An einem Julinachmittag des Jahres 1958 fuhr ein Lastwagen von Halmstad nach Växjö in Småland. Geladen hatte er Nachschub für den staatlichen Spirituosenladen System Bolaget, der, wie auch heute, das Verkaufsmonopol für alkoholische Getränke besaß.
Auf halbem Weg, nahe dem Dorf O., setzte der Motor aus und war nicht mehr zu starten. Rasch sammelten sich um den defekten Wagen hilfsbereite Bauern, trotz deren Untersuchungen blieb der Schaden unauffindbar. Am Abend telefonierte man nach einem Automechaniker, der versprach, am nächsten Morgen zu kommen, jetzt sei es zu spät.
Kaum war der Fahrer in dem ihm freundlich zur Verfügung gestellten Bauernbett erwacht, sagte man ihm, der Wagen sei fahrbereit. Als er vor der Abfahrt einen Blick in den Laderaum warf, musste er feststellen, dass neun Kartons fehlten, Inhalt jeweils zehn Flaschen Branntwein.
Das ist aktenkundig, weil er, nachdem ihm die Bauern den Schwund nicht erklären konnten, die Polizei alarmierte. Selbstverständlich wurden alle Dörfler verhört, aber niemand hatte auch nur die geringste Ahnung, wo die Kartons geblieben sein könnten. Darauf baten die Polizisten Pastor Ekblom um Hilfe und dieser drohte den Dörflern: Wenn er morgen früh in der Dorfkirche nicht 90 Flaschen besagten Inhaltes vorfände, würde er sich eine andere Gemeinde suchen und das wäre wohl die größte Schande für ein Dorf in Schweden.
Und wirklich, am nächsten Morgen standen die Flaschen in Reih und Glied auf der vordersten Betbank. Als der Pastor und Nils Persson, sein Küster, die Flaschen zählten, kamen sie auf 92, also zwei zu viel. So oft sie zählten, es blieb dabei. Der Küster meinte, die zusätzlichen Flaschen hätten wohl Frauen aus dem Versteck ihrer Männer entwendet und dazugestellt. Der Pastor dagegen vermutete eine Schandtat der Männer. Womöglich hätten sie einige Flaschen ausgetrunken und anschließend diese mit Wasser gefüllt, was die falsche Anzahl der Flaschen erklären würde. Das müsse umgehend untersucht werden. Gemeinsam öffneten sie Flasche für Flasche und abwechselnd nahmen sie aus jeder einen Schluck. Nach der 28. Flasche legte sich ein wohltuender Schatten auf sie.
„Es könnte der Flügel eines Engels sein“, murmelte Pastor Ekblom, „er gemahnt uns, eine Pause einzulegen.“
Nils antwortete: „Hosianna“.
Darauf schliefen sie ein. Zwei Stunden später läutete die Kirchenglocke. Der Pastor öffnete die Augen. Vom Kirchenfenster kam ein schräger, goldener Sonnenbalken, silberne Punkte schwebten darin wie Sterne, und darüber wölbte sich das Himmelblau der Kirchendecke.
„Nils“, flüsterte er, „kann es sein, wir sind im Himmel?“
„Unmöglich“, antwortete Nils, seinen Blick hinter sich ins Dunkel richtend. „Meine Frau ist nämlich auch da.“
Sie war es, die das Glockenseil gezogen hatte, um die beiden zu wecken. Zuvor hatte sie in ihrem Zorn alle Flaschen in das Taufbecken entleert. Später wollte
sie das höllische Zeug verschwinden lassen. Aber dazu kam sie nicht. Am nächsten Tag musste sie zu ihrer plötzlich erkrankten Schwester in Ljungby fahren, wo sie über zwei Wochen blieb.
Der Pastor und sein Küster hatten zu ihrem Entsetzen nur die leeren Flaschen vorgefunden. Ohne dass sie sich beraten mussten, zerschlugen sie diese im
Keller des Pastorhofes und erklärten, die Flaschen seien leider zu Bruch gegangen. Damit war die Sache erledigt. Am nächsten Tag fuhr der Pastor wegen einer amtlichen Gelegenheit nach Stockholm,
er käme in drei Tagen zurück, sagte er bei der Abreise dem Küster.
Und dann geschah im Dorf Folgendes. Der wegen seiner Frömmigkeit nicht gerade gerühmte Bauer Göran vom Hyltehof hatte aus heiterem Himmel Angst bekommen, er könnte
jeden Augenblick sterben und sei womöglich verdammt, denn so sehr er sich auch anstrengte, er konnte sich nicht an seine Taufe erinnern. Stundenlang kramten er und seine Frau in alten Papieren,
aber sie fanden keinen Taufschein.
