch die Zähne) Mannomann! Jetzt sind wir aber wirklich pleite! Fünf Millionen minus!
RARISCH: Kein Minus. Plus! Das ist ein Plus!
KUNERT (sieht noch einmal hin): Unmöglich.
RARISCH: Es stimmt. Ich hab bei der Bank angerufen.
KUNERT: Fünf..
RARISCH: Millionen. Aus der Landeskasse, es gibt einen neuen Fördertopf für Investitionen.
KUNERT: Jetzt geht mir ein Licht auf. Da rief vorhin einer an, vom Wirtschaftsministerium. So was! Wir sind Millionäre!
RARISCH: Ich find's ein bisschen viel, warten wir's ab. Wenn's ein Fehler ist, dann buchen die das wieder zurück.
KUNERT: Dann runter damit! Sofort! Runter vom Konto, aber fix!
RARISCH: Na hör mal....
KUNERT: Gleich gehst du hin. Das Geld gehört uns, das rück ich nicht mehr raus. Jochen, lass diesen Buchhalterblick. Strahlende Augen will ich sehn. Jetzt geht’s aufwärts! Jetzt kommt er, der Aufschwung!
(PROFESSOR kommt ans Fenster mit einem Aktenkoffer)
PROFESSOR: Gestatten Sie, wenn ich noch einmal durchs Fenster komme. (steigt ein) Die kurzen Wege sind immer noch die besten.
KUNERT (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Ja, Chef?
KUNERT: Wer ist das?
ANNI (zu PROFESSOR): Eine Tasse Kaffee, der Herr?
PROFESSOR: Liebes Kind, nicht jetzt! Ich bin im Dienst. Ich teste die Nerven der Leute. Nicht zu glauben, was man heute alles erlebt. (zu KUNERRT) Ihre Hand zittert ja. (nimmt dem verdutzten Kunert den Zettel aus der Hand, blickt darauf) Ah, ich verstehe. Würde mir auch so gehen. Gestatten, Professor Steinmeyer vom Institut Standortanalysen. Wurde hier niemand unterrichtet?
ANNI: Nee. Ich weiß von nichts.
KUNERT: Moment ... Sie sind das! Ja, doch, ich weiß Bescheid. Natürlich, natürlich... Aber sagen Sie mal, Sie haben eine merkwürdige Art, sich vorzustellen. (zu Anni) Schon o.k., Anni.(ANNI ab)
KUNERT: Soll ich die Polizei rufen?
PROFESSOR: Damit würden Sie mir beweisen, wie schwach Ihre Nerven sind. Und das, meine Herren, wäre ein ausgesprochener Standortnachteil. Also bitte, zeigen Sie sich der Situation gewachsen. Ihre Gemeinde steht im Fokus eines internationalen Konzerns. Ich sehe Sie überrascht, das freut mich. (zu KUNERT) Sie haben einen Kontoauszug in den Händen? Mit einer Überweisung von 5 Millionen?
KUNERT: Woher wissen ..
PROFESSOR (zu RARISCH) Bitte, alles Weitere möchte ich mit dem Herrn Bürgermeister unter vier Augen besprechen.
RARISCH: Ich ...
KUNERT: Schon gut, Jochen, lass uns allein.
PROFESSOR (zu RARISCH): Ihr Misstrauen gefällt mir, aber vertrauen Sie Ihrem Bürgermeister, er ist informiert.
KUNERT: Nun geh endlich.
RARISCH: Wir sehen uns noch. (ab)
KUNERT: Ich weiß gar nichts. Das heißt, nur andeutungsweise.
PROFESSOR (geht zur Tür, reißt sie auf, sieht hinaus, schließt sie): Sie können sich denken, das ist alles noch streng geheim. Ich komm im Auftrag eines großen ausländischen Konzerns.
KUNERT: Ein japanischer?
PROFESSOR: Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse. Wie man Ihnen schon telefonisch sagte, ich prüfe Standorte für Großinvestitionen. Von meinen Untersuchungen hängt es ab, ob hier ein Autowerk gebaut wird.
KUNERT: Hier!.
PROFESSOR: Ja. Allerdings ist es noch nicht entschieden.
KUNERT: Hören Sie, Herr Professor, ich kann nur eines sagen: verfügen Sie über mich! Und bitte entschuldigen Sie die Unordnung hier. Viel zu wenig Personal. Naja, Sie wissen ja: leere Kassen.
PROFESSOR: Das ist vorbei, jetzt sind ja fünf Millionen drin. Übrigens, heben Sie die Summe umgehend ab. Das Geld wird gebraucht. Sie lachen?
KUNERT: Schon veranlasst. Mein Kämmerer fährt gerade zur Bank und holt es.
PROFESSOR: Fabelhaft. Ich werde jetzt meine Untersuchungen fortsetzen. Wahrscheinlich wird schon über mich geredet. Lassen Sie offiziell verlautbaren: ich bin Wissenschaftler und arbeite zum Wohle der Menschen. (ab)
KUNERT: Ganz wie Sie wünschen. (brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Chef!
KUNERT: Dieser Mann wird in Zukunft mit Fingerspitzengefühl angepackt.
ANNI: Jawohl, Chef.
KUNERT: Und nichts von den fünf Millionen! Alles streng geheim. Auch das, was ich jetzt gesagt habe, ist streng geheim und es gilt sowieso nur das geschriebene Wort.
ANNI: Sie sind aber gut gelaunt.
KUNERT: Ja, denk mal an. Aber einmal muss er ja kommen, der Erfolg, so hart wie ich arbeite. Jetzt hab ich ne Ruhepause verdient. (legt sich aufs Sofa)
ANNI (deckt ihn zu): Sie hätten die Schuhe ausziehen sollen.
KUNERT: Die können ruhig arbeiten.
ANNI: Soll ich die Jalousien runter lassen?
FRAU KUNERT (kommt, in Kostüm): Später, Anni, später.
ANNI: Herrje, Frau Kunert! Ich geh schon. (ab)
KUNERT(sich aufrichtend): Das ist aber eine Überraschung! Dass du mich mal besuchst.
FRAU KUNERT: So arbeitest du also.
KUNERT: Also weißt du, das macht jetzt bestimmt einen irreführenden Eindruck.
FRAU KUNERT: Nein, nein, lass mal.. So irreführend ist er gar nicht.
KUNERT (stutzt): Nanu, warst du beim Friseur?
FRAU KUNERT: Das siehst du?
KUNERT: Und wieso bist du so feierlich angezogen? Haben wir einen Termin? Warum, zum Teufel, hat mir das keiner nicht gesagt? (steht auf) Ich bin gleich fertig. Die Schuhe hab ich schon an.
FRAU KUNERT: Bleib sitzen. Ich geh.
KUNERT: Allein?
FRAU KUNERT: Ja.
KUNERT: Wohin?
FRAU KUNERT: Weg.
KUNERT: Weg?
FRAU KUNERT: Ich verlasse dich.
KUNERT: Mich?
FRAU KUNERT: Dein Trecker da draußen... Der funkelt ja richtig. Ich wette, du tust ne Menge für ihn.
KUNERT: Du haust ab? Warum?
FRAU KUNERT: Ja, dein Trecker bin ich leider nicht. Den Kühlschrank hab ich noch aufgefüllt... Ich hätte dir auch das Essen vorgekocht, wenn ich sicher wäre, du kämst vor morgen nach Haus. Aber du hast ja so viel zu tun.
KUNERT: Siehst du, da haben wir's... Du kommst einfach nicht mit meiner Arbeit klar. Mit meinem Amt. Ja! Ich hab zu tun, und wie! Kuck dir den Schreibtisch an! Ein Durcheinander, was.. Aber das muss so sein. Nach der russischen Revolution zum Beispiel hatten die auch keine Zeit für Ehe, Familie undsoweiter...
FRAU KUNERT: Revolution. Wenn ich das schon höre. Was, bitte, hat sie uns gebracht? Nicht mal ein Auto haben wir.
KUNERT: Du, ich sag dir was. Das ändert sich. Bald hab ich ein Dienstfahrzeug. Reden darf ich darüber noch nicht. Streng geheim.
FRAU KUNERT: Natürlich. Träum ruhig weiter.
KUNERT: Leg doch die Jacke ab.
FRAU KUNERT: Die Koffer sind schon am Bahnhof. Also leb wohl...
KUNERT: Menschenskind! Du haust ab? Ich glaub, ich träum. Ich leg mich noch mal hin und wach erst mal auf.
FRAU KUNERT: Lass das. Immer, wenn du albern wirst, drückst du dich. Du hast dich überhaupt nicht geändert. Ein Phantast genau wie damals.. Aber da war’s noch amüsant, heute ist das einfach nur noch dumm.
KUNERT: Aber heute bin ich Bürgermeister!
FRAU KUNERT: Na toll! Und was haben wir? Noch immer unsre alte Küche.. Oder das Schlafzimmer. Noch von deiner Mutter! Und dann sieh mal, was die andern haben.
KUNERT: Geht das schon wieder los!
FRAU KUNERT: Ich hab einen Schulfreund getroffen, er ist jetzt Bankdirektor, bei dem arbeite ich jetzt, und die Wohnung hab ich auch schon. Also mach's gut. Hier die Schlüssel. (legt sie auf den Tisch) Tschüs. (ruft im Abgehen) Anni, Jalousien runterlassen. (ab)
ANNI (kommt): Jetzt könnt man nen Kaffee vertragen. Oder nen Cognac?
KUNERT: Sie ist weg.
ANNI: Ach, die kommt wieder.
KUNER: Bloß nicht! So ein blödes Stück!.. Jetzt, wo ich ganz oben bin, da haut sie ab. Die hat wohl Höhenangst.
ANNI: Ich tät bei Ihnen stehn und jodeln aus voller Brust.
KUNER: Vorsicht. Könnt‘n Höhenrausch sein. Cognac, Anni.
ANNI: Schon unterwegs! (ab)
KUNERT: Die wird sich noch wundern! Die kommt noch mit ihrem Bankdirektor angekrochen und will nen Kredit von mir. Nämlich, wenn die Bank pleite ist. Und die geht pleite, garantiert. Ich kenn den Kerl, der konnte schon Hausnummern nicht auseinanderhalten.
ANNI (kommt mit einem Glas): Die doppelte Ladung, das richtet wieder auf.
KUNERT: Annichen, sehr logisch ist es nicht. Gewöhnlich ist’s umgekehrt. Aber wie meine Frau immer sagt: Bei mir ist eben alles anders. (trinkt)
ANNI: Sie sind in Ordnung, Chef, und wenn ich mal was Nichtamtliches sagen darf: Sie sind für mich der Mann, für den müsst eine Frau durchs Feuer gehn.
KUNERT: Hast du ein Glück, dass grad kein Feuer da ist. (trinkt) So ja.. Das war gut. Und wenn ich mal was sagen darf: Gegen meine Frau bist du ein helles Köpfchen. Termin heute?
ANNI: 14 Uhr, im Altenheim..
KUNERT: Fahrrad startklar?
ANNI: Geölt und aufgepumpt.
KUNERT: Sehr schön, Anni. Sobald ich nen Dienstwagen hab, kriegst du das Rad. (ab. VORHANG)
(ANNI und VETRETERIN. ANNI steht auf dem Stuhl und versucht ,ein großes gerahmtes Foto vom Bundeskanzler Kohl an die Wand zu hängen)
ANNI: Er muss jeden Moment kommen. Wollen Sie so lang warten?
VERTRETERIN: Gern. Kann ich Ihnen helfen?
