Eine Geschichte aus Småland / Schweden
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
Der alte Oskar hat seine Hütte einen Steinwurf entfernt vom Strandheim, dem stillgelegten Altersheim, dort wohnt jetzt eine deutsch/schwedische Familie. Die überzähligen Zimmer – es sind vier – werden im Sommer an Feriengäste vermietet. Das Wasser holt Oskar aus einem Ziehbrunnen vor der Hütte, das Licht bekommt er von Petroleumlampen. Geheizt wird die Hütte durch einen Kachelofen, in der winzigen Küche steht ein Holzherd.
Sein Nachbar ist der Briefträger, vor dem Haus stehen Rosenbüsche. Das Gartentor hat die Gestalt eines Schiffssteuerrades. Und eine weiße Fahnenstange ragt zum Himmel.
Und dann, nicht weit entfernt an der Straßenkreuzung, kommt auch schon Götes ICA-Laden. Die Schaufensterscheibe ist gegen das Sonnenlicht unten zur Hälfte geweißt. Eine Steintreppe führt zur Tür, hinter der es fast alles gibt: Fahrradventile, Blinker und Angelzeug, Äxte, Holzschuhe, Hosenträger, Nähmaschinenöl, Frischgemüse, Butter, Brot, Tiefkühlfleisch, rostfreies Besteck, Pullover, Overalls, Kinderspielzeug, Schmerztabletten, chinesische Holzlaternen aus Hongkong und vieles, vieles mehr.
Meistens bedient Götes Frau. Er rutscht lieber auf Knien in seinem Garten herum und schneidet die Rasenkanten mit der Papierschere. Dabei kann er sich auf seinem Bauch ausruhen.
Er saugt den Geruch des geschnittenen Grases in die Nase. Seine kleinen Augen sinken vor Behagen hinter die schweren Lider.
Gehen wir weiter über die Dorfstraße nach Südosten, dort herrscht friedliche Stille.
Und Erik, der aus dem Küchenfenster des Strandhems sieht und der vieles gesehen hat, um manches zu wissen, murmelt: ,,Was für ein großartiger Komposthaufen."
Es ist der Friedhof vor der weißgekalkten Kirche.
Selbst in der Dämmerung leuchten die Außenwände der Kirche. O, weiße Friedenstaube! Übrigens kehrt sie ihr Hinterteil ostwärts zum See. Sie brütet auf einer spitzen Landzunge, aber das bringt nichts. Kirchen, meint Erik, brüten allenfalls Windeier aus. Auch wieder so ein geflügeltes Wort von ihm, das Sturm säen kann.
Der Kirchturm blickt nach Westen, er sieht immer nur die Sonne untergehn. Kerzengerade läuft der Weg durch die wenigen Grabreihen auf ihn zu. Auf farbigen Postkarten sieht der Turm wie eine von Jules-Verne entwickelte Drei-Stufen-Rakete aus.
Ursprünglich war der Kirchengarten, wie die Schweden den Friedhof nennen, für viel mehr Grabplätze bemessen, denn die Gemeinde umfasste bis zu 1100 Menschen. Heute leben im Dorf selbst etwa 40 Menschen; mit den Bewohnern der näheren Umgebung erreicht ihre Zahl vielleicht 300. Die Auswanderung riss in die Gemeinde größere Lücken als der Tod.
Hinter der Kirche verläuft am Seeufer ein schmaler Weg, gesäumt von großen Erlen. Erik nennt ihn Liebespromenade. Sie ist schon schummrig, wenn hier jemand ist – es wäre eine Sensation, aber wer weiß –, wir wollen ihn nicht stören. Also zurück ins Strandheim über ein Stück der asphaltierten Straße. Linker Hand, etwas erhöht, steht ein Herrenhaus mit zwei großen Linden. Es ist der ehemalige Pfarrhof. Hinter den Fenstern brennt schon Licht. Hier wohnen seit Kurzem ein junger Zahnarzt und seine Frau, aber sie scheinen noch immer Stockholm nachzutrauern, denn man sieht sie selten.
