Jürgen Mahrt,
aufgewachsen in der DDR
und Berliner mit Erleben
in der Ost-Politik,
berichtet hier Belustigendes
und Bedenkenswertes
aus DDR-Zeiten.
Foto: Beate Stübe
Der Architekt Walter Ulbricht
Von dem größten Bauwerk, das in Verantwortung des DDR-Partei- und Staatschefs Walter Ulbricht errichtet wurde - der Berliner Mauer - soll hier nicht die Rede sein. Er hat sich oft um
Architektur und Bauwesen gekümmert. Wahrscheinlich deshalb, weil Berufspolitiker bei ihren Entscheidungen auch im Auge behalten: Welchen Platz werde ich in der Geschichte einnehmen? Und da liest
es sich doch schön, wenn der Bau großer Häuser und Plätze, vielleicht sogar Städte, mit dem eigenen Namen verbunden wird. Mit dem Bau der Berliner Mauer hat es ja geklappt, sie wird für immer mit
Ulbrichts Namen verbunden bleiben.
Aber er mischte sich auch in kleinere Projekte ein. Im November 1965 trafen sich in Berlin Architekten, Bauleute und Funktionäre zur 4. Baukonferenz der DDR. In den Pausen präsentierten die
Fachleute Modelle von künftig zu bauenden Stadtzentren und Wohngebieten zur Begutachtung durch den Staatsratsvorsitzenden. Er sah sich auch das Modell der Straße Alt Friedrichsfelde an, die im
Osten der Stadt in Richtung Frankfurt(Oder) führt. Eine sehr wichtige Straße in der DDR, hier hatte sich im April 1945 die 5. Stoßarmee der Sowjetunion unter Führung von Generaloberst Nikolai
Bersarin in die Stadt gekämpft. Bersarin hatte als erster Kommandeur Berlin betreten und wurde nach russischer Tradition 1. Stadtkommandant Berlins.
Die Projektentwickler hatten parallel zur Straße ein elfgeschossiges Appartementhaus vorgesehen. Ulbricht dozierte: „Die sowjetischen Genossen sollen doch bei ihrem Weg in die Stadt
sehen, welche hervorragenden Leistungen unsere Werktätigen vollbringen.“ Er nahm das Hausmodell von der Platte und drehte es um 90 Grad, die Fensterfront zeigte jetzt nach Osten.
Die Architekten erstarrten, aber sie wagten nicht zu widersprechen und so wurde es gebaut, man kann es heute noch betrachten. Ulbricht war sehr zufrieden.
Bei späteren Modellversuchen versuchte er immer wieder, in die Ideen der Bauleute einzugreifen. Es gelang ihm nie wieder.
Nach dem November 1965 mussten die Modellbauer alle Gebäude fest mit der Platte verschrauben.
Im „Großen Haus“
Wenn ein Genosse in der DDR in das Große Haus einbestellt wurde, bekam er meist kein gutes Gefühl. Denn hier war die politische Machtzentrale des Landes. Hier legte
die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands die politischen Wege der Partei fest. Und die konnten sich schnell ändern und wer das nicht rechtzeitig mitbekam, musste dann mit Schwierigkeiten
rechnen.
Das „Große Haus“, der Sitz des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, steht am Werderschen Markt, mitten in Berlin. Und es ist wirklich
ein großes Haus, nach dem Gebäude des Flughafen Tempelhof das größte Bürohaus der Stadt. Es hat eine wechselvolle Geschichte. Heute ist es Sitz des Auswärtigen Amtes und wird vom davor stehenden
Neubau etwas verdeckt.
Die Reichsbank ließ das Haus von 1934 bis 1940 als ihre Zentrale bauen. Seine Bedeutung zeigte sich bereits bei den Gästen der Grundsteinlegung, Hitler,
Goebbels und Göring waren anwesend. Nach totalem Krieg und totaler Niederlage, den das Haus leidlich überstand, wurde es 1959 zur Zentrale der politischen Macht der DDR, dem Haus
des Zentralkomitees der SED, in dem bis 1990 Ulbricht, Honecker, Krenz und Gysi als Chefs residierten. Von Juni bis Oktober 1990 war es das „Haus der Parlamentarier“ der
Volkskammer, da es im Palast der Republik nicht genügend Arbeitsräume gab und er alsbald wegen Asbest geschlossen wurde. Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl, die in Personalunion
letztes Staatsoberhaupt der DDR war, nutzte die Büros der SED-Chefs, legt aber Wert auf die Feststellung, nie an Honeckers Schreibtisch gesessen zu haben.
Das Haus oder besser seine Keller spielten in einem weiteren Kapitel deutsch-deutscher Geschichte eine Rolle. Mit der Währungsunion am 1. Juli 1990 kam die D-Mark
in die DDR und damit mussten die Scheine und Münzen rechtzeitig von Frankfurt am Main sicher transportiert und gelagert werden. Die Bundesbanker wussten von den riesigen Tresorräumen in den
Tiefgeschossen der ehemaligen Reichsbank, in denen Gabelstapler mühelos manövrieren können. Die SED hatte hier die Personalunterlagen ihrer zeitweise über 2 Millionen Mitglieder gelagert und die
DDR-Staatsbank verwahrte hier das Bargeld. Bei der Inspektion der Tresore durch einen Bundesbankdirektor entfuhr ihm: „Die Wände sind ja aus Asbest, wenn das der Personalrat sieht, das gibt
Schwierigkeiten“.
