Mir gefällt der Anblick der kleinen småländischen Häuser abseits der Straße. Umgeben von einer sonntäglichen Stille sehen sie dich freundlich an, als warteten sie auf deinen Besuch. Aber das
sollte man keinesfalls ernst nehmen.
Und so machte ich mich wieder mal auf eine Radtour. Nach einer halben Stunde spürte ich Rumpeln unter dem Hinterrad. Ich stieg ab und prüfte den Reifen. Da stoppte ein Wagen und eine männliche
Stimme fragte, ob er helfen könne. Es war ein Mann im roten T-Shirt und mit Glatze.
Ich sagte: „Vielen Dank! Ich muss nur ein bisschen Luft in den Reifen pumpen.“
Er nickte lächelnd und fuhr weiter.
Nach etwa 5 Kilometer wieder ein hartes Fahren auf dem Hinterrad. Ich griff zur Handpumpe. Ein rutschiges Bremsen auf der Sandpiste. Diesmal ein bärtiger Bauer in seinem Pick-Up, er bot mir an,
mich mit dem Rad nachhause zu fahren. Ich dankte und sagte, ich müsste nur ein wenig Luft nachpumpen.
„Dann ist es ja gut“, sagte er, hob die Hand zum Gruß und fuhr mit durchdrehende Rädern davon.
Offenbar war der Schlauch des Hinterrades porös. Was soll’s. Pump ich ihn eben all paar Kilometer auf. Als beim dritten Mal ein Wagen hielt, diesmal mit einem Pärchen das lauten Beat hörte,
und ich mich zweimal bedanken musste, bis sie mich verstanden hatten, nahm ich mir vor, ab sofort nur noch versteckt im Wald das Rad aufzupumpen. Die Hilfsbereitschaft der Schweden ständig
ablehnen zu müssen, ist peinlich.
Und so geschah es. Keiner sah mich, als ich das Rad in den Wald schob.
Bis auf ein Wildschwein. Es war überraschend aus dem Dunkel aufgetaucht. Wir starrten uns an. Ich muss zugeben, ich benutzte das Rad als Schutzschild. Nachdem wir uns gegenseitig der
Friedlichkeit versichert hatten, verschwand es so lautlos, wie es gekommen war.
Kaum hatte ich das Rad an eine Fichte gelehnt, trat ein Mann in gelber Windjacke und Gummistiefeln aus dem Dickicht. Er trug eine Flinte geschultert und sagte: „Du willst doch wohl nicht das Rad
hier abstellen? Ein Wald ist kein Müllplatz.“
„Nein“, sagte ich. „Ich muss doch mit dem Rad noch nachhause kommen. Oder steht da auf der Straße ein Auto?“
Er warf einen Blick zur Straße. „Jaso“, sagte er, „du hast kein Auto.“
„Doch, ich hab eins“, sagte ich, „Ich bin Deutscher und das Auto steht bei meiner Hütte.“
„Jaso.“ Schweigen. „Und warum bist du mit dem Rad hier im Wald?“
„Man soll mich beim Aufpumpen nicht sehen“, sagte ich.
„Jaso.“ Seine Augen sagten: „Diese Deutschen! Versteh sie einer.“
Dann sagte er: „Meinst du, das Rad ist genug aufgepumpt? Lass mal sehen.“ Er presste den Daumen gegen den Reifen. „Da muss noch was rein. Gib mir die Pumpe.“
Er gab einige Luftstöße ins Rad und sagte: „Jetzt kannst du nach Stockholm fahren.“
„Ich will aber nur nachhause.“
„Jaha, gute Idee. Stockholm wäre wohl zu weit.“
Ich verstaute die Luftpumpe und schob das Rad auf die Straße Er folgte mir und sah mir nach, wie ich davon radelte.
Später ging ich zu Fuß neben dem Fahrrad her. Aufpumpen war sinnlos. Der Reifen hielt die Luft nicht mehr. Und dann hielt ein Wagen, aber auf der Gegenfahrspur. Am Steuer in kurzärmeliger
Bluse eine Frau, jünger als ich, aber nicht so sehr, hübsch war sie auch, sie kurbelte das Fenster runter.
Wenn sie mich mitnehmen wollte, ich wäre nicht abgeneigt. Aber dann müsste sie den Wagen wenden. Während ich noch überlegte, ob sie das tun würde, sagte sie: „Hast du das Tier gesehen?“
Tier? Welches Tier? Richtig, das Wildschwein! Erfreut sagte ich. „Ja, das hab ich!“ Sie blickte erstaunt. „Doch, doch“, sagte ich und erzählte dramatisch, wo und unter welchen
Umständen ich das Wildschwein gesehen hatte. Sie sagte kein Wort. Hatte sie mich nicht verstanden? Vielleicht lag’s an meinem holprigen Schwedisch. Ich begann vor neuem, plötzlich machte sie ein
Gesicht, als hätte ich etwas Abstoßendes an mir, kurbelte das Fenster hoch, gab Gas und war weg.
Später erfuhr ich, an diesem Tag sei in der Gegend ein Wolf gesichtet worden. Wahrscheinlich hatte die Frau dieses Tier gemeint.
Eine Stunde später schob ich das Rad durch einen Gold durchfluteten Wald und als ich meine Hütte erreichte, glühte am Seehorizont das magische Rot, das im Kaspertheater den Teufel
ankündigt.
Nein, dachte ich, bitte nicht! Es reicht.