Noch am selben Tag machte sich Göran auf den Weg zum Pastor, traf aber nur den Küster an. Dieser sah keine Möglichkeit, ans Taufregister zu kommen, da das
Arbeitszimmer des Pastors abgeschlossen war. Als Göran hörte, der Pastor würde erst in drei Tagen zurückkommen, packte ihn das Entsetzen. Was, wenn er schon morgen oder gar in diesem Augenblick
sterben würde und als Heide vor Gott treten müsste?
Der Küster war das, was man eine gute Seele nennt, und er schlug dem Alten vor, er könne sich sicherheitshalber von ihm nottaufen lassen. Er wüsste genau, wie das ginge,
schließlich sei er bei jeder Taufe dabei.
Görans Angst, ungetauft zu sterben, war so groß, dass er den Küster um sofortigen Vollzug der Taufe bat. Und so marschierten beide hinüber in die Kirche auf der anderen Straßenseite.
Zu seinem Erstaunen fand Nils das Taufbecken schon gefüllt vor.
„Göran, hast du ein Glück, da ist noch was von der letzten Taufe drin. Jetzt kann überhaupt nichts mehr schief gehen. Du musst dich hinknien.“
Der Alte fiel auf die Knie und schloss die Augen. Mit einem Silberbecher langte Nils ins Taufbecken und goss dem Knienden unter melodischem Gemurmel die Flüssigkeit auf Stirn und halbkahlen Schädel. Etwas davon floss Göran über den Mund. Plötzlich schnalzte er, öffnete die Augen und sagte: „Ich wusste gar nicht, dass Taufwasser wie Wein schmeckt.“
„Versündige dich nicht“, knurrte Nils, „du bist im Hause Gottes.“
„Jaha, stimmt, ja. Aber ich sollte meinen, im Hause Gottes wäre es kein Wunder, wenn das Wasser wie Wein schmeckte.“ Der Alte tunkte seinen Zeigefinger ins Taufwasser, leckte ihn ab und nickte. „Wie ich gesagt habe. Weingeschmack.“
Darauf nahm Nils den Becher, schöpfte und nippte. Erschrocken setzte er ihn ab, starrte hinein, starrte ins Taufbecken, starrte Göran an. „Branntwein“, sagte er, „das ist ja ein noch größeres Wunder.“ Und leerte den Becher mit einem Zug.
Göran verlangte, noch einmal getauft zu werden. „Beim ersten Mal ging so viel daneben.“
Nils gluckste: „Tauf dich selbst!“ und gab ihm den Becher.
Und so taufte sich der Alte, aber nicht ohne sich vorher in Richtung Altar zu verneigen, er hielt das für angebracht, weil er sich diesmal nicht äußerlich, sondern innerlich taufte.
Nach einer halben Stunde wankten die Männer aus der Kirche. Auf der Straße trieb Jöns seine Kühe in den Stall. Als er die beiden über den Kiesweg heran torkeln sah und sie ihm feierlich erklärten, sie hätten sich noch mal getauft, brachte er die Kühe zum Laufen und rannte ihnen hinterher.
Die Nachricht ging durchs Dorf, eine Stunde später war das Becken leer.
Am Sonntag darauf glaubte der Pastor zu träumen. Bis auf den letzten Platz waren die Kirchenbänke besetzt. Dicht gedrängt saßen die Männer auf ihrer Seite des Kirchenschiffes und blickten ihn erwartungsvoll an.
Der Pastor sah diesmal keinen Grund zu schimpfen, im Gegenteil, seine Predigt war ein Loblied auf die Frömmigkeit seiner Gemeinde. Als er den Männern, die sich auf den Kirchenvorplatz zu ihrem üblichen Sonntags-plausch versammelt hatten, noch einmal die Hände schütteln wollte, sagte einer von ihnen: „Ob der Herr Pastor noch einmal das Taufwasser stehen lassen könnte?“
Der Pastor verstand die Frage nicht, bat, sie zu wiederholen, aber der Mann bekam einen derartigen Stoß in den Rücken, dass er davon abließ. Seine Frage aber ist bis heute in der Gemeinde lebendig geblieben. Wann immer die Dörfler etwas Gutes noch einmal haben wollen, sagen sie: „Ob man das Taufwasser nicht noch einmal stehen lassen könnte?“