Der Personalrat hatte wohl ein Einsehen, der Umtausch fand ja planmäßig statt.
Aber zurück zu unserem Genossen, der zum Rapport ins Große Haus bestellt wurde. Mit dem Hinweis, eine gute halbe Stunde vor Ort zu sein, ging er los. Denn vor dem
Eintritt über die Große Freitreppe führte der Weg zunächst um die Ecke in die Kurstraße. Dort war hinter einer kleinen Tür die Anmeldung. Wer in den Büchern der in dezentem Zivil gekleideten
Herren stand, bekam einen Passierschein und konnte das Große Haus betreten. Am Eingang wurde der Schein samt Ausweis penibel von einem Unteroffizier des Wachregiments der Staatssicherheit
kontrolliert. Dann ging es durch die Eingangshalle zum Paternoster. Wer in der zweiten Etage ausstieg wurde nochmals kontrolliert, denn hier waren die Büros des Generalsekretärs und der
Mitglieder des Politbüros der SED. Die Flure waren deshalb mit Teppich belegt, was es sonst im Haus nicht gab. Ganz wichtig war die Unterschrift auf dem Passierschein vor dem Verlassen des
Hauses, denn auf dem Rückweg wurde er noch einmal kontrolliert.
(Übrigens, wer jetzt vor seinem geistigen Auge Erich Honecker in den Paternoster hüpfen sieht, wird enttäuscht. Er fuhr im geschlossenen Aufzug.)
Was man dem Genossen gesagt hat, darüber wurde zu unserm Bedauern Schweigen vereinbart.
Der
Pausensänger
Das Kabarett Distel am Berliner Bahnhof Friedrichstraße hat seit seiner Gründung vor 65 Jahren bis heute ein Problem – es hat kein
Foyer. Es gibt vor dem Saal wohl einen Raum für die Garderobe und einen kleinen Bartresen, wo man sich ein Getränk holen kann, aber der hat nur Wohnzimmergröße.
Besonders eng ist in den Pausen, dann bleibt einem nur das Treppenhaus zum Beine vertreten. Als dort noch geraucht werden durfte, waberten die Nikotinwolken durch
das ganze Haus, selbst für notorische Raucher war das schon besonders grenzwertig.
1963 wurde Dr. Georg Honigmann neuer Direktor und er hatte eine Idee, wie dieses Problem gelöst werden könnte. Er ließ in den Pausen Sänger auf der Bühne
auftreten mit der Hoffnung, die Gäste bleiben im Saal und entlasten so das Foyer.
Und so trat im Winter 1964 ein kleiner Mann mit Gitarre auf die Bühne und sang ein Lied. Die im Saal verbliebenen Zuschauer blätterten in ihrem Programmheft um
Näheres über den Auftretenden zu erfahren, aber da fanden sie nichts.
Mit dem Sänger waren junge Leute in Wintermänteln in die Gänge des Saals gekommen und applaudierten heftig. Der Sänger verbeugte sich nach seinem Vortrag, trat an
die Rampe und wandte sich an das Publikum: „Vielleicht kann nach meinem nächsten Lied die andere Hälfte im Saal auch klatschen.“ Die Antwort kam prompt von einem Zwischenrufer: „Ja,wenn es besser
wird“. Dafür gab es dann tosenden Beifall von allen im Saal.
Der Sänger übrigens war Wolf Biermann.
Die Hoffnung der Biertrinker
Passionierte Biertrinker sind ähnlich wie die Raucher sehr traditionell und bleiben den von ihnen gewählten Marken treu. Sie sind sehr gesellig und für Politik interessieren sie sich wohl am Stammtisch, meist verhalten sie sich ihr gegenüber aber passiv bis reserviert. Es gibt aber eine Ausnahme und das kam so.
Für die Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 hatte das Parlament im Februar ein Wahlgesetz verabschiedet, das ein Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel vorsah.
Die Parteien und politischen Vereinigungen sollten bis zum 26. Februar 1990 der Wahlkommission ihre Bewerbungen schriftlich einreichen.
In Rostock sagten ein paar junge Leute, da nehmen wir teil mit einem wichtigen Thema: das Biertrinken. Sie gründeten die Deutsche Biertrinker Union (DBU) und ihr Geschäftsführer Andreas Häse, ein Student, fuhr nach Berlin zur Zentralen Wahlkommission, um seine Partei registrieren zu lassen. Dort erfuhr er, dass dafür ein Programm und Statut der Partei vorzulegen ist, was es nicht gab. Aber der freundliche Mitarbeiter der Wahlkommission half beim Formulieren und Andreas Häse schrieb alles in seiner schönsten Schrift auf. Es war das einzige Dokument, das der Wahlkommission nur handschriftlich vorlag. Im Programm stand u.a.: „Die Deutsche Biertrinker Union setzt sich ein für staatlich subventionierte Bierpreise, für die Einhaltung des Reinheitsgebots beim Bierbrauen. Wir sind gegen Drogen, gegen Alkoholmissbrauch und gegen ausländisches Dünnbier.“
Im Statut der Union wurde festgelegt, Mitglied kann jeder Bürger der DDR werden, der das 16. Lebensjahr vollendet hat. Mitglied wird man nach Übersendung von 2 Passbildern und eines einmaligen Eintrittsbeitrages von 32,-Mark (entspricht einer Kiste Exportbier). Weitere Beiträge werden nicht kassiert.
