
Als er seine erste Blockhütte baute – ich durfte ihm
dabei helfen – nahm er mich beiseite und flüsterte: „Ich bau noch viele, wirst du sehen! Und dann hänge ich ein großes Schild auf, darauf steht: Für die letzten Vagabunden der Welt!“
Denn er selbst war in seine Jugend ein Weltenbummler gewesen. Er baute drei weitere Hütten, aus den Hütten machte seine deutsche Frau Ferienhütten für Sommergäste,
so wie sie auch im Strandhem Zimmer für Feriengäste vermietete. Wie sonst hätte sie die Familie mit drei Kindern ernähren können. Für finanzielle Dinge war ihr Mann total ungeeignet.
Neben seiner Reiselust hatte er weitere Eigenarten. Eine davon war sein Pazifismus. Oft sagte er mir, ich solle das Militär abschaffen, dann würde ich
berühmt.
Als wir einmal Fichten fällten, tauchten auf dem Waldweg plötzlich zwei Militärjeeps auf, sofort rief er:
„Schnell! Jag sie weg!“
„Ja wie denn?“ fragte ich.
Er drückte mir ein Aststück in die Hand: „Lauf einfach nebenher und hau drauf. Wie bei einem Schäferhund!“
Sonst Fürsprecher aller Tiere, konnte er deutsche Schäferhunde nicht leiden. Ehrlich gesagt: Vor denen hatte er Angst.
Ich schleuderte den Ast weg und hackte wieder der gefällten Fichte die Äste ab. Und er fuhr fort, seine Handsäge durch den Fichtenstamm zu ziehen. Mit meiner
Reaktion schien er vollauf zufrieden zu sein.
Da ging mir ein Licht auf. Er war gewiss ein großer Idealist, aber ebenso ein großer Realist. Und dazu ein Schelm. Aber das Aufregendste an ihm, zumindest für
ländliche Verhältnisse in Schweden, war das: er war Kommunist. (Darüber siehe Gunnar macht Politik)
Das sah man ihm nicht an, ganz im Gegenteil. Die Sommergäste im Strandhem konnten ihn für den Hausknecht halten oder für einen Waldarbeiter, der im Haus ein Zimmer gemietet hatte. Ich hatte das große Glück, ihn nicht nur vorübergehend zu sehen, sondern mit ihm zzu leben.
Wir fällten Fichten, bauten eine Blockhütte, legten im See Netze aus. Alles, was wir tatetn, entfernte mich der Welt der Schlipse und Büroklammern. Wohin eigentlich? Da war nur noch die Natur. Ich versank in ihr, es war wie ein Rausch. Gleichzeitig war ich hellwach und spürte mich leben. Zwei Jahren später war ich in West-Berlin bei den Studentenunruhen. Hute kommt mir das vor, als hätte ich West-Berlin nur geträumt, Schweden aber erlebt.
Ich glaube, er hatte es schwer unter den Menschen. Die Dörfler misstrauten seiner unangepassten, leutseligen Art. Ja, er war auf den ersten Blick seltam und sogar belustigend. Er ging seinen Weg mit einem fernen Blick seiner blassgrauen Augen, meistens trug er etwas mit sich, einen Pflanzentopf in den Händen oder die gelbe Bogensäge über die linke Schulter gehängt.
Auch mich erheitert das Bild, nicht ohne Wehmut, denn ich blieb in Berlin stecken zwischen Mauern und Autoschlangen. Und so tanke ich Augenblicke der Erinnerung. Dann glaube ich das Kratzen von Tannennadeln auf der Hau zu spüren, sehe ein herbstlicher Ahornbaum aufflammen und schmecke den Wind vom Bolmen und höre Lisas Stimme. Sie ruft nach ihrem Mann am offenen Küchenfenster. Der ist mal wieder weit weg. Er versank in eine Pfingsrose. Schließlich zwingt sie ihn mit der Kraft ihrer braunen Augen aus der Versenkung. Und schon tritt er in die Küche, in der Hand eine Schüssel mit Salatköpfen.