Das Lied eines neuen Lebens
Ich trug die steinerne Wucht der Stadt auf den Schultern und in den Ohren ihren Verkehrslärm, der mir wie der Aufschrei eines gequälten Lebens vorkam. Ich war entschlossen, das alte
Leben hinter mir zu lassen.
Ein Taxi fuhr mich vom Bahnhof zu der schwedischen Familie, bei der ich leben sollte.Auf der Fahrt sah ich ein Verkehrsschild, darauf stand „Hastighetskontroll“. Ich verstand das nicht, der
Taxifahrer, ein in Schweden lebender Deutscher, sagte: „Die Schweden kennen keine Geschwindigkeit, nur Hast, und die ist gefährlicher als Geschwindigkeit. Du wirst sehen, hier geht alles ruhiger
zu.“
Das Haus, das mich empfing, hatte eine rote Fassade, sie leuchtete in der Abendsonne. Es war ganzaus Holz. Und es duftete nach Holz, als ich eintrat. So, als lebten die Bäume noch, die für
das Haus gefällt worden waren. Alles, was ich ab jetzt sah oder berührte, war aus Holz. Ich ging auf honigfarbenem Dielenboden. Er gab keinen Ton von sich, als wollte er die Stille in diesem Haus
nicht stören. Die Zimmerwände waren aus Holz, mein Bett war aus Holz, die Frühstücksteller, das Buttermesser, sogar die Schuhe, die man mir reichte, waren aus Holz.. Und wo immer etwas an Holz
stieß, klang es behaglich. Selbst die Axt, die auf einen gefällten Baum svhlug, tönte melodisch. Auch die die schwedische Sprache war aus Holz, ein Xylophon, das die Frauen in Dur
bespielten, die Männer in Moll. Solang ich die Sprache nicht beherrschte, lauschte ich dem Zusammenspiel von weiblichen und männlichen Stimmen wie einer fremden Musik.
Nach dem Holz begegnete mir das Wasser.
Obwohl das Haus am Südzipfel des Bolmen-Sees liegt und dazu noch hoch über dem Wasserspiegel, wird es von ihm beherrscht.
Wenn wir auf dem See ruderten, tauchten wir die Schöpfschaufel in den See und tranken daraus. Und mit jedem Ruderschlag ertönte ein rhythmisches Klatschen.
Verklungen der Stadtlärm. Das Holz hatte den Sang des Waldes nicht vergessen, jeder Laut war eine Ernnerung daran, und der See hatte den Rhythmus des bedächtigen Schrittes. In mir ertönte ein
Echo. Es war das Lied eines neuen Lebens.