Auf dem Sandweg längs kehren wir heim. Rechts das Feld bis hinunter zum See, links die Dorfmitte, über uns dunkelblauer Himmel mit Zuckersplittern - oder fällt dir was Besseres ein? Da oben rauchen Millionen von Engel Zigaretten? Glaub ich nicht. Eher sind es parkende Lerchen mit Standlicht.
Aber jetzt nichts wie hinein ins Haus. Sonst erreichen uns noch die Verfolger. Es ist ein Schwarm Mücken.
Schon in der Morgenröte hatte Lasse Lindberg die Flagge vor seinem Haus aufgezogen und jetzt trug er eine Krawatte in den Landesfarben: blau mit gelben Streifen. Er
feierte seinen 70. Geburtstag.
An seinem 50. hatte die Feier noch im Gemeindehaus stattgefunden. Damals reihten sich sechs Tische sich hintereinander und füllten den Raum von der Tür bis zur
Rückwand. An die 80 Leute waren gekommen und statt Treibhaustulpen gab es einen Strauß frisch geschnittener, knospender Birkenzweige, daran hingen Geschenkpäckchen und zusammengerollte
100-Kronenscheine.
Mittlerweile wird das Gemeindehaus nicht mehr benutzt, es verfällt. Und heute passen seine Geburtstagsgäste in die Sonntagsstube. Der alte Oskar ist schon gegangen,
er ist kein geselliger Mensch. Das Zahnarztpaar hat Blumen geschickt, sie sind in Stockholmziehen, es heißt, sie ziehen wieder nach Stockholm. Und wo sind die anderen alle hin? Weggezogen oder
gestorben. Die Alten starben wohl und die Jungen zogen weg, der Arbeit wegen. Die Alten sterben ein wenig früher (und schneller, möchte man meinen), wenn die Jungen weggingen. Damit will Lasse
beileibe nichts gesagt haben. Schließlich ging auch seine Tochter weg. Allerdings nicht freiwillig. Ein deutscher Tourist hat sie entführt.
Er hörte kaum zu. Wetter, Politik, das Stilllegen der Schienenbuslinie. Vor zwanzig Jahren sprach man nur von ihm. Da war er noch der Postfahrer des Bezirkes.
Jeder hatte was Abenteuerliches von ihm zu erzählen, denn er kam mit seinem Auto immer an - selbst wenn der Schneeräumer stecken blieb oder Traktoren im Morast festsaßen. Er fand die Spur bis zum
letzten Einödsbauern. Und brachte ihm die Zeitung. Oder die Rente. Oder das Nachnahmepäckchen mit dem Kautabak. Ein Kerl war Lasse Lindberg, ein Kerl wie aus einer Saga. Hoch soll er
leben!
So was hatte heute noch keiner gesagt. War wohl vorbei, die große Zeit. Lasse äugte zu seiner Frau. Es ist noch vielmehr vorbei, Stina, dachte er. Dass du mich
nicht mehr siehst, mit deinen toten Augen, das ist gut. Und dass du dich nicht mehr siehst. Das ist vielleicht am besten daran.
Seine Frau drehte den Kopf fortwährend in die Richtung, aus der gesprochen wurde. Und lächelte. Sie schien glücklich. Als feierte man ihren Geburtstag, dachte er
mit leichtem Grimm.
Sie sieht ja nicht, wie peinlich es ist, dass eine Familienfremde den Kaffee ausschenkt und den Kuchenteller herumreicht. Die kleine Frau mit dem Haarknoten,
die alle nur mit dem Namen ,,Loshult-Kerstin“ kannten, taucht immer zu Familienfesten auf, wenn Hilfe gebraucht wird. Ja, so wird man heute berühmt! Nur, weil andere nichts mehr
schaffen...
Er presste sich an die Rückenlehne. Bloß keinen Schwindelanfall. Der junge Kerl von der Zeitung soll eine gute Geschichte bringen. Noch leben Leute im Bezirk, die
Lasse Lindberg und seine Vergangenheit kennen. Sie sollen in lesen, dass er sich wie eh und je prächtig hält. Besser als sie, womöglich.
