Es waren drei Personen an der Bushaltestelle, ich und ein junges Pärchen. Da kam eine Frau vorbei, spuckte dem Mädchen ins Gesicht, zischte „Hure“ und ging weiter.
Das Mädchen wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und sagte ihrem erschrockenen Freund: „Eine reinrassige Deutsche“.
Ich vergaß zu sagen, dass der junge Mann ganz dunkle Haut hatte.
Ich wollte mich für die Frau entschuldigen, aber da kam der Bus, das Pärchen stieg ein, ich musste auf meinen warten.
Den ganzen Tag schämte ich mich, für das, was passiert war. Und nachts grübelte ich über die Frage, ob ich reinrassig sei. Da erschien eine weiße Gestalt mit einem schleierverhüllten Gesicht und
eine weibliche Stimme sagte: „Ich will dir etwas zeigen. Komm!“
Und plötzlich waren wir im Norden, in Skandinavien, bei einen Mann mit Helm und Motorsäge, der war beim Fällen einer Fichte, den fragte sie, wer ich wohl sei. Mit einem flüchtigen Blick zu
mir sagte er, er kenne solche Typen, ich sei ein Südländer, mache Lärm, könne den Mund nicht halten, sei ungeduldig und schaffe nur Unruhe. Kurzum, ich würde allen auf die Nerven gehen.
Im nächsten Augenblick waren wir in Italien. Der Mann saß am Wegrand neben einem Korb voller Weintrauben und antwortete auf ihre Frage, ich sei ein typischer Nordländer, hätte kaltes Blut,
sei für Späße nicht zu haben, aber diszipliniert und fleißig.
Kaum hatte er ausgesprochen, waren wir in Moskau und stießen vor einem Warenhauses auf eine Frau im Pelzmantel, sie hätte nicht viel Zeit, sagte sie, aber sie sehe sofort an meiner blassen Haut,
ich sei ein verweichlichter Westler, der statt Männer beim Boxen den Frauen beim Ballett zusehe und lieber Wein als Wodka trinke, und überhaupt, wieso ein Franzose dazu käme, sie mit solchen
dummen Fragen aufzuhalten?
Und schon waren wir in Paris. Eine hübsche Blumenverkäuferin stellte Blumen vor den Laden, sie sagte seufzend, ich sei bekannt dafür, die Menschen durch mein bärenhaftes Auftreten zu erschrecken.
Außerdem rede ich zu laut und zu lange, dabei rege ich mich schnell auf und sei ich doch mal friedlich, dann nur weil ich eine depressive Phase hätte.
Auf einmal lag ich wieder im Bett und die Gestalt sagte: „Ich bin Germania, deine Mutter.“ Sie hob den Schleier. Sie hatte ein pausbäckiges Gesicht, aber der Blick erinnerte mich an meine Mutter.
Und dann sagte sie: „Jetzt weißt du, was du bist. Du bist ein Kind vieler Väter.“
„Das ist unmöglich!“ rief ich verstört.
„Na, dann schau dir mal die Landkarte an!“ antwortete sie. „Wer von Ost nach West musste oder von West nach Ost oder von Nord nach Süd oder von Süd nach Nord, der musste auf mich stoßen.
Ein ganz schöner Verkehr, mein Lieber. Aber die Hauptsache ist, du hast nur eine Mutter und das bin ich. Und außerdem kannst du dich glücklich schätzen“, fuhr sie fort, „du hast die
Eigenschaften von verschiedenen Vätern, das ist ein Reichtum, nutze ihn und jammere nicht!“ Und sie verschwand.
Als ich am Morgen erwachte, kam mir die Welt schön und leicht vor, ich aß zum Frühstück ein Baguette mit Blaubeermarmelade. Am Nachmittag setzte ich mich mit einem Glas Rotwein in den Garten und
las einen Roman von Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita.
Ich war glücklich.