ANNI: Ja, halten Sie den Stuhl, der wackelt wie Pudding. Ich wart jeden Tag darauf, dass er unterm Bürgermeister zusammenbricht. Wär schad, wenn’s jetzt mir passierte.
VETRETRIN: Ja, Sie bräuchten dringend neue Büromöbel.
ANNI: Das sag ich ja. Aber auf dem Ohr ist er taub.
VERTRETERIN: Wenn wir beide ihn bearbeiten, schaffen wir’s vielleicht.
ANNI: Was haben Sie denn anzubieten?
VERTRETERIN: Büromaschinen, Büromöbel, Büromaterial... Einfach alles rund ums Büro.
ANNI (das Bild hängt): Das hätten wir. Gibt das was her?
VERTRETERIN: Das Bild? Oja. Nur kuckt der arme Kerl auf abgenutzte Möbel. So wie er kuckt ist es nicht sein Stil.
ANNI: Genau.. Na, Geld haben wir ja jetzt. Mehr als genug. Fünf Millionen. Herrje, das hätt ich nicht sagen sollen. Na, früher oder später kommt’s doch raus. Setzen Sie sich doch so lange. (wischt den Stuhl) Besser Sie setzen sich mit ihrem hübschen Kleid aufs Sofa.
VERTRETERIN: Danke. (setzt sich aufs Sofa)
LOHSE (kommt mit einem Kürbis unter dem Arm): Ich grüße die holde Weiblichkeit.
ANNI: Herrje.. was schleppen Sie da an?
LOHSE: Pardon. Meine Damen ... Dieser Kürbis ist nämlich eine eklatante Frühgeburt. Mindestens drei Monate zu früh. Das muss ich melden. Wo ist der Chef?
ANNI: Kommt jeden Moment.
LOHSE: Na, dann werd ich den Damen Gesellschaft leisten. (zu VERTRETERIN) Gestatten, Lohse, Siegfried. Leiter der hiesigen Gärtnerei. Und Sie sind Mona Lisa, widersprechen Sie nicht, Ihr Gesicht hängt im Museum. Mit Ihrem Lächeln machen Sie Männer wahnsinnig, es sei denn, es ist einer von Welt, der lächelt einfach zurück. (lächelt sie an, legt den Kürbis auf den Tisch und setzt sich in einen Sessel)
VERTRETERIN: Charmant.
LOHSE: Ja, das bin ich. Also tun Sie sich keinen Zwang an.
ANNI (auf dem Schreibtisch aufräumend): Reden Sie keinen Quatsch, Lohse.
LOHSE (zu VERTRETERIN): Was verschafft uns die Ehre, Gnädigste? Ein Gesuch zur Baugenehmigung? Oder eine Stellungssuche? Ja, dann heißt es erst mal anstehen.
VERTRETERIN: Weder noch. Ich verkaufe Büroeinrichtungen, Computer, eben alles, was eine Verwaltung braucht. (ANNI geht in ihr Zimmer.)
LOHSE: Ah! Computer! (Pause) Wozu das?
VERTRETERIN: Nun ja.. Für vieles. Ein Computer erspart Arbeit. Der ganze Schreibtisch dort könnte leer sein. Alles wär im Computer.
LOHSE: Dafür gibt's ein deutsches Patent. Schublade. Funktioniert auch bei Stromausfall.
VERTRETERIN: Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?
LOHSE: Ich überleg’s schon die ganze Zeit. Ich versuch’s mal. (will sie umarmen)
VERTRETERIN: Lassen Sie das!
LOHSE: Bei gehöriger Mitarbeit Ihrerseits könnt ich’s schaffen. (drängt weiter auf sie ein)
VERTRETERIN: Sie! Hilfe!
ANNI (kommt): Lohse! Mensch! Aufhörn!
LOHSE: Alle Welt redet vom Sex im Büro, bloß wie das gehn soll, das muss mir einer mal vormachen.
ANNI: Schämen Sie sich!
LOHSE: Bei einer Dame? Das ist ganz und gar unmöglich. Ja, wenn sie keine Dame wär.. Wann kommt er nun endlich, der Chef? Ich kann nicht ewig warten!
ANNI: Ja, kommen Sie lieber morgen wieder. Schlafen Sie sich aus!
LOHSE: Da haben Sie Recht. Andererseits.. Büroschlaf ist der beste. Bloß, hier darf ja nur der Chef. (steht auf) Meine Damen! Sie bitten mich zu entschuldigen. (ab)
ANNI: Er hat wieder einen gezwitschert. Entschuldigen Sie.
VERTRETERIN: Naja, den ganzen Tag unter Grünzeug, dann will er halt mal was Fleischliches. Mann ist Mann.
ANNI: Mein Chef tät so was nie. Leider.
VERTRETERIN : Dann muss er schon was Besonderes sein.
ANNI: Das ist er. (Tür geht auf, KUNERT) Herrje, da ist er schon.
KUNERT: Was ist hier los? (sieht das Bild an der Wand)
ANNI : Gefällt’s Ihnen?
KUNERT: Der Mann ist geradezu das Bild von einem Mann.
ANNI: Und Sie sind endlich unter Ihresgleichen.
KUNERT: So? Wie meinst du das?
ANNI: Ich meine, jetzt sitzt ein Mannsbild unterm anderen.
KUNERT: Hoffentlich hängt es sicher. (zur VERTETERIN) Und wer sind Sie? Von welcher Behörde?
VERTRETERIN (steht auf) Gestatte. Meine Karte. (reicht ihm die Visitenkarte) Ich komme wegen der Büroeinrichtung.
ANNI: Ja, Bittschön. Können wir gebrauchen.
KUNERT (winkt, ANNI ab. Er blickt kurz auf die Karte): Ja, meine Sekretärin liegt mir schon dauernd in den Ohren wegen der Möbel. Ich sag Ihnen was. Heut ist Ihr Glückstag. Hab mich nämlich entschlossen, das Büro zu modernisieren. Und zwar gründlich.
VERTRETERIN: Großartig.
KUNERT: Hm... Ich muss vorher noch einiges erledigen. Sie bleiben am Ort?
VERTRETERIN: Ich habe noch einen Termin beim hiesigen Bauunternehmer.
KUNERT: Vorsicht bei dem! Der kauft nur, um Verluste zu machen, wegen der Steuer. Stil ist dem völlig egal. Bei mir nicht. Wer hier reinkommt, soll sehen, welcher Geist hier weht. Hier wird groß und weit gedacht!
VERTRETERIN: Modern und zukunftsorientiert.
KUNERT: Modern, unbedingt modern. Und optimal! Ich meine, preiswert, aber mit Glanz. Glanz muss sein. Das Grau muss weg, das sozialistische Einheitsgrau. Sehen Sie das Denkmal da? Das glänzt, was? So muss es sein!
VERTRETERIN: Ganz recht. Und es wird glänzen. Hier ist meine Mappe mit allem, was ein modernes Büro braucht. Bitte... (reicht sie ihm) Ich will Sie nicht aufhalten. Sie haben ordentlich zu tun, denk ich. Ich melde mich wieder.
KUNERT: Tun Sie das.
VERTRETERIN: Auf Wiedersehn, Herr Bürgermeister. (ab)
KUNERT (blättert in der Mappe, brüllt): Anni! (ruft noch einmal, aber leiser, würdevoller) Anni! (Es geschieht nichts. Er blickt auf.) Anni? (Nichts rührt sich. Er denkt nach, dann brüllt er) Anni! (Sie kommt. Sie hat sich geschminkt.) Muss ich denn immer brüllen, dass du kommst? Da will ich mal freundlich sein und du reagierst nicht.
ANNI: Ich bin doch da.
KUNERT: Ja, aber spät. Ich hätt die Zeit stoppen sollen. Zeit ist Money. Ich zieh dir das vom Gehalt ab. Kuck nicht so. Das war ein Witz.
ANNI: Jawohl, Herr Bürgermeister.
KUNERT: Gut. Setz dich.
ANNI: Ich steh lieber.
KUNERT: Wie du willst. (Er betrachtet sie. Nach einer Pause) Amtsgeheimnisse, Anni, sind Amtsgeheimnisse. Die plaudert man doch nicht aus, oder?
ANNI: Ich nicht.
KUNERT: So. Und woher weiß das ganze Dorf von den fünf Millionen?
ANNI: Weiß es das?
KUNERT: Sogar die Frösche im Dorfteich quaken es schon! Also! Woher?
ANNI: Weiß ich nicht. Fragen Sie die Frösche.
KUNERT: Red anständig!
ANNI: Ich hab’s nur meiner Mutter gesagt. Aber nur ihr.
KUNERT: Denk mal an, nur ihr.
ANNI: Und dann hab ich ihr auch noch gesagt, ich krieg jetzt mehr Gehalt.
KUNERT: Von wem?
ANNI: Von Ihnen. Geld ist ja jetzt genug da. Denk ich.
KUNERT: So. Falsch gedacht! Das Geld ist nämlich für alle da. Für die Gemeinde! Ich plane nämlich ein Zukunftsprojekt. Es ist der Beginn einer großen Veränderung. Und außerdem halten wir uns an den Wahlspruch: Ich bin der erste Diener des Staates.
ANNI: Wer hat das gesagt?
KUNERT: Der Alte Fritz.
ANNI: Da muss er aber schon sehr alt gewesen sein.
KUNERT: Widersprich nicht dauernd!
ANNI: Duzen Sie mich nicht dauernd!
KUNERT: Achja.
ANNI: Sie reden, wie wenn Sie auf nem Trecker sitzen. Sie hoch da oben und ich da unten, in den Kartoffeln. Stimmt doch. Was bin ich für Sie? Bloß ne Tippse!
KUNERT: Tippse? Du bist meine Chefsekretärin!
ANNI: Sie, bitteschön.
KUNERT: Na schön. Dann eben Frau Berger. Hören Sie mal her, Frau Berger, ich sag dir jetzt was. Und das meine ich ehrlich und das ist mir eine Herzensangelegenheit. Was ich gesagt habe, tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich ziehe das zurück. Es geht um Folgendes! Sehn Sie, wir tun hier eine Arbeit, eine für die Gemeinschaft, und wenn wir sie richtig tun wolln, dann mit Engagement und für ein Engagement wird man eben nicht bezahlt, sonst wär´s nämlich kein Engagement, es sei denn, man ist ein Schauspieler. Aber ich bin keiner, ich bin ein Bürgermeister, aber ein Mann bin ich übrigens auch. Und ich sehe sehr wohl...
ANNI: Echt?
KUNERT: Aber das spielt hier keine Rolle. Wo war ich?
ANNI: Engagement.
KUNERT: Richtig. Sehen Sie, ich glaub eben, wir Menschen haben mehr zu bieten als eine dicke Brieftasche. Ja, das wollt ich sagen. (sieht sie an) Stimmen Sie mir zu? (Schweigen) Sag was! (Schweigen) Frau Berger!
ANNI: Ja. Doch, Herr Bürgermeister, es stimmt. Nicht ganz, aber im Prinzip.
KUNERT: Na, das ist doch schon was. Ich danke Ihnen!
ANNI: Bitte. (Pause) Sie können mich wieder duzen. Aber nur, wenn Sie auch wirklich wollen. So von Herzen, sozusagen.
KUNERT: Ja, gern. Anni, ich mag dich ja. Immer so gut drauf und schnappst nicht ein bei meinem Gebrüll, du überhörst es so nett.
ANNI: Im Gegenteil. Ich wart ja immer darauf.
