Besondere Medienfunde
werden aufgegriffen und kommentiert
in der Podcast-Serie
Es macht keinen Spaß, Mensch zu sein
Um Mitternacht sah ich zum Sternenhimmel.
Und wie immer ärgerte ich mich.
Ich schalte jedes unnötige Gerät ab, verwende nur noch Energiesparlampen und da oben. ... weiter
Auch zu hören im Rado Podcast unter
Verse auf der Kachelwand
Der junge Reimer
Um MItternacht
er jedes Wort als Waffe schreibt
und stürmt zur Schlacht,
wo er sich selbst entleibt.
Die paar Meter
aufrecht zu schreiten,
was nutzt das schon?
Und das Gezeter
in Zeiten
der Revolution!
Er reißt sich los
vom Planetaren,
durchpflügt den Kosmos,
fetzt Traum- und Liebeslaken.
Anstatt er sie begückt,
stört er den Schlaf der Guten,
indem er sie mit Versen fickt,
bis ihre Ohren bluten.
Der alte Reimer
Die Nacht will er maskieren,
macht sie zur Kachelwand im Klo.
Darauf will er was schmieren.
Zum Teufel auch, es geht ihm so:
Zu dieser Stund löst man den Gürtel
und schlägt auf seinen Schatten ein.
Und aus den Zähnen rieselt Mörtel
bei dem Versuch zu schrein.
Und seht: Der letzte Mensch, bevor
der Zukunft erster aufersteht,
gestürzt liegt er mit einem Ohr
im Müll, das andre hochgedreht.
Und Sterne funken fremden Sinn,
sein Kopf wird Webmaschine
und pocht und sticht: ein Gobelin.
Die Nachwelt lacht: Gardine.
Punkt Zwölf. Vom Rundfunk Phrasen.
Ein Tag beginnt, eine neuer.
Reformen abgeblasen.
Sie sind der Welt zu teuer.
Eine schwedische Radtour
Einmal machte ich mich auf eine Radtour. Ich mag die kleinen småländischen Häuschen, versteckt hinter Bäumen, oder am Straßenrand mit einem Vorgarten, in dem zwischen den Blumen ausgesuchte Feldsteine liegen.
An diesem Tag hatte ich Pech. Nach einer halben Stunde spürte ich Rumpeln. Der Reifen des Hinterrades hatte Luft verloren, ich musste ihn aufpumpen.. Schon stoppte
ein Wagen und der Fahrer fragte, ob er helfen könne.
Ich sagte: „Nej tack! Ich muss nur ein bisschen Luft pumpen.“
Er nickte lächelnd und fuhr weiter.
Nach etwa 5 Kilometer das Gleiche noch mal. Also her mit der Handpumpe.. Ein rutschiges Bremsen auf der Sandstraße. Der bärtige Bauer in seinem Pick-Up
bot mir an, mich mit dem Rad nachhause zu fahren. Ich dankte und sagte, ich müsste nur ein wenig Luft nachpumpen.
„Dann ist es ja gut“, sagte er, er grüßte mit der Hand und fuhr davon.
Als beim dritten Mal ein Wagen hielt, diesmal mit einem Pärchen das lauten Beat hörte, und ich mich zweimal bedanken musste, bis sie mich verstanden hatten,
beschloss ich, jetzt nur noch im Wald das Rad aufzupumpen. Die Hilfsbereitschaft der Schweden ständig ablehnen zu müssen, ist peinlich.
Also schob ich beim nächsten Mal das Rad zum Aufpumpen in einen Waldweg. Plötzlich taucht in zehn Meter Entfernung ein Wildschwein auf. Wir starrten uns an. Sicherheitshalber stellte ich mich hinter das Fahrrad. Dann verschwand das Wildschwein so lautlos, wie es gekommen war.
Kaum hatte ich das Rad an eine Kiefer gelehnt, kam ein Mann mit geschulterter Flinte aus dem Dickicht. und sagte: „Du willst doch wohl nicht das Rad hier abstellen?
Ein Wald ist kein Müllplatz.“
„Nein“, sagte ich. „Ich muss doch mit dem Rad noch nachhause kommen. Oder steht da auf der Straße ein Auto?“
Er warf einen Blick zur Straße.
