Dass ich Deutscher bin, kann ich nicht leugnen. Dennoch fühle ich mich oft fremd in Deutschland. Und in solchen Momenten sehne ich mich nach Småland, als läge dort meine Heimat.
Kürzlich befasste ich mich mit Ahnenforschung. Meine Wuzeln liegen demnach von Vaters Seite in Ostpreußen, mütterlicherseits in Polen.
Kürzlich sah ich einen Film über Masuren, eine Landschaft, die teils in Polen, teils im ehemaligen Ostpreußen liegt. Die Ähnlichkeit mit der småländischen Landschaft waren nicht zu üb
ersehen.
Und da ging mir ein Licht auf, warum ich mich Småland so tief verbunden fühle. Die Gene hatten sich geregt, sie hatten vor Freude zu tanzen begonnen. Und jetzt verstand ich auch, warum ich als
geborener Franke als Volksschulkind am liebsten durch den fränkischen Wald strolchte.
Das wäre also geklärt, warum ich am liebsten in Småland geblieben wäre. Es gab noch einen Grund. Gunnar. So einen Menschen hatte ich noch nie erlebt. Auch er kam mir verwandt vor, aber mehr
seelenverwandt. Gibt es so etwas wie geistige Gene? Das würde manches bei mir erklären. Und weil ich ahnte, dass ich etwas erlebte, was einmalig war, hab ich fast jeden Abend mit einer kleinen
Reiseschreibmaschine niedergeschrieben, was ich am Tag geschehen war.
Ich musste nach Deutschland zurück, blieb in Briefkontakt mit Gunnar, machte fast jedes Jahr in seiner Umgebung meine Sommerferien. Nach Abwicklung meines Verlages verlegte ich meinen Wohnsitz
nach Småland, bearbeitete meine Manuskripte von damals und besuchte Gunnar, so oft ich konnte.
Nach einiger Zeit fiel allen auf, dass sich etwas in ihm veränderte. Unruhig wurde er, er erregte sich schnell, äußerte verstörende Ansichten. Das geschah in der Zeit, als ich meine Hütte
verkaufen musste. Ein Jahr später erfuhr ich, er hätte ein Zimmer im Altersheim von L..
Wir schrieben uns, wobei er seinen Text einer Pflegerin diktierte, denn seine Handschrift war unleserlich geworden.
Und dann kam seine Todesnachricht. Er starb durch einen Herzinfarkt mit 91 Jahren. Ich erschrak. So hatte er nicht sterben wollen. Wir hatten öfter über den Tod geredet. Einmal sagte er mir, alte
Småländer gehen in den Wald und kommen nicht zurück. Und ich fühlte mich schuldig, als hätte ich bei seinem Sterben dabei sein müssen.
Manchmal hilft es, sich etwas von der Seele zu schreiben. Und ich begann eine Geschichte von seinem "Weggehen" zu schreiben, die nach seinem Geschmack sein sollte, und gab mir darin eine Rolle,
mit der ich vor mir selbst Vergebung erlangen konnte.
Die Geschichte mit dem Mongolen fand wirklich statt, sie entpuppte sich als falscher Alarm und brachte meinen Freund zum ersten Mal in Kontakt mit dem Nervenarzt. Es war der Beginn eines langen
Weggehens, eine schmerzliche Art des Weggehens mit Zwischenstationen in Kliniken und dem endgültigen Aufenthalt im Altersheim.
Aber das passte nicht zu ihm. Das war nicht Gunnar, der seine Freiheit genoss wie kein zweiter. Auf diese Weise durfte sein Leben nicht enden. Und so ließ ich ihn in der Geschichte auf eine
Weise „weggehen“, die ihnm das lange, quälende Weggehen erspart und ihm sogar seinen letzten Wunsch erfüllt.
Mit meiner Erzählung "Im Fluss" kommt auch mein Lebent in Småland.zum Abschluss, Ich nenne die Erzählung so, weil ich damals das
Gefühl hatte, von einem aus vielen Quellen gespeisten Fluss getragen zu werden. Als er mich ans Ufer warf, war das ein Zeichen, meinen eigenen Weg zu gehen.
Ich wünschte, Gunnar könnte die Erzählung lesen. Aber wahrscheinlich würde er das nicht tun. Er las ungern lange Texte. Er würde ein Auge zukneifen und sagen: "Gehen wir in den Wald, was meinst du?"