RARISCH (kommt): Stör ich? Schon Feierabend?
KUNERT (blickt auf die Armbanduhr): Nee, eigentlich noch nicht. Andrerseits, das war ein anstrengender Tag, sehr anstrengend. Ich denke, wir haben den Feierabend verdient. Anni, mach Schluss. Bis morgen!. Ich freu mich! Hm, ja..
ANNI: Ja, ich auch. Schönen Abend auch, allerseits. (ab)
KUNERT: Wo ist das Geld?
RARISCH: Wie stellst du dir das vor. Meinst du, die blättern dir bei der Bank einfach mal fünf Millionen hin. Das haben die doch gar nicht auf Lager..
KUNERT: Und das nennt sich Bank? Hör mal, wir brauchen das!
RARISCH: Wozu?
KUNERT: Für ein Geheimprojekt. Also frag nicht zu viel.
RARISCH: Ich krieg das Geld morgen.
KUNERT: Gut. Sonst hätte ich vor dem Professor blöd dagestanden. Jochen, beim nächsten Mal, ein wenig freundlicher, eleganter ja? Weltmännischer! Da kommt was auf uns zu. Es geht aufwärts, sag ich dir.
RARISCH: Ich hoffe, du weißt, was du tust.
KUNERT: Das weiß ich immer.
RARISCH: Auch, dass deine Frau abgehauen ist? Wissen schon alle.
KUNERT: Was sie mir antut, das ist Verrat. Mit der ist Schluss.
RARISCH: Und verzeihen ist nicht drin? Ich hab nämlich auch was..
KUNERT: Du? (Pause) Mensch, du hattest was mit ihr! (lacht) Sie hat dich auch verlassen! Keine Angst, mich kratzt das nicht mehr. Und zu deiner Beruhigung: Sie ist nur noch scharf aufs Geld. Ja, so ändern sich die Menschen. Bei mir saß sie mal auf dem Bock. Heut hüpft sie in nen Mercedes. Na schön. Vergiss es.
RARISCH: Danke. Bloß, das war’s nicht.
KUNERT: Und darauf heben wir einen! Komm, gehen wir.
RARISCH: Das wird wieder ein langer Abend.
KUNERT: Wer wartet auf uns? Na also. (Im Abgehen) Eins kapier ich nicht. Wieso verlassen die Frauen immer grad die Männer im besten Alter? (beide ab.)
2. Akt
(Amtszimmer im Halbdunkel. Die Jalousien sind heruntergelassen. KUNERT schlafend auf dem Sofa.)
ANNI (kommt): Herrje.. Er pennt noch... Herr Bürgermeister.! (sie zieht die Jalousien hoch) Aufwachen! (sie stößt das rechte Fenster auf. Der Traktor ist weg.) Herr Bürgermeister, sehn Sie mal! Der Trecker ist weg!
KUNERT (richtet sich auf): Was reißt du das Fenster auf ... Wo ist das Denkmal?
ANNI: Ja, denk mal. Weg! Futsch ist es!
KUNERT: Mein Trecker?
ANNI: Nee, das Denkmal!
KUNERT: Und da stehst du noch rum? Alarm! Polizei!
ANNI: Schon passiert. Gott, wie Sie heut wieder aussehn.
KUNERT: Wie ich ausseh, wie ich ausseh. Wen interessiert das! (zieht sich hastig an) Großfahndung, Straßensperren, Grenzen schließen. Vor allem nach Polen.. Na, was? Sag schon. Was macht die Polizei? Wer war das? Hat man ihn schon?
ANNI: Sagen Sie mal.. Haben Sie heut Nacht vielleicht eine kleine - na Sie wissen schon - Sauftour gemacht? Vielleicht mit dem Trecker? Dann pfeifen wir die Polizei lieber gleich zurück.
KUNERT: Hier wird nicht gepfiffen. Wann war das?
ANNI: Was?
KUNERT: Wann er geklaut wurde.
ANNI: Weiß ich nicht. Hoffentlich war’s kein Schrotthändler.
KUNERT: Anni, töte mich nicht. Du weißt doch! Auf hundert Meter hab ich's gerochen, wenn einer ihn anrührte. Und jetzt geklaut! Unter meinen Augen!
ANNI: Die waren doch zu.
KUNERT: Frau weg, Trecker weg. Eine Verschwörung ist das. Übrigens, Anni.. Kein Nervenflattern in Stresssituationen, verstanden? Ganz cool, darauf kommt es jetzt an. (Geräusch von nebenan) Da! Wer ist das? S chau nach!! (ANNI ab. Sie kommt zurück, hinter ihr der POLIZIST)
ANNI: Das Überfallkommando.
POLIZIST: Was? Überfall? Wieso Überfall? Hat mir keiner gesagt. (dreht sich um) Ich hol Verstärkung. (geht ab, kommt wieder) Mir fällt ein, das bin ich ja selber. Bei uns herrscht nämlich Sparzwang. Und mich haben sie aus der Verwaltung geholt. Wenn Sie vielleicht nachher noch einen Mord haben, dann sagen Sie’s gleich, dann spar ich mir auch was, nämlich den Weg.
ANNI (zeigt durchs Fenster.): Da!
POLIZIST: Schöne Aussicht.
ANNI: Da stand der Trecker. Jetzt ist er weg.
POLIZIST: Ist doch gut. Bei der Aussicht.
KUNERT: Na hören Sie mal, das war ein Denkmal!
POLIZIST: Ein Denkmal? Vielleicht noch mit ner Krone drauf, was? Und drunter ein Pferd, wie? Ein Kaiser-Wilhelm-Trecker, was? Sie.. Wenn Sie mich beleidigen, das kostet was extra.
KUNERT (brüllt): Anni!
ANNI: Ja, Chef?
KUNERT: Wer ist das?
ANNI: Der Kreispolizist.
KUNERT: Bloß einer?
ANNI: Na, Sie wissen doch. Der Sparzwang (POIZIST sieht sich um)
KUNERT (beobachtet ihn): Was suchen Sie hier? Den Trecker?
POLIZIST: Ruhe! Merken Sie denn nicht.. Hier hat der Dieb rumgewühlt.
ANNI: Nee, das ist doch bloß Unordnung.
KUNERT: Wieso sollte der hier rumwühlen?
POLIZIST: Der braucht doch den Fahrzeugschein.. Ohne den darf er das Fahrzeug nicht benutzen. Ich hoffe nur, er hat den Führerschein, sonst wird’s richtig kriminell.
KUNERT: Jetzt langt’s. Sie, Achtung! (POLIZIST steht stramm) Ich bin der Bürgermeister. Kehrtwendung! (POLIZIST dreht sich um) Und jetzt Abmarsch! Unter größter Vermeidung von Lärm. Wir sehn uns den Tatort an. (Sie marschieren hintereinander hinaus)
(PROFESSOR steigt mit Aktenkoffer durchs Fenster ein)
ANNI: Sie! Müssen Sie immer durchs Fenster rein! Wirklich! Man wird Sie noch mal für einen Einbrecher halten.
PROFESSOR: Das muss sein. Ich muss die Menschen überraschen, nur so kann ich sie richtig
ANNI: Sie wollen mich testen?
PROFESSOR: Lassen Sie mal sehn. Zittern Sie? Nein. Es gibt nichts Schöneres für einen Mann, als einer Frau zu begegnen, die ihn zitternd erwartet.
ANNI: Woher haben Sie diesen Quatsch?
PROFESSOR: Aus der Biologiestunde. Wie zauberhaft Ihre Bluse ist. Wie ein Weihnachtskalender. Mit jedem geöffnetem Knopf kommt man Weihnachten näher.
ANNI: Jetzt hörn Sie aber auf damit. Was wollen Sie eigentlich? Sind Sie ein Schnüffler?
PROFESSOR: Das heißt nicht schnüffeln, sondern suchen, genau genommen untersuchen. Und für meine Untersuchung bin ich gerade auf der Suche nach fünf Millionen.
ANNI: Die sind noch gar nicht hier, unser Kämmerer holt sie grad von der Bank.
PROFESSOR: Na schön, komm ich später wieder. Werde ich Sie antreffen?
ANNI: Nee. Ich hab einen Termin beim Friseur.
PROFESSOR: Sie wollen noch hübscher werden? Das halt ich nicht aus. (sieht durchs Fenster) Da geht Ihr Chef. Wohin will denn der?
ANNI (blickt hinaus): In die Dorfkneipe. (heftig) Stark wie ein Baum ist er. Jeder könnt sich an ihn anlehnen. Wozu braucht er in der Kneipe Stärkung?
PROFESSOR: Er weiß: ein Baum kann gefällt werden. (küsst sie auf die Wange, LOHSE kommt mit zwei Kürbissen unterm Arm) Wenn er fällt: Ich bin der Baum gleich nebenan (ab)
LOHSE: Aha.
ANNI: Was, aha.
LOHSE: Ich muss Sie warnen, das bin ich mir schuldig.
ANNI: Ach hören Sie doch auf. Es war ja gar nichts.
LOHSE: Meine Warnung ist allgemeinen Inhalts. Um es in einem Gemälde auszudrücken: Mann und Frau sind wie ein Paar Socken. Dann steckt sie ein unbegreifliches Schicksal in die Waschmaschine, und am nächsten Tag geht sie los, die blöde Fragerei. Wo ist die verdammte zweite Socke?
ANNI (sieht die Kürbisse): Schon wieder Kürbisse!
LOHSE: Für den Chef. Als Beweis.
ANNI: Der Chef ist nicht da.
LOHSE: Ja, das seh ich, und erlauben Sie mir eine Bemerkung. Ein Chef, der nicht da ist, ist wie ein Telefonbuch ohne Telefon.
ANNI: Ich geb Ihnen gleich ein Telefonbuch...
LOHSE: Ich werde von Ihnen durchaus nicht verstanden.
ANNI: Was zum Kuckuck wollen Sie eigentlich?
LOHSE: Bitte.. Die Kürbisse! Es herrscht eine Kürbisschwemme. Ein Beweis für den Erfolg unserer freien Marktwirtschaft.
ANNI: Lohse, Sie bringen mich noch um!
LOHSE: Da haben wir's! Sie haben Angst. Na, wer hat heute keine Angst. Überall Mord und Totschlag, Kriege, Überschwemmungen und so weiter. Ich kann Sie beruhigen. Der Mensch vermag über sich hinauszuwachsen in einem die Katastrophen erschreckenden Maße. Im Fall der Kürbisschwemme wüsst ich die Lösung, geradezu genial. Die will ich dem Chef vortragen unter vier Augen.
ANNI: Also das lassen Sie mal lieber. Für so was hat er heute keine Augen.
LOHSE: Jaja, der geklaute Trecker. Eine Tragödie von griechischem Ausmaß. Wir werden noch erleben, wie Pandora mit der Büchse schießt. Wenn’s nicht schon passiert ist.
ANNI: Haun Sie endlich ab, ich muss hier aufräumen.
LOHSE: Aber die Beweisstücke lass ich hier. (legt sie auf den Tisch) Ähneln sie nicht den Früchten des Himmels, Sonnen genannt? Aber Vorsicht! Runter plumpsende Sonnen, das wär Weltuntergang. (kichert) Pardon, erlaubte mir einen Witz. (ab)
RARISCH (kommt, mit Koffer): Würden Sie mich einen Moment allein lassen? Ich muss an den Tresor.
ANNI: Na klar. Ist es da drin?
RARISCH: Was denn?
ANNI: Na die fünf Millionen.
