Dieter Lenz
Winter
Nicht die Kälte ist es, die einen im Winter zermürbt, sondern die Dunkelheit. Du wachst bei Nacht auf, obwohl es schon sieben Uhr morgens ist, dann lichtet sich der Himmel zu einem fahlen Grau, du begrüßt die Morgendämmerung und du freust dich auf den Tagesanbruch.. Aber um die Mittagszeit stellst du fest, es herrscht noch immer Morgendämmerung, und wenig später begreifst du, es handelt sich gar nicht um die Morgendämmerung, es ist die Abenddämmerung. Und kaum hast du das eingesehen, ist es schon wieder Nacht, obwohl die Uhr stur behauptet, es sei erst fünf Uhr nachmittags. Gegen die Kälte kannst du anheizen - aber gegen den Mangel an Tageslicht könnte dir nicht einmal ein eigenes Elektrizitätswerk helfen.
Am schlimmsten ist die Zeit nach dem Mittagessen. Bis dahin beschäftige ich mich mit dem Heizen des Herdes, Holz hacken und Essen zubereiten. Nach dem Essen laufe ich ziellos in der Hütte herum, ich verlasse sie, weil draußen mehr zu sehen ist. Irrtum. Die Luft ist grau und alles, was sonst farbig war, ist dunkel bis schwarz gezeichnet. Ab und zu dringt Weißes durch das Grau am Himmel, das fahle Licht erzeugt mehr Frösteln als Freude, also zurück in die Hütte. Eine stockige Stille empfängt mich, gegen die das elektrische Licht nicht ankommt, nicht einmal die Musik vom Recorder. Ich fange an, mit den Gegenständen zu reden. Dann kalaure ich, als wäre ich ein Clown und hätte den Auftrag, mich aufzuheitern.. Anfangs nicht übel. Es ist wie ein stilles Besäufnis. Aber dann wird mein Mund trocken, ich finde mich selber blöd, ein Blick auf die Uhr, kurz vor vier, gerettet! Ich schalte den Deutschlandfunk an, um Nachrichten zu hören.. Drei, vier Minuten lang bin ich wieder bei vollem Bewusstsein. Es sind scheußliche Nachrichten, sie könnten deprimieren, aber ihre Botschaft bleibt außen vor, sie kann nicht eindringen, ich will bloß die Stimme hören, ich bin süchtig nach der Stimme des Sprechers, sie ist das Lebendige. Der Mann wird mir sympathisch, ich möchte, dass er nicht aufhört zu reden. Er tut es aber, ich lasse das Radio an, eine Talkrunde kommt, na fein, jetzt sind es sogar vier Stimmen, was ist da los? Sie erregen sich, die Sprachmelodie ist im Eimer, es ist ein Krach wie bei einem verstimmten Orchester. Schließlich muss ich abschalten, weil mir unwohl wird.
Und was ist draußen? Was hat sich da in der Zwischenzeit getan? Bis zum Horizont alles wie zu Kohle verbrannt, eine Frosthaube hat sich darüber gestülpt, um die Landschaft zusätzlich zu konservieren. Ich ziehe die Vorhänge vor, lege mich aufs Bett und lese ein Buch.. Nach einer Stunde begreife ich die Sätze nicht mehr, knipse das Licht aus und falle in einen tiefen Schlaf.. Ein Bär müsste man sein, man würde dann erst zu Frühlingsbeginn erwachen..
Zwei Dinge habe ich heute gelernt. Wie man einen defekten Wasserhahn abdichtet. Und wie man mit trockener Birkenrinde im Herd Feuer macht. Das ist eine alte Trappertechnik, auf Letzteres bin ich besonders stolz.
Manchmal steh ich am Küchenfenster und schau zu, was sich an der kahlen Linde mit den von mir aufgehängten Meisebällen tut.
Seelenruhig und mit kräftigem Schnabelhieben bearbeiten große Meisen die Bälle wie Bildhauer, die eine Figur meißeln. Nähern sich kleine Meisen, dann spreizen sie
bloß ihre Flügel und die Heranfliegenden müssen durchstarten und abseits auf einem Zweig die Landefreigabe abwarten. Hebt der Futterer ab, sausen sie heran und besetzen - oft bis zu dritt -
die Futterkugel. Ist ein neuer Jumbojet im Anflug, lassen sie sich fallen und kurven auf ihren Warteplatz zurück.
Manchmal scheuche ich die gut genährten Vögel weg, indem ich an die Fensterscheibe klopfe, und überlasse so den schmächtigen die Futterbälle. Obwohl sie das
Geklopfe gehört haben und dann und wann zum Fenster äugen, hämmern sie eifrig auf dem Ball herum. Vielleicht sagen sie sich: Egal, wie gefährlich der da ist, wir müssen reinhaun, bevor wieder so
ein XXL heran rauscht. Oder sie denken: Hej, das ist doch bloß der alte Kerl, der immer fürs Futter sorgt...
