Als ich ihm meine restlichen Schwedenbriefmarken und einen Regenschutz fürs Radfahren auf den Tisch lege, sieht er gar nicht hin.
Ich soll ihm in den Keller zu folgen. Im Halbdunkel zieht er hinter einer ausgehängten Tür ein flaches in Zeitungspapier gewickeltes Paket hervor. Könnte eine Bogensäge sein.
„Hast recht.“, er legt den Finger an den Mund. „Heute sind wir Terroristen.“
Der Stuhl, auf den ich mich stütze, bricht auseinander.
„Mann!“ Er schiebt die Trümmer mit dem Fuß beiseite. „Pass doch auf.. Bei dem ist alles lose. Muss ihn noch reparieren. Komm jetzt..“
„Gunnar,“ sage ich, Schlimmes fürchtend, „ für so was hab ich keine Zeit mehr. Morgen früh fahr ich heim.“
„Es geht ganz schnell.“, sagt er..
Seit Wochen berichtet das Fernsehen über illegale Bonuszahlungen an Vorstand und Manager einer großen Versicherungsgesellschaft, die einen Rentenfonds führt. 2 Milliarden Kronen gingen verloren,
das kürzt die zukünftigen Renten der Einzahler um bis zu 5 %, heißt es.
„Höchste Zeit, dass man was unternimmt. Wir legen den Telefonmast um. Komm!“
„Warte.. Die Telefongesellschaft hat doch nichts damit zu tun!“
„Die Konzerne stecken alle unter einer Decke. Und außerdem.. Die letzte Telefonrechnung war viel zu hoch! Und immer sagen sie: das war der Computer.“
An der Gartentür halte ich ihn am Arm zurück.
„Nein du, ich mach da nicht mit. Das ist doch verrückt.“
Er sieht mich vorwurfsvoll an.
„Vielleicht ist das ist mein letzter Wunsch.. Kannst du das verstehen?“
Er ist 80. Na und? Ich bin 60.
Er drückt mir das Paket in die Hand.
„Bei dir fällt es nicht so auf.“
Noch nie habe ich das Dorf so friedlich gesehen. Die Häuser stehen ordentlich auf ihren Plätzen, in den Gärten wachsen Pflanzen und Büsche hübsch vor sich hin, die Blätter an den Bäumen hängen
still. Was wir vorhaben, passt nicht ins Bild.
Gunnars Schritte sind kurz und schnell. Er geht wie aufgezogen.
„Und wenn es deine eigene Telefonleitung ist? Dann kannst du nicht mehr telefonieren!“
„Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.“
Ich zähle die vorbeifahrenden Autos. Achtzehn... Wenn heute Abend im Dorf das Telefon tot ist und der gefällte Mast entdeckt wird, gibt es eine Menge Zeugen, die zwei alte Burschen
mit einer in Zeitungspapier eingewickelten Bogensäge gesehen haben.
Meine Unruhe fällt ihm auf.
„Keine Angst, wir sind gleich da.. Ich hab mir den Mast schon vor Jahren ausgesucht..“
Und als er ihn mir zeigt, begreif ich ihn nicht. Der Mast steht hoch oben auf einer steilen Böschung, am Waldrand.
Na bitte! Immer wieder rutscht er zurück, krallt sich an Sträuchern fest, umklammert Grasbüschel. Einmal muss ich ihn hinauf stemmen.
Oben angekommen, kann uns auf der Straße jeder sehen. Ich weise ihn darauf hin.
Er wickelt die Bogensäge aus.
„Kein Problem. Kommt ein Auto, verstecken wir uns....“
Wir setzen uns hinter einen Birkenbusch. Wir beobachten die Straße, ist sie in beiden Richtungen leer, steht Gunnar auf und legt die Säge an den Mast. Es ist wie verhext: jedes Mal taucht in der
Ferne ein Auto auf. Das geht eine gute halbe Stunde so. Mir reicht's.