RARISCH: Himmel noch mal, woher wissen Sie das. Das darf keiner wissen! Also vergessen Sie's!
ANNI: Schon vergessen. Wohin wollen Sie damit?
RARISCH: Still! Das ist ein Geheimnis! Wo ist der Tresorschlüssel?
ANNI: In der Schublade.
RARISCH: In der Schublade. Ungeheuerlich. Der Mann macht mir Angst. Und jetzt, bitte, lassen Sie mich allein. (ANNI ab. Er öffnet den Tresor in der Wand, der Koffer passt nicht hinein) Da haben wir den Salat. (überlegt, schiebt dann den Koffer unter das Sofa, schließt den Tresor und legt den Schlüssel wieder in die Schublade, ruft) Anni! (Sie kommt nicht, er brüllt) Anni!
ANNI (kommt): Herrje, brülln Sie nicht so. Bin doch nicht taub.
RARISCH: Ja, aber sehen Sie, das hat doch gewirkt.
ANNI (mit Blick auf den Tresor): Ist es da drin?
RARISCH: Selbstverständlich. Ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, dass kein Fremder den Raum betritt. Ist das klar?
ANNI: Wie reden Sie mit mir?
RARISCH: Das Geld, das verdammte Geld. Diese vielen Nullen. Bin davon wie aufgeblasen. Anni, Frau Berger, passen Sie auf. Sie tragen jetzt eine verdammt große Verantwortung!
ANNI: Ich!
RARISCH: Sie sind der Drache, der einen Schatz hütet.
ANNI: Verdammt!
RARISCH: Und wenn Sie rausgehen, immer gut abschließen! Dreimal prüfen! (ab)
ANNI: Nervenbündel. (Das Telefon klingelt. Sie nimmt den Hörer ab) Bürgermeisteramt. Ach Herr Sauermann, sieh mal an. Tach. Nein, er ist nicht da. Weiß nicht. Was ich wissen muss, das geht Sie nichts an. Was? Heut Nachmittag? Meinetwegen. Nee.. Was?.. Ja, sag ich. Aber garantieren.. Peng. Eingehängt. Schofel. Aber garantieren kann ich nichts.
KUNERT (kommt, leicht wankend): Was kannst du nicht garantieren?
ANNI: Ob Sie heut noch nüchtern werden.
KUNERT: Frechheit.
ANNI: Das war der Sauermann. Er will Sie am Nachmittag sprechen. Sie warten schon auf ihn, sagt er.
KUNERT: Ich? Wieso? (denkt nach) Die Scheune! Na, der kann mich mal.
ANNI: Glaub ich nicht.
KUNERT: Glaubst du nicht. Was glaubst du denn, du Schaf. Pardon.. Süße Maid... Was kuckst du mich so befremdlich an?
ANNI: Bin ich ein Schaf, sind Sie ein blinder Schäferhund.
KUNERT: Unerhört. (sie wendet ihn Richtung Sofa) Schubs mich nicht!
ANNI: Den Trecker meint der Sauermann. (führt ihn zum Sofa) Legen Sie sich hin.
KUNERT: Ich kenn die hiesigen Örtlichkeiten, Frau Berger. (legt sich hin, richtet sich wieder auf) Der Trecker! Ich hab's! Dieser Scheißkerl war‘s!
ANNI: Richtig.
KUNERT: Ich komm hinter alles... (legt sich hin) Mich legt keiner rein. (schläft ein)
ANNI: Na endlich. (lässt die Jalousien runter) Herrjeh! Der Friseur. (ab. Das Zimmer liegt im Halbdunkel. Die Jalousie des Fensters wird gehoben und der PROFESSOR steigt leise ein. Er durchsucht lautlos das Zimmer. KUNERT wälzt sich. Der PROFESSOR erstarrt. KUNERT schläft wieder ein. Der PROFESSOR sucht weiter, findet den Tresor, holt ein Werkzeug aus seinem Koffer.)
KUNERT (im Traum): Kupplung! Bremse! Der Hänger! Mann! Der Hänger! (er richtet sich auf) Jee, die schönen Äpfel! (Er greift um sich, als wollte er sie fassen, stößt dabei gegen die Kürbisse, die rollen dem flüchtenden PROFESSOR vor die Füße, der schlägt lang hin. Stille. KUNERT ist jetzt wach, brüllt) Anni!
PROFESSOR (am Boden): Sie ist nicht da.
KUNERT: Wo ist sie denn?
PROFESSOR: Beim Friseur. (Er steht auf und zieht die Jalousien hoch, das rechte Fenster ist offen).
KUNERT: Und wie kommen Sie hierher?
PROFESSOR: Ich ging gerade vorbei. Da schrie jemand. Ich gleich durchs Fenster. Waren Sie das
KUNERT: Ich war wegen Übermüdung eingeschlummert und dann.. ein Alptraum. Tausende, Millionen... Äpfel... und alle in den Graben. Mir ist der Hänger umgekippt. Beim Wenden.
PROFESSOR: Dabei waren es nur zwei Kürbisse. Einbrecherfalle, was?
KUNERT: Ein Chaos ist das hier. Entschuldigen Sie, Herr Professor... Das Denkmal wurde gestohlen.
PROFESSOR: Der Trecker?
KUNERT: Ja, und ich war auf Suche.
PROFESSOR: Was gefunden?
KUNERT: Nein.. Doch.. Aber ja..Der Sauermann war's. Er ist der Verbrecher. Entschuldigen Sie. Ist es morgens oder abends?
PROFESSOR: Früher Nachmittag.
KUNERT: Ja, kommt mir auch früh vor, sehr früh. (Geräusch nebenan) Da ist wer. (ANNI kommt, mit neuer Frisur, stellt sich in Position) Du hast ja eine neue Frisur!
PROFESSOR: Zehn Jahre jünger.
KUNERT: Nee, zwanzig.
ANNI: Dann wär ich jetzt ein Baby. (sieht die Kürbisse) Die Herren haben gekegelt?
PROFESSOR (steht auf): Die Pflicht ruft. Machen Sie’s gut! (ab).
KUNERT: Besser, Herr Professor, besser! (Lärm nebenan) Was ist denn jetzt schon wieder?
SAUERMANN (kommt): Ihr habt mich doch erwartet, denke ich.
KUNERT: Klopfen Sie das nächste Mal gefälligst an. (zu ANNI) Machst du mir einen Kaffee?
SAUERMANN: Mir auch?
ANNI: Pa! (ab)
SAUERMANN: Darf ich mich setzen?
KUNERT: Bitte. Der Kürbis ist frei.
SAUERMANN: Das neuste Möbeldesign, was? Immer ein Schritt der Zeit voraus, was? Das freut mich. Und wie es aussieht, sind wir endlich mal ohne Stress und entspannt. Oder sind wir gespannt?
KUNERT: Herr! Sie stehlen mir die Zeit!
SAUERMANN: Ja, das wär zu viel. Frau weg, Trecker weg und dann noch die Zeit weg. Nicht brüllen, bitte. Ich setz mich näher, damit Sie Ihre Stimme schonen können. (setzt sich auf den Stuhl) Herr Bürgermeister, ich komm mit einer guten Nachricht. Ich hab was von Ihnen gefunden. Nicht die Frau. Naja, ich hab sie auch mal verloren. Kann man verschmerzen.
ANNI (kommt): Der Kaffee. (stellt ihn auf den Tisch. Zu SAUERMANN) Für Sie hätt ich ein Glas Wasser.
SAUERMANN: Nein, danke. Aber wie wär’s mit Champagner? Achja, den gibt’s hier nicht. Schade. Besuchen Sie mich mal.
ANNI: Pa! (ab)
KUNERT: Schluss jetzt mit dem Gesülze. Scheune gegen Trecker, was? Darum bist du doch da. Aber daraus wird nichts. Gesetz ist Gesetz. Du kannst gehen.
SAUERMANN: Moment, Moment, Herr Bürgermeister. Es handelt sich nur indirekt um den Trecker. Also, ich wach heut Morgen auf und da seh ich, der Schlag soll mich treffen, da steht doch der Trecker auf meinem Hof. War ich wütend! Wozu brauch ich ein Denkmal? Also ich trommel meine Leute zusammen. Und was sagen die? Sie sagen, aus Angst haben sie das getan. Aus Angst vor Arbeitslosigkeit. Sie wissen nämlich, ihr Chef hat keine Aufträge mehr. Aber was hat der Trecker damit zu tun? Und da sagen sie, sie wollten damit dem Herrn Bürgermeister einen Wink geben, dass er sie nicht vergisst in ihrer Not und möglichst schnell ein paar Aufträge vergibt.
KUNERT: Vergebung, ehrwürdiger Vater! Mir kommen die Tränen.
SAUERMANN: Das hoffe ich. Und ich glaube, in diesem Fall sind’s Freudentränen. Bei fünf Millionen ist es doch kein Problem. Also, zwei, drei Aufträge, Axel, und du hast den Trecker ruckzuck zurück. Das haben mir die Männer in die Hand versprochen.
KUNERT: Reinspucken hätten sie sollen. Du Dreckskerl!
SAUERMANN: Brüll nicht. Du hockst nicht auf dem Trecker.
KUNERT: Du kannst dir den Trecker sonst wohin stecken, von mir kriegst du keinen einzigen Auftrag. Die werden ausgeschrieben! Öffentlich! Hier, bei mir, geht es nach Recht und Gesetz. Und jetzt Schluss. Ich ruf die Polizei und lass den Trecker holen.
SAUERMANN: Recht und Gesetz! Ach was!. Du schleppst eine verdammt alte Geschichte mit dir herum, die stinkt dir meilenweit aus dem Hals. Weil ich dich vom Lehrgang strich. Das ist es doch! Gib’s zu!
KUNERT: Ingenieur könnt ich sein.
SAUERMANN: Jetzt bist du Bürgermeister! Kooperieren wir. Das nützt allen!
KUNERT: Dir am meisten.
SAUERMANN: Also jetzt platzt mir der Kragen. Ich wollt’s nie sagen, aber du zwingst mich dazu. Staatsfeindliche Gespräche hast du geführt... Es gibt einen, der hat's uns gesagt. Willst du seinen Namen wissen? Bitte! Jochen Rarisch! Ja, dein Jochen! Verpfiffen hat er dich. Ich hab damals nur vorschriftsmäßig gehandelt. Und jetzt leck mich! (ab, kommt zurück) Noch was. Du bist derselbe sture Bock wie früher. Nee, sag nicht Idealist! Du träumst! Mach die Augen auf. Keiner hat sich geändert. Das schafft keine Revolution, nicht mal ein Weltuntergang schafft das. Der Mensch bleibt, was er ist. Gierig, gierig, gierig.. Ja, ich bin gierig, ich war's früher, ich bin's jetzt, nur haben jetzt die Leute was davon. (ab)
ANNI (kommt, sieht den zusammengesunkenen KUNERT): Herr Kunert.. Herr Bürgermeister, das glauben Sie doch nicht, das mit dem Rarisch.
KUNERT: Wenn das stimmt..
ANNI: Das ist bestimmt gelogen.
KUNERT: Hol ihn. Sofort!
ANNI: Wolln Sie nicht lieber erst einen Cognac..
KUNERT: Tu, was ich dir sag!
RARISCH (kommt): Was soll sie tun?
KUNERT: Setz dich. (zu ANNI) Lass uns allein. (ANNI ab)
RARISCH: Ich wollt dir was sagen.
KUNERT: Schweig. (Pause)
RARISCH: Ich hab das Geld. Aber die Hauptsache ...
