Die Kirche soll für Touristen eine Sehenswürdigkeit werden. Daher beschließt die Dorfversammlung den Heiligen Martin zu reparieren. Es ist eine mittelalterliche Holzfigur. Ihr fehlt der rechte
Fuß.
Da erhebt sich ein junges Mädchen und spricht: Ob man nicht lieber abstimmen solle, dass die Flüchtlinge aus Afghanistan im Dorf bleiben können? Deren Asylantrag sei abgelehnt worden.
Die Frage des Mädchens wird nicht angenommen, sie beträfe keine kirchlichen Belange.
Darauf stellte sie eine zweite Frage: Ob man das Geld für die Reparatur dann nicht den Flüchtlingen schenken könne?
Auch das gehöre nicht zur Sache, dafür sei das Sozialamt zuständig, war die Antwort.
Also wird die Reparatur der Statue beschlossen.
St. Martin im Himmel sieht das und ist nicht einverstanden. Ausnahmsweise erlaubt ihm Gott, auf der Erde Gestalt anzunehmen – allerdings mit einem anderen Gesicht, doch ohne den rechten
Fuß.
Und so geschieht es. Der Heilige humpelt auf einer Krücke zum Pfarrer und trägt ihm seinen Wunsch vor. Man möge doch lieber den Asylanten helfen als einer alten Holzfigur!
Der Kirchenmann zeigt Verständnis, verweist aber auf das Sozialamt und dass die Asylanten ohnehin bald das Land verlassen müssen.
„Ja“, sagt der Mann, „aber wenn die Gemeinde den Flüchtlingen das Geld für meinen Fuß spendet, dann wird man darüber berichten. Dann wird auch die Behörde die Ausweisungsanordnung
zurückziehen."
„Ihren Fuß?“ Der Pfarrer lächelt.
„Ich bin der Heilige“, sagt der Mann.
Der Pfarrer lächelt noch mehr.
„Bis auf den fehlenden Fuß haben Sie überhaupt keine Ähnlichkeiten mit dem Heiligen. Ist Ihnen das bewusst?“
„Gewiss“, sagt der Mann. „Aber ist nicht der fehlende Fuß das Entscheidende? Gesichter sind verschieden, aber Füße haben wir alle. Auch Sie!“
„Was wollen Sie damit sagen?“ Mit halb geschlossenen Augen lauscht der Pfarrer seinen Worten nach. Dann blickt er den Mann müde an. „Ja, ich verstehe. Wir Menschen sind alle gleich. Das meine
Sie. Aber wissen Sie, was meine Gemeinde denkt? Da ist ein dunkles Gesicht mit schwarzen Augen, und es gehört nicht zu uns, es gehört nach Afghanistan. Ich kann da nichts machen, entschuldigen
Sie.“
„Nein, ich entschuldige das nicht“, sagt der Mann mit der Krücke und humpelt davon.
Schließlich ist das nötige Geld für die Restaurierung gesammelt und man lässt den Fuß von einem Restaurateur anbringen. Die fertige Arbeit soll mit einer Enthüllung der Statue gefeiert
werden.
Am Tag davor erscheint der Mann beim Pfarrer, diesmal ohne Krücke und er humpelt auch nicht. Der Pfarrer freut sich für ihn, dass er eine Prothese bekommen hat. Der Mann zieht den Schuh aus. Es
sei keine Prothese, sondern ein richtiger Fuß, meint er.
Der Pfarrer ist nicht beeindruckt, er lächelt gutmütig und und sagt: "Jaja.. Wirklich erstaunlich, was die Medizintechnik heute vermag."
Mit den Worten, ab jetzt würde man ihn nicht mehr sehen, geht der Mann davon. Der Pfarrer sieht ihm nach und hält alles für einen gelungenen Scherz.
Um 11 Uhr beginnt die Enthüllung. Als das Tuch fällt, ist das Podest leer: die Statue ist verschwunden.
Alles spricht von einem Diebstahl. Der Vorstand des Touristenvereins ist empört. Womöglich hat ein Asylant den Heiligen gestohlen, um die Gemeinde vor aller Welt lächerlich zu machen. Man wird
die Statue bestimmt im Heim der Flüchtlinge finden! Sofort machen sich alle auf den Weg dahin.
Der Pfarrer bleibt zurück, er fällt auf die Knie und bereut. Als er aufblickt, ist die Statue wieder da, aber wie früher ohne Fuß.
Sofort geht er nach draußen, um darüber zu berichten. Niemand zu sehen. Da hört er Lärm im Rathaus. Er eilt hin und kommt in dem Augenblick in den Gemeindesaal, als das Mädchen vorschlägt, auf die Reparatur zu verzichten und das Geld den Asylanten zur Verfügung zu stellen. Er drängt sich nach vorn. Mit eindringlichen Worten unterstützt er den Vorschlag. Man stimmt ab und als die Stimmen gezählt sind, zeigt es sich, dass der Vorschlag angenommen wurde.
Weil der Appell des Mädchens und die Abstimmung durch die Medien ging, kommen jetzt Menschen aus aller Welt, um den „Heiligen ohne Fuß“ zu besichtigen. Und die Asylanten erhielten von der Behörde eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Seitdem berichten die Medien vom „Wunder des Heiligen ohne Fuß“.