Das waren für einen dem Biergenuss zugänglichen Menschen alles vernünftige Vorschläge. Bis zur Wahl blieben nur wenige Tage und so schafften es die jungen Leute nur zur Aufstellung von Kandidaten im Wahlkreis Rostock. Das Land war in 15 Wahlkreise aufgeteilt. Insgesamt traten 24 Parteien und politische Vereinigungen an. Die DBU errang einen achtbaren 19. Platz mit 2534 Stimmen; nicht auszudenken wenn sie im ganzen Land angetreten wäre.
Dass die DBU an der Wahl teilnehmen konnte, hat einen schlichten Grund. Der freundliche Mitarbeiter, der bei der Ausarbeitung der Dokumente half, war Dr. Oswald Unger, ein Staatsrechtler. Als junger Assistent in Potsdam hatte er in einer Kneipe mit Freunden in den 50er Jahren eine Bierpartei gegründet. Da er auch Mitglied der SED war, bekam er gewaltigen Ärger mit seinen Genossen. Ihr Argument war, so etwas hätten weder Karl Marx, noch Walter Ulbricht unterstützt. Jetzt sah sich Unger am Ziel seines damaligen Wunsches und er half.
Wären die jungen Leute nur eine halbe Stunde früher bei der Wahlkommission aufgetaucht, wäre ihre Partei nie zugelassen worden, da hatte ein ausgesprochener Antialkoholiker Dienst.
Urlaub in der DDR
Fast zwei Monate Sommerferien für ein ganzes Land – und wie verbringt man die? Vor der Frage standen jedes Jahr die Bürger der größten DDR der Welt. Und jeder fand dafür eine Lösung.
Wer in einem großen Betrieb arbeitete und Mitglied der Gewerkschaft war, konnte sich um einen Platz im Ferienheim bewerben. Davon gab es viele in allen Urlaubsgegenden des Landes. Der für den Feriendienst zuständige Gewerkschaftssekretär Fritz Rösel brüstete sich, über mehr Betten zu herrschen als Herr Neckermann. Was zumindest in der Quantität stimmte.
Die meisten Urlaubswilligen versuchten sich ein privates Quartier zu organisieren, es war nicht einfach, aber was war schon einfach. Die Insulaner auf Usedom durften nicht vom Feriendienst beanspruchte Betten an Verwandte vergeben. Und über Adam und Eva waren doch alle miteinander verwandt. So schaute mancher Gast morgens nach dem Eintreffen an der Ostsee auf missgelaunte Hühner, weil sie im Sommer zugunsten der lufthungrigen Gäste aus ihrer Wohnung emittiert wurden.
Überhaupt die Ostsee, das mit Abstand beliebteste Urlaubsziel für alle aus den südlichen Bezirken. An zweiter Stelle stand nicht der Harz, Thüringer Wald oder Erzgebirge, es war das Umland von Berlin.
Das hatte mehrere Gründe. Zum einen hat die Umgebung Berlins landschaftlich alles zu bieten: viele Seen und große Wälder. Zum anderen die nahe Hauptstadt der DDR, in deren Geschäften es Dinge gab, die draußen in der Republik nur selten zu bekommen waren.
Viele kleine Betriebe, vor allem Handwerksgenossenschaften, meldeten sich bei den Bürgermeistern mit der Bitte nach einem Grundstück, auf dem sie ein, zwei oder manchmal mehrere Bungalows aufstellten. So konnten die Chefs ihren Mitarbeitern etwas Gutes bieten, und für die märkischen Dörfer war es auch nicht von Nachteil. War in einem Dorf die Straßenbeleuchtung besonders gut, war allen klar, hier gibt es sehr gute Beziehungen zu einem Elektrobetrieb.
Aber der wichtigste Grund der Beliebtheit Berlins war ein anderer – das Westfernsehen. Für alle aus dem Tal der Ahnungslosen, also aus den Gegenden der DDR ohne Empfang des westdeutschen Fernsehens, war es die schönste Urlaubsbeschäftigung. Und wer über D-Mark verfügte, hatte sich im Intershop einen Videorecorder und jede Menge Kassetten besorgt, so konnte alles aufgezeichnet werden, damit die Oma zu Hause auch was zu gucken hatte.
Die beliebteste Sendung war – die Programmchefs von ARD und ZDF werden es nicht gern hören – das Werbefernsehen.
So konnten der Westverwandtschaft präzise Wünsche übermittelt werden für die nächsten Geschenksendungen.
Genschers Direktmandat
Die Verdienste Hans-Dietrichs Genschers, besonders seine außenpolitischen Erfolge, sein diplomatisches Geschick, wurden nach seinem Tod besonders gewürdigt. Dabei hatte er auch in den Niederungen der deutschen Innenpolitik Beachtliches geleistet, daran sei hier erinnert.