Egal, was sie denken. Ich jedenfalls denke: Auch wir Menschen bräuchten einen alten Kerl, der mal kräftig ans Fenster klopft. Es soll ja einen geben, oben am
Himmel. Nur hab ich noch nie ein Geklopfe gehört.
Wir müssen wohl selbst für das Klopfen sorgen.
Ich war auf dem Heimweg von einem Besuch bei X. Tagsüber zog über den Himmel eine Herde wolliger Schafsrücken. Am Abend war der Wald bis in die Baumspitzen kohlschwarz. Seine Zacken glichen dem Gebiss eines Unterkiefers, und darüber spannte sich ein strahlend heller Himmel. Man konnte glauben, im Schlund eines Ungeheuers zu stecken und über seinen geöffneten Rachen hinaus auf etwas verheißungsvoll Leuchtendes zu sehen.
Ich folgte dem zuckenden Lichtstrahl meiner Taschenlampe. Ich hatte sie auf die Lenkstange montiert. Manchmal klapperte das Rad, sonst herrschte Stille. Der Mond schob sich durch das schwarze Geflecht der Baumkronen. Nach einer Weile wurde mir warm und ich geriet in träumerische Stimmung. Und dann rutschte ich in den Graben. Das Auto hatte erst abgeblendet, als es schon neben mir war.
Verschwitzt kam ich an. Die Hütte lag im Mondschein. Ein Bild wie auf einem Monitor
Die Nacht ist da, bevor ich einen Spaziergang machen kann. Beim Öffnen der Hüttentür pralle ich gegen eine schwarze Wand. Vorsichtig strecke ich die Hände aus. Kein Widerstand, nur feuchte, kalte Luft. Ich starre hinein. Dann geschieht etwas. Unten bleibt es schwarz, darüber zeigt sich ein grauer Streifen, der sich als Helligkeit ausgibt. Nach oben wird er wieder dunkler und kommt als dichte Finsternis zu mir. Ich bin in einem Keller mit einem blassen Lichtschlitz in Kniehöhe der Wand.
Ich habe mir im letzten SPIEGEL einmal nur die Anzeigen angesehen. Die meisten tun so, als böten sie Leben zum Kauf an. Offenbar kann man auch Leben konsumieren! Bald wird Life-Shopping erfunden. Man wird in den Laden gehen und sagen können: „Organisieren Sie mir drei Monate Leben.“ Darauf der Verkäufer: „Wie viel wollen Sie investieren? Wir haben für jede Preislage etwas, auch ein Schnäppchen ist dabei, sozusagen Last-Minute..“
Es hat geschneit. Ich mache einen Spaziergang. Sonne, frostige Luft, wie Zwieback, in den man hinein beißen kann. Unter den Gummistiefeln knirschen die Krümel. Im Schnee zucken Blitze, je nachdem wohin ich die Augen richte, als wollten Winzlinge mich mit ihren Taschenspiegeln blenden.
Abends haucht der gefrorene See zum Himmel und in der Nacht siehst du dort oben glitzernde Eissplitter schweben, zart und flüchtig, schon am nächsten Morgen sind sie unter den Fingern der Sonne geschmolzen. Und mir fällt ein, wie die Milchstraße bei den Schweden heißt: vintergatan (Winterstraße).
Es gibt nur noch ein einziges Blatt an der Linde, sonst ist sie vollkommen kahl. Das Blatt will offensichtlich weg, es flattert, es dreht sich, manchmal verschnauft es, es scheint erschöpft, dann geht es wieder los mit wildem Gezerre am Zweig. Ich sehe das von meinem Computerplatz und denke: das arme Ding! Klar, es will zu den andern, die liegen auf der Erde. Ich geh hinaus, das Blatt hängt viel zu hoch. Ich hol die Leiter, steig auf die höchste Sprosse, rüttel am Ast. Endlich segelt es zu Boden. Und ich breche mir fast den Hals dabei. Aber jetzt sind wir alle glücklich.
Abends. Am Himmel glänzt die Kappe einer Reißzwecke - der Mond. Beim längeren Betrachten des Himmels kommt er mir vor wie ein blaues Tuch mit weißer Stickerei - allerdings ist es die Rückseite mit einem Wirrnis von Stichen, unmöglich zu erraten, was für ein Bild auf der Vorderseite zu sehen ist. Sofort kommt mir mein Leben in den Sinn. Ich würde es gern einmal von der anderen Seite sehen.
Ein frostklarer Morgen, ein zartblauer Himmel. Über Nacht hatte es ein wenig geschneit. Wie jeden Morgen galt mein erster Blick dem See und wieder sah ich an seinem Ufer die Gestalt eines Menschen, halb liegend an einen Baum gelehnt. Ich nehme mir vor, heute das Geheimnis an Ort und Stelle zu lüften: Was verbirgt sich hinter dieser Gestalt, die seit Tagen unbewegt in ihrer schwarzen Starre auf den See hinausblickt?
Es ist ein demoliertes Plastikboot.