„Mensch, ich muss noch packen, ich geh jetzt..“
„Wart mal, wart mal...Gleich geht’s los.. Sollst du sehen.. Nach dem nächsten Auto.“ Er breitet die Zeitung unter einer Fichte aus und legt sich darauf. „Ist doch ein schöner Platz
hier..“
„Weißt du,“ sag ich, „dass du Telia Arbeit abnimmst? Bald gibt es nur noch Handys, dann müssen sie die Leitungen sowieso stilllegen.“
Keine Antwort, er schläft schon.
In der Ferne taucht ein grünes Auto auf, ein Saab, es ist Sven. Ich rutsche mit Karacho die Böschung hinunter und halte ihn an. Ich erzähle ihm, was wir vorhaben.
Er grinst.
„Ja, das wollen wir schon seit Jahren machen... Aber, weißt du, ich hab nie Zeit.“
Er parkt den Wagen am Straßenrand. Schnaufend - er ist schließlich schon 70 und rundlich - krabbelt er die Böschung hoch, greift sich die die Säge und eh ich es recht kapiere, sägt er am Mast.
Das Geräusch weckt Gunnar, langsam öffnet er die Augen, fährt hoch, blickt verwundert. Plötzlich ein Knall, Sven hält die Säge hoch. Das Sägeblatt ist gerissen.
„Verdammt auch, Sven, du kannst mit Sägen nicht umgehen!“
„Das Blatt hatte schon nen Bruch.“
Gunnar drückt mit der Schulter gegen den Mast, der rührt sich nicht. Sven kratzt sich die Stirn.
„Vielleicht beim nächsten Sturm..“
Gunnar tritt gegen den Mast. „Hörst du? Klingt viel zu gut. Aber da unten fault er.“
„Na fällt er eben von selbst..“
„Ja, in zwanzig Jahren. So lang wart ich nicht. Ich setz ein neues Blatt ein und komm zurück.“
Sven meint, es lohnt sich nicht der Mühe. Ja, wenn es ein Hochspannungsmast wär, ja dann..
„Die schmeißt du mit einer Säge nicht um,“ sagt Gunnar.
„Da hast du recht. Man müsste Dynamit haben.“
„Hast du was dabei?“
Und so reden sie noch, als sie auf ihren Hosenböden den Abhang hinunter rutschen. Sven nimmt uns im Auto mit, er war sowieso auf dem Weg zu Gunnar. Hat für ihn in Halmstad einen Teppich aus der
Reinigung abgeholt.
Wir gehen nicht ins Haus, wir wollen draußen am Gartentisch sitzen. Wolken ziehen am Himmel wie am Schnürchen, zwischendurch blitzt die Sonne. Am Vormittag hatte es geregnet und als Gunnar sich
in einen der beiden Plastikstühle setzt, macht er es sich in einer Pfütze bequem. Das geht nicht durch die Jeans, meint er. Sven kippt das Wasser aus seinem Plastikstuhl auf die goldbraunen
Ringelblumen am Haus, wischt mit der Hand über die Sitzfläche und setzt sich. Ich klappe den Holzstuhl auf, er ist fast trocken, und nehme Platz.
Wir reden wie immer. Wetter, Nachrichten, Politik..
Wenn er sich so wie heute fühlt, sagt Gunnar unvermittelt, wird er im Herbst die Chinareise machen. Plötzlich steht er auf und flucht. Er zeigt uns sein Hinterteil, damit wir seinen großen
feuchten Arsch bewundern können.
„Als wenn du gepinkelt hättest.“, sagt Sven.
Gunnar will doch lieber eine trockene Hose anziehen. Ich nutze die Gelegenheit, um mich rasch zu verabschieden. Bloß kein großer Bahnhof.
„Wir telefonieren noch!“
Er nickt und schlurft ins Haus.
Das Telefongespräch war nichtssagend.
Also jetzt der letzte Abend. Im Winter konnte ich den Sonnenuntergang über dem vereisten See beobachten. Einer prächtiger als der andere. Im Sommer sank die Sonne im Nordwesten auf den
Waldhorizont. Ein rötlicher Streifen wanderte darüber ostwärts und um halb vier kam eine goldene Flut über die Baumkronen.
Heute Abend ist es anders. Im schwarzen Gitter der Baumzweige etwas Rotes, kaum größer als ein Autobremslicht..
Morgen fahr ich nach Deutschland zurück.