Vor der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 kümmerte er sich intensiv um seine Partei, die FDP, in seiner alten Heimat Halle an der Saale. In dem östlich der Stadt gelegenen Dorf Reideburg wurde er geboren und er hatte sich immer dazu bekannt, nicht erst mit dem Mauerfall.
Für die Wahl stellte die FDP als Direktkandidat Uwe Lühr auf. Der Name hatte in der Saalestadt eine gewisse Bekanntheit. Lührs Großvater gründete ein Geschäft für Kinderwagen, das auch in der DDR noch existierte. Jeder Hallenser kannte die Firmenlosung: „Den Kinderwagen kauf ich mir / beim Kinderwagenfachmann Lühr“. So begann die Mehrheit der Kinder den Lebensweg in einem solchen Gefährt.
Genscher vertraute dieser Bekanntheit nicht unbedingt. Er machte in Halle mit vollem Einsatz Wahlkampf, auf den Plakaten war sein Konterfei und er versprach, sich für Halle als Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt einzusetzen. Und die Bürger wählten ihn, rieben sich am Wahlabend aber verwundert die Augen, als sie erfuhren, dass Uwe Lühr mit 35,4 Prozent als ihr direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag einzieht und nicht Hans-Dietrich Genscher. Für die FDP aber war das Direktmandat eine Sensation, ist es doch so etwas wie die blaue Mauritius, nur seltener.
Genscher hat diesen Erfolg aber bescheiden abgewehrt, denn der Abgeordnete Uwe Lühr war in der DDR ein Funktionär der LDP und somit eine Blockflöte.
Der Außenminister grenzte sich noch zusätzlich ab, er konnte sich nicht erinnern, ob er sein Leben in einem Kinderwagen der Firma „Korb Lühr“ begonnen hat.
Und die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt wurde Magdeburg.
Mielkes Jungfernrede
Der Minister für Staatssicherheit der DDR trat an das Rednerpult in der Volkskammer, es war der 13. November 1989, ein Montag.
Mielke war fast 82 Jahre alt und begann in diesem Moment seine Jungfernrede, so wird der erste Auftritt eines Abgeordneten vor dem Plenum
genannt.
Das war auch nach wenigen Sätzen zu spüren. Nachdem er mehrmals die Abgeordneten als Genossen angesprochen hatte, wurde es unruhig. Der Abgeordnete Dr. Dietmar
Czok, Mitglied des Präsidiums der CDU, brachte ihn mit dem Zwischenruf: „In dieser Kammer sitzen nicht nur Genossen“ endgültig aus dem Konzept. Dafür gab es Beifall.
Mielkes Reaktion wurde ein berühmtes Zitat, aber meist nicht richtig wiedergegeben, deshalb soll es hier noch einmal in vollem Wortlaut geschrieben
werden.
„Ich liebe... Ich liebe doch alle... alle Menschen.. Na ich liebe doch... Ich setze mich doch dafür ein.“
Vier Tage später wurde Erich Mielke aller seiner Ämter enthoben.
Seine Jungfernrede blieb zugleich seine letzte.
Karl Marx war mal in Berlin.
Damit hatte die Führung der SED nicht gerechnet, als sie 1983 zu einer Konferenz über Karl Marx einlud. Zahlreiche Gäste erkundigten sich in der Vorbereitung, wo sie einen Kranz für den großen Philosophen niederlegen könnten. Manche dachten wohl auch, der Begründer des Marxismus hat in Berlin sein Grab gefunden. Das Grab ist aber in London, und ein Denkmal gab es nicht in Berlin.
Obwohl eine Gedenkstätte für Karl Marx zu dieser Zeit in Berlin schon existierte. 1836 war er als Student nach Berlin gekommen und von April 1837 bis zum August wohnte er in Stralau, was damals noch weit vor den Toren der Stadt lag. Die Gedenkstätte in Alt-Stralau bezieht sich auf den 19jährigen Studenten, das war wohl nicht repräsentativ genug für die versammelte kommunistische Weltgemeinde.
Die Führung der SED hatte zwar bereits 1977 den Bildhauer Ludwig Engelhardt mit einem Denkmal für Karl Marx und Friedrich Engels beauftragt. Aber das war immer noch nicht fertig. Die Vorstellungen von Partei und Künstler lagen oft genug zu weit auseinander. Erst am 4.April 1986 sollte es in Berlins Mitte eingeweiht werden.
Die Berliner registrierten es gemischt. Sie fanden, es sieht aus wie zwei Rentner im Park, wobei der jüngere aber stehen muss. Für die Konferenz war das jedenfalls viel zu spät.So musste für das vom 11. bis 16. April 1983 im Palast der Republik stattfindende Treffen zum 100. Todestag von Karl Marx eine andere Lösung gefunden werden.
Auf der Südseite des Strausberger Platzes wurde in aller Eile eine Stele mit einer Büste von Marx aufgestellt. Die ist vom Bildhauer Willi Lammert und war seit 1953 fertig. Die 140 Delegationen konnten ihre Kränze niederlegen.
Die Büste ist noch heute an ihrem Platz, ein wenig versteckt von einer Eibe.
