Das letzte Rätsel
Gibt's Männer, die gut gehen,
sind sie mit Schnaps gefüllt?
Und Bäume, die sich drehen,
weil Most in ihnen quillt?
Nur kurz das Touchscreen streifen,
und schon kannst du, so scheint’s,
die dicksten Mauern schleifen:
es gibt kein Rätsel, keins.
Es fehlen nur Maschinen
und Software, nicht erdacht.
Und hinter den Gardinen
da gibt es nichts als Nacht.
Doch dann.. Ein Herzgerase,
es tönt Liebesschrei,
dann putzt du dir die Nase
und stirbst so nebenbei.
Wo bist du jetzt geblieben?
Da stehn noch deine Schuh...
Und was ich hier geschrieben,
das deckt der Staub schon zu.
Ach, du fröhliche ...
Da steh ich nun - verschwitzt,erschöpft -
in jedem Arm Geschenke.
Den Mantel hab ich aufgeknöpft
und seltsam, was ich denke:
O Weihnacht! Stille Sternennacht…
(Verflixt, wo steht mein Wagen?)
Wer hätte so was je gedacht:
Du bist die Zeit der Plagen!
Gedudel aus dem Radio.
Ganz still sitz ich am Steuer.
Ich frage mich: Wie wird man froh?
O Weihnacht, bleib mir teuer!
Und keine Ahnungs wie's geschah:
Die Augen sind voll Wasser...
Noch heut flieg ich nach Florida
als froher Weihnachtshasser.
Silvester
Es fliegen Funkenschwärme.
Die Flamme Saltos schlägt.
Das Zimmer ist voll Wärme
vom Holz, das ich gesägt.
Hab Lust, mich zu betrinken,
doch ist die Flasche leer.
Die Schrippe mit dem Schinken
ist alt und schmeckt nicht mehr.
So vieles ging verloren,
was Ewigkeit verhieß.
Es glauben nur die Toren
noch an ein Paradies.
Das Leben wiederholt sich
mit jedem Morgenrot,
und mancherlei verkohlt dich,
statt Zucker gibt es Schrot...
Doch geht es auch so weiter
im nächsten Jahr - was soll's!
Mein Feuer brennt. Und heiter
hol ich mir neues Holz.
Hören
Die den Mund so voll nehmen,
gehöre ich zu denen?
Denen nichts gehört,
weil sie voll sind
des eigenen Getöses?
Wenn einem die Stille gehört,
so geh hin und bitte
um ein Stück davon!
Um die Leere zu füllen,
dass vor lauter Glück
du lachen musst.
D.L.
Der Wind
Von allen Seiten
weht der Wind.
Atem der Feinde,
Atem der Freunde:
wie ist der meine?
Den Kopf gebettet
im Büschel von Gras,
den Mund zur Erde: Sieh,
die Käfer sterben!
In unserem Atem
ist der Tod zu Haus,
der Krieg geht ein und aus
in unserem Mund.
Müd des Windes,
der anschwillt
von Stund zu Stund,
grab ich mich ein:
Hier, tief im Wald,
atmen die Bäume
den Frieden.
Helma Sander
Der Weg
Wäre der Weg
auf meiner Hand –
ich höbe die Hand zum Auge:
Geh, sag ich, lauf
und lass keine Spur zurück.
Hüpf ein wenig, wenn
Felskappen dich grüßen,
raste, wenn der blaue Fluss
einer Ader anschwillt.
Was du alles sehen kannst!
Den Schorf der Wunde zwischen
den Bergen der Knöchel, und ist
da nicht die Holzfällerhütte,
rot gebälkt, darunter
die große heilende Ruhe
des Schlafs. Leise bröckelt
Morsches aus der Wand, weiß
blickt ein Inneres hervor.
Vielleicht ein Nachthemdzipfel, denn
Holzfäller können nur
im Nachthemd schlafen (sie hassen
ihren nackten Rücken im Schlaf).
Und jedes Härchen eine Brücke
zwischen nichts und nichts
und über nichts gespannt, nur
zum Scherz, und dann
Falten, Klüfte, Schluchten – ein
wüster Weg bis zu den Fingern
mit den Gletschern, rosenglatt,
an den Spitzen ist der Himmel
beispielsweise dieses Blatt Papier
und immer in Bewegung, irre Welt.
Wann endlich ruht ein Weg sich aus
und wann kommst, Auge, du zur Ruhe?