Gestern brachte das schwedischen Fernsehen eine Reportage aus der Zeit um 1940 über das Leben der Samen, der schwedischen Lappen. In einer Szene trieben sie ihre
Rentierherde in eine Koppel, fingen die jungen Bullen und warfen sie zu Boden. Dann kniete sich ein Mann neben sie und drängte sein Gesicht zwischen die Hinterläufe. Ich konnte nicht glauben, was
der Sprecher dazu sagte.
Heute fragte ich G.S., ob ich richtig gehört und gesehen hätte: dass die Sammen die Rentierbullen kastrieren, indem sie ihnen die Hoden abbeißen.
Ja, sagte er, aber das war früher. Heute tun sie das nicht mehr, weil das eine Tierquälerei ist.
Und dann fragte er mich, ob ich wüsste, wovor ein Same Angst hätte. Er antwortete selbst: Vor einem Bären! Der war nämlich stärker als sie. Hatten sie einen getötet, so feierten sie ihr neu
geschenktes Leben.
Ein Augen zukneifend, den Zeigefinger hebend, sagte er dann: „Und wovor hat ein Bär Angst? Rat mal!“ Er lachte auf. „Vor einer Frau mit erhobenem Rock. Sagen die Samen.“
Auf dem Feld zwischen meiner Hütte und dem See blitzen silberne Funken auf, je nachdem wohin ich die Augen richte, als versteckten sich im Schnee winzige Wesen und richteten ihre Taschenspiegel auf mich, sie gaben mir Signale, aber vielleicht wollten sie mich auch blenden, weil ich auf ihrer Spur war.
Was für ein geheimnisvoller Morgen!
Und dann ein leichtes Zucken der Augen beim Anblick der Birken. Ihre Stämme versinken am Feldrand wie ein Wasserstrahl ins Wasser: Sie haben eine Zeichnung wie das Feld, weiß mit schwarzen Flecken.
Das schwedische Duzen erleichtert den Umgang, macht es aber schwierig, einem Schweden zu zeigen, dass man ihn sympathisch findet und ihn gern näher kennenlernen möchte. Umgekehrt weiß man nie, wie sympathisch man einem Schweden ist. Dazu eine Anekdote: Das Duzen begann in Dalarna, einer Landschaft nördlich von Stockholm. Der König konnte das nicht glauben, ließ anspannen und hielt am Feldrand bei einem Bauern, der dort arbeitete, und fragte: „Hör mal, Alter, man sagt, ihr duzt euch alle. Stimmt das?“„Ja,“ sagte der Bauer, die Mütze in der Hand. „Wir duzen jeden. Außer dir und deinem Sohn natürlich..“
Heute beim Landmän. Ich bin sicher, die Frau saß schon an der Kasse, als ich als junger Mann hier regelmäßig meine Sommerferien machte. Mit ihren braunen Augen und
den weißen, runden Armen gefiel sie mir schon damals und ich sah, wie sie mich durchs Fenster beim Davonradeln nachblickte. Vorgestern hat sie mich gefragt, ob auf dem Weg am See entlang, den ich zum Dorf benutze, noch immer die vom Sturm gebrochenen Fichten lägen. Sie wisse, dass ich da wohne, sie
hätte mich einmal bei der Hütte gesehen.. Während des Redens errötete sie. Ich antwortete, jetzt sei alles frei, bloß mit dem Fahrrad hätte man Schwierigkeiten, weil der Weg vom Regen matschig
sei.
Als ich ging, dachte ich: Es wäre ein Leichtes, sie einzuladen.
Aber ich hab ja schon eine, die mich umarmt: die Einsamkeit; und ich weiß, wie eifersüchtig sie ist.
Frühling
Ein leises Xylophongeklimper kommt vom See. Die Eisdecke ist geschmolzen, am Ufer schlagen die Wellen winzige Eisstücke aneinander.
An diesem regnerischen Tag mache ich mir eine heiße Milch. Ein richtiger Mann würde Whisky trinken, aber ich bin kein richtiger Mann, jetzt nicht mehr. Aber eine Frau bin ich auch nicht. Bin ein Unwesen, das durch die drei Zimmer der Hütte irrt, verkleidet mit einer Schafwollweste und blauem Pullover, und das auf alter Mann tut. Manchmal bleibt es an den Fenstern stehen und starrt hinaus. Weil Fenster eben dazu da sind. Steht eine Minute unbewegt und glotzt.... Baumgerippe, bleierner Himmel, im braunen Gras grüne Inseln mit gelben Blüten. Narzissen. An einigen Stellen ist die Fläche weiß bepunktet, das sind Blüten, die nicht aufgehen wollen. Die Milch schmeckt süß, ferne Erinnerung an Behaglichkeit. Was könnte ein Whisky geben?
Es ist Frühling, die Zeit der Verliebten, ich bin einer von denen, und ich werde von meiner Geliebten bestraft. Meine Geliebte? Die Natur.
Die Haselnuss blüht und ich habe Heuschnupfen. Kaum mache ich die Augen auf, brennen und jucken sie. Ich laufe zum Waschbecken und gieße mir Wasser in die Augen. Augenbrennen ist erst der Anfang, dann kommen die Niesanfälle, fast sind es Explosionen (die Hütte muss sich noch daran gewöhnen, sie zittert danach) und schließlich strömt aus meiner Nase Wasser, Ein Berg Papiertaschentücher ist nötig, um die Flut zu stoppen.