Altes von der Neuen Wache
Jeden Mittwoch gab es in Berlin Unter den Linden das Spektakel vor der Neuen Wache, von dem Touristen angezogen wurden – der Große Aufzug des Wachregiments. Die
zwei Soldaten der Ehrenwache vor dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus wurden mit preußischem Paradeschritt abgelöst. Das alles wurde von preußischer Marschmusik begleitet. Es
war ein Muss für alle Militaria-Fans, darunter auch viele aus Westdeutschland, die sich für die alte Militärfolklore begeistern konnten, die es bei der Bundeswehr nicht gab. Der Mauerfall hat
diese Veranstaltung beendet.
Die Neue Wache, das bedeutende klassizistische Bauwerk, wurde von Schinkel, wem sonst, als Königswache gebaut. Es gab vorher schon eine Wache, deshalb ist sie die
neue, obwohl sie nun auch bald 200 Jahre alt ist. Seit der Eröffnung 1818 spiegelt sie preußische und deutsche Geschichte wider wie nur wenige Gebäude. Sie wurde mehrfach umgebaut und wird bis
heute von den jeweils Herrschenden für ihre Zwecke eingespannt. Im 2. Weltkrieg schwer beschädigt, beinahe abgerissen, verhindert von einem sowjetischen Kulturoffizier.
In der DDR gab es vor der Wache nicht nur den Großen Wachaufzug, hier legten Staatsgäste Blumen und Kränze nieder, so hieß die Wache bei den Berlinern auch
Kranzabwurfstelle.Der Wachaufzug wurde im DDR-Rundfunk live übertragen. Aber nur bis zum Frühjahr 1969. Da fuhr der Chef des Rundfunks während der Übertragung des Aufzugs an der Wache vorbei. Er
sah keine Soldaten und keine Touristen, die Wache war wegen Umbauarbeiten seit Wochen geschlossen und die Livesendung eine Konserve, die vor Jahren wegen der besseren Akustik in einem Kasernenhof
aufgenommen worden war.
Die westdeutschen Besucher der Hauptstadt der DDR waren meist über den Bahnhof Friedrichstraße eingereist. Dort hatten sie den Grenzern ihren Pass vorzulegen und
wurden visitiert. Damals wunderte sich manch einer bei der Kontrolle, was die DDR doch für ein Hightech-Land ist. Die Soldaten legten den geöffneten Pass auf eine Glasblatte und nach mehr
oder weniger Zeit erhielten sie ihn zurück und konnten passieren. Donnerwetter, die hatten schon Maschinen zum Lesen der Pässe...
Was sie nicht wussten: Unter dem Grenzer saß verborgen ein zweiter, der die Daten über eine Spiegeltechnik las und eifrig im
Fahndungsbuch der Stasi blätterte.
Immer prima unterwegs
Wer gern verreist, andere Länder und Sitten kennenlernen will, der braucht dafür das nötige Kleingeld. Das ist jedem Touristen bekannt. Parlamentarier sehen sich auch gern die Welt an, denn so prickelnd sind Plenardebatten oder Ausschussberatungen zu Hause nicht. Aber Geld dafür ausgeben? Das kann ja jeder, also lässt man sich etwas einfallen. Einfach zum Präsidenten gehen und eine Reise auf die Kanarischen Inseln zum Studium der Landwirtschaft beantragen, könnte noch klappen, aber wenn ein Journalist davon Wind bekommt, dann wird es schwierig. Aber da hatten schon die Urgroßväter Ideen.
1889 gründeten zwei Abgeordnete aus Frankreich und Großbritannien die Interparlamentarische Union. Damit ist sie die älteste internationale Institution der Welt.
Die IPU wurde eine Vereinigung der Parlamente, die es sich zur Aufgabe machte, den Frieden in der Welt zu sichern. Bis auf zwei Weltkriege hat das auch ganz gut funktioniert.
Zweimal im Jahr treffen sich die Vertreter aus gegenwärtig 147 Parlamenten an unterschiedlichen Orten. Deshalb nehmen manche die IPU als Abkürzung für „Immer prima unterwegs“.
Da wir Berliner von der Anziehungskraft unserer Stadt überzeugt sind, bleibt das den internationalen Volksvertretern auch nicht verborgen. Seit 1908 waren deutsche Parlamente fünfmal Gastgeber für ihre Kollegen aus aller Welt. 1980 war das die Volkskammer, das Parlament der DDR. Im heute nicht mehr existierenden Palast der Republik waren Delegationen aus über 80 Staaten zusammen gekommen. Vor dem Haus wurden die Flaggen der teilnehmenden Länder aufgezogen.
Übrigens war damals zum einzigen Mal in der Geschichte der DDR in Ostberlin die Fahne Israels zu sehen.
Das hatte den einen oder anderen doch etwas irritiert.
Ein typischer (Ost)Berliner Code:
„Forum geht's denn?“
Das bekam man in der DDR von manchem Handwerker zu hören, wenn man von ihm etwas wollte. Damit gab er zu verstehen, mit „Forum-Schecks“ wäre er sehr schnell bereit zur Arbeit. Diese waren in der Bank im Tausch gegen die DM-Mark zu bekommen und damit konnte im Intershop eingekauft werden. All das, was der DDR-Bürger in der Werbung im Westfernsehen sah, war somit für ihn erreichbar und dem Besucher aus dem Westen blieb der Kauf von Geschenken erspart. Das war für alle Seiten sehr praktisch.