Rainer Lohmayer
Gehen im Schnee
Was war gut an diesem Tag?
Dass die Luft grau war,
voll des trüben Traumes, der mich
seit Tagen nicht verlässt,
und dass darunter das Weiß des Schnees
von einer mächtigen, fröhlichen Farbe wurde?
Die blau war, wenn ich
an den Himmel dachte, rot,
wenn ich deiner gedachte, Mariann?
Und dass du einsankst
bis zur Hüfte, wo Fichten
auf dem Schnee standen,
wurzellos, das Gleichgewicht
des Blinden, denn wo, wo nur
war in diesem Augenblick das Licht?
Dass wir der Rehspur folgten
und plötzlich schien es,
als sei die Spur der Stich
von einem Stift,
den Weg uns weisend,
wo wir ins Schweigen gerieten,
so weit wie ein Schlaf?
Doch schließlich war‘s die Nässe
im Stiefel, die uns Antwort gab,
als spräche sie fortwährend
dasselbe und strapazierte
so Wollsocken und Stiefel.
Was ist der Fehler an den Dingen,
dass sie da sind,
als einzige, wenn wir glauben,
das Ziel erreicht zu haben?
Rainer Lohmayer
Verfügung
meine Verse sind
keine Gurken die sich nach
Gewicht verkaufen
meine Verse sind keine Sterne
die in der Nudelsuppe
schwimmen
meine Verse sollen
ins Gewicht fallen
poetisch schmecken
legt meine Verse auf
eure Waagschalen
Wort für Wort
© Cornelia Bera
Wie es ist
So wie es ist, soll es nicht bleiben
So wie es sein soll, wird es nicht sein
jedenfalls nicht demnächst
nicht stehen bleiben
weitergehen
auf Beton hinterlässt man keine Spuren
aber Staub lässt sich aufwirbeln
ein Körnchen davon tut weh im Auge
und schon ist es ein bisschen anders
als es ist.
Gabriele Thiere
Der Aussteiger
Du strengst dich an
im Mitgehn, Mitsein.
Doch irgendwann
entfährt dir ein Nein.
Zum Beispiel im Bus.
Gequassel ganz laut
und alles bloß Stuss:
"Wie der da ausschaut!
Und schau mal die!"
Man lacht dabei.
Und gackert wie
ein Huhn beim Ei.
Du warst bemüht,
weiß Gott, das reicht.
Was jetzt geschieht,
es fällt dir leicht.
Kein Abschiedsgruß.
Das wäre Hohn.
Es fährt der Bus,
du gehst davon.
H.T.
November am Gorinsee
allein steh ich vor dir
du klares Aug'
du kaltes Wasser
nimm meine Tränen
nachts geweint
als ich mich verlor
so kann ich mich
wieder finden
in deinen Wellen
im feuchten Laub
an deinem Ufer
im Geruch des Ahorns
© Cornelia Bera
Auf dem Eis
Das Wasser schloss
der graue Star.
Ich steh darauf.
Geöffnete Augen
sind furchtbare Tiefen.
Mario Hartmann
Inmitten ...
Inmitten meiner Träume sitzend,
denk ich:
Warum lauf ich
nicht einfach davon?
Inmitten der Dinge sitzend,
kann ich nicht mal
die Lider senken,
um einzuschlafen.
Mario
Hartmann
Wir
Das nennen wir Verreisen,
dass wir uns selbst zerreißen.
Ein Bein ist in New York,
das andre in Türkei,
ein Arm, der ist in Indien,
der andre in Hawai,
der Torso in Australien
und wo ist unser Kopf?
Man hat ihn uns genommen,
man braucht ihn auch nicht mehr.
Wir sind doch längst verschwommen
im Irgendwo als Irgendwer.
Monika Reichert
Von Rotwein und Hunden
Gestern hast du mir Rotwein in
mein leer verwaistes Glas gegossen
der färbte die blassen Wangen
ich wusste nicht
wo die zitternden Knie verstecken
im Hof bellten Hunde
wir haben beide Angst vor Hunden
und gingen nicht mehr runter an diesem Abend
Du hast einen Pullover dagelassen
nicht gerade modisch
doch er reicht für zwei von mir und ist warm
heute muss ich schmunzeln,
als ich deinen Abdruck im Kissen sehe,
heute kann ich festen Schrittes in den Hof gehen
und direkt auf die Hunde zu.
Gabriele Thiere, Berlin