Dieter Lenz
Wir haben einen Kater. Meine Frau sagt jedem, er sei uns zugelaufen. Aber das stimmt nicht. Mir ist er nicht zugelaufen.
Meine Frau mag ihn, unsere kleine Tochter auch. Ich aber ahnte: mit ihm gibt es Ärger.
Er ist schwarz. Ich behaupte: schwarz wie die Hölle, und sein Blick ist der eines Teufels.
Er sah sofort, wo mein Lieblingsplatz war. Auf dem Sofa.
Eines Tages lümmelte er dort. Auf meine Aufforderung, den Platz zu räumen, reagierte er nicht. Ich forderte ihn zwei-, dreimal auf. Er gähnte. Ich entsann mich meiner körperlichen Überlegenheit
und schubste ihn runter. Er fauchte. „Na, fauch nur, du Satan!“ sagte ich. „Ich bin der Herr, merk dir das!“
Das hatte er wohl nicht kapiert. Am nächsten Abend saß er wieder dort. Kein Problem! Runter mit ihm!. Und so ging es die nächsten Tage. Egal, ich blieb Sieger.
Dann, eines Abends, passierte Folgendes. Gerade den Kater von meinem Platz geschubst, da öffnete meine Frau die Tür und rief: „Abenbrot ist fertig!“
„Gleich! “ antwortete ich. „Erst noch die Nachrichten!"
Zu meiner Verblüffung klang es wie „Miau“. Ein sprtachlicher Ausrutscher. Sofort wollte ich meine Aussprache verbessern, aber, hol's der Teufel, erneut kam ein grässliches Miau heraus.
Die Tür knallte zu.
Ich also ihr nach in die Küche. Wollte sagen, Schuld sei der verdammte Kater, er hätte mir das eingebrockt! Großer Fehler. Weil: es miaute aus meinem Mund.
Erstaunlich, was eine Frau einem Mann innerhalb weniger Sekunden an den Kopf werfen kann. Sogar von Scheidung war die Rede.
Glücklicherweise fiel mir ein: Du kannst doch schreiben. Also schrieb ich ihr die ganze Kater-Teufelei auf, jedes Wort genau überlegend, schließlich war es ihr Lieblingskater und ich wollte nicht
missverstanden werden. Im Prinzip habe ich nichts gegen Katzen. Als ich fertig war, staunte ich nicht schlecht: 83mal „Miau“ geschrieben!
Und dann hörte ich hinter mir ein kleines Miauen. Ich drehte mich um. Mein Töchterchen! Es strahlte mich an und miaute noch einmal.
Zwei Jahre alt, konnte schon ganze Sätze mit vier Wörtern sagen, aber jetzt auf einmal: „Miau!“
Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr mir. Ich hatte das Kind angesteckt. Meine Frau stürzte herbei, riss die Kleine an sich und brachte es nach oben in Sicherheit. Da hörte ich das Mädchen
schreien: „Will zu Papakatze!“
Na bitte. Bestes Deutsch. Hatte mich bloß nachgemacht, das Schätzchen. Große Erleichterung.
Als meine Frau die Treppe runter kam, äußerste sie, sie müsse über das Sorgerecht des Kindes nachdenken. Was sagt man in solch einem Fall? Auf Katzisch? Lieber nichts.
Die Nacht war höllisch. Ich lag im Abstellraum auf dem Klappbett. Ich tastete mich ab. Ich war noch immer ein Mensch, von Kopf bis Fuß! Aber was mein Mund von sich gab, das war katzisch. Ich
begann zu üben, versuchte, die menschliche Sprache wiederzufinden. Das Gemauze wurde bloß kläglicher. Bis es von oben tönte: „Halt endlich die Klappe!"
Dass ich am nächsten Morgen zu Hause blieb, versteht sich. Nicht auszudenken, was mein Chef zu meiner Aussprache sagen würde.
Meine Frau nahm die Kleine mit zur Arbeit, Sicherheitshalber. Ich war mit dem Kater allein, hockte mich vor ihm hin und teilte ihm – diesmal in seiner Sprache – höflich mit: Bekomme ich nicht sofort meine Sprache zurück gibt, sehe ich keinen andere Möglichkeit, als ihn abzumurksen.
Der Kater gähnte – eine entzückend rote Zunge hat er! – und schlenderte Richtung Katzenklappe davon.
Ich holte ein Küchenmesser, setzte mich neben die Klappe und wartete. Aber das Biest kam nicht. Nach zwei Stunden gab ich es auf.
Am Nachmittag kehrten Frau und Kind heim, sie hüllte sich in Schweigen (Ist es warm unter dieser Hülle oder friert man?) und ich schwieg aus vernünftigen Gründen. Das Schweigen wurde drückender
und – leider – auch aggeressiv. Woran ich das merkte?
Beim Abendbrot stand für mich nichts da, kein Teller, kein Bier, keine Schrippe. Offensichtlich war ich in den Augen meiner Frau nicht mehr vorhanden. Da schob mir das Töchterchen den Fressnapf
des Katers hin, darin sein Lieblingsfutter: Pastete „Ente mit Gans“.
So eine Rabenmutter, dachte ich. Verleitet das Kind zu solch einer Schandtat gegen den eigenen Vater!
Da! Katzengekreisch! Nicht von mir, sondern vom Kater, der war mit einem Sprung auf dem Tisch und wollte an den Napf. Ich, von Verzweiflung überwältigt, schrie: „Runter, du Scheißkerl! Das ist
mein Fressen!“
Stille und großes Staunen.
Ja, was sagt man dazu. Perfektes Deutsch. Der Bann war gebrochen. Ich hatte meine Sprache wieder. Und das hatte mein Töchterchen geschafft. Ein kluges Kind! Hat den Kater ausgetrickst.
Und während der sich über seine Pastete hermachte, umarmten wir uns. Eine echt glückliche Familie! Anschließend große Versöhnung mit Frau und – auf ihre Bitte hin – auch mit dem Kater.
Am nächsten Tag kaufte ich mir ein eigenes Sofa.