Kaum hatte ich meinen Reisepass in Händen, sah ich es: Bei Geschlecht stand ein „F“ . Ein Fehler. Noch am selben Tag war ich im Ordnungsamt. Der mürrische Beamte nahm meinen Pass, las, sah mich
an, las noch mal, dann sagte er streng:
„Sie haben gegendert!“
„Gendern“, erwiderte ich höflich, „ist eine moderne Schreibweise. Das hier ist ein Schreibfehler.“
„Unsinn! Sie haben Ihr Geschlecht gewechselt. Warum?“
„Ich bitte Sie! Es ist bloß ein Schreibfehler! Da muss ‚M‘ stehen!“
„Und was ist das?“ Er drehte mir den Monitor zu. „Ist ‚F‘ angekreuzt oder nicht?“
„Dann hab ich mich wohl geirrt.“
„Wie kann man sich bei seinem Geschlecht irren?“
In diesem Moment sagte eine sanfte Frauenstimme: „Um was geht es?“
Der Sachbearbeiter räusperte sich und sagte: „ In seinem Reisepass steht ein ‚F‘ und er behauptet, ein Mann zu sein.“
Ich drehte mich um. Offenbar die Abteilungsleiterin. Ihr sonniges Lächeln erhellte das Zimmer. Sie wandte sich an den Sachbearbeiter: „Ich kümmer mich um den Kunden. Geben Sie mir den Pass.“ Sie
nahm den Pass und mich beim Arm. „ Kommen Sie.“
„Kunde“ hatte sie gesagt. Vielleicht war alles bloß eine Kostenfrage.
Und dann saß ich vor ihrem Schreibtisch. Sie sah sich den Reisepass an, sah mich an, wieder den Reisepass, wieder mich, dann den Reisepass, sie hätte das ruhig noch öfter tun können. Es ist immer
eine große Freude, einem Menschen zuzusehen, wie er sich ausführlich informiert.
Und dann hauchte sie: „Ich verstehe Sie.“
Ich flüsterte:„Danke!“
„Schon 36 Jahre Mann. Wie bewundernswert.“
Sie lehnte sich zurück. Bestimmt schlägt sie jetzt ihre hübschen Beine übereinander, dachte ich. Schade, dass der Tisch nicht aus Glas war.
„Aber nicht gerne, nicht wahr?“ Sie lächelte. Mir war, als würde ich gestreichelt. „Ich sag Ihnen was. Nicht jeder Fehler ist ein Fehler. Oft ist er etwas viel Bedeutenderes. Da meldet sich das
Unterbewusstsein und verrät die Wahrheit. Man nennt es eine freudsche Fehlleistung. Und glauben Sie mir, das hier sagt ‚Ich will eine Frau sein‘. Geben Sie es einfach zu, es wird Ihnen
guttun.“
Was mir guttat, gebe ich gerne zu. Das waren ihre melodische Stimme, das feine, makellose Gesicht mit den zarten Brauen, und dann dieser Körper, schlank und geschmeidig.
„Sie raten also von einer Passänderung ab?“ fragte ich leise.
„Keinesfalls. Ich weise Sie nur auf eine Lösung hin, die beiden Seiten gerecht wird. Sie erfüllen sich Ihren geheimen Wunsch, lassen sich zur Frau machen und ersparen dem Staat Kosten. Wir setzen
ein a an Johann und dann ist die Sache erledigt.“
Eine überraschende Wendung! Ich versprach darüber nachzudenken. Auf dem Nachhauseweg erinnerte ich mich, wie ich als Junge davon träumte, nur unter Frauen zu sein. Und der Reiz dieser Vorstellung
nahm mit den Jahren nicht ab, im Gegenteil.
Ich holte meinen Reisepass heraus, sah ihn lange an. Eine Welle von Vorfreude erfasste mich. Johanna… Das wäre die erste Frau, die mich richtig versteht.