Als die Intershop-Läden 1962 das Licht der DDR-Welt erblickten, war das zunächst ganz anders gedacht. Es gab sie in den Raststätten der Transit-Autobahn zwischen der Bundesrepublik und Westberlin, in einigen Hotels und im Bahnhof Friedrichstraße in Berlin. Dort durfte der DDR-Bürger nichts kaufen, noch nicht einmal gucken. Viele Westberliner sahen das ganz praktisch. Schnaps und Zigaretten waren preiswert, auf der Fahrt mit der U-Bahn von Nord nach Süd kurz am Bahnhof Friedrichstraße ausgestiegen, eingekauft und weiter ging es. Vor den Zöllnern musste man aufpassen, aber die kontrollierten nicht besonders scharf, in ihrer Freizeit machten es wohl viele ganz genau so.
Aber der Hunger der DDR-Regierung nach Devisen wuchs und so beschloss die Regierung 1974, auch ihre Bürger dürften künftig im Intershop einkaufen. Dieser Beschluss ließ sich aber schlecht im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED, verkünden, wo ständig die Überlegenheit des Sozialismus über den absterbenden Kapitalismus verkündet wurde. So kam es, dass in der Liberal-Demokratischen-Zeitung in Halle, einem Provinzblatt der Liberal-Demokratischen Partei, ein Leser die Frage stellte, ob er mit der von seiner Tante geschenkten DM-Mark im Intershop einkaufen könne. Die Antwort war positiv. In den Intershops wurde eine Kopie der Zeitung ausgehängt und in kürzester Zeit wussten es alle. In aller Schnelle entstanden die Geschäfte, zum Teil in Supermarktgröße, es gab nicht nur die kleinen Dinge, auch Autos konnten erworben werden.
So entstand eine kleine Zweiklassengesellschaft: die Westgeldbesitzer und die Nichtbesitzer. Um das etwas zu kaschieren, wurden die Forumschecks erfunden. Es kam aber auch zu Irritationen mit dem großen Bruder aus Moskau. Sowjetische Touristen wurden bei ihrem Berlin-Besuch im Hotel „Stadt Berlin“ am Alexanderplatz untergebracht. Sie entdeckten bald den Intershop im Haus, suchten sich vieles aus und waren sehr enttäuscht, weil sie nichts mitnehmen konnten. Dafür wurde Erich Honecker beim Besuch in Moskau von Leonid Breshnew, dem sowjetischen Parteichef, heftig kritisiert. Das war aber auch ein wenig scheinheilig, denn die sowjetischen Genossen hatten längst auch Devisenläden in ihren Touristenzentren eingerichtet, sie hießen Berioska, was auf Deutsch so viel wie „kleine Birke“ heißt.
Erich Honecker versuchte den DDR-Bürgern die Notwendigkeit der Intershop-Geschäfte zu erklären. 1977 tröstete er seine Genossen, die Intershops seien eine zeitweilige Einrichtung. Damit hat er vollkommen recht behalten.
Der Fernsehturm
Seit mehr als 50 Jahren steht er nun am Alexanderplatz, im wahrsten Sinn des Wortes unübersehbar – der Fernsehturm. Denn am 3. Oktober 1969 wurde er feierlich eröffnet. Das Datum war kein Zufall, wenige Tage später am 7. Oktober wurde die DDR 20 Jahre alt. Und damit es für das Volk richtig etwas zum Feiern gab, wurden an diesem Tag neue Fabriken, Straßen und andere Objekte feierlich ihrer Bestimmung übergeben. An einem 20. Jahrestag waren es besonders viele Dinge und da der Fernsehturm ein Lieblingsbau von Walter Ulbricht war und er in diesen Tagen sehr viel zu tun hatte, ließ der Terminkalender nur den 3. Oktober zu.
Die Ostberliner hatten das Wachsen seit 1965 bei ihrem Gang zur Arbeit oder beim Bummel durch die Innenstadt beobachten können. Der Eröffnung sahen sie mit großem Interesse entgegen, auch weil das II. Fernsehprogramm der DDR mit diesem Tag auf Sendung gehen sollte; das dazu benötigte Zusatzgerät wurde in der Fernsehabteilung des Kaufhauses am Alex bereits verkauft. Damit war endlich auch das ZDF im Osten zu empfangen, heißersehnt von allen Fußballfans wegen des Aktuellen Sportstudios.
Das musste die DDR wohl in Kauf nehmen, denn mit ihrem II. Programm gab es endlich Sendungen in Farbe, der Klassenfeind im Westen hatte damit ja schon zwei Jahre früher begonnen.
Und so freuten sich alle, Walter Ulbricht und sein Volk, was ja nicht unbedingt die Regel war. Auf der Aussichtsplattform in über 200 Meter Höhe war ein Tisch mit einem Knopf aufgebaut – damals sagte man noch nicht Button – und der Vorsitzende des Staatsrates legte seine große Hand darauf und sagte: „…und ich eröffne das zweite deutsche Fernsehen“.
Seine Begleiter verdrehten verzweifelt die Augen, denn es sollte doch so schön II. Fernsehprogramm der Deutschen Demokratischen Republik heißen. Das sollte er doch wissen, denn das ZDF konnte er schließlich schon seit 1963 in der Waldsiedlung in Wandlitz sehen. Zum Glück sendete das Fernsehen nicht live und im Rundfunk war es nur einmal zu hören.