„Jaso“, sagte er, „du hast kein Auto.“
„Doch, ich hab eins“, sagte ich, „Ich bin Deutscher, mache Ferien, und das Auto steht bei meiner Hütte.“
„Jaso.“ Schweigen. „Und warum bist du mit dem Rad im Wald?“
„Damit man mich beim Aufpumpen keiner sieht“, sagte ich.
Die Augen des Mannes sagten: „Diese Deutschen! Versteh sie einer.“
Dann sagte er: „ Lass mal sehen.“ Er presste den Daumen gegen den Reifen. „Ja, da muss was rein. Gib mir die Pumpe.“ Er gab ein paar Luftstöße ins Rad und
sagte: „Jetzt
kannst du nach Stockholm fahren.“
„Ich will aber nur nachhause.“
„Jaha, gute Idee. Stockholm wäre wohl zu weit.“
Ich schob das Rad auf die Straße. Er ging hinterher und sah mir beim Davonradeln nach.
Bald darauf musste ich das Rad einen Hügel hinauf schieben, von dort kam mir ein Auto entgegen und hielt. Die Frau am Steuer kurbelte das Fenster runter und
rief: „Hast du das Tier gesehen?“
Tier? Achja, das Wildschwein! „Ja, das hab ich", sagte ich, stellte das Rad ab, ging hinüber und berichtete, wo und wie ich das Wildschwein
gesehen hatte. Die Frau sah mich verblüfft an. Hatte sie mich nicht verstanden? Ich fing noch mal an zu erzählen, da machte sie ein Gesicht, als hätte sie genug davon, kurbelte das Fenster
hoch und fuhr davon. Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, dass man in unserer Gegend einen Wolf gesehen hatte.
Auf dem Heimweg - die letzten zwei Kilometer ging ich neben dem Rad her - stand Abendgold in den Baumkronen und als ich aus dem Wald trat, brannte über meiner
Hütte das Rot, das im Kasperletheater den Teufel ankündigt.
Nej, tack, dachte ich, bitte nicht! Es reicht.
Zukunft
Kleine Geschichte
des menschlichen Körpers
Anfangs war der menschliche Körper ein Werkzeug, um die Erde zu erobern und die Natur zu bezwingen. Dann kam eine Zeit der Verehrung des Körpers, dies geschah in Ägypten, Griechenland und im alten Rom.
Dann, in der Folge einer neuen Lehre, belegte man den Körper mit einem Fluch. Er galt als sündiges Fleisch, das man züchtigen müsse.
Die Aufklärung entlarvte den Fluch als Lüge. Man begann den Körper als eine organische Maschine zu betrachten, äußerst kompliziert und bewundernswert in seinen Fähigkeiten.
Von da an begann der Mensch seinen Körper zu pflegen und zu kräftigen, so dass er immer leistungsfähiger wurde. In
gleichem Maße wuchs die Bedeutung seines Aussehens. Chirurgen verschönerten ihn und man forschte nach Mitteln, die sein Altern aufhalten sollten.
Der Körperkult erreichte seinen Höhepunkt merkwürdigerweise zu einer Zeit, als Kriege den menschlichen Körper
massenweise vernichteten, plötzlich schien er nicht einmal mehr den Wert von Schlachttieren zu haben.
Doch die Rettung war nah. Zur gleichen Zeit entwickelte sich die Informatik.
Der Mensch überwand die Grenzen des Raums und er schuf sich eine Welt, wo sein Körper nur noch ein Schemen war.
Bald war die virtuelle Welt des Menschen liebster Aufenthalt.
„Und es wird eines Tages sein, dass der Körper abgelegt werden kann wie eine Last, und das menschliche Gehirn wird leben in der Grenzenlosigkeit des Universums.“
So dachte jetzt der Mensch, und als die Technik ihm die Möglichkeit dazu gab, verzichtete er völlig auf seinen Körper – und so verschwand er. Seitdem existierte er als elektronisches Partikel im Universum.
Zurück blieb die menschenlose Erde. Dort lebten Pflanzen und Tiere in freier Entfaltung und ihre Körper waren von
makelloser Schönheit.
