Am Grab seiner Frau hatte er die grüne Plastikvase mit den roten Tulpen in die Erde gesteckt. Heute, vor fünf Jahren, war sie gestorben. Ihm schien, als müsste er noch etwas mehr tun als sonst.
Vielleicht mit ihr plaudern wie damals kurz nach ihrem Tod? Aber heute? Zu komisch.
In diesem Moment hörte er Musik. Schräg gegenüber, etwa dreißig Schritte entfernt, stand eine Frau vor einem frischen Grab, sie hatte den Mantel ausgezogen und über die Einkaufstasche am Boden
gelegt. Daneben stand ein Kofferradio, daraus ertönte Diskomusik, wahrscheinlich kam sie von einer Kassette, und sie, im einem hellgelben kurzärmeligen Sommerkleid, begann zu
tanzen. Sie tanzte selbstvergessen, nein, es war weit mehr: sie schien ihren Körper zu genießen. Ein wunderbarere Körper, dachte er. Hingerissen blickte er zu. Sie war höchstens 40. Ihr
halblanges, dunkles Haar flog rechts und links über die Schultern. Warum tat sie das? Tanzte sie für ihren Mann, der dort begraben lag? Das musste wohl so sein. Wieso hätte sie sonst das dünne
Sommerkleid an diesem kühlen Märzmorgen angezogen? Wahrscheinlich war es das Kleid, das er so gern gemocht hatte.
Abrupt hörte sie auf zu tanzen, schaltete das Radio aus, zog den Mantel an, verstaute das Radio., klemmte sich die Tasche unter den Arm und ging davon.
Verblüfft sah er ihr nach. Tanzen! Am Grab tanzen. Das war ja geradezu was Voodoohaftes. Und während er das dachte, machte er eine kleine Bewegung aus dem Stehen heraus, es war ein leichter
Hüftschwung nach links. Er spürte in der Hüfte einen Sog, dem sein Fuß folgen musste, er zögerte, dann trat er fest auf wie einer, der den Boden unter sich prüfte, und schon folgte der Körper
nach, Nachdem er fest stand, spürte er eine Kraft kommen, die ihn erst nach rechts, dann nach links drehte. Um das Gleichgewicht zu halten, hob er die Hände nicht so hoch wie die Frau, nur
bis in Schulterhöhe. Und dann wippte er mit dem Oberkörper, wobei er bisweilen den gesenkten Kopfes nach vorne stieß wie eine Katze..
„Und du hast immer gesagt, ich könnte es nicht“, murmelte er.
Er hörte ein metallisches Klappern, der Friedhofsgärtner kam mit Schubkarre und Gartenwerkzeug. Sofort brach er die Tanzerei ab, atmete tief durch und beugte sich über das Grab, um die Tulpen zu
ordnen. Dann richtete er sich auf und verließ den Friedhof.
Als er im Auto saß, brach er in Gelächter aus, bis er merkte, dass er schluchzte.