KUNERT: Scheiß auf das Geld. Geld, Geld. Gibt es nichts Wichtigeres?
RARISCH: Doch. Ich weiß was über deinen Professor. Ich hab mich erkundigt.... (Stille) Ist was?
KUNERT: Ich war immer ehrlich zu dir, stimmt’s? Ja oder nein?
RARISCH: Ja.
KUNERT: Und du? Kannst du das auch von dir behaupten? (Pause) Fällt der Groschen? Du hast mich verpfiffen. Damals. Ich hab's grade erfahren. (Pause) Stimmt das? Ja oder nein!
RARISCH: Herrgott ja, ich wollt's dir schon immer mal sagen. Aber, Mensch, jetzt mach kein Drama daraus, ich war halb besoffen.
KUNERT: Du hast mich bei der Partei verraten und ich soll kein Drama draus machen? Ingenieur könnt ich heute sein.
RARISCH: Aber jetzt bist du Bürgermeister.
KUNERT: Was ich jetzt bin, spielt keine Rolle. Verraten hast du mich!
RARISCH: Ich hab doch nur gesagt, was alle schon wussten. Dass du gegen sie bist! Das wusste doch jedes Kind!
KUNERT: Und deinen Freund verteidigen, auf den Gedanken kamst du nicht? Verdammt. Die haben mich aus der Liste gestrichen. Ingenieur wär ich geworden!
RARISCH: Hör auf mit dem verdammten Ingenieur! Du bist jetzt Bürgermeister.
KUNERT: Jawohl. Und als Bürgermeister sage ich ... verpiss dich! Sie sind entlassen, Herr Rarisch! Fristlos!
RARISCH: Wegen was?
KUNERT: Du warst ein Mitarbeiter der Stasi! Das hast du verschwiegen!
RARISCH: Du spinnst ja!
KUNERT: Wer hier spinnt, das bestimme ich!
RARISCH: Aha!
KUNERT: Was heißt hier: aha! Ab sofort haben Sie Hausverbot! (brüllt) Anni! (sie kommt) Führen Sie den Mann... (wütend) ..ab! Jawohl! Abführn!
RARISCH: Geh ja schon. Verdammter Ochse. (zu ANNI) War der Sauermann da?
ANNI: Ja.
RARISCH: Dieser Schweinehund.
KUNERT: Ich wünsche, dass Sie den Wortwechsel mit dem Manne einstellen. (ANNI und RARISCH ab. KUNERT schiebt Papiere hin und her. ANNI kommt zurück
ANNI: Und ich wünscht, ich wär blind und taub.
KUNERT: Sei still. Sonst kriegst du auch noch was ab.
ANNI: Natürlich bin ich still. Der Herr Bürgermeister weiß alles und alles besser, er wird schon wissen, was er tut.
KUNERT: Das weiß er, verdammt! Setz dich. Ich glaub, du verstehst was nicht.
ANNI: Ich steh lieber, wenn ich fliege.
KUNERT: Sei nicht so patzig. (steht auf) Sieh mich an. Kann ich lügen? Sieh mir in die Augen! Kann ich andere belügen, mich belügen? Nein! Niemals! (beginnt herumzugehen) Vor der Revolution hatten wir Feigheit, Heuchelei, Verlogenheit. Deswegen haben wir die Kerle zum Teufel geschickt. Stimmt's? Und solche Leute sollen bei uns weitermachen?
ANNI: Aber doch nicht der Rarisch. Der ist nicht so.
KUNERT: Lass mich ausreden.... Will man neu anfangen, dann weg mit dem alten Mist. Sonst bleibt der Gestank und vom Gestank bis zur Sauerei ist es nur ein Katzensprung. Der Mensch heute soll besser soll sein, muss besser sein, sonst war ja alles umsonst.
ANNI: Was der Mensch heut soll, wissen wir doch. Geld soll er machen, meistens mehr für andere als für sich selbst. Und dazu sollen die kleinen Leute auch noch ehrlich sein. Wenn die großen Leute erst mal ihre Millionen haben, dann fragt sie keiner, wie sie's geschafft haben. Darum sag ich: man muss auch bei den kleinen Leuten mal ein Auge zudrücken können.
KUNERT: Ich bin für Gerechtigkeit bei jedem, ich mach da keinen Unterschied. Und was die Gerechtigkeit tut, das siehst du beim Amtsgericht. Du kennst doch das Gebäude. Da ist ne Figur am Portal. Ein Mordsweib. Solche Brüste! Naja.. Tut nichts zur Sache. Ist die Göttin der Gerechtigkeit. Hier hält sie ne Waage und da 'n Schwert. Heut hat sie mit dem Schwert zugeschlagen. (setzt sich) Das musste sein. Das hat ihm weggetan und das ist richtig so. Mir hat's auch wehgetan, das kannst du mir glauben, und das find ich ungerecht.
ANNI: Ach, das ist doch bloß Sentimentalität. Ich weiß nicht, warum ihr Männer immer bloß bis zum Busen kuckt. Sie sollten sich mal das Mordsweib etwas höher ansehen! Die hat nämlich die Augen verbunden, die ist ja blind. Wie kann sie dann gerecht urteilen? Ich bin nicht blind. Und ich sehe: Es ist die alte Geschichte. Eva hat dem Adam den verbotenen Apfel gegeben, und darum mussten sie raus aus dem Paradies. Gerechtigkeit? Dass ich nicht lache. Die Schlange! Die Schlange hätte man zum Teufel jagen sollen, die ist schuld! (stampft auf) Zum Teufel mit der Schlange!
KUNERT: Der Teufel ist doch die Schlange.
ANNI: Sie haben mich schon verstanden.
KUNERT: Also weißt du. Du redest manchmal ein Zeug.
ANNI: Ja, das tu ich, Herr Bürgermeister.
KUNERT (langsam): Allerhand, was du da gesagt hast. Ganz schön frech.. Und ziemlich einfach gedacht. Aber ich glaub, je mehr ich darüber nachdenke.. Ja, jetzt bist du baff, ich sag dir was: Du hast recht.
ANNI: Das wusst ich schon vorher. Also, was tun wir jetzt?
KUNERT (steht auf): Erst einmal kriegst du dafür ne Prämie. (Er küsst sie auf die Stirn.) Sag Alex zu mir.
ANNI: Das war's?
KUNERT: Was denn noch!
ANNI: Na schön. Wir haben alle mal klein angefangen. (ab)
KUNERT(zu sich): Jaja, die Schlange... Na warte, du Satan von einer Schlange! (seufzt) Ingenieur hätt ich sein können. (VORHANG)
(Nacht. Das dunkle Amtszimmer. KUNERT kommt eilig, in der Hand eine Latte, knipst die Schreibtischlampe an, schleudert Latte unter das Sofa, geht ans Telefon, nimmt den Hörer, legt ein Taschentuch über die Sprechmuschel und wählt.)
KUNERT: Hören Sie.. Vorn, bei der Gartentür. Da liegt wer bei Ihnen. (legt auf, läuft wieder herum, geht ans rechte Fenster, öffnet es, atmet tief. Draußen bewegt sich etwas.) Wer ist da?
PROFESSOR (unsichtbar): Gut Freund! (kommt ans Fenster).
KUNERT: Sie sind's? Noch nicht in der Falle?
PROFESSOR: Ich muss morgen früh entscheiden. Es ist keine einfache Entscheidung. Alles spricht für Ihre Gemeinde. Aber sind die Menschen auch reif dazu? Was werden sie tun, wenn sie plötzlich so viel Geld haben?
KUNERT: Keine Angst, ich pass schon auf. (Schweigen) Sternklarer Himmel, was? Der Wagen, sehen Sie? Kein Mercedes.. Ein Bollerwagen. (lacht)
PROFESSOR: Ja. Ein uraltes Baujahr.. Und Sie? Herumgetrieben von Sorgen? Ja, dann schaut man zu den Sternen, lauscht der Stille. Man vergisst alles. Man entdeckt nämlich die ungeheure Leere da oben und hier unten... Alles Leere, Nichts.. Wozu also Sorgen?
KUNERT: Nein, nein. Es gibt etwas, man sieht's bloß nicht. Das Geistige. Wollen Sie nicht lieber reinkommen? Reden wir ein bisschen.
PROFESSOR: Na, hier ist es doch auch ganz hübsch. (setzt sich aufs Fensterbrett) Apropos Geist. Gibt’s hier geistige Getränke?
KUNERT: Klar. (holt die Flasche und zwei Gläser, füllt ein) Sehen Sie: Leere kann man füllen.
PROFESSOR: Ja, aber richtig. (hält sein Glas hin)
KUNERT: Tschuldigung. (gießt nach) Jeden Tag hau ich mir den Schädel dort am Türbalken, von wegen Leere, aber ich verstehe, was Sie meinen: In den Köpfen, nicht wahr, da gehört was rein. Wozu sonst der aufrechte Gang.. Denn der Mensch, nicht wahr, der ist doch.. Ich meine..
PROFESSOR: Ist Ihnen nicht gut?
KUNERT: Nein, Tschuldigung. Ich wollte sagen: Wir sind doch geboren..
PROFESSOR: Ja, das stimmt..
KUNERT: Ach was soll’s! Trinken wir. (trinkt, lacht leise)
PROFESSOR: Jetzt lachen Sie wieder.
KUNERT: Ja, ich hab grade gedacht, wie leicht ich Ihnen beweisen könnte, dass es sehr wohl was Handfestes gibt. Sogar sehr Handfestes!
PROFESSOR: Sie machen mich neugierig. Nanu, da kommt jemand. Ich muss jetzt Japan anrufen. Gute Nacht. (verschwindet. KUNERT knipst rasch das Licht aus. Er setzt sich an den Schreibtisch. Es klopft draußen, dann wird gegen die Tür geschlagen.)
SAUERMANN (von draußen): Aufmachen! Ich hab Licht gesehen! Du bist da! Aufmachen! Ein Notfall!
(KUNERT macht das Licht wieder an, dann geht er öffnen. Hereinkommen SAUERMANN und RARISCH, dieser hat einen Kopfverband und wird von SAUERMANN behutsam geführt, dahinter KUNERT)
SAUERMANN: Mensch, pennst du? Wir müssen ihn wo hinlegen. Aufs Sofa! (Sie legen ihn auf das Sofa) Vorsichtig! Wie du dich anstellst. Hast du auch was am Kopp? So. Langsam.. Gut so.
KUNERT: Ist was mit ihm passiert?
SAUERMANN: Ja, komische Sache. Das Telefon klingelte, meine Frau ging ran, irgendwer nuschelte, da liegt wer vor unserm Haus. Ich geh raus, und da find ich ihn. Vorm Gartentor. Mit blutendem Schädel. Er faselte dummes Zeug, aber das verstand ich, er wollte zu dir. (zu RARISCH) Na, Jochen, da bist du jetzt, kuck her, dein Busenfreund. (zu KUNERT) Du musst einen Doktor rufen.
KUNERT: Ja, ja.. Warst du denn zu Haus?
SAUERMANN: Ausnahmsweise hab ich heut mal früher Schluss gemacht. (blickt zu RARISCH) Der steht unter Schock. (sieht KUNERT an) Ja, da siehst du, wie es zugeht in der Welt. Man ist sich seines Lebens nicht mehr sicher. Du musst auch die Polizei benachrichtigen. Und jetzt sag Dankeschön. Ich will ins Bett.
KUNERT: Dankeschön.