Als die elektronischen Partikel im Universum, Menschheit genannt, das sahen, dämmerte es ihnen: Der Planet Erde war das Paradies.
Ich lasse mich patentieren
Sehr geehrtes Patentamt!
Hiermit stelle ich den Antrag auf Patentierung meines Körpers. Zusätzlich beantrage ich das Copyright meines digitalen Körpers.
Die Gründe sind folgende:
Da man längst Schafe verdoppeln kann und zwar bereits durch eine kleine Hautzelle, müssen wir davon ausgehen, dass dies auch mit Menschen möglich
ist. Sich der Hautzelle eines solchen zu bemächtigen, dürfte nicht schwierig sein, da er mit jeder Bewegung Hautzellen in genügender Anzahl verliert. Zwar wird mir mein eigener Klon nicht
begegnen können, er muss ja auch erst als Kind zur Welt kommen, aber meine Nachkommen
könnten ihn erleben und, weiß der Kuckuck, was immer mit ihm anstellen. Womöglich
benutzen sie mich als Sklave, und das vielleicht noch in einer Vielzahl, aber ich hatte schon immer was gegen die Leistungsgesellschaft
und dulde es nicht, dass man mich – auch nicht als Klon
– für den Kapitalismus missbraucht.
Ähnlich ist es mit dem digitalen Klonen.
Man stelle sich vor: Plötzlich taucht man im Internet auf und behauptet, unser Bundeskanzler sei in Wirklichkeit ein Krokodil. Was für einen Ärger man mit Tierfreunden bekäme! Oder man sieht sich als Teilnehmer eines Pornos. Wie soll man das seiner Frau erklären?
Allerdings bin ich bereit, meinen digitalen Körper für fremde Zwecke auszuleihen. Die monatliche Gebühr für meinen kompletten Körper beträgt 10.000 Euro, für mein Gesicht 6.000 Euro und für meine Stimme 4.000 EURO.
Ich sende Ihnen hiermit 4 Nacktfotos von mir, rechts, links, vorne und hinten, zusätzlich 12 weitere mit Einzelheiten meines Körpers sowie eine Kopie meines Ausweises und meine Steuernummer beim Finanzamt.
Sollten Sie mich für Ihre Unterlagen scannen wollen, so stehe ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung.
Siehe auch Sonja und ihr Roboter
Der Transmensch
1
Er lauscht den Finsternissen,
er sehnt sich aus der Welt,
als wär etwas gerissen,
das ihn auf Erden hält.
Von Träumen überschüttet,
kann er sich nicht mehr sehn,
fällt auf die Knie und bittet,
als andrer aufzustehn.
2
Einst liebte er den Glocknklang
der Dome.
Heute ist ihm bang
beim Herzschlag der Atome.
Des Nachts im Unruhfrieden
gibt er sich Träumen hin,
und wo's nicht reicht, in Suiten,
greift er zu Kokain.
Und wenn der Tag sich zeigt,
ist er, der Umgekehrte,
der aus der Traumflut steigt,
das neue Kind der Erde.
Freut euch des Lebens!
Zu hören: trommeln-im-elfenbeinturm
Früher Morgen
Auf Fensterscheiben tropft es nieder,
es ist der Todesschweiß der Nacht.
Noch einmal glüht sie auf im Fieber,
ihr Atem weht, es ist vollbracht.
Und dann geschieht am Himmel droben
auf goldnem Gong ein leiser Schlag,
und wie ein Junkie unter Drogen
steigt still herab der junge Tag.
Ich hab mich in den dunklen Stunden
ins Licht zu gehen nicht getraut.
Mir ist, als wär ich jetzt entbunden
von einer abgenutzten Haut.
Es regt sich Leben im Gebeine.
Ich sag zum jungen Tag kokett:
„Die Tür ist auf... Wir sind alleine.
Was willst du noch? Komm mit ins Bett.“
Gleich am ersten Tag – ich machte Ferien in meiner schwedischen Hütte – kam mein Freund Gunnar mit einem blank geschälten, wie eine Wünschelrute geformten Ast
und sagte, damit könne ich Wasser oder Frauen suchen, aber wegen des Sees in der Nähe sei Wassersuchen wohl nicht nötig.