Und schuld ist die Natur, die ich seit der Kindheit liebe, und als ich zum ersten mal (ich war um die 16) vom Heuschnupfen getroffen wurde, glaubte ich, es handelte sich um eine Erkältung.
So unwissend war ich. Ich verstand ja nichts von der Liebe.
Heute weiß ich: Liebe ist, wenn man trotzdem liebt.
Ich machte eine Radtour. Bog ein in den Wald jenseits der abgeholzten Fläche. Rechts und links vom Weg dichte Büsche, dahinter Bäume, ab und zu Felsen mit grauen Flechten, einer sah aus wie ein Hinkelstein. An einer Stelle standen die Bäume bis unter die Äste in Wasser. Eine goldgrüne Unterwasserwelt. Im Halbschatten schwebten Splitter gebrochenen Lichts und das Laub der Büsche täuschte Wasserpflanzen vor. Weiter durch Licht und Schatten, rauf und runter. Abwärts ließ ich das Rad laufen, ich ließ meinem Pferd sozusagen die Zügel schießen und es stürmte hinab, ich flog auf dem Sattel hin und her... und bekam einen handfesten Waldrausch. Ich begann wie ein Volltrunkener zu singen. Es war schon dunkel, da kehrte ich heim. Auf der Rückfahrt kam es mir vor, als säße ich in einem Boot und seitlich von mir, in Kopfhöhe, glitt durchs schwarze Schilf ein blassgoldner Hecht. Es war der Mond in den Bäumen.
Manchmal ist es ganz nützlich, sich vorzustellen, man sei tot. Und was man jetzt sieht, würde man alles nicht mehr sehen. Und dann sollte man sich die Frage stellen: Hätte es sich dafür gelohnt, noch zu leben?
Auf jeden Fall nicht für das, was ich im Fernsehen sehe, von den Nachrichten bis zur Unterhaltung.. Aber wenn ich dann den Blick vom Fernsehschirm zum Fenster richte, stockt mir der Atem. Diese Bäume, dieses Grün, dieses kleine unaufdringliche Stück Natur..
Ist es nicht wunderbar, wie alles auf mich zukommt? Ich trete vor die Tür, und alles bewegt sich auf mich zu. Ich rühre keinen Fuß, und schon bin ich umarmt vom Himmel, den Bäumen, der Wiese, mir sitzen die Vögel auf der Schulter, so dicht klingt mir ihr Gesang in den Ohren. Und ich spüre den Pulsschlag des Lebens, als befände ich mich mitten in seinem Herzen.
Eines Morgens drei Kraniche auf dem frisch gepflügten Acker vor der Hütte, ungefähr hundert Meter entfernt, nahe am See.
Sind das komische Vögel. Der Hals eines Geiers, der Rumpf einer Gans und die
Beine eines Storchs. Ich sitze am Küchentisch und kann sie durch das bodentiefe Fenster beobachten. Wie Feldarbeiter gehen sie nebeneinander durch die Furchen.
Einmal sausen sie rauschend über meine Hütte weg, ver mutlich zu einem anderen Acker.
Das geht auch die nächsten zwei Tage so. Offenbar kommen sie nur langsam mit ihrer Arbeit voran, ehrlich gesagt, sie machen sie ziemlich betulich.
Abends, am dritten Tag - wie immer haben sie sich zum See zurück gezogen - plötzlich wildes Geschrei, ein Chaos von Kranichschreien. Ich sehe aber nichts.
Vielleicht ein Fuchs.
Nach einer Stunde Stille.
Am nächsten Morgen: auf dem Feld ein Kranich. Er stakst herum, senkt den Kopf, gräbt unlustig, dreht sich immer wieder um, reckt den Geierhals zum See und
schreit.. Ein langgezogener Schrei, er geht einem durch und durch. Was ist über Nacht passiert? Wurde er verstoßen? Wurden die beiden anderen getötet? Er wiederholt den Schrei in regelmäßigen
Abständen. Doch keine Antwort. Stille. Sie verbreitet sich wie Blei in der Luft. Ich hätte Lust, mit einem Schrei zu antworten. Es wird dunkel, längst ist der Vogel auf dem Feld nicht mehr zu
erkennen, aber er schreit immer noch. Dann Stille.
Heute morgen: Zwei Kraniche auf dem Feld. Wie ein altes Pärchen gehen sie nebeneinander durch die Furchen, bücken sich, richten sich auf, bücken sich, richten sich
auf. Friedlich und betulich. Und sagen kein Wort.
Vom dritten keine Spur.
