Gerade lese ich in der Berliner Zeitung: Norwegens König Harald hält selten emotionale Reden. Noch seltener fliegen ihm danach die Herzen von Millionen Menschen zu. Doch genau das ist passiert, nachdem der Monarch bei einem Schlossfest in Oslo zu 1500 aus allen Teilen des Landes angereisten Gästen gesprochen hatte.
„Norwegen seid ihr. Norwegen sind wir. (...) Norwegen ist eins”, sagt der König da, und meint auch Homosexuelle und Menschen, die in dem skandinavischen Land Zuflucht gesucht haben. „Norweger sind Mädchen, die Mädchen mögen, Jungen, die Jungen mögen, und Mädchen und Jungen, die einander mögen”, erklärt Harald. „Norweger glauben an Gott, Allah, Alles und Nichts. … Norweger sind auch aus Afghanistan, Pakistan und Polen, Schweden, Somalia und Syrien eingewandert. Meine Großeltern sind vor 110 Jahren aus Dänemark und England eingewandert. Es ist nicht immer so leicht zu sagen, woher wir kommen, welche Nationalität wir haben. Das, was wir unser Zuhause nennen, ist dort, wo unser Herz ist - und das kann man nicht immer innerhalb von Landesgrenzen einordnen."
(Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/24699494 ©2016)
Was für eine Rede! Und wo hören wir solche bei uns? Mitreißende Reden, leidenschaftliche, begeisternde Reden. Gerade jetzt brauchen wir Reden, die uns aufmuntern, die uns den Weg in die Zukunft zeigen – und nicht weiter ins Tal der Tränen führen.
Einmal gab es in Deutschland solche Reden. Von Willy Brandt. Hier ein Auszug aus einer Rede auf einem Parteitag 1972, die von bleibender Aktualität ist:
„Für J.F. Kennedy und seinen Bruder Robert gab es ein Schlüsselwort, in dem sich ihre politische Leidenschaft sammelte (...). Dieses Wort heißt ‚Compassion‘: Die Übersetzung ist nicht einfach ‚Mitleid‘, sondern die richtige Übersetzung ist die Bereitschaft mitzuleiden, die Fähigkeit, barmherzig zu sein, ein Herz für den anderen zu haben. Liebe Freunde, ich sage es Ihnen und ich sage es den Bürgerinnen und Bürgern unseres Volkes, habt doch den Mut zu dieser Art Mitleid! Habt den Mut zur Barmherzigkeit! Habt den Mut zum Nächsten! Besinnt euch auf diese so oft verschütteten Werte! Findet zu euch selbst!“
Und jetzt zu unseren Politikern. Was für Reden hält die Bundeskanzlerin? Zaghaft spricht sie immer wieder von „Wir schaffen das.“ Durch Wiederholung wird ihre Rede nicht begeisternder.
Und Horst Seehofer? In seinen Reden ist er mehr Rechner als Redner, er reiht Negativzahl an Negativzahl, und für ein schwieriges menschliches Problems schlägt er eine mathematische Lösung vor: eine zahlenmäßige Obergrenze. Er gleicht einem Buchhalter, der unentwegt davon erzählt, wie pleite die Firma ist. Nein, ein Mutmacher ist er nicht, ganz im Gegenteil. So wird er die Belegschaft nicht motivieren, die Firma durch größere Anstrengungen zu retten.
Und die Redner der AfD? Ein Klagen, Jammern und Zetern. Kein Wunder, wenn die Hörer noch verängstigter nach Hause gehen – oder aufs äußerste erregt. Denn als Ursache für das beklagte Elend werden die Schwächsten genannt, die vor Not und Krieg Geflohenen, die sich nicht wehren können... Heimlich reiben sich die Redner die Hände. Man wird schon sehen, was noch passiert. Und dann, so glauben sie, beginnt ihre große Zeit.
Hatten wir nicht schon mal die große Zeit?
Hierzu ein Zitat von Willy Brandt:
"Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben."
Ach, Willy! Steh auf!