Gerade ging ich mit einem Eimer Vogelfutter um die Hausecke zum Fliederbaum, das ist der Futterplatz der Vögel, da sah ich sie, direkt vor meinen Füßen, unter dem Fenster. Die Meise steckte sozusagen bis zu den Knöcheln im Schnee. Sie schlug mit den Flügeln heftig auf den Schnee, aber sie kam nicht hoch. Sie war gegen die Fensterscheibe geflogen. Sie hatte Glück gehabt, sie lebte noch.
Ich hob sie auf und brachte sie ins Haus.
Dann sahen wir uns beide an. Sie saß mit zusammengelegten Flügeln auf dem Sofa.
„Wie fühlst du dich?“ fragte ich.
Blöde Frage. Sie war vor Entsetzen stocksteif. Wie sollte sie das auch begreifen!
Saust beim Fliegen gegen etwas unsichtbar Hartes und stürzt zu Boden!
Wenn jetzt dem Vogel keiner hilft, dachte ich, wird er nie mehr fliegen können.
Ich sah ihm an, dass er mir etwas Entsetzliches sagen wollte, aber nicht konnte. Ich kam ihm zuvor und sagte:
„Schon gut. Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich kenne das. Weißt du, gegen eine unsichtbare Wand fliegen und sich den Kopf stoßen, das passiert schon mal. Passiert auch uns Menschen. Ich zum Beispiel will seit einer Woche, dass meine Frau endlich mal wieder einen Nusskuchen backt. Der schmeckt nämlich vorzüglich. Aber sie tut es nicht. Immer wieder versuch ich es, aber ich renn da gegen eine unsichtbare Wand. Lass ich deswegen den Kopf hängen? Oder meine Flügel? Sieh mal...“
Ich weiß nicht, ob in diesem Moment die Heilung einsetzte. Jedenfalls flattert die Meise plötzlich auf. Ich öffnete rasch das Fenster, sie machte eine Kurve und flog hinaus.
In diesem Moment trat meine Frau ins Zimmer. Ich beschloss, wie die Meise aufzufliegen und Kurs auf meinen Nusskuchen zu nehmen. Und sollte ich gegen eine Wand stoßen, so würde ich eben meiner Frau vor die Füße fallen.
Ich sagte: „Weißt du, ich back den Kuchen selber.“
„Das wäre ja noch schöner“, sagte sie. „Mir die Küche durcheinander bringen! Nein, den back ich!“
Am Nachmittag saß ich am Fenster bei Kaffee und Kuchen und sah den Vögeln zu, wie sie unter dem Fliederbaum im Schnee das Futter aufpickten. Plötzlich kam ein Vogel angeflogen und setzte sich vor mir aufs Fensterbrett. Es war eine Meise. Sie blinkte einmal mit dem linken Auge, ich zwinkerte zurück, und dann flog sie hinunter zu den anderen Vögeln.
„Du hast wohl eine neue Freundin“, sagte meine Frau.
„Ach was“, sagte ich, „das war eine Patientin von mir.“