Ich habe nur ein kleines tragbares Fernsehgerät, aber es reicht, um die Nachrichten zu sehen und dann und wann einen ausländischen Film mit schwedischen Untertiteln. Es steht nahe bei einem Fenster, so dass ich mal auf den Schirm und mal nach draußen sehen kann. Gestern, als ich nachmittags meinen Kaffee trank, schaltete ich ihn an, aus einer alten Gewohnheit. Sie brachten eine Natursendung, und plötzlich - ich blickte hin und her - hatte ich das Gefühl, dass die Linde vor der Hütte und des Waldes rechts an der Sandstraße unterbelichtet waren. Auf dem Bildschirm waren die Farben viel kräftiger, die Bäume und Büsche waren nicht grün, sie strahlten grün, während jenseits des Fensters die Farben fast stumpf aussahen. Schäm dich, Natur, dachte ich, im Fernsehen kommst du viel besser.. Aber seltsam: Meine Augen verweilten lieber am Fenster mit der Aussicht auf die Natur. Dort fanden sie Ruhe und Genuss. Dort ist die Nahrung, die sie brauchen, nicht die Zuckertorten im Fernseher
Ein Deutscher, der durch Schweden reist, muss den Eindruck bekommen, das die Schweden einsam leben, zumindest auf dem Land. Diese verstreuten Häuser, die abseits gelegen Höfe. Er beginnt zu frösteln und beeilt sich, nach Deutschland zurück in den Lärm der Stadt zu kommen. Wäre er für eine Weile stehen geblieben, hätte er die Stille flüstern hören. Und sie hätte ihm ein uraltes Geheimnis vertraut, das nur die Schweden kennen.
Es hätte eine wunderbare Freundschaft werden können.
Sommer
Bei 30 ° lässt es sich nur bei offenem Fenster schlafen. Ich habe einen Flügel ausgehängt und ein Fliegennetz dazwischen gespannt. Hier sitze ich am Computer. Heute bläst der Wind sehr stark,er kommt aus dem Westen, er hat etwas Schäumendes, wenn er drüben durch das Laub der Linde bricht, seine Kraft stößt auf mein Fenster und schon bauscht sich die hellgrün gestreifte Gardine gegen mein Gesicht. Ich habe sie jetzt mit Reißzwecken ans Fensterbrett geheftet. Aber der Wind gibt nicht auf. Den linken Zipfel hat er schon gelöst und schlägt ihn dreist über die Computertastatur. Dann leckt er mir die Hand, nimmt sie kurz zwischen die Zähne und zieht sich plötzlich zurück, jenseits der Linde. Nicht einmal ihre Blätter bewegen sich. Irgendwo dahinter lauert er, der Schelm, er wartet auf den Moment, wo ich ihn vergessen habe.
Als ich an einer verwilderte Wiese vorbei radelte, sah ich zwei rote Schwänze über den Grashalmen tanzen, wahrscheinlich verspielte junge Füchse. Das wollte ich genauer sehen. Ich kurvte zurück, trat dicht an den Drahtzaun. Im Gras lagen kauende Kühe und was sich da über den Grasspitzen zeigte, waren wedelnde Ohren.
Midsomarafton. Ich sah den Schweden beim Tanzen zu. Freude und Lust am Leben. Und Zärtlichkeit. Es ist die Zärtlichkeit, die Menschen verbindet - und die Gestirne. Auch sie halten sich an den Händen. Und es ist die Zärtlichkeit, die Menschheit und das Universum zusammenhalten..
Ein Karton voller Papiere.. Alte Briefe usw.. Manuskripte.. Und das hier? Wie sich das liest.. Lyrik.. Aber, verdammt, es war dramatisch! Heute würde ich das ganz
anders schreiben.. Das Drama freilich begann längst früher, das hier war vielleicht bloß der Höhepunkt. Es begann
mit dem ersten Schritt auf schwedischem Boden. Aus einem verklemmten, furchtsamen und fürchterlichen Wirtschaftswunderland in ein vollkommen anderes Land. Land? Es war eine total andere
Welt.. Nur Himmel, Wald, Seen und überall unverschlossene Türen, und Menschen einer besonderen Art, freundlich, wohlwollend, aufmerksam, mit einem freien, ungezwungenen Leben. Dabei war
eine, die übertraf alle..... hol's der Teufel, ich schwärme.. Doch was für ein Glück ich hatte! Denn ichw ar Deustcher, Nazideutschland und der Krieg lagen noch nicht so lange zurück..Jedenfalls,
die Großzügigkeit und die Toleranz allen Menschen gegenüber überwältigten mich..(Zu dieser Zeit fanden US-Deserteure, die nicht in den Vietnam-Krieg wollten, in Schweden Aufnahme..) Als ich nach
Westdeutschland zurückkehrte, war ich ein vollkommen anderer als jener bei der Einreise..
Lang ist es her. Rund 50 Jahre. Und heute? In einem neuen Jahrtausend? Es kommt mir vor, als wären wir wieder dort, wo wir vor hundert Jahren waren..Und der
Alte zieht sich zurück in eine Hütte am Waldrand.. Erinnert sich.. Hat etwas in der Hand, betrachtet es ausführlich.. Einstiges Leben, von einem Harztropfen getroffen, eingeschlossen in
Bernstein..