„Jaha. .“ knurrte er. Überstürzt setzte Lidhult-Kerstin die Kanne ab und trippelte zu ihm. Er wischte ihre betulichen Pflegehände beiseite. ,,Schaut mal hinaus! Was
seht ihr? Seht ihr auch nur einen Menschen draußen?“
Verdutzt sahen sich die Gäste an. Seine blinde Frau lächelte und schabte die Haut am Halbmond ihrer Fingernägel.
,,Nichts seht ihr. Das seht ihr. Nichts. Das ganze Dorf hockt nämlich in unserer guten Stube, Stina. Kannst du dir das vorstellen?“
Hüstelndes Gelächter. Der bullige Åke, einer der letzten Dorfbauern und
Freund derber Witze, lachte: ,,Ist ja noch Winter, aber im Sommer kannst du wieder meckern: Was für'n Lärm, was für'n Tumult!“
Lasse patschte die knolligen Hände auf die Stoffpolster des Sessels.
,,Ja! Sommergäste! Deutsche!“
Das Stichwort für Erik. Verheiratet mit einer deutschen Frau, wohnte er mit seiner Familie ganz in der Nähe in einem großen Haus mit acht Zimmern, von denen die
Hälfte an Sommergäste vermietetet wurden.
,,Siehst du, Lasse,“ begann er gleichmütig, „man muss auch an die Gemeinde denken. Die Touristen bringen Geld. Zu Göte, ja, und auch zu uns. Und mit unseren Steuern
kommt Geld in die Gemeindekasse, so kann die Straße asphaltiert werden...“
,,Ja! Damit deine Touristen noch mehr rumrasen.“
Göte, der Dorfhändler, der nur wegen der Touristen existieren konnte, walkte die Lippen, blinzelte, dann sagte er: ,,Ich hab eine feine Ansichtskarte vom Dorf
drucken lassen. Da sieht man auch dein Haus, Lasse. Da hast du grade geflaggt. Sieht gut aus.“
In diesem Augenblick schaltete sich die junge Frau ein, die Gemeindevertreterin. Sie hatte die Glückwünsche der Behörde überbracht.
,,Du solltest nicht mehr so viel tun, Lasse. Der Garten, das Haus. . ein bisschen viel. Ich kann euch die Gemeindeschwester schicken, zwei-, dreimal die
Woche.“
Sofort unterbrach sie der Alte, wobei er - alle Vorsicht außer acht lassend – sich nach vorn beugte. „Wozu?“ Herausfordernd blickte er jeden an. ,,Was soll das?
Schaff ich es nicht mehr? Ich denke doch. Den Haushalt führ ich so gut wie Stina. Und sollten wir wirklich mal Hilfe brauchen, so haben wir eine Tochter. Sie wäre auch heute hier, wär das Kind
nicht krank. Nein, uns geht es gut, besser als manchem andern.“ Er wechselte den Ton, tat heiter. ,,Wer 70 Jahre auf dem Buckel hat, schafft auch noch dreißig. Seid schon heute herzlich zum
hundertsten eingeladen!“
Gelächter, allseitige Zustimmung.
„Klar, schaffst du das, Lasse.. Und noch mehr! Wär doch gelacht..“
Beim Abschied standen sie Schlange vor Stina, um für Kuchen und Kaffee zu danken. Nach altem Brauch wollte sie die Gäste zur Vordertür geleiten. Kerstin musste sie
lenken. Sie tat es mit beiden Händen.
Und jetzt sitzt der alte Mann allein. Was er sieht, ist nicht mehr feierlich. Verschobene Stühle. Tassen mit braunen Kaffeestreifen. Krümel auf Tellern und dem
verrutschten Tischtuch. Eriks Treibhaustulpen, aufdringlich rot und makellos glatt. Kalte, abweisende Blumen, recht besehen.
Da hört er die Stimmen von draußen. Die Leute stehen noch ein bisschen herum. Gläserne, zitternde Laute. Die Luft muss frostig sein.
Er stemmt sich auf, geht zum Fenster, öffnet es. Die kalte Luft tut ihm gut. Er luchst durch die groben Maschen der Gardine.
