Diese Seite ist für jeden offen, der eine Berliner Erinnerung aus der Mauer-Zeit hat hat. Text und Foto bitte einsenden an Stadthaus-Verlag, Dieter Lenz, Elbestr. 18, 15827 Bankenfelde-Mahlow. Das Foto wird zurückgeschickt.
Oder als Datei per e-Mail: stadthaus-verlag@web.de
Dieses Foto mit meiner ältesten Freundin Rena (in der geblümten Bluse) entstand im Sommer 1973. Ich musste fürs Nebenfach Publizistik an der FU ein dreimonatigen Presse-Praktikum
nachweisen. Mein Los fiel auf die "Berliner Mottenpest" (Berliner Morgenpost). Diese Verunglimpfung fand man damals in Uni-Kreisen besonders witzig, weil es sich um eine Springer-Zeitung
handelte.
Die Abonnenten-Zahl schwächelte und so dachte sich die Werbeabteilung etwas aus, das Abhilfe schaffen sollte. Treue Leser sollten belohnt und damit gehalten werden, neue mussten mit Geschenken
und Amusemang geködert werden.
"Jules Juxtour" hieß das Motto der Idee, hinter der sich eine Stadtführung zu entlegenen, ungewöhnlichen Orten in der geteilten Stadt verbarg. Angeführt von Jule Hammer
(1926 - 1991), der damals im Europa-Center am Tauentzien residierte, war die Tour kaum zu überbieten an Infos, guter Wegzehrung (auch Bier und Persiko), Jux und Dollerei. Jule Hammer, der sich
nur zu gern vor den Werbe-Karren spannen ließ, hatte gute Ideen und war damals ein kulturpolitischer Aktivist. Er war u.a. Herausgeber eines "Berliner Schimpfwörter-Buchs", leitete
ein Theater, und lange Zeit das "Haus am Lützowplatz" Im Nebenberuf war er der Neffe von Gra Luckner, wie er mir damals stolz erzählte.
Diese Schnitzeljagd durch West-Berlin sollte am nächsten Tag in der Zeitung beschrieben und abgebildet werden. Foto-Azubis und Redaktions- Praktikanten waren dafür eingeteilt worden. Meinen
Artikel über diese Juxtour habe ich nicht mehr, aber dieses Foto fand meine Freundin in ihrem Archiv aus dem letzten Jahrhundert.
Der juxige Plan vor 52 Jahren hatte Erfolg: Neue Abonnenten bissen an und die Auflage stieg: 3 Wochen Gratis- Lieferung der Zeitung vor die Haustür und jede Menge Werbegeschenke fanden viele
Abnehmer.
Vielleicht findet sich noch ein Bierkrug oder ein Handtuch mit dem Aufdruck "Jules Juxtour" ?
Eika Aue
Das Foto entstand am 23.11.1981, als meine Halbgeschwister Thomas (hinter unserem Vater) und Beate mit ihrem Jungen Christian (rechts von unserem Vater) und ich (links außen) unseren Vater, den
Schriftsteller Jürgen Lenz, in Eichwalde besuchten. Wie viele seiner Kollegen hatte er seinen Wohnsitz südöstlich an der Ostberliner Stadtgrenze.
Für mich Westberliner war der Besuch eine Strapaze, genauer gesagt: der Übertritt in die Hauptstadt der DDR. Mein Vater wünschte, dass ich jedes Mal den aktuellen SPIEGEL mitbringe, dessen
Einfuhr in die DDR verboten war. Darum band ich mir die Zeitschrift auf den Rücken. Gewöhnlich ging es gut und ich konnte sie meinem Vater ausliefern. Einmal hatte ich einen Panoramaspiegel für
das Auto meines Vaters bei mir, den er sich gewünscht hatte, wobei er meinte, den könne ich sorglos auf den Einreisepapieren angeben, solche Spiegel gäbe es ja auch in der DDR, nur seien
sie selten zu kaufen. Trotzdem fühlte ich mich beim Grenzübergang im Bahnhof Friedrichstraße nicht wohl, das musste man mir angesehen haben, man winkte mich aus der Reihe und setzte mich in eine
winzige Kammer. Beleuchtet von einer Deckenlampe mit einer Glühbirne gab es in dieser Holzschachtel nur einen kleinen Holztisch an der Wand, dazu rechts und links ein Holzstuhl. Der Grenzer, ein
älterer gut beleibter Mann mit einem stoischen Gesicht, setzte sich mir gegenüber und verlangte, ich solle meine Brieftasche ausleeren. Nun hatte ich 50 DM mitgenommen, die ich meinem Vater
schenken wollte, hatte sie aber auf den Einreisepapieren nicht angegeben. Hätte ich das getan, hätte ich sie gegen DDR-Geld einwechseln müssen und das zu einem sehr schlechten Kurs. Auf dem
Schwarzmarkt bekam man beim Eintausch fast das 10fache. Vorsichtigerweise hatte ich schon Zuhause den Schein in eine Ecke der Brieftasche gepress und als der Grenzer mit seiner Hand hineinging,