Midsommarafton traf ich einen eingebügerten Finnen. Als die schwedische Nationalhymne erklang, sang er sie mit. Bei der Zeile „Ich will leben und sterben im Norden!“ schwang sich seine Stimme mächtig in die Höhe, er legte alle Kraft in die Stimme, und ich sah seine Augen nass werden..
Es ist ein Unterschied, ob du Spaß am Leben haben oder dein Leben leben willst. Das Leben leben heißt, Schmerz, Enttäuschung, Verzicht, Kummer und Sorgen hinzunehmen, Spaß am Leben bedeutet, dem auszuweichen, es zu verdrängen, zu überspielen. Das eine ist Betrug am Leben, das andere ist die Wahrheit am Leben. Und nur die Wahrheit führt zum Glücklichsein.
Der Himmel war ein Auge unter halb gesenktem Lid, das mich prüfte und mich schließlich erkannte. Ich erkannte ihn ebenfalls.
Bei Sonnenschein über die Straße radeln.. Wie auf dem Rücken einer Schlange radeln. Vom perlgrauen Asphalt dunstet Wärme hoch. Die Luft ist still, als warte sie auf etwas. Am Himmel ist keine Wolke, schwül ist es auch nicht. Selbst die Vögel halten sich zurück. Ich nehme an, es ist einfach der Anfang vom Ende des Sommers.
Mir ist beim Schreiben des Tagebuchs selber klar geworden - ich gehöre dem vergangenen Jahrhundert an. (Vielleicht ist Jahrtausend treffender..) Mit ihm hätte auch ich verschwinden müssen. Und so ist die Gegenwart für mich eine geschenkte Zeit - außerhalb der Zeit. Ich lebe wie einer, dessen Schiff untergegangen ist und der sich auf eine Insel retten konnte. Aber er weiß: es wird kein Schiff mehr kommen..
In der Frühe trat ich hinaus und sah den offenen Mund des Himmels. Er schrie, aber ich hörte keinen Ton. Es war der Mond.
Radeln in das Abendgold zwischen den Bäume - und dann ankommen am See, wenn auf dem fernen Ufer am Waldhorizont das magische Rot leuchtet, das im Theater den Teufel ankündigt.
Jeder will mehr haben als der andere, besser leben als der andere, mehr sein als der andere.. Aber macht euch nichts vor: es ist ein- und dasselbe Leben, ob in schwarzer oder in weißer Haut, und der Tod sitzt im Bauch der Satten wie in den Augen der Hungernden.
Einmal in der Woche seh ich mir abends im Fernsehen eine Jugendsendung an, sie heißt Raggadisch (keine Ahnung, was das Wort bedeutet). Jedes Mal zeigen sie einen Teenager mit einem besonderen Hobby. Am Schluss fragt der junge Moderator den Teenager nach dessen Idol, und kaum gesagt, schon fährt der Moderator mit ihm zu einem Besuch des Idols in dessen Haus. Zwischendurch gibt es Einblendungen mit anderen Themen, eines davon behandelte immer die Sexualität.
Vor zwei Wochen zeigte der Moderator den Penis in verschiedenen Stellungen, was er mit erheiternder Kommentierung begleitete. Und am Schluss wies er darauf hin, dass es nicht nur verschiedene Größen gäbe, auch in den Formen gäbe es Unterschiede, was aber völlig unwichtig sei: entscheidend sei die Zärtlichkeit zwischen Mann und Frau. In der nächsten Sendung zeigte er Brüste, auch hier die unterschiedlichsten Formen. Die Information endete mit einer Szene bei einem Fotografen, der ein barbusiges Mädchen für ein Titelbild brauchte. Um dessen Brustwarzen aufzurichten, wurde das Mädchen mit kaltem Wasser bespritzt. Worauf der Moderator sich direkt an die Kamera wandte: Spitze Brustwarzen müssen also nicht immer Erregung zeigen, dein Mädchen - so schloss er spöttisch - könnte auch bloß frieren.
Unvorstellbar so eine Sendung in Deutschland.
Geradezu kuschelig wird das Grün, wenn es dunkelt und zu regnen beginnt. Alle rücken zusammen, Bäume, Büsche und ich. Ein wenig Sorgen macht mir das gestern aufgeschichtete Holz an der hinteren Hüttenwand. Vor wenigen Minuten hab ich eine Plastikplane darüber gelegt, pitschnass kam ich wieder herein. Und meine Wäsche an der Leine wird noch einmal gewaschen, das ist gut, denn vermutlich habe ich nicht genug gespült, jetzt wird auch noch das letzte Waschpulver hinaus geschwemmt.
Jetzt hat es aufgehört zu regnen, Stille breitet sich aus wie nach einer Sättigung.
Wir saßen draußen vor seinem kleinem Haus am Gartentisch. Plötzlich steht er auf, macht ein geheimnisvolles Gesicht und murmelt: Warte, ich komm gleich
wieder.
Es dauerte länger, ich versank in eine Art Bewusstlosigkeit mit offenen Augen, betäubt von der Stille eines Sommerabends.