SAUERMANN: Gute Nacht. (ab)
KUNERT (nach einer Pause): Mann, Jochen. Was hast du wieder angestellt. Was treibst du dich nachts beim Sauermann rum? Er sollte eins drüber kriegen! Jochen!.. Jochen!
RARISCH (richtet sich auf): Wer sind Sie?
KUNERT: Spinnst du? Ich bin's! dein alter Freund.
RARISCH: Wer?
KUNERT: Sag mal, welcher Tag ist heute?
RARISCH: Gehn Sie weg! Wer sind Sie eigentlich?
KUNERT: Mann, die Latte ist noch nicht mal zerbrochen, so schlimm war das doch gar nicht.
RARISCH: Wo bin ich?
KUNERT: Der weiß nichts. Der weiß rein gar nichts. Das ist gut. Nein, verflucht, das ist schlecht. Jochen, die Millionen! Wo sind die? (geht an den Schreibtisch, holt den Tresorschlüssel, schließt den Tresor auf) Scheiße! Jochen, das Geld! Wo ist das?
RARISCH: Wer sind Sie?
KUNERT: Wirst du endlich aufhören! Die fünf Millionen. Wo sind die?
RARISCH: Wo bin ich?
KUNERT: Ich hau dir.. Mistkerl! Du spielst! Du markierst doch!
PROFESSOR (erscheint am Fenster): Probleme?
KUNERT: Probleme? Fünf Millionen! Er hat sie heut geholt, und ich krieg nicht raus, wo er sie versteckt hat.
PROFESSOR (kommt durchs Fenster): Das japanische Geld! Das kann doch nicht wahr sein. Ist er verletzt? Hat man ihn beraubt?
KUNERT: Er ist bloß auf den Kopf gefallen. Und jetzt hat er sein Gedächtnis verloren. Ich ruf einen Arzt.
PROFESSOR: Nur mit der Ruhe. Ich hab auch Medizin studiert. (beugt sich über RARISCH) Sagen Sie mal A!
RARISCH (zu PROFESSOR): Wer sind Sie?
PROFESSOR: Der leitende Hausarzt. (hebt ein Augenlid von RARISCH) Du lieber Himmel. Der Menschheit ganzer Jammer sieht mich an. Ich hol schnell die Medizin. (ab durchs Fenster)
KUNERT: Hast du ein Glück, der Professor ist auch Mediziner. Ich glaub, ich brauch auch ne Medizin. (gießt sich ein Glas ein, trinkt) Menschenskind, du bist vielleicht ein Rindvieh. Hättst dich doch mal umdrehn können. Und was machst du auch da mitten in der Nacht!
RARISCH: Dasselbe wie du.
KUNERT: Mit den bloßen Händen? Biste blöd? Bei dem Kerl?
PROFESSOR (steigt durchs Fenster, in der Hand eine Zaunlatte): Glücklicherweise haben Sie die Apotheke gleich am Haus.
KUNERT: Moment, warten Sie mal, Herr Professor...
PROFESSOR: Stocktherapie. Durchschlagender Erfolg garantiert.
KUNERT: Ja, aber ...
PROFESSOR: Kein Aber. Sehen Sie, der Patient zeigt schon seine Erwartungshaltung. (geht zu RARISCH, will schlagen, zögert, wendet sich an KUNERT) Herr Bürgermeister, aus arbeitsrechtlichen Gründen ist es mir leider verboten, ich bin hier nicht angestellt, Sie müssen es tun.
KUNERT: Und ich darf‘s nicht, ich hab nicht studiert.
PROFESSOR: Das hier ist alternative Heilkunst, kein Studium nötig. (reicht ihm die Latte)
KUNERT: Sehn Sie! (zeigt seine zitternden Hände)
PROFESSOR: Seltsam. Wie konnten Sie eine Revolution durchführen?
KUNERT: Ohne Gewalt.
PROFESSOR: Na schön. Aber jetzt herrscht Normalität. (wendet sich zu RARISCH) Sie! Patient! Ich zähl bis drei und wenn Sie dann nicht gesund sind..
RARISCH: Wer sind Sie?
PROFESSOR: Frechheit! Hier stell ich die Fragen!(KUNERT legt rasch ein Kissen auf den Kopf von RARISCH, PROFESSOR haut zu)
RARISCH (zu KUNERT): Er hat mich gehaun, Papa!
PROFESSOR: Allerhand. Ich hab ein Verjüngungsmittel entdeckt.
KUNERT: Es hat nicht gewirkt.
PROFESSOR: Und wie! Noch mal ne Dosis, und er ist wieder in Mutters Bauch. Diese Fluchtmöglichkeit kriegt er aber nicht. (zu RARISCH) Liebes Kind, hör auf meinen Rat! Werd bloß schnell alt und finde dein Gedächtnis wieder. Sonst kommt der Onkel Doktor mit der ganzen Apotheke. Gute Nacht! (ab durchs Fenster)
KUNERT: Ich glaub, der will damit sagen, du simulierst. Aha. Grins nur. Na warte. Runter vom Sofa! Hier penn ich. (RARISCH lässt sich sofort zurückfallen und tut schlafend) Na schön, bleib da liegen, ausnahmsweise. Jochen, jetzt mach aber mal Schluss. Wir müssen an die Zukunft denken... Der Aufschwung! Er steht vor unsrer Tür und du machst solchen Unsinn. (Schweigen) Hat’s denn wehgetan? (Schweigen, wütend) Verfluchter Hund! Du schaffst es noch, dass ich brüll. (beherrscht sich) Weißt du was? Ich lass dich auf dem Sofa pennen, das ist doch nett. Dafür sagst du mir morgen früh gleich als erstes, wo das Geld ist. Denn morgen sind wir wieder vernünftig, klar? (Er deckt RARISCH zu, knipst das Licht aus und macht es sich, so gut es geht, im Sessel bequem. VORHANG)
3. Akt
(Das abgedunkelte Zimmer, hinter den Jalousien ist Tageslicht. ANNI kommt, zieht die Jalousien hoch, wendet sich zum Sofa, um KUNERT zu wecken.)
ANNI (schreit auf)
KUNERT (aufwachend): Was..? Was ist los? Wer hat geschrien?
ANNI: Ich. Was ist passiert?
KUNERT: Wieso? Ist was passiert?
ANNI: Dem da bestimmt. Was hat der auf dem Kopf?
KUNERT: Wer?
ANNI: Der da auf dem Sofa. Sieht aus wie unser Buchhalter.
KUNERT: Er ist es. Das ist ein Verband. Und red nicht so respektlos. Ein Betriebsunfall mit Kopfverletzung und Gedächtnisverlust. Hoffentlich hat er den beim Aufwachen vergessen. Anni! Heut heißt es kühlen Kopf bewahren.
ANNI: Brauchen Sie auch‘n Verband? Mit Eiswürfeln?
KUNERT: Red nicht so durcheinander, ich muss meine Sinne sammeln.
ANNI: Wie viele sind’s? Ich helf suchen.
KUNERT: Schluss jetzt! Das ist nicht lustig!
ANNI: Na, was erwarten Sie denn. Ich mag keinen Chef, der jeden Morgen mit einem Kater aufwacht!
KUNERT: Ich hab keinen Kater. Red keinen Unsinn. Du kannst dir nicht vorstellen, was über mich hereingebrochen ist. Und alles im nüchternen Zustand.. Hör mal, Anni, wenn ein Anruf aus Japan kommt, ich bin nicht da, ist das klar? Hongkong muss warten!
ANNI: Hongkong liegt nicht in Japan.
KUNERT: Ist doch egal. Japaner sind überall, das wirst du noch merken. Hör zu. Wir müssen Zeit herausschinden. Der Professor kommt nachher mit der Medizin. Das heißt.. Wart mal.. Ist unser Zaun noch ganz? Sieh mal nach.
ANNI (schaut durchs Fenster): Da fehlt ja was. Eine... Nee, zwei.
KUNERT: Was? Zwei was? Sprich ordentliche Sätze!
ANNI: An unserem Zaun sind zwei Latten abwesend und das aus unentschuldigtem Grund. (sieht die Latte auf dem Tisch) Da ist ja eine. Und die andere, wo haben Sie die?
KUNERT: Ich? Was hab ich damit zu tun? Außerdem, was geht uns der Zaun an. Wir sind hier nicht beim Gartenbauamt. Frag den Lohse. Nein, lass das. Vielleicht ist alles bloß ein Traum. Ein Alptraum? Andrerseits.. Die Wirklichkeit ist auch nicht von Pappe. Nanu, ich bin ja schon angezogen.
ANNI: Vielleicht waren Sie gar nicht ausgezogen.
KUNERT: Stimmt. Jetzt erinner ich mich. Der da hat sich einfach auf mein Sofa gelegt. Anni, wir duzen uns doch!
ANNI: Darf ich fragen seit wann?
KUNERT: Seit gestern. Konzentrier dich. Du musst den Überblick behalten. Übrigens, ich muss gleich den Jochen .. den Herrn Kämmerer verhören. Dabei will ich nicht gestört werden.
ANNI: Nun sag endlich, was passiert ist.
KUNERT: Das siehst du doch! Er hat eins auf den Kopf bekommen und jetzt ist sein Gedächtnis weg. Ich glaub aber, das ist nur, um mich zu ärgern. Er ist nämlich eine Schlange, die ich sozusagen an meinem Busen... Kuck nicht so.
ANNI: Das Beste wird sein, ich mach uns nen starken Kaffee. (ab)
KUNERT: Jochen! Du hast es versprochen! Wenn du wach bist, sagst du, wo das Geld ist. Bist du wach? (RARISCH schläft) Markier nicht den Siebenschläfer! Wo ist das Geld? Du hast es mir versprochen!
RARISCH (schlafend): Überhaupt nicht. Das hast du dir selbst versprochen.
KUNERT: Du redest im Schlaf, aber red weiter.
RARISCH (wie vorher): Du hast mir eins drüber gebraten.
KUNERT: Das galt doch nicht dir, sondern dem Sauermann. Aber bitte. Sieh es mal so. Manchmal führt das Schicksal die Hand. Also, wo ist es?
RARISCH: Ich red nicht mehr mit dir. Nicht mal im Traum.
KUNERT: Mensch, hör auf damit. Da läuft was Tolles, für uns alle.... Ich hab einen Investor, dem gehört das Geld. Und der braucht es jetzt! Weil er hier bauen will! (Schweigen) Willst mich ärgern, was? Glaubst wohl, ich schaff's nicht ohne dich? Keine Bange.. Ich kann mir schon denken, wo du es versteckt hast. Wart mal.. Du hast ja den Zweitschlüssel von meiner Wohnung! Na klar! Du bist ja ein ganz Raffinierter! Hast es bei mir versteckt! Damit ich nachher dastehe wie ein Verbrecher! Du rachlüsterner Satan! Penn so lang du willst, du Penner, ich hol es mir. (ANNI kommt mit dem Kaffee) Halt ihn mir warm, ich muss mal in meine Wohnung. (ab)
ANNI: Warm halten? Wie denn? (mit Blick auf RARISCH) Ob ich mir seine Haube ausleihe? (stellt die Kanne auf den Tisch)
VERTRETERIN (kommt): Morgen, Anni. Ich bin grad hier in der Gegend und denk, schau mal rein.
ANNI: Sie sind zu früh.
VETRETERIN: Ich könnte warten. Und ein bisschen mit Ihnen plaudern.
ANNI: Ja, gern, setzen Sie sich. Der Kaffee ist grade frisch. (gießt ihr ein) Hier geht es vielleicht drunter und drüber. Achja, schreiben Sie auch noch ne Thermoskanne auf die Bestellung.