Flug Nr. 007
Und plötzlich war die südkoreanische Boeing 747 mit der Flugnummer 007 vom Radar verschwunden. Das war am 1.September 1983. Es gab kein technisches Versagen, sowjetische Kampfflugzeuge hatten Raketen abgefeuert und die Maschine auf dem Flug von New York nach Seoul westlich der russischen Insel Sachalin mit 269 Personen an Bord zum Absturz gebracht. Eine Tragödie für die Menschen und ihre Angehörigen. Sie waren Opfer geworden im unerklärten Kalten Krieg, der sich in 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder einmal verschärft hatte.
Auch in den beiden Deutschlands waren die Menschen tief davon berührt, besonders in Berlin, hier war schließlich eine der sensibelsten Demarkationslinien zwischen den Systemen. Alle Nachrichten über den Absturz wurden intensiv wahrgenommen. Während die bundesdeutschen Medien und die der anderen westlichen Staaten ausführlich von seriös bis reißerisch berichteten, meldete TASS, die Telegrafenagentur der Sowjetunion, lediglich, dass ein nicht identifiziertes Flugzeug wiederholt den Luftraum der UdSSR verletzte, ohne Positionslichter flog und keinen Kontakt aufnahm. Es wurde von sowjetischen Jagdflugzeugen abgefangen und es hat den Luftraum verlassen. Das war schließlich auch eine Wahrheit, der Luftraum kann horizontal oder vertikal verlassen werden.
Das Neue Deutschland, die Tageszeitung der SED in Ostberlin, druckte die TASS-Meldung am 2. September auf ihrer Seite 7, das Blatt hatte nur 8 Seiten, weiter hinten ging nicht, da kamen nur noch die Lokalnachrichten. Die meisten gewöhnlichen DDR-Bürger bezogen ihre Informationen aber zusätzlich über Fernsehen und Rundfunk Westdeutschlands und waren so wesentlich umfangreicher versorgt und machten sich ihre Gedanken.
In der DDR gab es ein ehernes Gesetz: Wenn beim großen Bruder etwas passiert, dann wird TASS nachgedruckt und sonst gar nichts. Selbst die Korrespondenten in Moskau verlasen nur die gleichen Meldungen.
Erst nach einer Woche bestätigten die Sowjets den Abschuss der südkoreanischen Maschine und erläuterten ihre Sicht des Vorfalls. Das Flugzeug war über 500 Kilometer vom vorgeschriebenen Kurs abgewichen und hatte mehrmals sowjetisches Territorium überflogen.
Eine Zeit später saßen in Berlin Politiker aus Moskau mit DDR-Journalisten zusammen. Sie baten ihre sowjetischen Gäste zu prüfen, ob Moskau bei besonderen Anlässen nicht schneller reagieren könne. Denn wer zuerst die Nachricht bringt ist im Vorteil. Hätte TASS den Absturz der südkoreanischen Maschine eher und ausführlicher gemeldet, wäre vieles ürberzeugender beim Leser angekommen. Und zur Demonstration schaltete einer den Fernseher ein und zappte durch die Programme. "Das sind das 1. Programm der DDR und das 2.Programm." Die Moskauer schauten nicht sehr interessiert. "Und jetzt kommt das 1. Programm der BRD und es kommen noch zwei weitere hinzu. So können sich die DDR-Bürger jeden Tag informieren."
Die Russen waren entgeistert und hatten nur eine Antwort: „Wieso verbietet ihr das nicht?“
Portal IV vom Stadtschloss
Der Grundstein ist gelegt für das Berliner Stadtschloss, das aber künftig Humboldt-Forum heißen wird, weil wir keine Monarchie mehr sind. Es ist kein neuer Stein, er wurde schon einmal verbaut an derselben Stelle in das Portal IV des Schlosses. Und er wird auch nicht im künftigen Bau verschwinden – was mit solchen Steinen sonst gewöhnlich passiert, deshalb heißen sie schließlich Grundstein – sondern die Besucher sollen ihn auch als einen Gedenkstein erkennen und die Geschichten erfahren, die um ihn herum ihren Anfang genommen haben.
Das Portal IV des Berliner Schlosses ist auf der Westseite und blickt auf den Lustgarten. Gebaut hat es der Hofbaumeister Eosander von Göthe, weshalb es auch Eosanderportal genannt wird. Er begann seine Arbeit 1708 und wurde fünf Jahre später nach dem Tod seines Bauherren, König Friedrich I. von dessen Sohn, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., dem die Verschwendungs-sucht seines Vaters zuwider war, entlassen. Auch so ein Baumeisterschicksal, wie es später in Berlin immer mal wieder vorkam. Da war das Portal zum Glück schon fertig. Warum hat aber gerade dieses Portal in der Geschichte des Schlosses einen herausgehobenen Platz eingenommen, es war ja beileibe nicht das einzige, sonst hätte man sie nicht nummerieren müssen? Und Balkone hatten die anderen Portale auch.
Es ist der Platz davor, denn im Lustgarten können sich viele Menschen versammeln und der Balkon ist für Ansprachen eine im wahrsten Sinne des Wortes hervorragende Tribüne. Zwei Männer der deutschen Geschichte haben dieses auch für ihre Zwecke genutzt.
