An einem Nachmittag seh ich meinen Freund Gunnar auf der Wiese beim Haus liegen. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, schaut er in den wolkenlosen Himmel. Da ruft Lisa, seine immer geschäftige deutsche Frau: „Du sollst zum Händler gehen! Einkaufen!“
Ohne sich zu rühren, kaum bewegt er den Mund, sagt er: „Hab keine Zeit.“
Seine Frau lacht auf, trocken und zornig, ihr Zopf fliegt von einer Schulter auf die andere. Wenig später zieht sie mit dem einjährigen Sohn im Handwagen Richtung Dorfhändler. Sie kommt zurück, der Wagen ist beladen mit Lebensmittel für die nächste Woche, der Junge sitzt auf einem Karton Waschpulver, seine Beine baumeln über dem Wagenrand.
Inzwischen hat die Erde zig Millionen km zurückgelegt, der Schatten des Fliederbusches ist dem liegenden Mann um 30 cm Zentimeter näher gerückt, und die erst kürzlich geborene Tochter, unter der Birke im Kinderwagen schlummernd, hat zehn Gramm zugenommen.
Viele Jahre später zog ich als Rentner in meine schwedische Ferienhütte. Am liebsten saß ich auf einem Findling im Wald und ließ mich von den Bäumen und Büschen betrachten. Mit Wohlwollen sah ich zurück und da wurde mir klar, was Gunnar meinte, als er zu seiner Frau „Keine Zeit“ sagte: "Komm, leg dich zu mir, nichts Besseres kann dir passieren, als keine Zeit zu haben."
Ja, ich wünschte, ich hätte in den vergangenen Jahren keine Zeit gehabt oder zumindest weniger Zeit. Es war die Zeit des Geldverdienens und der Wohlstandsvermehrung. Recht besehen bestand sie nur aus einer Kette von Anstrengungen. Streich sie aus, was bleibt vom Leben?
Natürlich arbeitete Gunnar auch, im Wald und im Garten, und es war keine leichtet Arbeit. Dafür belohnte er sich abends mit etwas, das ihm eine besondere Freude bereitete:
Er stellte sich vor die weit geöffneten Haustür auf die oberste Stufe der Steintreppe, sah dem Versinken der Sonne hinter dem Berg zu, und rief mit heiserer Stimme: „Das Leben ist herrlich!“
Und schenkte so dem Dorf und dem ganzen Erdkreis einen Moment Zeitlosigkeit.