VERTRETERIN (trinkt, sieht RARISCH): Nanu? Ein Verletzter?
ANNI: Weiß ich nicht.. Dem Buchhalter ist vielleicht ein Buch auf den Kopf gefallen. Ich glaub eher, mein Chef und er haben gestern Abend einen zu viel gebechert. Sie, ich muss Ihnen was erzählen, es wird ja wohl kein Amtsgeheimnis sein. Wir duzen uns!
VERTRETERIN: Wer?
ANNI: Na wer.. Mein Chef und ich. Ja. Er hat mich geküsst.
VERTRETERIN: Nein!
ANNI: Hierhin. (zeigt auf die Stirn) Wie vom Papst. Ich war ganz ergriffen. (VERTRETERIN lacht) Jetzt bin ich vermutlich heiliggesprochen. Und genau das will ich nicht sein.
VETRETERIN: Der Weg zur Sünderin ist gar nicht so schwer.
ANNI: Ich weiß nicht. Da dürfte er mir nicht im Wege stehn. Aber an dieser Reingestalt geht ja kein Weg vorbei. (seufzt tief) O Gott! Ich will ihn haben.
VETRETERIN: Und Sie kriegen ihn, nur Geduld.
ANNI: Ihr Wort in Gottes Ohr. Nein. Besser in das vom Gegenteiligen.
(LOHSE kommt, zwei Kürbisse unter den Armen)
ANNI: Sie haben mir noch gefehlt. Sie und Ihre Kürbisse! Her damit..(nimmt ihm die Kürbisse ab) Die setz ich gleich an die frische Luft! (ab)
LOHSE: Ah! Meine Mona Lisa! (VERTRETERIN rückt ein wenig zur Seite. LOHSE mit einem Blick zu RARISCH) Er auch?
VERTRETERIN: Was?
LOHSE: Hat er’s auch versucht? Auf den Arm nehmen?
VERTRETERIN: Ja. Und den Erfolg sehen Sie.
LOHSE: Ein Märtyrer der Liebe. Jedoch, wir geben weder Suche noch Versuche auf.
VERTRETERIN: Wenn ich Sie recht verstehe, suchen Sie eine Frau.
LOHSE: Ich kann nicht anders, von Geburt an. Das ist das Menschsein beim Mann. Erst sucht er die Mutter, dann die Jungfrau und am Schluss die Mutter seiner Kinder.
VETRETERIN: Annoncieren Sie. Oder gehen Sie zu einem Ehevermittler.
LOHSE: Ich sehe bereits das prächtigste Weib vor meinen äußeren Augen und vor den inneren seh ich die Mutter meiner Kinder. Wie wär’s mit drei?
VERTRETERIN: Was? Sie meinen doch nicht mich!
LOHSE: Wär es zu viel verlangt, nach Ihrer Schuhgröße zu fragen? Denn beim gemeinsamen Gang durchs Leben brauchen wir gutes Schuhwerk. Ich würd mit Ihnen sofort das beste Schuhgeschäft aufsuchen.
VERTRETERIN: Ist das ein Heiratsantrag?
LOHSE: Man kann es so ausdrücken. Aber auch wie bei Rodeo und Julia: Ich liebe dich, meine Lerche. (denkt nach) Oder war’s die Nachtigall? (Zu VERTRETERIN) Sie heißen nicht zufälligerweise Julia?
VETRETERIN: Nein. Und dann hieß der Mann Romeo, nicht Rodeo.
LOHSE: Ja, vielleicht früher. Heut sagt man‘s auf Amerikanisch. Also lieben wir uns? Wie wär’s mit heut Nachmittag?
VERTRETERIN: Das schlagen Sie sich mal aus dem Kopf.
LOHSE: Das tut weh.
VERTRETERIN: Sie kommen drüber weg.
LOHSE: Sie verlangen da was! Ich soll über Leichen gehen! Zudem über die eigene! Sie haben jetzt nämlich mein Lebenslicht ausgeblasen.
ANNI (kommt): Sie sind ja immer noch da.
LOHSE: Ja, aber tot. Ermordet. Die Nichtliebe einer Frau ist Mord am Mann, und Sie sind schon die zweite heut, ich werd noch zum Serienermordeten. Nein, Frauen seh ich nicht mehr. Meine Augen sind geschlossen auf ewig.
ANNI: Soll ich Sie hinausführen?
LOHSE: Nein, danke. (im Abgehen) Den geh ich doch im Schlaf.
VERTRETERIN: Und mit Korb.
ANNI: Ja, den kann er gebrauchen, er ist Gärtner.
VERTRETERIN: Mir laufen die falschen Männer nach. Ich würd lieber dem richtigen nachlaufen. Er müsste sein wie Sie.
ANNI: Ich lauf keinem nach.
VERTRETERIN: Nein, brauchen Sie auch nicht. Ich könnt noch was lernen von Ihnen. Also heut muss es mit dem Auftrag klappen, mir wird’s richtig unheimlich bei euch. Am Ende bleib ich hier noch hängen. (ab)
ANNI: Herr Rarisch.. Nun wachen Sie doch auf! Sie müssen hier weg. Das geht doch nicht. Was sollen die Leute denken! Aufwachen! (Sie schüttelt ihn. KUNERT kommt. Man sieht ihm an, dass er nichts gefunden hat) Er wacht nicht auf! Es wird doch nichts Schlimmeres sein?
KUNERT: Wär er doch tot, dann wärn wir aus dem Schneider, wir hätten dann wenigstens eine Entschuldigung. Leider ist er hellwach.
ANNI: Ist das hellwach?
KUNERT: Wenn du unter seine Lider sehen könntest, da strahlen die Augen vor Vergnügen...hm.... Wo ist der Kaffee?
ANNI: Ich mach einen neuen. (stößt im Abgehen auf LOHSE. Dieser trägt die Kürbisse von vorhin) Der schon wieder! Und seine Kürbisse!
LOHSE: Und meine Kürbisse, jawohl! Im Müllcontainer! Ich beantrage ein Disziplinarverfahren! Gegen Frau Berger! Das ist Sabotage meiner Arbeit!
KUNERT: Beruhig dich. Kaffee! (ANNI ab) War das alles? Oder was willste noch?
LOHSE: Laufend werd ich von Frauen hingerichtet. Ich weiß nicht, warum ich solchen Frauenhass auf mich zieh.
KUNERT: Lohse!
LOHSE: Aber ich könnt mir schon denken, warum. Am Ende fürchten sie meine Persönlichkeit, sie ist ja nach der Revolution gewachsen. Und dann wittern sie was Löwenhaftes in meiner Männlichkeit, daher ihr Hass, der eigentlich nur aus Angst besteht.
KUNERT (brüllt): Hör auf damit!
LOHSE: Brüllen Sie nicht, da schläft einer.
KUNERT: Den weckt kein Gebrüll auf.
LOHSE: Noch ein Toter.
KUNERT (geht zu LOHSE): Hauch mich mal an.
LOHSE (zurück weichend): Lieber nicht. Der Atem eines Toten ist fürchterlich.
KUNERT: Hauchen! (LOHSE haucht vorsichtig) Sofort nach Haus und penn dich aus. Los!
LOHSE: Lohse heiß ich.
ANNI (kommt mit dem Kaffee, zu LOHSE): Platz da. Zur Seite!
LOHSE: Ja, wohin denn noch..
KUNERT: Nach Haus. (zu ANNI) Danke. Genau das brauch ich jetzt. (zu LOHSE) Bist ja noch immer da!
LOHSE: Da haben Sie vollkommen recht, aber wie! Zerrissen steh ich da, ein Denkmal des geteilt gewesenen Deutschlands. Steh für deine Sache, sagt der linke Teil, der rechte hingegen meint, marsch ins Bett, da ist´s am sichersten. Ja, wenn es da bloß nicht so einsam wär.
KUNERT(geht auf LOHSE zu): Raus!
LOHSE: Halt! Stehen bleiben! Jetzt werd ich aber langsam reizend.. reizig.. sauer, mein ich. (KUNERT lacht) Ja, jetzt lacht er auch noch. Sie! Langt Ihnen eine Revolution nicht, ich mach Ihnen gern noch ne zweite. Ich bin jetzt so was von sauer, dagegen ist ein Terrorist ein Witz! Sie! Lachen Sie nicht! Ich hab hier nämlich was...(hebt die Kürbisse) Die reinsten Bomben! (POLIZIST kommt)
POLIZIST (macht erschrocken kehrt): Bomben! Alarm! Alarm! (stößt auf FRAU KUNERT und SAUERMANN)
SAUERMANN: Quatsch. Kürbisse. Blinder Alarm!
POLIZIST (wischt sich die Stirn): Auch ein blinder ist mordsgefährlich. Da sind schon ne Menge Herzinfarkte passiert. Um was geht's?
SAUERMANN (deutet auf KUNERT): Verhaften Sie den! Das ist der Kriminelle.
KUNERT: Was? Bist du übergeschnappt?
FRAU KUNERT: Alex, überleg, was du sagst. Du stehst unter Verdacht.
ANNI: Schon wieder so eine Gemeinheit vom Sauermann.
SAUERMANN: Schnabel halten!
POLIZST: Ruhe! Hier befehle ich!
FRAU KUNERT: Lass dir helfen von mir. Ich sag dir, was du tun musst.
ANNI: Pa! Er braucht Ihre Hilfe nicht.
FRAU KUNERT: Ach, Kindchen, du hast ja keine Ahnung.
ANNI: Duzen Sie mich nicht! Und mit Kindchen schon gar nicht!
POLIZIST: Ruhe! (zu KUNERT) Wir kennen uns doch? Na, das haben wir gleich. Ihren Ausweis bitte!
LOHSE (zum POLIZISTEN): Sie! Ich war zuerst dran. Ich bitte gefälligst eine Schlange zu bilden!
KUNERT: Was wollt ihr eigentlich?
POLIZIST: Sie sind verdächtigt.. Am besten sagen sie einfach, was Sie getan haben.
SAUERMANN: Fünf Millionen hat er veruntreut. Das sagte ich doch schon. Sie sind vom Bankkonto der Gemeinde abgehoben worden.. von seinem Kämmerer... Das war gestern. Und heut Nacht wurde der überfallen. Schon merkwürdig, was? Ja, Alex, das hast du gut gemacht, aber nicht gut genug! Jetzt kommt die Gerechtigkeit zu dir!
ANNI: Blödsinn. Das Geld ist doch hier. (holt den Tresorschlüssel, schließt den Tresor auf. Sie sieht KUNERT an.) Leer!
LOHSE: Ja, so viel Geld haben wir alle.
FRAU KUNERT: Ach Alex.. Hast du dich von dem Geld verführen lassen? Ich versteh dich ja. Aber renn nicht ins Verderben, gib mir's, ich bring's zu meiner Bank....
KUNERT: Ich hab’s nicht. Basta. Fragt den da! (deutet auf RARISCH)
ANNI: Ja, ich hab's selbst gesehen. Er war hier mit dem Koffer!
SAUERMANN: Und später ist er überfallen worden, ganz einfach. Oder hat sich überfallen lassen.
POLIZIST (ist zu RARISCH gegangen): Der da hat's? Der ist ja wie tot! So was. Vielleicht wird noch ein Mord draus. Herrschaften! Die Kriminalität ist jetzt schon doppelt so hoch und wir haben noch nicht Mittag.
LOHSE: Da haben Sie vollkommen Recht! Man müsst mit den Energiesparmaßnahmen auch mal bei der Kriminalität anfangen.