Ich konnte ihn gegen die Abendsonne kaum erkennen, etwas schwarzes Flatteriges kam da heran, in völliger Lautlosigkeit. Ein Schatten aus mythischer Zeit. Ich denke: Er wird zu mir kommen und
weitergehen, durch den Zaun hinter mir, über den Sandweg, über die Weide und die gelben Felder, er dringt ein in den Wald, bricht durch Gestrüpp, Fichtendickicht, wandert über Moore und Seen und
Hügel hinweg. Er geht mit einem feierlichen und zugleich behaglichen Schritt..
Als er neben mir am Gartentisch steht, hebt er bedeutungsvoll die Brauen und pult unter seinem Pullover eine Flasche heraus.
Er hat bei seinem Sohn einen Rotwein geklaut.
„Zur Feier des Tages..“, sagt er.
Während wir uns zuprosten, ist mir, als hätte der Sommer in diesem Augenblick seinen Höhepunkt überschritten. Wind kommt vom Berg und stößt an meinen Nacken..
Herbst
Da gibt es einen Apfelbaum, er steht auf einem Wiesenstreifen zur Straße. Heute Mittag plapperte es hell in dem Baum, als säße dort ein Schwarm Vögel.Mich lockte die Fröhlichkeit ans Fenster, ich bemerkte einen heftig schwankenden Ast des Apfelbauems, Wind konnte nicht so kräftig sein, und dann entdeckte ich einen Schuljungen, der an den Ästen rüttelte, unten - ich sah es durch das Gebüsch nur ausschnittsweise - bückten sich zwei andere nach den herunterfallenden Äpfeln.
Am Morgen ein Phänomen bei meinem Apfelbaum. Unter seinen Ästen und auch dazwischen schwirrten silbern leuchtende Motten herum, doch seltsamerweise flogen sie im Zickzack. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass es dicke Fliegen waren, und was silbern an ihnen aufleuchtete, war die Morgensonne in ihren Flügeln. Bestätigt wurde das in dem Augenblick, als sich eine Wolke vor die Sonne schob. Mit einem Schlag verschwand jede Bewegung im und unterm Baum. Bis ich nach längerem Hinsehen ein paar kleine schwarze Punkt auf- und abtauchen sah.
Der deutsche Wald erscheint mir wie ein Museumswald, jeden Abend muss jemand mit Besen und Schaufel zwischen den Bäumen für Sauberkeit sorgen, während hier der Wald wild, unaufgeräumt und von mitreißender Lebendigkeit war: in jedem Winkel regt sich etwa, wächst etwas, er ist voll von Gerüchen und Formen. An sonnigen Tagen finden Lichtspiele statt, an Regentagen Wasserspiele. Er kann dich mit Verrücktheiten überraschen, dass dir der Atem stockt: du steigst einen Hügel hoch, in der Ferne dicht über dem Waldboden leuchtet etwas Blaues auf wie der Splitter eines Sees, aber wenn du ankommst, ist es der weite Himmel und zu deinen Füßen erstreckt sich bis das grüne Meer eines anderen Waldes... An andere Stelle ist er so schwarz als hätte sich dort seit dem Mittelalter die Dunkelheit Schicht auf Schicht abgelagert und kein Lebewesen sie jemals aufgerührt.
Dieses Bäumerauschen! Wasser strömt durch die Luft, Katarakte stürzen herab, es rinnt und es träufelt. Oder ein Aufbrausen wie im Fußballstadion. Und auch das: Alles still. Kopfhängerische Bäume. Depression.
Heute Morgen war ich in meinem Wald, um Bruchholz beiseite zu räumen. Ich stolperte über Wurzeln, verfing mich im Gestrüpp, erstach mich fast an den abgestorbenen Äste einer Fichte. Zweimal lag ich auf der Matte, das Gesicht in weichen Fichtennadeln und fraß trockenes Moos. Als ich später aus dem Wald ins Sonnenlicht stolperte, hatte ich eine Risswunde am linken Unterarm, ich blutete am Ohr und ob ich nicht doch ein paar Knochen beim Einsammeln liegen gelassen habe, werde ich am Nachmittag feststellen, wenn ich aufs Fahrrad steige, um X zu besuchen..
Wolkenschatten flogen über mich, ich hatte Rückenwind bei der Heimfahrt. Unterwegs kamen mir Gedanken angesaust wie rechts und links die Bäume, ich brauchte bloß einen davon aufzufangen, diesmal prallte einer geradezu auf mich: „Fremdbestimmung“.
Das war ein Begriff aus der Apo-Zeit und bezog sich auf die Arbeiter, die nicht ihr Leben führten, sondern das, was ihnen die herrschende Klasse vorschrieb. Wir forderten: jeder Arbeiter sollte Art und Form de Arbeit und der Freizeit wählen dürfen.. Das Wort ging verloren, versickerte wie die Revolte, doch jetzt hier mitten im Wald, dröhnte es wie aus einem Lautsprecher, ich fuhr an der Spitze einer Demonstration, und mit jedem Tritt in die Pedale skandierte ich: Keine Fremdbestimmung.. keine Fremdbestimmung..