hoffte ich, dass er sie mit seinen Fingern nicht erreichen würde. Von wegen.. Sein Griff war geübt. Er glättete das Knäuel, erblasste und verließ eilig den Kabuff. Und dann saß ich da. Ich
hörte nichts, fühlte mich aber beobachtet und spürte, wie auf meinem Rücken der SPIEGEL zu kleben begann. Es war eine gefühlt halbe Stunde vergangen, als der Grenzer zurückkam und mich wortlos in
das helle, fast schon gemütliches Bürozimmer seines Vorgesetzten brachte. Es war ein junger Mann, er begrüßte mich locker, fast so als wären wir gute Bekannte. Er setzte sich hinter
seinen Schreibtisch, zeigte den Panoramaspiegel, und meinte, den könne man gut zur Spionage einsetzen. Ich sagte, was ich von meinem Vater wusste, und als der Offizier zu den 50 DM kam,
behauptete ich, ich selbst sei überrascht, der Schein müssen mir vor langer Zeit in die Ecke der Brieftasche gerutscht sein. Das überzeugte nicht. Dann fiel mir ein, erzähl doch mal von deinem
Vater, einem doch ziemlich bekannten Schriftsteller der DDR .Auch das schien den Mann nicht zu beeindrucken, doch plötzlichstand er auf und ging hinaus. Wenig später kam er zurück, reichte
mir den Panoramaspiegel, das Geld behielt er und sagte lächelnd: "Sie können gehen." Ich legte meine schweißnasse Hand in seine und verließ das Zimmer wie einer, der gerade aus einer Vollnarkose
erwacht war.
Mein Vater erwartete mich im Tränenpalast. Er hätte nach einer Stunde beim diensthabenden Offizier nach mir gefragt, sagte er, und als er hörte, man hielte mich wegen Devisenschmuggels
fest, habe er sich sofort vor allen Leuten beschwert.
Ja, mein Vater konnte heftig werden, das war so seine Art, aber in der DDR nicht ungefährlich. Andererseits wusste er sich in einer guten Position. Nach dem Krieg, als Honecker Leiter der FDJ
wurde, war mein Vater bei ihm für die Presse zuständig, und der Kontakt bestand auch später noch. Ich denke, das wird gewirkt haben.
Dazu eine kleine Anekdote. Mein Vater erzählte mir, als er in einer Pressemitteilung über eine FDJ-Kundgebung in Hamburg von 5000 Teilnehmern geschrieben hatte und sie Honecker vorlegte,
sagte dieser: „Mach eine Null.dran“.
Dieter Lenz
Das Foto entstand im Sommer 1968. Hier stehe ich am Schaufenster meines Buchladens, in Betrachtung der ausgelegten Bücher, und Sigi. Hirsch, mein Freund aus Bremen, steht in der Tür.
Ich hatte in Berlin-Friedenau, einer bürgerlichen Gegend, eine Ladenwohnung gemietet. Es war eine Leihbücherei mit angeschlossener 2-Zimmerwohnung, in der ich wohnte. Sie war ziemlich dunkel
und nur mit Kohle beheizbar. Weil Sigi seinen „total-hirsch-verlag“ und seine Zeitschrift „total – die literarische Illustrierte“ mit einbrachte, nannten wir den Buchladen
„total-büchershop“. Über das Schaufenster ließ ich das Motto unseres Unternehmens auf rotem Untergrund anbringen: Lesen ist eine Lust.
Anfangs führten wir neben linker und Untergrund-Literatur die Leihbücherei weiter..Es gab Stammkunden, ältere Frauen, die sich für 50 Pfennig einen Liebesroman ausliehen. Sie mussten jetzt in
einen Laden eintreten, auf dessen Tischen schreckliche Bücher lagen, z.B. eines mit dem Titel „Der Orgasmus der Frau“. Sicher waren sie nicht sehr enttäuscht, dass wir nach 4 Wochen die
Leihbücherei aufgaben.
Unsere ersten Kunden waren Schüler, sie kauften keine Bücher, sie verlangten nach den Postern der Haschrebellen: farbenprächtige Visionen, kauernde Gestalten vor der fernen untergehenden Sonne,
Blütendschungel und darin wandelnde Beatnikpoeten wie Allen Ginsberg. Manchmal waren es auch bloß Sprüche, auf den ersten Blick sinnlos oder komisch, blieben aber im Gedächtnis haften. Der
Poster-Umsatz schnellte in die Höhe. Darauf spannten wir durch den Laden Schnüre und behängten sie mit Plakaten und Fotodrucken, die einen politischen Inhalt hatten, und so verbreiteten
Lenin, Marx, Che Guevarra und Albert Einstein (mit herausgestreckter Zunge) in Friedenau die Revolution.
Eines Morgens lagen im Schaufenster Glasscherben und ein Pflasterstein. Die Scheibe hatte ein großes Loch.
„Ein zusätzliches Guckloch“, sagte Sigi, „und eine tolle Werbung!“. Er rief die Berliner Zeitungen an. Aber bis auf den linken „Extra-Dienst“ nahm keine Notiz davon.
Dieter Lenz