Gestern streute ich unter den kahlen Apfelbaum Vogelfutter aus. Kaum war ich oben in meinem Zimmer am Fenster, sah ich unter dem Apfelbaum den ersten Vogel sich pickend über das Futter hermachen. Der Größe und dem schwarzen Gefieder nach ein Amselmännchen. Dann kam eine kleine Meise, noch eine, dann Spatzen und immer, aber sie kamen nicht ans Futter. Denn immer wenn einer der Winzlinge näher kam, schoss die Amsel auf ihn los und verjagte ihn. Dann landete neben ihr die zweite Amsel und die Meisen und Spatzen bekamen es auch noch mit ihr zu tun.
Und dann geschah etwas. Die Meisen und Spatzen stellten sich in Front zu den Amseln.
Das war merkwürdig. Ich ging hinunter und als ich fünf Meter vor dem Apfelbaum stand, hörte ich die kleinen Vögel piepen. Durch den zagen Ton, der mir bekannt vorkam, verstand ich sofort, was sie sagten: „Gerechtigkeit!“
Die beiden großen Vögel stellten sich in Position und das in einer elitären Haltung, die mir bekannt vorkam, so dass ich ohne Schwierigkeit heraushörte, was sie da pfiffen: „Sozialneid, was?“
Mich ärgert dieser Begriff seit jeher, und so sagte ich laut (und hoffte, die Amseln würden es am Klang meiner Stimme verstehen): „Verflucht noch mal, könnt ihr nicht abgeben?“
Worauf vor Schreck sämtliche Vögel davon flogen.
Ich überlegte. Gerechtigkeit ist doch einfach zu machen: Gib jedem seinen Essplatz und sein eigenes Essen. Amseln zum Beispiel sind Bodenpicker. Sollen sie unter dem Apfelbaum ruhig weiterpicken. Für die anderen Vögel hängte ich ein Vogelhäuschen in den Apfelbaum und füllte es mit Sonnenblumenkernen. Auf der Haustreppe sah ich mich um und konnte mit Freuden feststellen, dass die ersten Meisen ins Häuschen aus- und einflogen.
Ich ging in mein Zimmer, setzte mich an den Schreibtisch. Nach einer Weile trat ich ans Fenster und sah hinaus. Sich ans Vogelhäuschen anklammernd, schielte eine Amsel in die Futterluke.