Mittsommerzeit. Die Zweige der Birken hingen schwer und matt bis zur Erde, auf die sich die Sonne stützte wie ein nackter, brauner Männerarm. Der Duft der blühenden Linden am Pfarrhof wehte bis in unser Haus. Während mich Bienen umschwirrten und das Laub vom Gesumme dröhnt, pflücke ich die Blüten und breitete sie später auf dem eichenen Tisch im Webzimmer aus. Dort sollten sie trocknen und danach in die Teebüchse kommen. Doch bis es so weit war, drang ihr Duft betäubend in den Kopf, und keiner betrat unnötigerweise das Webzimmer
An diesem Abend war die Hauswand im Licht der untergehenden Sonne rot wie ein Fuchsfell, sogar die Luft schimmerte rötlich und auch Lillemors Haar war in rotes Licht getaucht. Sie stand vor mir auf der untersten Treppenstufe. Das Rot fesselte mich. Ein Rot, das sich an den Schläfen kräuselte, ein Rot, das einen schlanken, kräftigen Nacken verbarg. Und je mehr ich es betrachtete, um so mehr erfreute es mich, und es sollte später in Berlin sein, dass ich das Rot der APO-Fahnen nie mit Blut oder Feuer gleichsetzte, sondern mit dem Rot dieses Abends vor einem falunroten Haus und dem roten Haar eines Mädchens. Und auch heute noch stimmt mich das Rot vergnügt, ja, auch heute noch. Aber an diesem Abend betrank ich mich zum ersten Mal an dieser Farbe und mein mickriges Herz schwoll an.
Leises, kehliges Lachen. Ein Zucken läuft über den Nacken unter mir. Entfernt scheppert ein Blecheimer. Etwas in mir rollt sich behaglich zusammen. Drüben schöpft Oskar in seiner Fichtengrotte noch mal Wasser aus dem Brunnen, bevor er schlafen geht.
Wieder das Lachen. Lillemor dreht sich um.
,,Träumst du?“
Ihre Augen sind dunkel, ihre Stimme ist hell und knirschig wie Fußtritte im Schnee.
,,Rauchst du?“
Mechanisch nick ich, zupf linkisch eine Zigarette aus der zerknautschten Packung. Sie knipst eine Flamme an, mit ausgestrecktem Arm reicht sie mir Feuer, ich beug den Kopf. Die Haustür schlägt gegen meinen Rücken, Sven-Gösta, der Pflegesohn der Svenssons, bellt durch den Spalt:
,,Rauchen verboten!“
Lillemor fragt: ,,Willst auch eine?“
Knallend zieht der Junge die Tür zu. Wir hören seine dröhnende Stimme: ,,Mörderin! Mörderin!.. Lisa! Schaff Lillemor fort! Sie will mich vergiften!"
Wir lachen. Sie lehnt sich an mich.
Karamellrotes Haar. Es war nicht gefärbt, das Haar, es war wirklich so rot.