FRAU KUNERT: Alex... Du kriegst einen guten Zins bei uns.
ANNI: Na klar. Und Sie eine hohe Provision, was?
FRAU KUNERT: Und Sie von ihm einen Pelzmantel, was?
SAUERMANN: Hört auf damit! Dieser Heilige hat Dreck am Stecken. Er schimpft uns Betrüger und ist der größte!
ANNI: Was Sie sind, das wissen wir doch, Sie Parteikapitalist!
POLIZIST: Ruhe! Was ist das schon wieder für eine Komplikation. Parteikapitalist. Das ist ja das Neuste!
ANNI: Das war ein Witz.
POLIZIST: Hier wird nicht gewitzelt! Wofür halten Sie mich? Meinen Sie, der Polizeidienst ist ein Spaß? Da kratzt wer am Autolack, und wer muss hin? Ich. Fünf Minuten später: Schnapsflaschenklau im Laden! Wer muss hin? Natürlich ich, ist ja sonst kein Schwein da. Und grad bin ich da, geht der Alarm schon wieder los: „Mord in der Bredtschneider!“ Keine Ahnung, wo die ist, aber hin muss ich! Aber am schlimmsten sind die Schlägerein: die merken gar nicht, dass ich schon da bin. Also, Herrschaften, nehmen Sie Rücksicht. (VERTRETERIN kommt) Noch einer. Was wollen Sie?
VERTRETERIN: Ich bin bestellt.
KUNERT: Zu mir will sie.
POLIZIST: Aha. Die Täterin zieht‘s zum Täter zurück.
FRAU KUNERT: Wie Sie das getroffen haben, Herr Wachtmeister!
ANNI: Nu reden Sie doch keinen Stuss!
POLIZIST: Ruhe. Bilden Sie eine Schlange! Sie wissen doch, wie das geht: Der Kleinste nach hinten, der Größte nach vorn. (zu LOHSE) Was wolln Sie mit den Kürbissen?
LOHSE: Noch sind es solche, aber nachher..
KUNERT (zur VERTRETERIN): Ja, kommen Sie, kommen Sie. Ich hab den Auftrag schon... (sucht auf dem Tisch. ANNI zeigt ihm das Papier).. schon unterschrieben. (unterschreibt) Hier. (reicht ihr den Vertrag) Und Dank für die Lieferung! Sehr schön, Ihre Möbel!
VERTRETERIN: Sie scherzen! Die kommen noch.
POLIZIST: Sagen Sie mal, gibt’s hier vielleicht auch noch nen Betrug zu melden?
KUNERT: Da stehn sie doch, die Möbel. Ein Möbelstück neben dem andern. Das hier.. (tritt zu SAUERMANN) ..ist der neue Panzerschrank! Vielleicht ist da schon Geld drin? (versucht an SAUERMANNs Brusttasche zu kommen)
ANNI: Herrje.. Jetzt dreht er durch.
SAUERMANN (schlägt auf KUNERTs Hand): Finger weg! Was da ist, ist Privateigentum!
KUNERT: Sogar sprechen kann er. Nur müsste er sagen: Gemeindeeigentum. (wendet sich seiner Frau zu) Und da unser neuer Garderobenständer! Sehr schick.. Passt zum Panzerschrank. (schiebt seine Frau neben SAUERMANN)
FRAU KUNERT: Lass das! Du ramponierst mir das Kostüm!
KUNERT: Das nächste Mal aber mit Rollen, Anni.
SAUERMANN: Der macht auf unzurechnungsfähig. Aber damit kommst du nicht durch!
LOHSE: Herr Bürgermeister, wenn Sie mich mal betrachten wollen.
KUNERT: Achja, da ist noch was. (schnuppert an LOHSE) Die Bar! Denkst auch an alles, Anni. Wenn hohe Tiere kommen. Gluck, gluck... Und so schöne Kugellampen hat sie auch!
LOHSE: Ist das die Möglichkeit! Sie haben vollkommen Recht! Es sind nämlich wirklich Lampen, allerdings Lampen in spe.. Ja, Chef, hören Sie! Ich hab nämlich eine Geschäftsidee: Eine Fabrik für Kürbislampen, so was gibt’s noch nicht. Das Geld für die Fabrik haben Sie ja!
POLIZIST: Richtig.. Das Geld. (zu KUNERT) Also, mein Herzchen, wo ist denn das liebe Geld? Du hast es versteckt, was? Und wir sollen suchen? Na, wo fangen wir an. Im Keller? (zu den Umstehenden) Sagen Sie mal, hat er letztens im Gemüsegarten gebuddelt?
ANNI: Wir haben gar keinen Gemüsegarten.
POLIZIST: Ein ganz Raffinierter. Jetzt bräuchten wir nen Polizeihund, aber der Sparzwang schafft halt immer zuerst die unteren Dienstränge ab.
VERTRETERIN: Entschuldigung! Wann komm ich dran? Ich muss weiter.
POLIZIST: Ruhe! Einer nach dem andern.
LOHSE: Man versteht sich ja selbst nicht mehr.
FRAU KUNERT: Alex, sag doch was!
KUNERT: Ich bin müde. Ich glaub, ich leg mich mal kurz hin. (will sich auf den RARISCH legen) Wieso ist das Ding so hart. Muss ich wohl erst weich klopfen. (will zuschlagen, da springt RARISCH auf)
RARISCH (zu KUNERT): Nicht schon wieder! Und jetzt pass mal auf, du! (zieht unterm Sofa erst das Brett hervor, dann den Koffer.)
POLIZIST: Was ist das?
RARISCH: Na, der Geldkoffer, der verdammte.(tritt zu KUNERT) So ein Affentheater! Zufrieden? (KUNERT macht eine Handbewegung.)
FRAU KUNERT: Ist der voll?
SAUERMANN: Will ich sehen! (drängt sich vor)
LOHSE: Ich auch! (ebenfalls)
VERTRETERIN: Nicht zu glauben! (ebenfalls)
ANNI: Unterm Sofa! (ebenfalls)
POLIZIST: Achtung! Der Koffer wird amtlicherseits geöffnet. Herrschaften, behalten Sie doch die Ruhe, Menschenskind!
(Öffnen des Koffers. KUNERT und RARISCH sprechen leise miteinander)
KUNERT (zu RARISCH): Alter Affe.
RARISCH: Saukerl, verdammter.
KUNERT: Was treibst du dich da rum, in der Nacht?
RARISCH: Ich wollt ihn vermöbeln, genau wie du. Siehst du jetzt ein, was das für eine Gerechtigkeit ist? Jeder denkt an sich... Du auch!
KUNERT: Jaja.. Aber was machen wir jetzt?
RARISCH: Ich weiß, wo dein Trecker ist. In der Scheune vom Sauermann!
KUNERT: Kannst du ihn holen? Aber Tempo! Und quer durch seinen Garten!
RARISCH: Mit Vergnügen! (ab)
POLIZIST: Herrschaften, halten Sie Abstand! So.. (öffnet und schon drängen sie alle an den Koffer, bis auf KUNERT. Alle fassen mal hinein.) Nicht anrühren! Sie zerstörn ja sämtliche Fingerabdrücke! Nee, so was.. Lauter Tausender.. Ich hab noch nie so’n Ding in der Hand gehabt. (langt auch hinein)
KUNERT: Schluss jetzt... (drängt sich zum Koffer, klappt ihn zu) Ist das vielleicht euer Geld? Soll ich’s verteilen?
ANNI: Auja, bitte.
KUNERT: Ja, das hättet ihr gern... Bloß der Lohse nicht, der schweigt. Freut mich. Was meinst du, Lohse, für was ist das Geld?
LOHSE: Für meine Fabrik natürlich sowie einen Dienstwagen, viertürig mit Airbag und Klimaanlage, dazu ein Handy, ne Schreibgarnitur und eine Frau. Letzteres ist nicht Bedingung.
KUNERT: Letzteres sollst du kriegen, zur Strafe. Ich sag euch, wozu die Millionen gut sind. Hier.. (klopft auf den Koffer) Das ist ein Traum. Nein, das war ein Traum. Der Traum eures Bürgermeisters. Damit wollte er aus dem Dorf was Blühendes machen mit Menschen, die auch erblühen, nämlich zu neuen Menschen. Ihr Arschgeigen. Ihr habt die Chance verpasst. Ich geb's auf. Und damit ihr's wisst: das Geld gehört einem Großinvestor, für den hab ich's aufgehoben.
PROFESSOR (kommt): Sehr freundlich von Ihnen, Herr Bürgermeister. Vielen Dank! (holt eine Pistole aus dem Aktenkoffer) Dieses Instrument überzeugt Gehirne, die nicht verstehen wollen. (richtet die Pistole auf die Gruppe) Hände hoch und her mit dem Koffer!
KUNERT: Sie, heut bin ich nicht in Stimmung für Witze.
PROFESSOR: Kein Witz, Herr Bürgermeister. Die Japaner bin ich. Und ich muss Ihnen leider sagen, Ihre Gemeinde ist für meine Fabrik nicht geeignet. Kein Idealismus bei den Leuten! Das ist schlecht für die Arbeit.
POLIZIST: Ein Räuber! Und ich hab keine Pistole! Verfluchter Sparzwang. Ich bin ein zwangsgesparter Pazifist.
PROFESSO: Ein Polizist? Na, großartig. Sie können mir helfen. Hier! Meine Pistole! (wirft dem Polizist die Pistole zu) Passen Sie auf, dass mich keiner beklaut. (nimmt den Koffer ab)
POLIZIST: Sehr freundlich.
SAUERMANN: Der Kerl ist weg!
FRAU KUNERT: Das Geld!
VERTRETERIN: Ist auch weg. (lacht auf)
LOHSE: Ja, das ist das Verfluchte am Geld: seine Mobilität.
FRAU KUNERT (zu POLIZIST): So tun Sie doch was!
SAUERMANN: Ja, knallen Sie ihn ab.
POLIZIST: Mit dem Spielzeug? (spritzt mit der Wasserpistole) Überall Sparzwang. Auch bei der Räuberschaft..
SAUERMANN: Los, hinterher, schnappen wir ihn uns, das ist unser Geld!
FRAU KUNERT: Den kriegen wir! Bei unsern Straßen ... (beide ab)
LOHSE (zu VERTRETERIN): Beeilung, Gnädigste! Sonst geht uns meine Fabrik und Ihr Auftrag durch die Lappen und wir sind Lappländer! (beide ab)
KUNERT (zum POLIZISTEN, der sich langsam in Bewegung setzt): Geht’s nicht ein bisschen schneller?
POLIZIST: Ja, wenn ich Blaulicht hätte. Aber der Sparzwang... (geht langsam ab)
KUNERT (zu ANNI): Und du? Du rennst nicht mit?
ANNI: Nee. Ich wart auf ein Taxi.
KUNERT: Hör mal! (Geräusch des sich nähernden Treckers) Das Taxi.
ANNI: Ein bisschen laut, das Taxi. (Treckergeräusch endet)
RARISCH (kommt): Dein Lieblingsstück ist da. Und was jetzt?
KUNERT: Anni, jetzt machen wir einen Ausflug.
ANNI: Auf dem Trecker? Da ist doch kein Platz für mich.
KUNERT: Klar, auf meinen Knien.
ANNI: Auja. Und ich zeig dir, wo’s lang geht.
RARISCH: Hatten wir das nicht schon mal?
KUNERT: Kann mich nicht erinnern.
RARISCH: Ich wüsst ein Gegenmittel.
ENDE