Aber diesmal richtete ich meinen Schrei an die Alten. Wer bestimmt eigentlich, wann man alt ist? Ich, du.. oder die Gesellschaft? Wer ist die Gesellschaft? Nein, präziser: Wer herrscht in der Gesellschaft? „Sucht nicht lange!“, schrie ich in den Fahrtenwind. „Seht euch die Werbung an! Alles auf jung gestellt.. Seht euch die Medien an! Jung sein, tönt es aus Radios, Fernsehern, steht in Zeitschriften und Zeitungen, auf Plakaten und T-Shirts. Und warum? Weil man euer Geld haben will.. Leute“, schrie ich, „hört nicht hin, boykottiert das! Lasst euch nicht mehr in die Sackgasse führen, wo Pillen zum Jungsein verabreicht werden, Gesichter geliftet und Vitamine gespritzt werden! Misstraut allem, was jung macht! Das ist Betrug, Ausbeutung, wenn ihr es genau wissen wollt...“
Als ich vom Fahrrad stieg, hatte ich mich so weit beruhigt, dass ich mich an den Computer setzen konnte, ohne ein Flugblatt zu schreiben.
Also sachlich: Wir dürfen nicht aufgeben. Wir sind vielleicht alt, aber niemals zu alt für das, was wir wollen.!
Ja, wir sind müde.. Auch ich bin müde... Aber das ist nicht immer so. Wir haben noch Kräfte! Und sie wachsen im Kampf. Altes Überlebensgesetz.
Aus dem Schatten kommt das Gesicht von X, die Haare am Kopf und ums Kinn sind dünn geworden wie Spinnwebe, ich erschrecke. Nein, alter Freund lass nicht zu, dass du immer schwächer wirst! Lebe dein Leben so wie früher! Pfeif auf das Gerede der Leute, pfeif auf.. Wieso schluckst du Pillen? Mann, muss das sein?
Es sind die Tabletten, vom Psychiater verschrieben. Sie machen müde - und verändern die Persönlichkeit. Aber war X vorher mit seiner überdrehten Art und Überaktivität nicht menschlicher als jetzt in seiner Stumpfheit und Schläfrigkeit? Jedenfalls war er lebendiger. Seine Tochter stimmt mir zu. Sie will mit der Ärztin reden. Der Sohn ist anderer Meinung: Für ihn ist der jetzige Zustand seines Vaters der richtige. Und - vorwurfsvoll und entrüstet - sagt er: „Schließlich ist er doch schon 80!“
Als verpflichte das Alter zu Ruhestand, um nicht zu sagen: Stillstand. Das lässt sich weiter führen: Eines Tages verpflichtet das Alter zum Selbstmord. Wehret den Anfängen.
Und Punkt.
Vielleicht bin ich auch hierher gekommen, um mich zu finden. Im Spiegel betrachte ich mich und frage: Wo ist du, junger Mann von damals? Versteckst du dich etwa hinter diesem Gesicht, das nicht gerade munter aussieht? Dieser begeisterten Lümmel von damals muss doch noch vorhanden sein, irgendwo hinter den aufgerissenen staunenden Augen.
Ja, ich staune. Ich staune über meine Verwandlung. Und vielleicht ist dies der Unterschied zu dem jungen Mann: Er staunte über die Menschen und die Welt. Und ich staune jetzt über mich und den jungen Mann von damals... Dabei sind wir eins. Ich hebe meine Hand.. Siehst du, Jungchen? Diese Hand hobst du ebenso.. Dieser Mund.. Es ist deiner.. Damit hast du vor 20 Jahren bei X Sauermilch mit Zucker und Zimt gegessen.. Begreifst du endlich?
Ein Mensch ist kein Fluss. Von Anfang an bis zum Ende ist es derselbe. Ändert sich sein Aussehen, so nur, weil er der Magie erlegen ist. Welcher Magie? Du meinst, es ist das Altern? Du irrst dich, mein Freund, es ist die Magie des Lebens.
Du spöttelst? Ich warne dich. Ich bin dir dicht auf den Fersen. Erschrick nicht, wenn du mich eines Tages siehst. Aber lass dir gesagt sein: Altern ist keine Verdammnis. Altern ist ein Teil der Magie. Sonst hätte es dich nicht gegeben.
Das Geld geht zu Ende, ich muss zurück nach Berlin. Die zehn Monate gingen so schnell vorbei, ich hab sie gar nicht als eine Zeit empfunden - selbst den Winter nicht. Ich werde wieder kommen. Es gibt noch so viele Fragen, die ich X, dem Baumflüsterer, stellen muss.. Zum Beispiel diese: Wieso haben die Birken als einzige Baumart eine weiße Rinde mit schwarzen Flecken? Was ist ihnen passiert? Hatten sie was mit den Schneetigern? Und schon träume ich wieder..
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Aus meinem schwedischen Tagebuch
Wie ein Bauer in Småland erst reich und dann glücklich wurde
Anders und die verschwundene Straße
Schweden-Bücher
Mein Schweden
Heimkehr in Schweden