Vielleicht lag es an den vielen Gästen zu Lasses Geburtstag. Ich war mit seinem Vater befreundet und darum ebenfalls eingeladen. Der Alte und ich konnten zur lebhaften Unterhaltung nichts
beitragen. Auf eine seltsame und doch natürliche Weise wurden wir übersehen, ja, man registrierten uns schon, aber eher wie alte Gemälde an der Wand, gewiss hatten sie einigen Wert, sie waren
bloß nicht mehr interessant.
Als es besonders laut wurde, begann Lasses Vater in der Wohnung herumzuwandern, und ich tat es ihm wenig später gleich.
Trafen wir uns zufällig in einem Zimmer, dann blickten wir uns mitleidig an und gingen vorsichtig aneinander vorbei, als wären wir in der Gefahr, in einer verkehrsreichen Straße in einen Unfall
verwickelt zu werden. Schließlich fand der Alte im Papierkorb eine Zeitung und war gerettet. Er setzte sich in eine Ecke und begann zu lesen. Und ich ging wieder zum Tisch mit den
Geschenken und studierte jedes davon, als sähe ich es zum ersten Mal.
Es war Lasses 30. Geburtstag, ein runder Geburtstag, und so waren auch die Geschenke reichlicher als sonst. Ein Karton mit der Abbildung eines Fischschwarmes war ungeöffnet. Ich versuchte den
Text darunter zu übersetzen. Verständlich war mir nur die Schlagzeile „Fische angeln“. Aha, ein Computerspiel, dachte ich. Hinter mir rührte sich etwas, es war Lasse, dem mein Interesse an dem
Karton aufgefallen war. Ich fragte ihn, ob er schon in dem Alter sei, dass er lieber am Computer angele als im See, da lachte er. Tatsächlich war es ein Gerät zur Ortung von Fischschwärmen. Wenn
er zukünftig mit seinem Segelboot hinaus fuhr, würde er mit dem Ultraschallgerät schnell Fischschwärme finden und er könnte dort seine Angel auswerfen.
Und dann demonstrierte er mir noch etwas, das Ding mochte er wohl am liebsten: Ein Gerät nicht größer als eine Postkarte, mit einem winzigen Bildschirm. Es zeigte an, wo man sich gerade auf
der Erde befand.
Das war der Augenblick, wo ich glaubte, den Boden unter mir zu verlieren. Ich war ein Gespenst, das statt in seinem vertrauten Haus in einem völlig fremden auftaucht und sich zu Tode
erschreckt.
Dabei war doch alles wie immer. Da war der See, umringt von Wäldern, da in der Sonne das Dorf mit den rot leuchtende Häusern. Alles war wie vor 30 Jahren, als ich zum ersten Mal hier war.
Und ich entsann mich, was ich damals erlebt hatte. Ich war vom Weg abgewichen und stromerte durch den Wald. Auf einmal wusste ich nicht mehr, in welche Richtung ich gehen musste, um ins Dorf
zurückzukehren. Ich lief immer hektischer zwischen den Bäumen und Gebüsch umher und hatte bald das Gefüh, der Wald drehe sich um mich. Da beschloss ich, nicht mehr meinem Instinkt, sondern der
Sonne zu vertrauen und folgte ihrem Geblitze in den Baumwipfeln. Zumindest lief ich jetzt nur noch in eine Richtung. Und da, nach zwei, drei Stunden, trat ich ins Freie, vor mir da lag das
Dorf. Und die Sonne glich einer goldenen Trompete, auf mich gerichtet, und mir war, als ertönte eine Fanfare.
In der Erinnerung fühlte ich wie damals und musste innerlich lachen. Es war nicht nur die glückliche Rettung, es war viel mehr: der Willkommensgruß der Sonne, des Dorfes und - ja! - des Lebens.
Lasse würde das nicht mehr passieren. Er hatte ja dieses Navigationsgerät, das ihm über drei Satelliten den Weg wies. War er zu bedauern oder zu beneiden? Und die Sonne, diese herrliche
Trompete mit der Fanfare der Begrüßung - wusste sie, dass sie zum alten Eisen gehörte?
Lasses Vater saß noch immer auf dem Sofa und las die Zeitung. Er war um die 70 und ich auch nicht mehr der Jüngste. Ich setzte mich zu ihm und wie er blickte ich auf die Seiten. Und dann
las ich das Datum rechts oben.
Die Zeitung war von voriger Woche.