Der erste war Kaiser Wilhelm II., der Schlossherr, der durfte sowieso auf seinen Balkon, wann immer er das wollte. Er tat das auch, am 31. Juli und am 1. August 1914 hielt er von dort seine Balkonreden, in denen er seine Untertanen für den unmittelbar bevorstehenden Krieg begeisterte, der in die Geschichte als 1. Weltkrieg eingehen sollte.
Vier Jahre später am letzten Arbeitstag des Kaisers, es war der 9. November 1918, rief von der gleichen Stelle Karl Liebknecht am Nachmittag die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus. Der Führer des Spartakusbundes reagierte damit auf den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, der wenige Stunden zuvor den am Reichstag versammelten Bürgern aus einem Fenster die Abdankung des Kaisers und zugleich die Republik ausgerufen hatte. Karl Liebknecht gründete mit Rosa Luxemburg wenige Wochen später am 31.Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands. Zwei Wochen später wurden beide ermordet und die Partei verlor ihre klügsten Köpfe. Das Eosanderportal bekam einen wichtigen Platz in der Geschichte der KPD und der späteren DDR.
Nach dem Ende des 2.Weltkrieges etablierte der Sieger Stalin das Sowjetsystem in seiner Besatzungszone. Und Walter Ulbricht, der nach Moskau emigriert war, wurde sein Statthalter als Partei- und später Staatschef. Er, ein geborener Sachse, schon deshalb kein Freund Preußens, ordnete 1951 die Sprengung des im 2. Weltkrieg schwer zerstörten Hohenzollernschlosses an. An der Stelle des weggeräumten Schlosses entstanden eine Tribüne und Platz für Aufmärsche und Paraden. Reste des Portals aber wurden eingelagert.
Deshalb können wir dieses Eosanderportal schon heute betrachten, wohl nur eine Kopie, aber letztlich wird alles zu Bauende auf dem Schlossplatz eine Kopie sein. In den Bau des Staatsratsgebäudes wurde das Schlossportal eingefügt als Referenz an Karl Liebknecht, so berief ihn die DDR zu einem ihrer Gründungsväter. Das alles geschah auf Weisung Walter Ulbrichts, der seit 1960 auch Staatschef der DDR war und ohne den die Geschichte des Berliner Schlosses vielleicht anders verlaufen wäre.
Heute residiert in diesem Haus eine private Hochschule. Das Portal wurde liebevoll restauriert und auch die Jahreszahlen 1713 und 1963 in der Wappenkartusche am Traufgesims sind neu vergoldet, obwohl Eosander von Göthe für die Zahlen nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Seit dem Einzug des Staatsrates im Jahr 1964 in seinen neuen Amtssitz war das Betreten des Balkons tabu. Vielleicht aus Ehrfurcht vor Liebknecht oder aus Angst, es könne ja wieder einer eine neue Republik ausrufen. Aber einmal wurde das Tabu gebrochen. Am 13. Juni 1972 stand Walter Ulbricht mit einem richtigen Revolutionär auf dem Balkon. Es war ein Dienstag und es war nicht besonders warm in der Hauptstadt der DDR. Ulbricht war ein Jahr zuvor von Erich Honecker als 1. Sekretär des Zentralkomitees der SED abgelöst worden.Dem nunmehr machtlosen Ulbricht blieb der politisch bedeutungslose Staatsratsvorsitz, er war in die Ecke gestellt.
An diesem Tag war der vollbärtige Fidel Castro in Ostberlin gelandet und von Erich Honecker begrüßt worden. Die Berliner jubelten ihm spontan und unaufgefordert zu. Castro wollte unbedingt Ulbricht treffen, schließlich hatte der ja noch Lenin persönlich getroffen. Das konnte man Castro nicht ausschlagen. Damit die Visite im Staatsrat einen Sinn bekam, durfte ihm Ulbricht den Orden „Großer Stern der Völkerfreundschaft“ überreichen. Als Aufpasser wurde Werner Lamberz, der ZK-Sekretär für Agitation, mitgeschickt. Er leitete Rundfunk, Fernsehen und die Tageszeitungen in der DDR wie – so streuten es despektierliche Journalisten – ein ostelbischer Junker seine Klitsche. Aber was nun passierte, konnte er nicht verhindern.
Nach der Ordenszeremonie in seinem Arbeitszimmer geleitete Walter Ulbricht seinen Gast zum Fahrstuhl. Vielleicht kam ihm da der Geistesblitz oder der alte Fuchs hatte schon vorher daran gedacht. Er führte Castro zur Balkontür und erzählte ihm die Geschichte des Portals. Der war begeistert, eine solche Tribüne war doch geradezu für ihn wie geschaffen, in Havanna hatte er schon oft stundenlange Reden an sein Volk gehalten.
Sie schoben die Gardine zur Seite und der alte und der junge Kommunist betraten den Liebknecht-Balkon. Lamberz zischte die Journalisten an: "Das wird nicht gemeldet“.
Obwohl die Ostberliner Fidel Castro begeistert empfangen hatten – der Platz war leer, nur die Ehrenposten standen vor dem Portal, die durften nicht gucken, und die Fahrer warteten in den Limousinen. Enttäuscht verließen die beiden den Balkon.