Fast alle sind mit Autos da. Langsam fährt das erste an, der Volvo von der Gemeindevertreterin. Dann der VW vom langhaarigen Zeitungsreporter. Dann der Dienstwagen
von Björn Karlsson,dem Postfahrer, der Lasses Tour übernommen hat (übrigens nett von ihm, in Postuniform zu kommen), und dann die anderen..
Erik, mit dem Rücken zum Haus, nimmt mit gelassenem Handgruß die Autoparade ab, danach stiefelt er zum Björkhus, so wird das Haus wegen seiner Birken am Hauseingang
genannt.
Der zweistöckige Holzbau steht etwa hundert Meter entfernt, rostbraun gegen den fahlen Abendhimmel. Wie sich die Zeiten ändern! Einst ein Altersheim, jetzt
ein Haus für deutsche Sommergäste.
Lasse dreht sein Gesicht mit der schweren Kinnlade nach rechts, die weiße Kirche auf der Landzunge blinkt auf im Gezweig kahler Bäume. Und schon kommt das
verwinkelte Gebäude der Wennerströms in sein Blickfeld, gleich vis-a-vis. Früher ein Kleinbauernhof, von Ackerland umgeben, heute totenstill, ohne Menschen. Bewohnt nur im Sommer, auch hier ein
Sommerhaus. Das Eintagsleben der Sommerhäuser! Ein Sommerspuk. .
Und über allem ein Himmel von welker Haut mit blassroten Streifen vom Sonnenuntergang.
Der alte Mann steht noch immer am Fenster, leicht schwankend. Die Straße ist leer. In der Küche plaudern Kerstin und Stina. Dann hört er einen sonderbaren
Laut, das satte Schlagen eines Tuches. Seine Flagge ist es. Er schaut hinauf. Alles liegt bereits im Schatten, nur die Fahne nicht. Wie eine Flosse bewegt sie sich, schwimmt im letzten
Tageslicht, das gelbe Kreuz leuchtet golden und die blauen Vierecke sind tiefe Fenster in einem blassen Himmel.
Eine Fahne, weit oben am Himmel. Nicht jeder im Dorf hat eine so hohe Fahnenstange. Und der Mann am Fenster denkt: Es hat sich vielleicht doch nichts
geändert.
Wie immer kommt der Wind vom See. Irgendwo auf dem Eis landen Kraniche. Unter ihren Klauen entladen sich Spannungen, Risse knallen durchs Eis. Es hört sich an wie
fernes Grollen.
Und auf einmal ist er ganz zufrieden. Ist doch alles wie gehabt. Frühlingsanfang. Morgen ziehen die Kraniche weiter nach Norden. Sie werden die ganze Nacht
schreien. Ihr Lärm wird sich anhören wie das Kreischen von zahllosen verrosteten Wasserpumpen, deren Schwenkarme auf- und niedergehen.
Und dann, beim Umdrehen,verliert er das Gleichgewicht.
Die Lidhult-Kerstin fand ihn unter dem Tisch. Sie stieß sich den Kopf an der Tischkante. Er kicherte schadenfroh.
Das Haus stand am Westhang des Berges Fagerlid. Seine moderne Fassadenverkleidung - bräunlich gemaserte Eternitplatten - kontrastierte mit der Gestalt einer
Kleinbauernkate. Entsprechend zwiespältig wirkte der Inhalt der vier Stuben. Neben schlichten Bauernmöbeln, vom Alter geschwärzt, schimmerten gespenstisch Gebilde aus Eisenteilen.
Aus einer fleckigen Tapetenwand ragte ein Fahrradlenker. Ein Griff war mit Elektrokabeln umflochten, in ihnen baumelte bei jedem Luftzug ein Vogelnest. Eine
gusseiserne Ofenplatte, hochkant auf eine rissige Stammscheibe genagelt und von brüchigem Maschendraht umhüllt, nahm die Mitte des einzigen Holztisches ein. Zahnräder, an Fahrradspeichen
gebunden, ergaben die Gestalt eines die Arme ausbreitenden Menschen. Sie hing an der niedrigen Zimmerdecke, abends brannte darin eine Glühbirne. Auf einem Fensterbrett stand der geputzte Zylinder
eines Mopedmotors. Statt der Zündkerze trug er eine weiße Wachskerze.