Nachdem er mir den halben Kuchen aufgegessen und drei Tassen Kaffee getrunken hatte, ging er mit dem Versprechen, mir morgen etwas Besonderes zu zeigen: die
Dänengräber am Bolmen. Sie stammen aus der Zeit vor 300 Jahren, als die Dänen Südschweden bis nach Småland besetzt hatten, wogegen sich die Småländer heftig wehrten.
Er kam mit Axt und Säge. Und so radelten wir los. Eine knappe Stunde später kamen wir an. Unter hohen Eichen sah ich zehn längliche Hügel, auf ihnen Gesträuch und
einige mannshohe Birken.
„An die Arbeit! Wenn nichts getan wird, wächst hier alles zu. Eine Schande ist das. Also los, du gamla Indian!“
Damit meinte er mich, aber ich fand, ein Indianer würde bestimmt lieber etwas anderes tun, als Grünzeug aus der Erde zu reißen.
Plötzlich legte er sich rücklings auf einen der Hügel und murmelte: „Was für ein schöner Platz, zum Sterben.“ Innerhalb von
einer Minute war er eingeschlafen
Es war ein sonniger Tag, vom nahen See kam leichter Wind, die Lichttrauben im Eichengewölb zitterten. Und während ich die Gräber von allerlei Gestrüpp befreite,
dachte ich: Er fing ausgeflogene Bienenvölker ein, er veredelte Apfelbäume, zog in einem aus Abrissfenstern errichteten Treibhaus Tomaten und Weintrauben und
ließ sich von einer Bremse in den Arm stechen und sah ihr wohlwollend zu, wie sich ihr Körper mit Blut auffüllte. Nie fuhr er über eine Ameisenstraße, sondern stieg vom Rad und trug es hinüber
und bevor er ein Küken hob, hauchte er seine Hände an.
Er behauptete, dass die Sonne mindestens einmal am Tag für jeden Menschen ganz allein
scheine, man müsse nur aufpassen, damit man den Moment mitbekomme. Er jedenfalls verpasse keinen. Und weil das wohl so gut klappte, stellte er sich abends oft auf die Haustreppe, sah hinauf
zum Berg, wo die Sonne unterging, und rief übers Dorf und über den ganzen Erdkreis: „Livet är härligt!“
Er ist schon seit ein paar Jahren tot, ich wohne in einem Dorf nahe Berlin. Ich habe von meinem Fenster einen Blick auf ein paar Kiefern, gerade sehe ich, wie die
Sonne die Stämme kupfern leuchten lässt und da ertönt fern eine schwedisch singende Stimme: „Das Leben ist herrlich!“
Und für einen Moment ist das Leben ganz allein bei mir.
Der Apfelbaum
Er steht so allein
und tut mir leid.
Viel wird nicht mehr sein
von seiner Zeit.
Vernarbte Wunden
sind da am Stamm.
Die Äste geschunden,
am Fuß hat er Schwamm.
Und seine Gestalt
so abgemüht...
Gott ja, er ist alt.
Doch seht, wie er blüht.
Das Leben
Mag sein, dass plötzlich nichts mehr stimmt,
was man die Fakten heißt,
und dass wir bunte Schatten sind,
geträumt von einem Geist.
Mag sein, dass wer die Füße hebt,
sein Ziel noch suchen muss,
und wie das Sternlicht endlos geht:
Auch wir sind ohne Schluss!
.
Wie kann das einer je verstehn.
Drum frag nicht, ob du's kannst.
Lass einfach dich vom Leben drehn,
bis du, ein Derwisch, tanzt.
Was passiert,
wenn dem Mund eines Erwachsenen
plötzlich ein Spruch
aus seiner Kindheit entfährt?
Der lässt tief blicken –
in die Welt zu seiner Zeit als Kind.
Darüber gibt es eine Geschichte im Radio
Podcast:
Siehe auch Der gelbe Stern
Wie ein Deutscher sich schämte
und dann glücklich wurde
Zu hören : trommeln-im-elfenbeinturm
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