Weitere rätselhafte Gebilde lagen über das gesamte Unkraut überwucherte Grundstück verstreut. An der langgezogenen Scheune klapperten Drahtringe und Plastikstücke
im Wind. Am Tor haftete ein Fahrradrückstrahler: ein faustgroßes, blutrotes Auge, der Abendsonne entgegen funkelnd.
Hier lebte Anders, ein Greis mit stechenden Augen in einem zierlichen Kopf. Manchmal liefen die Augen aus der Reihe, als hätten sie ihre Fesseln abgeworfen. Dann
schien selbst das blasse, wie in einen Apfel geschnitzte Gesicht das Schauspiel der Augen zu bestaunen. Ein Mienenspiel voll unbewusster Clownerie.
Als die Dörfler Lasse Lindbergs Geburtstag feierten, schob Anders sein Fahrrad den Berg hinauf. Die Sonne stach ihm einen langen Schatten vor die Füße. Er kam an
den Kiefern vorbei, die mit einem verfallenen Steinwall sein Grundstück abgrenzten. Ihr dunkles Grün stand am Himmel wie aufgestickter Stoff, dick und pelzig. Nichts war zu hören als das
Scheppern des Schutzblechs, das Scharren der Schuhe im Wegkies und dann und wann ein Vogelschrei.
Die Ostseite des Berges sauste er im Leerlauf hinab. Vor dem blauen Ortsschild mit weißer Schrift bog er in einen Waldweg ein, der in vielen Windungen zum See
führte. Als er das Birkenwäldchen in der Ferne auftauchen sah, bremste er. Dort schwebte rötlicher Dunst zwischen Himmel und Erde. Er kannte es: es war das violette Gezweig der kahlen
Birkenbüsche und Birkenkronen. Blieb man jedoch in der Ferne stehen, konnte man glauben, ganz feiner Blutschaum stünde auf der Erde. Dies war die Sprache der Erde, durch Farben redete sie zu dem
Alten, und er nickte, als hätte er sie verstanden.
Mit dem Rad holperte er in das Wäldchen, stellte es an einen Baum. Er kramte Becher, Schnur und Messer aus der Fahrradtasche. Von Birke zu Birke ging er, berührte
mit Fingerspitzen die im Wind flatternden Hautfetzen der Stämme, drehte nur manchmal den Kopf zum vereisten See, wenn von dort ein hohler Knall herüber schlug.
Nachdem er ein ,,V" in einen Stamm gekerbt und den Becher darunter befestigt hatte, machte er sich auf die Rückfahrt. Diesmal radelte er durch das Dorf, am
Heimatpark vorbei.
Die unteren Fenster im Strandhem waren bereits erleuchtet. In den Lampenschalen der Laternen am Weg hingen eisgrüne Tropfen. Gerade eingeschaltet, brauchten die
Laternen eine Zeit, bis sie ihr grelles Weiß ausstrahlten.
Lasse Lindberg hoffte, Anders würde ihn nicht sehen. Doch der bremste und blieb mit gesenktem Kopf an der Hecke stehen. Plötzlich richtete er sich auf, sein Gesicht
traf der Abglanz des Abendhimmels, weiß war es mit schwarzen Augenhöhlen.
,Hej“,sagte er, mit dünnen Lippen lächelnd.
,,Hej“, brummte Lasse verdrossen.
,,Du hast geflaggt?"
,,Jaha. Die Mistleine hat sich verklemmt.“
Zur Bestätigung peitschte er den Mast.
Anders schwieg. Er schien mit der Antwort zufrieden, obwohl er den Anlass der Beflaggung nicht erfahren hatte.
Lasse schleuderte die Leine hinter sich, ohne sie anzubinden.
,,Komm rein“, rief er grob. ,,Hab Kuchen für dich.Das ist besser als ein Ziegelstein auf leerem Bauch."
Anders lebte vom Wald, mehr brauchte er nicht. Bei Hunger kroch er einfach ins Bett und legte sich einen warmen Backstein auf den Bauch.
Auszug aus dem Buch Altmännerfrühling